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307. Friedrich Hebbel an Theodor Hedde in Heide

Mächtig heulte der Sturm, prasselnd und wild troff der Regen, es war als ob der Frühling mitten im Mai die Laune einer Braut bekommen und ihren Bräutigam, die Erde, dem rauhen kalten December überlassen hätte, als – – – (o! wie bist Du durch diesen pathetischen Anfang wohl gespannt!) ich (ich kann nicht anders, es geht mir, wie dem fliegenden Fisch, ich muß aus meiner poetischen Höhe in die Kartoffelfelder der Prosa zurück) meine Feder ergriff, um Dir, lieber Hedde, in wenig Worten viel zu melden, nämlich, daß ich den Schnupfen habe.

Willst Du Dich vielleicht nicht mit dieser kahlen Anzeige begnügen; ist Dir das Leben und Wohlseyn Deines Freundes zu theuer, als daß Du ihn in der Umarmung dieses Polypen (des Schnupfens) lassen könntest; hegst Du etwa den glühenden Wunsch ihm zehn Aerzte zu schicken, damit ihm durch zehnerlei verschiedene Röhren die Genesung, eigentlich aber der Tod, eingetrichtert werde; spürst Du wohl gar das heiße Verlangen, ihm des Fördersamsten und unverzüglich auf seinem Kranken- (bald hätt' ich Lager geschrieben, aber ich sitze ja und liege nicht) stuhle durch Deine Gegenwart zu trösten, so erwiedre ich im Vorwege, daß Alles was Du thust, den Punct mit den Aerzten, als wo ich um Verschonung bitte, ausgenommen, mir genehm seyn wird. Vom Schnupfen komme ich auf die Liebe, was Dir freilich ein gewagter Uebergang scheinen dürfte, es aber, bei näherer Betrachtung der Sache nicht ist. Der Schnupfen bringt allerlei Neuigkeiten, als da sind Unlust, Kopfschmerz, Schleimfluß pp. in den Körper hinein; die Liebe verfährt gerade so mit der Seele und bringt ihr Unlust dahin, wo Lust sitzen sollte, Schmerz, wenn es Geschäfte gilt, und Fluß, wahren Stromfluß allerlei eingebildeter Leiden. Es ist also zwischen Schnupfen und Liebe allerdings eine Brücke (Harmonie) befindlich und Du kannst es daher so wenig übelnehmen, als Zoll dafür verlangen, wenn ich mich dieser privilegirten Bahn bediene. Aber Du bist gewiß auch keineswegs in der Stimmung an derlei Gefährlichkeiten zu denken: das Andenken an die feurigen Küsse, die Du verwichenen Sonntag von Deiner Geliebten empfangen hast, erfüllt Deinen Geist gewiß mit einem Nebel, der dem Taumel der Bachantin gleicht und Dich unfähig macht, an etwas zu denken, was nicht dem Bilde G.'s anhaftet. Glückseliger!

Du schlürftest da in vollen Trauben
Unsterblichkeit!

Aber ich Armer! Ich stehe hungernd und durstend wie Tantalus im Wasser und unter Früchten. O, das Wasser ist so kühl und labend, aber für mich giebt es keinen Trunk; wie Hesperiden-Aepfel winken mir die goldenen Früchte, aber für mich ist keine gereift. Und wenn Du G. vielleicht nicht gesehen und viel weniger geküßt hast – dennoch bist Du glückselig. Eine Minute (sagt Schiller) gelebt im Paradiese, wird nicht zu theuer mit dem Tod gebüßt. Aber, wer den Himmel offen sieht, und nicht hinein kommt, der hat Hölle, und ob ihn Blumen umduften und Weste umfächeln.

D 6. May
1831.

Dein
C. F. Hebbel.

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