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Vorwort

Die englische Romantik steht ähnlich wie die deutsche und die französische zwischen dem 18., dem Jahrhundert der Aufklärung, und dem realistischen, ja materialistischen 19. Jahrhundert. Das Schaffen der Aufklärer war gebunden an Konventionen moralischer und ästhetischer Art, sie massen den Mensch an einem Ideal, das Wirklichkeit werden sollte, aber nicht Wirklichkeit war. Ihre poetischen Schöpfungen ermangeln deshalb der Ursprünglichkeit, der unmittelbaren frischen Anschauung. Die Literatur des 19. Jahrhunderts dagegen stellt den Menschen in die Wirklichkeit der gesellschaftlichen Zusammenhänge hinein. In der englischen Literatur spürt man diese neue Richtung vor allem bei den grossen Erzählern: Thackeray, Dickens, George Eliot.

Der freiheitsdurstige, romantische Mensch empört sich gegen die Konventionen: das Leben Byrons, Shelleys, gewissermassen auch Burns' ist ein einziger Protest wider die Vorurteile der Gesellschaft, die das Genie nicht verpflichten sollen. Mit ihrem Anspruch aber auf eine Ausnahmemoral, ein Ausnahmeleben stossen sie auf den heftigen Widerspruch der Zeitgenossen. Das Leben gibt ihnen nicht, was sie ersehnen. Die Wirklichkeit ist hässlich, bloss der Traum ist schön. So erheben sie sich über die Wirklichkeit in ihren begeisterten Gesängen, oder vielmehr: sie verwandeln, durchdringen und verklären sie mit ihrer romantischen Subjektivität. »Ich und die Welt« sagt der romantische Mensch. Die Welt hängt vom Ich ab, und der romantische Poet erschafft sie immer neu aus der Tiefe seines Gemüts.

Natürlicherweise nimmt die Lyrik im Schaffen der romantischen Dichter einen wichtigen Platz ein, denn sie erwächst aus der subjektiven Stimmung, die der Poet in die Welt projiziert. Burns und Hemans haben nur lyrische Werke verfasst, bei Byron und Shelley herrscht die lyrische Gattung vor, ja auch ihren Dramen und Epen eignet ein lyrischer Charakter. Die Dichter kommen nicht von ihrem Ich los, sie stellen immer sich selbst dar unter wechselnden Gestalten. Byrons Charaktere sind aber schärfer, bestimmter gezeichnet als die Gestalten Shelleys, der noch ausschliesslicher Lyriker ist als Byron. Burns ist eigentlich ein lyrisches Naturgenie, er gehört zu jenen, in unserer reflektierten Zeit immer seltener werdenden Dichtern, die man sich im dämmernd poetischen Morgen der kultivierten Menschheit vorstellen kann. Der Lyrik Felicia Hemans eignet ein frauenhaft zarter, intimer Charakter. Die Dichterin hat ein feines Gefühl für den Wohllaut der Verse.

Die englische Romantik bedeutet eine Rückkehr zur Natur und zwar – ähnlich wie bei Rousseau – einer gefühlvoll, lyrisch erlebten Natur, einer Natur, die auf einer Entsprechung beruht von Ich und Welt, Seele und Landschaft. Sie ist im ganzen genommen frischer, anschaulicher, unmittelbarer, weniger gedanklich beschwert als die kontinentale, vor allem aber als die deutsche Romantik. Ein Novalis löst die Natur in Symbole auf, sie wird ihm zum Gleichnis seiner Gedanken, es bleibt nichts Greifbares, ja noch das Gefühl wird intellektuell durchsetzt. Burns denkt nicht, er fühlt, seine grosse Lehrmeisterin ist die Liebe, sie hat ihm Tür und Tor geöffnet zum Zauberreich der Poesie. Byron und Shelley sind Erlebnisdichter, sie dichten ihr eigenes Schicksal, ihre Entrüstung, ihre Liebe, ihren Hass. Zwischen den Dichter und seine Seele, zwischen den Dichter und die Aussenwelt tritt nicht die erkältende Reflexion, der Dichter distanziert sich weder von sich selbst noch von der Natur, Seele und Natur fliessen ihm zusammen zu einem Ganzen, aber nicht im Sinne eines geistig geschauten Ganzen – wie etwa bei Hölderlin – sondern eines seelisch gefühlten und sinnlich empfundenen Ganzen. Die deutsche übertrifft die englische Romantik an philosophischer Tiefe, an geistiger Bedeutung, diese aber jene an poetischem Glanz, an sinnlich-seelischer Anschaulichkeit. Man gibt sich gerne dem Zauber dieser Poesie hin, die noch etwas von der genial-fröhlichen Unbekümmertheit Shakespeares hat, überschattet aber von der Melancholie modernen Weltschmerzes.


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