Arthur Achleitner
Geschichten aus den Bergen
Arthur Achleitner

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's Kofelweib von Ammergau.

Der Beherrscher des schönen Ammergaues mit seinen schmucken Dörfern Oberammergau und etwas weiter nördlich Unterammergau ist ein kolossaler Felsenkegel, Kofel genannt, der seine Felsenspitze kühn zum Äther emporhebt und der Berglandschaft einen romantischen Charakter verleiht. Wiewohl nicht von bedeutender Höhe, ruft der Kofel doch den Eindruck des Hochgebirges hervor durch seine Steilabstürze und Schrofen. Seine Nachbarn sind bereits breite, gravitätische Kameraden, drüben nach dem Süden das breitrückige Ettaler Mandl mit seinen vielen eigenartigen Zacken und Spitzen, dann die durchfurchte »Not«, der »Laaber« und »Aufacker«. Der Kofel dominiert in dem herzigen Oberammergau, er ist Gegenstand besonderer Aufmerksamkeit, denn über sein Haupt ziehen die Wolken, deren Naß im Passionsjahre so unwillkommen ist, der Kofel ist das berüchtigte Wetterloch und außerdem beherbergte in früheren Zeiten, als der Menschenglaube noch kräftiger im Erdgeborenen wurzelte, als in unseren Tagen, der Kofel noch eine bedeutsame Person, das Kofelweib.

Hoch oben, unter der Spitze des Felsenkegels, befindet sich eine Höhle in den Wänden, und darinnen wohnte das Kofelweib. Jeder kannte die Alte, aber gesehen hat sie keiner, nicht einmal der Bürgermeister von Oberammergau mit dem weißen Kaiphasbarte, der doch schon viel gesehen hat in seinem Leben. Gar fürstlich eingerichtet soll die Wohnung des Kofelweibes gewesen sein droben in der großen Felsenhöhle. Wenn je einer hinaufkletterte, sehen konnte er nichts als die nackten Wände, die Alte zauberte allemal 101 alles hinter die Felsen und verbarg ihre Herrlichkeiten. Nur ein Wimmern hörte man, und das hatte seinen guten Grund, weil das Koselweib den Oberammergauern ihre – Kinder brachte.

Es mögen jetzt an die fünfundvierzig Jahre vergangen sein, daß das Koselweib ein Knäblein in das Häuschen eines Bildschnitzers von Oberammergau brachte. Ein braver, fleißiger Mann, der sich redlich durch der kunstfertigen Finger Arbeit nährte. Das Koselweib sprach in seinem Hause alle Jahre einmal vor und ließ nach jedem Besuche ein junges Menschenwesen zurück. Das ging so fort, bis schier kein Platz mehr war im Hause. Vor etwa fünfundvierzig Jahren kam das Koselweib wieder zum wackeren Schnitzer in der Nacht, und richtig brachte es wieder einen pausbäckigen Buben, so schön wie ein lebendiger Engel. Der arme Schnitzer wollte aufmucksen, doch das Koselweib bedeutete ihm zu schweigen. »Auf dös Büawerl wird die ganz' Welt schaug'n!« prophezeite das Weib. Verwundert horchte der Bildschnitzer zu und seine Frau betrachtete seligen Blickes den jüngsten Sprößling. Dann sagte das verwitterte Koselweib. »Dös war 's letzt' Kind bei Enk und im Dorf, 's Koselweib bringt koan's mehr awer (herunter)«. Und verschwunden war die alte Hexe.

Wie der Bildschnitzer im Wirtshaus sein Abenteuer erzählte, lachten die Oberammergauer den Märchenerzähler aus und spotteten seiner, weil sein Jüngstes die Blicke der ganzen Welt auf sich richten sollte. »Der Rappler Jakob spinnt!« meinten die Oberammergauer und deuteten auf den Knochenkasten, wo das Hirn drinn' sein soll. Es waren das Leute, die nicht an die wichtige Mission des Koselweibes glaubten. Und daß dem Mayr, genannt nach dem Hausnamen »Rappler«, sein letztes Büawerl gar was B'sunders sein oder werden sollte, das war zum Lachen, zum Narretwerd'n. »Was denn?« fragten sich die Leute. Zuerst ein Hosenzerreißer, dann ein ABC-Schütz, hernach a Hirtenbua, 102 später a Schnitzer, der so lang schnitzelt, bis er 's Kruzifix für seinen eigenen Sarg fertiggebaßelt (geschnitzt) hat. Ein Oberammergauer Schnitzer, der im Leben nicht reich wird. Und reich sein, das ist 'was. Auf die reichen Leut' wird g'schaut in der ganzen Welt. Wie aber sollt dem Rappler (Mayr) sein Büawerl wachsen, daß die ganze Welt drauf schauget? Zum Lachen das, hihihi, und dann schlichen die Spötter wieder heim zum baßeln.

Dem Rappler Jakob sein Jüngstes ward getauft in einem nigelnagelneuen Taufg'wandl, grad nobel. Der Herr Pfarrer hat beim Chrysambestreichen auch gesagt, der junge Sepperl wär' ein merkwürdig schönes Buberl. So 'was muß doch der Pfarrer verstehen, der schon so viel Kinder 'tauft hat. Die Bildschnitzermayrin hat dem hochwürdigen Herrn auch gleich gesagt, was das Koselweib prophezeite und der alte Herr hat darauf gemeint: »So, so, kann schon sein!« – Na, also!

Am Sepperl war nach dem ersten Jahr nichts Besonderes wahrzunehmen, er lutschte an den Fingern, wenn er den Zuzel nicht hatte, und bekundete regen Appetit für Milch und Nudeln. Später interessierten den aufwachsenden Sepperl die vom Vater geschnitzten Figuren lebhaft, besonders griff der Kleine nach den Christusfiguren, wenn der Vater just einen Herrgott fertig geschnitzt hatte mit kunstfertiger Hand.

Mit fünf Jahren etwa kam ein Wendepunkt im jungen Leben, denn wieder war ein Passionsjahr gekommen und der Rapplersepperl durfte zum erstenmale »mitthun« im »Judenvolk«, und er tummelte sich so anstellig durch die Straßen Jerusalems, daß man sein junges Alter vergessen und meinen konnte, der Bub wäre wirklich älter. Nach zehn Jahren »spielte« der Sepp, der herrlich herangewachsen war, schon im Chor mit einem Geschick und Talent mit, daß alles aufmerksam wurde. »Ja, der Rappler-(Mayr)-Seppl, dös ischt a Mandl«, hieß es jetzt auch bei den Spöttern. Und wie dann wieder ein Passionsjahr kam mit seinen 103 Vorbereitungen, da einigte man sich im Künstlerdorfe auf die Wahl des Mayr-Josef zum Darsteller der Christusrolle.

Aus aller Welt strömten die Gäste zum Passionsspiel nach Oberammergau, aus fernen Weltteilen fuhren sie heran. Engländer, Russen, Franzosen, Amerikaner und Italiener, Spanier und Asiaten fanden sich zu Füßen des Kosel ein, staunten und bewunderten und gingen tief bewegt von dannen. Und alle waren des Lobes voll über die Oberammergauer Künstler, besonders aber über den Christus-Mayr.

Welch ein prächtiger Mensch ist aus dem »Büawerl« geworden. In reicher Fülle wallt dunkelbraunes Haar vom edelgeformten Kopf tief hinab in den Nacken. Eine gebieterische Gestalt, vornehm und weich in der Figur, über sechs Fuß in der Höhe, steht der Christus-Mayr auf der Bühne, den Heiland verkörpernd in seiner Todesangst, als verspotteten Judenkönig, bis er erhöht wird am Kreuze. Die Augen der ganzen Welt haften an dieser hohen, schlanken Gestalt, deren Bewegungen selbst im Moment der Darstellung körperlichen Schmerzes voll künstlerischer Reinheit bleiben.

Die Welt blickt auf den Kreuzträger, der in jeder Bewegung, in jedem Zug des Erlösers Willen zu Dulden zum Ausdruck bringt. Und die Kreuzigung selbst! Eine Meisterleistung der darstellenden Kunst, die dem Mayr-Josef einen Weltruhm eingetragen hat, der sich mit jeder Dekade erneuert. Im Jahre 1890 zum drittenmale. So hat sich die Prophezeiung des Koselweibes erfüllt. Und die Kinder bringt den Oberammergauern seit dem Streike des Koselweibes jetzt der Storch.

 

Ende.

 


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