Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Der Geist des Verstorbenen.

1.

Des Herrn Sollers Rittergut und drei ansehnliche Häuser in der Stadt, erwarben Julien, seinem einzigen Kinde, zwei Drittheile Verehrer mehr, als ihr ausgezeichneter Wuchs und ein besonders reizendes Gesicht dem artigen Mädchen verbürgen konnten. Daher hatte sie in einem Alter von siebzehn Jahren schon Gelegenheit gehabt, einigen Heirathsanträgen durch zweideutige Antworten auszuweichen, und einige andre graden Weges zurückzuweisen.

Ihr Vater, dem sie die Gründe dazu angegeben, freute sich, eine so verständige Tochter zu haben. »Da kennen Sie Julien nicht!« sagte er zuversichtlich, als ihn jemand auf ihre besondre Freundlichkeit gegen den Doktor Heß aufmerksam machen wollte. Er glaubte, daß des Mädchens Hoffnungen den Kreis seines stillen, bequemen Hauses noch gar nicht überschritten hätten. In seinen, mit einer leidlichen Gesundheit und Ruhe zufriedenen Jahren, vergaß er, daß die Wünsche der Jugend sich ganz anders gestalten, und daß die Sehnsucht nach ihrer Erfüllung von einem wohlgepflegten, sorglosen Leben eher aufgereizt als besänftigt werde.

Um so mehr überraschte ihn ein Brief von dem Doktor, der für Julien bestimmt, in ihrer Abwesenheit durch die Einfalt des Ueberbringers Herrn Soller ausgehändigt worden war. Die Aufschrift zeugte von einer männlichen Feder und er wartete mit Ungeduld auf die Rückkehr seiner Tochter.

Ihr Erschrecken, als er den Brief übergab, machte, daß er denselben sogleich wieder an sich riß, eröffnete, und die unwandelbare Liebe mit ansah, auf die sich Gustav Heß darinnen zu wiederholten Malen berufen hatte. Einem scharfen Examen folgte ein noch schärferes Verbot. Was mußte Julie nicht alles in Einem Athem versprechen, um nur für den Augenblick Ruhe zu erhalten!

Der unterbrochene Postlauf, über dessen Ursachen des Mädchens verweinte Augen ihrem Geliebten vom Fenster aus Nachricht gaben, veranlaßte das ungestüme Herz des Doktors zu einem Gespräch mit Herrn Soller. Gustav hielt um Juliens Hand förmlich an, welche ihm von dem Vater nicht weniger förmlich abgeschlagen wurde. Dieses war um so räthselhafter, da Heß ein unabhängiges, großes Vermögen, einen guten Ruf, ein angenehmes Betragen, und alles besaß, was seiner Bitte das Wort reden konnte. Denn selbst ein kleines Ehrenzeichen, das ein akademisches Duell seiner Wange beigebracht hatte, zog ihm bei den bedächtigsten Leuten keinen Vorwurf zu, weil es allgemein bekannt war, daß er den Streit damals nicht veranlaßt hatte.

Vergebens hoffte Julie, ihr, sonst in seinen Meinungen ziemlich biegsamer Vater, werde ihren Liebkosungen nicht ewig widerstehen. Vergebens wurde von ihrer und des Doktors Seite alles angewandt, ihn für die sehnlich gewünschte Verbindung zu gewinnen.

Nach einer Menge fruchtloser Versuche schien dem Mädchen nur Eine Ursache seiner Halsstarrigkeit denkbar, und irrte sie sich in dieser nicht, so war wenig Hoffnung vorhanden, daß sie ihren einzigen Wunsch bei des Vaters Lebzeiten erreichen würde. Herr Soller war nämlich, seit der Kränklichkeit, welche ihn vermocht hatte, sich der Geschäfte seiner ausgebreiteten Handlung zu begeben, zu seinem großen Leidwesen im Besitz der Geisterseherei. Er hatte sich so gar nach und nach, trotz dem Doktor Jung, ein System der Geisterwelt gebildet; nach welchem unter andern diejenigen Personen, die während ihres Lebens »sich sehen ließen,« allezeit einen höchst zweideutigen Charakter haben mußten.

Julie besorgte sehr, daß der Geist des Geliebten ihrem Vater erschienen seyn möchte, und ließ ihrer Schlauheit keine Ruhe, bis sie wußte, daß sich die Sache in der That also verhielt. Grade in der Nacht nach dem Auffangen des Briefes, war Doktor Heß ganz in seinem gewöhnlichen Anzuge bei Herrn Sollers Bette vorübergegangen.

Nur ein verzweifeltes Mittel, wogegen sich ihre Schamhaftigkeit auflehnte, fiel Julien ein, und die Liebe rastete nicht, bis sie es angewandt hatte. Sie that nämlich ihrem Vater das falsche Geständniß, daß sie von seinem Zorn, und ihrem Herzen verleitet, damals dem Doktor bei Nacht die Thore geöffnet, folglich Herr Soller ihn selbst, und nicht sein Gespenst gesehen habe. Sie erzählte ihm dabei, wie sie sich der Schlüssel zu Haus und Vorsaal bemächtigt, in solchem Detail und mit so vieler Wahrscheinlichkeit, daß ihm gar kein Zweifel daran übrig blieb.

Die Folge zeigte, daß Julie ihre Mittel zu wählen verstand. So hart sie auch auf dieses Geständniß angelassen wurde, so milderte sich doch der väterliche Widerwille gegen den Doktor zusehends. Julie wußte den Geliebten davon zu benachrichtigen. Er wiederholte seine Bitte um ihre Hand, und Herr Soller, dem es bedenklich schien, eine Tochter länger zu hüten, welche dem Liebhaber im Nothfalle bei Nacht ihr Zimmer öffnete, ließ ihn Gehör finden.

Leider erschien dem Vater das Gespenst acht Tage vor der festgesetzten Hochzeit wieder. Und dießmal gab der Geisterseher zu genau auf die Thüren acht, als daß Julie ihre frühere Selbstanklage mit Glück hätte wiederholen können. Herr Soller bestand nun auf dem Rückgange der Heirath. Eine förmliche Prophezeihung, welche er seiner Tochter von ihrem künftigen Unglück machte, blieb auch wirklich nicht ohne Eindruck. Aber der Geliebte wußte ihr die Prophezeihung gar bald aus der liebenden Seele zu reden. Die öffentliche Verlobung war geschehen, und das Paar hielt den Vater beim früher gegebenen Worte. Da er wohl wußte, daß jedermann seine Ursache dieses Zurücknehmens für ein Hirngespinst erklären würde und eine gültigere sich nicht auffinden ließ, so willigte er zwar endlich ein, weigerte sich jedoch standhaft, einen Zeugen der Hochzeit abzugeben.

Als indessen diese vorbei war, so ließ er sich auch zur Wiederherstellung des natürlichen Verhältnisses zwischen Vater und Kind bereit finden, erwiderte des Paares Besuche, und gab einmal selbst der jungen Frau zu, daß er bis jetzt, seine Besorgnisse wegen ihres Gatten, nicht bestätiget sehe. – –

Doktor Heß entsagte der medicinischen Praxis, welcher er sich gewidmet hatte, oder beschränkte sich doch darin auf einige Freunde, denen er aus besonderm Wohlwollen diente. Um so gemächlicher konnten sich die Neuvermählten allen Launen der Liebe überlassen, und sie thaten es auch nicht selten bis zur Ausschweifung. Mit heißer Begier hingen sie an jedem Traume, der ihre jetzige Existenz so wenig verändert als möglich, verewigte, und Sollers Geisterseherei kam bei einer solchen Gelegenheit ebenfalls zur Sprache. Die Wünsche der Liebenden verwendeten sich für die Möglichkeit der Wiedererscheinung nach dem Tode. Das Paar war jetzt gar nicht abgeneigt, den Geistern, die Herrn Soller zuweilen besuchten, ein Wesen zuzugestehen, wenn sie auch die Resultate, welche er daraus zog und sein selbsterschaffenes System ganz verwerflich fanden. Gustav wußte die Geschichte zweier Liebenden, die sich das Versprechen gegeben hatten, auch im Tode nicht von einander zu weichen, und daß der zuerst verstorbene Gatte, seines Wortes eingedenk, zurückgekehrt war, bis auf ihre kleinsten, der Ueberzeugung überaus günstigen Umstände. Die Aeußerung, daß doch ihnen dieß ebenfalls vergönnt seyn möchte, wurde von Julien gethan und von Gustav mit Wärme wiederholt. Man ließ sich die seltsamsten Meinungen, welche jemals über die Geisterwelt gedruckt worden waren, zusammentragen, und einige sehr merkwürdige Handschriften vollendeten die zu großer Erbauung betriebene Lektüre dieser Art.

Unvermerkt wurde das Paar von der Vermuthung des Möglichen zu dem Glauben an die Gewißheit der Sache geführt, und mit Hülfe verschiedener, wie von ungefähr entstandener Hypothesen, gelangte man nun, so gut wie Herr Soller, zu einer eigenen Theorie. Nach dieser wurden ein Paar aufrichtig Liebende durch den Tod keineswegs getrennt, vielmehr hatte die zuerst gestorbene Hälfte des schönen Ganzen, bis zum künftigen Wiedervereine das Recht, den zurückgebliebenen Theil als Schutzengel zu umschweben.

Zum Glück wurde die neue Schwärmerei von der Zeit und dem Leben allmählig abgenutzt. Aber die menschlichen Schwächen, welche jede Hälfte an der andern entdeckte, zerstörten die Idee der Vollkommenheit, welche jede von der andern gehabt hatte, gar bald dermaßen, daß nach Juliens erstem Wochenbette, das Projekt der Rückkehr aus dem Schattenreiche, in gänzliche Vergessenheit gerathen war. Die sonst ganz unwandelbare Liebe wurde mit jedem Monate wandelbarer. Denn obschon der Knabe, worauf der ganze Lebenszweck der Mutter nunmehr hinzugehen schien, wieder zu Grabe getragen wurde, so schien darum doch Gustav ihr nicht näher gerückt zu werden.

Die beiden so glücklich zu einem Ganzen vereint gewesenen Hälften fingen an, ihre Selbstständigkeit wieder zu behaupten, und wenn auch kein Theil den andern einer förmlichen Untreue anklagen konnte, so waren doch beide entschiedene Zweifler an den Gesinnungen des Gegentheils in dieser Rücksicht geworden.

Nach Verlauf dreier Jahre schien das innere Band zwischen ihnen gänzlich aufgelöst. Nur ein äußeres hielt sie vielleicht noch beisammen. Die väterliche Prophezeihung Lügen zu strafen, und den Freunden, welche noch immer ihre beispiellose Liebe am Hochzeittage nicht vergessen hatten, keinen Stoff zum Lachen zu geben, wurde der Unfriede, der jetzt manchmal in ihrem Hause ausbrach, nicht über dessen Thürschwelle gelassen, wenn schon eine sehr merkliche Veränderung in dem gegenseitigen Betragen dem Kenner nirgends ganz zu verbergen war.

Doktor Heß, der, wie schon erwähnt, aus Liebe zu einem ruhigen, genußreichen Leben seine medicinischen Kenntnisse nicht zum Erwerbszweige nutzte, hatte während der beiden ersten Jahre einen großen Theil des Sommers in einem berühmten Bade mit Julien zugebracht. Der dritte Sommer war wieder diesem Bade von ihm bestimmt. Allein Julie schlug die Begleitung unter dem Vorwande einer von der zweiten verunglückten Niederkunft zurückgebliebenen Kränklichkeit aus.

Es war ihr gleichgültig, daß ihr Gatte, wie sein Lächeln bewies, die Nichtigkeit des Vorwands wohl durchschaute.

Erst nach seiner Abreise fiel ihr eine Unpäßlichkeit ein, worüber er seit einigen Monaten geklagt, und die sie für bloße Vermäntelung seines Mißmuths gehalten hatte. Wenn sie wahr wäre! Und wenn er weit von hier unter fremden Menschen erkranken sollte! Es fehlte wenig, und der Gedanke hätte sie zur Bestellung von Postpferden angetrieben.

Fröhliche Gesellschaft verjagte indessen diese Wolke gar bald von der jugendlichen Stirn, und sie schalt sich eine Thörin, daß sie an einen Mann mit solcher Sorge denken könne, der so eben Anstalt machte, sich von der Langeweile, womit ihn ihr Umgang gepeinigt hatte, in den Armen der Freude zu erholen.

Im Ganzen war ihr die jetzige Einsamkeit auch gar nicht ohne Behagen. Eine Menge Rücksichten, die sie vor ihrem Gatten zu beobachten hatte, konnten jetzt wegfallen. Sie stand einzig unter den Gesetzen des Anstands, und dachte nicht ohne einige Angst an die nahe Aenderung ihrer Lage, als ein Brief vom Doktor dessen Rückkehr um drei Wochen weiter hinausschob.

So willkommen ihr aber auch die Sache war, so sehr verdroß sie das, daß Gustav darin nicht einmal einen Grund seiner längern Abwesenheit anzugeben sich bemüht hatte.

Nach Verfluß einer Woche erhielt sie ein Schreiben von ihres Mannes Bruder, welcher ein ansehnliches Staatsamt in einem entfernten Lande verwaltete, und, wie sie jetzt zum ersten Male hörte, den geliebten, einzigen Bruder nach langer Entbehrung wieder zu sehen, die weite Reise in's Bad unternommen hatte. Die äußerst gefährliche Krankheit ihres Gatten, welche das Schreiben verkündigte, wirkte erschütternd, und kaum hatte sich Julie zur schleunigen Abreise bereit gemacht, als sie aus einem zweiten Schreiben ersah, daß das erste nur die Vorbereitung auf die Todespost hatte abgeben sollen. Ein plötzlicher Schlag war die Ursache seines frühen Lebensendes gewesen.

Da er in dem Bade, hauptsächlich wegen seiner gesellschaftlichen Talente, viel Freunde besaß, so war seine Beerdigung äußerst rührend und feierlich gewesen. Der Bruder, welcher dieses schrieb, eröffnete der Witwe zugleich, daß er schon in Begriff gestanden hätte, ihr alles persönlich zu melden, als er von seinem Dienstverhältnisse unvermuthet abgerufen worden. Uebrigens erinnre er sich von dem Verstorbenen kurz zuvor einmal in zufälligem Gespräche gehört zu haben, daß ihr ihm Zugebrachtes den dritten Theil seines hinterlassenen gänzlichen Vermögens bei weitem nicht erreiche, daher er bereits alle Anstalten getroffen habe, daß ihr dieser dritte Theil in sichern Dokumenten und baarem Gelde übergeben werden solle.

Julie fühlte sich von dem Hauptereignisse so tief verletzt, daß ihr diese ökonomische Sorgfalt jenes höchstunglückseligen Augenblickes ganz unwürdig erschien. Unwillkührlich faßte sie gegen den Briefsteller einen starken Widerwillen, daß er dergleichen in den ersten Tagen der Trauer zu berücksichtigen werth gefunden hatte.

Der Vorwurf, den sie sich unmittelbar nach des Verstorbenen Abreise machte, fiel jetzt mit zermalmender Gewalt auf sie ein. Jeder schöne Moment ihrer Liebe trat aus dem Verborgenen hervor, und vor allen die längstvergessene feierliche Scene, wie sie einander wechselseitig das Erscheinen nach dem Tode zugesagt hatten.

Nicht ohne ein fieberhaftes Grauen kam sie am Abend von ihrem Vater in die düstre Einsamkeit.

Als sie ausgekleidet und ihr Mädchen im Fortgehen begriffen war, rief sie es zurück. Aber der Entschluß, eine Wächterin zu behalten, wurde sogleich wieder verworfen, und die Dienerin fortgeschickt, ohne daß sie erfuhr, warum sie hatte umkehren müssen. Julie wollte dem Geiste ihres Gatten durch keine Zeugen Fesseln anlegen, ob sie schon vor Zittern kaum das Bette erreichen konnte. Sie wünschte keinen Schutz, als den des Schlafes.

Aber so fest sie auch ihre Augen verschlossen und die Bettvorhänge, welche gewöhnlich offen blieben, zugezogen hatte, so stellte sich doch kein Schlummer ein. Vielmehr rauschte es um sie herum, seltsamer, als es die Einsamkeit des Zimmers zu gestatten schien. Und als sie endlich, voll Entsetzen, ihr Gesicht von der Wand herüberwandte, auf alles gefaßt, die Vorhänge öffnete und aufblickte, da gab die Lampe einen so abentheuerlichen ungleichen Schimmer, und bildete auf der einen Seite des Zimmers einen so dunkeln, räthselhaften Schatten, wie er der Bebenden noch niemals vorgekommen war.

Diese Stelle ward ihr am verdächtigsten. Je länger sie hinsah, desto beweglicher wurde der Schatten. Auch prasselte die Flamme so, als ob etwas von außen auf sie wirken müsse.

Was Julien fast noch mehr als alles dieses angriff, war der Gang einer Stutzuhr, nicht weit vom Bette, dessen Einförmigkeit von den so ungewöhnlichen Ereignissen auch nicht im mindesten gestört wurde.

Schon hatte die Angstvolle so viel Muth gefaßt, um die Uhr still stehen zu lassen. Schon richtete sie sich dazu in die Höhe, als der Ton des Aushebens vor der Mitternachtstunde sie wie ein Geisterruf wieder zurückwarf. Es war, als ob der hell darauf erfolgende Glockenschlag ihr die festzugehaltenen Augen aufrisse, und dieß nur – damit sie wahrnehmen möchte, wie sich aus dem gefürchteten Schatten die kranke Gestalt ihres Gemahls deutlich hervorhob, und ihre lautlosen Schritte nach dem Bette richtete. –

Dieser Moment war der letzte ihres Bewußtseyns und am folgenden Morgen lag sie in einem überaus heftigen Fieber.

Erst nach mehrern Monaten wurde sie völlig davon hergestellt, und nun zeigte sich ihr Vater äußerst begierig, etwas von dem Geiste zu erfahren, dessen Erscheinen sie in der Hitze der Krankheit bisweilen gedacht hatte. Doch Julie wußte nichts mehr von diesen Aeußerungen, und die Nacht, welche die Einleitung zur Krankheit gewesen war, vermied sie absichtlich zu erwähnen.

Ihr erster Gedanke nach der Wiederherstellung war ein Besuch des Grabes von ihrem Gemahl, ganz in dem Sinne einer frommen Wallfahrt. Auch fand sich in einer unpäßlichen Freundin, welche der Arzt in's Bad schickte, eine gute Gesellschaft für die Trauernde.

Julie freute sich, daß ihr Verstorbener an dem Orte seiner letzten Tage noch in dem besten Andenken stand. Sie betrachtete mit Rührung und Dankbarkeit den Stein, den einige Freunde auf seinen Hügel hatten setzen lassen. Ihr Gatte war, wie sie erst jetzt erfuhr, gewissermaßen in seinem Berufe gestorben. Von einem hülflosen Kranken, den er aus Mitleid in seine Wohnung genommen, hatte er die Krankheit empfangen, welche ihn ins Grab stürzte. Man verschwieg ihr zwar den Umstand, daß sein Tod durch einen Fall aus dem Bette unstreitig beschleunigt worden, allein es hatten zu viel Leute davon gehört, als daß es ihr, die alle Menschen auf das Gespräch von ihrem Verstorbenen brachte, hätte verborgen bleiben können.

Da das ganze Bad, außer dem Begräbnißplatze keinen erträglichen Ort für die Traurende aufwies, so war sie sehr wohl damit zufrieden, daß ihre Gesellschafterin, deren Umständen das hiesige Wasser nicht zusagte, wieder abzureisen für gut fand.

Die Zurückkunft brachte Julien zwar Zerstreuung, aber keine ihrem Zustande anpassende entgegen. Ihr lange schon kränkelnder Vater war bettlägrig geworden, und die Aerzte verhehlten ihr nicht, daß sein Uebel wohl nur mit dem Tode gänzlich gehoben werden würde.

Um so angelegener ließ sie sich seine Pflege seyn. Die Gewißheit der nahen Einbuße einer geliebten Person, giebt unsrer Liebe eine zuvor nie geahndete Kraft. Julie wich nicht mehr aus dem Zimmer ihres Vaters. Wer sie sehen wollte, mußte den Kranken besuchen, und wirklich erhielt der Mann aus diesem Grunde mehrere Besuche von jungen Männern, die darauf ausgingen, das unstete Leben der Ehelosigkeit in ein zweckmäßigeres zu verwandeln.

Die so leise als immer rege Aufmerksamkeit der reizenden Witwe auf den Zustand und die noch unverlauteten Wünsche des Kranken mußte unfehlbar das Interesse solcher Zeugen an ihr ansehnlich erhöhen. Denn was würde ein Wesen, das mit allen Ansprüchen auf die Genüsse der Jugend sich von ihnen gänzlich zurückzieht, um Monate lang, den zuweilen recht fühlbaren Launen eines hoffnungslosen Kranken sich auszusetzen, was würde ein solches Wesen einem Gatten zu werden im Stande seyn. Aber so nahe ihr auch mancher seine Absichten legte, und so annehmlich einige Parthien genannt werden konnten, bei denen es nur auf ihre Wahl ankam, sie wählte selbst dann keine davon, als nach einem beinahe zehnmonatlichen Leiden ihr Vater entschlummert und beerdiget war.

In der Folge schloß sie sich zwar an einige gesellige Familien an, aber dieß keinesweges um Gelegenheit zum Austreten aus ihrem Wittwenstande zu finden. Die Erinnerungen an die ersten Wochen ihrer Ehe standen in der hellesten, kräftigsten Farbe vor ihr da. Die gegenseitige Liebe des Paares war damals zu groß gewesen, als daß sie sich getraut hätte, auf eine ähnliche, künftige Hoffnung zu fassen, ein Schattenbild aber ihres vergangenen Glückes scheute sie sich in's Leben zu rufen, weil sie der Verlust ihrer Unabhängigkeit ein viel zu hoher Preis dafür dünkte.

Sie gestand dieß auch mehrern Bewerbern ohne Rückhalt, so daß ihr Entschluß im Wittwenstande zu bleiben zu manchem Epigramm den Interessenten Veranlassung gab. Uebrigens waren ihre durch die Aufopferung von Ruhe und Schlaf, bei der väterlichen Krankheit, nur wenig niedergebeugt gewesenen Reize wieder vollkommen aufgeblüht, auch ihr Geist allmählig zu seiner frühern Anmuth und Heiterkeit zurückgelangt.

Der Vorwurf beunruhigte sie indessen noch immer zuweilen, daß sie ihren Gatten allein in's Bad hatte reisen lassen, wenn ihr auch sein Geist seit dem ersten Male nicht wieder erschienen war. Sie zweifelte jetzt sogar dann und wann daran, daß es sein Geist gewesen wäre, und hielt alles vielmehr für die bloße Folge ihrer durch das Gewissen und den Keim zur Krankheit beunruhigten Phantasie. Uebrigens mißbilligte sie auf jeden Fall ihre Furcht außerordentlich. Denn gesetzt, es wäre sein Geist gewesen, sagte sie, so sei doch glaublicher, daß der gute, seines frühern Versprechens eingedenk, zurückkehrte, als daß er ihr eine fürchterliche Erscheinung habe werden wollen.

Ihr Leben, das sich nach und nach von der geräuschvollen Freude geflissen zurückzog, verlor jetzt durch die Heirath ihres Mädchens, in dem sie die sorgsamste, treueste Dienerin gehabt hatte, auch vieles von der zeitherigen Gemächlichkeit im Hause. Diese Dienerin war mit Julien aufgewachsen, und hatte sogar einen großen Theil ihrer Bildung mit genossen. Jetzt verband sie sich mit einem Menschen, der weder durch Stand, noch Erziehung auf die über ihre Verhältnisse weit Emporragende, Ansprüche hatte.

Julie ließ sie gewähren, veranstaltete sogar die Hochzeit. Ein Umgang aber mit ihr, welche sich selbst erniedrigt hatte, war darum nicht fortzusetzen, weil er Julien in einen ungebildeten Kreis herabzuziehen drohte.

Je einsamer sie sich dadurch fühlte, desto sorglicher pflegte ihre Einbildungskraft die Bilder der ersten Liebestage. Es ging so weit, daß sie schon einigemal ihren Verstorbenen in Geistergestalt zurückgewünscht hatte, damit er sähe, wie sie aus seinen glühenden Briefen Freude schöpfte, oder sein Bild, oder irgend ein Andenken von ihm an ihr Herz drückte, kurz wie ihr ganzes Leben nichts selbstständiges, sondern bloß eine Beziehung auf das früher geführte zu nennen war.

Mit diesem Gedanken war sie wieder einmal schlafen gegangen, als eben die Wagen nach dem Maskenballe rasselten, zu welchem sie eine sehr dringende Einladung abgelehnt hatte.

Mehrere Stunden mochte sie geschlummert haben, als ihr Auge sich wieder öffnete. In demselben Moment erblickte sie eine Gestalt im Hintergrunde des Nebenzimmers, die sich mit der äußersten Langsamkeit näherte. Der sehnlich gewünschte Schatten, unverkennbar!

Der Vorwurf, ihren Gatten durch den unbefugten Wunsch des Wiedersehens in seiner Ruhe gestört zu haben, welcher Julien jetzt mächtig befiel, beraubte sie aller Freude an der Erscheinung. An den Vorsatz der Anrede war nicht mehr zu denken. Vielmehr benahm ihr die Furcht den Athem und verschloß ihre Augen, als der Schatten noch weit im Nebenzimmer war.

Bald darauf hob ebenfalls die Furcht ihr Augenlied wieder zu verschiedenen Malen unmerklich, und siehe da, die Erscheinung war dicht vor ihrem Bette stehen geblieben.

In der bangsten Erwartung hatte Julie lange gelegen, als die Gestalt endlich davon schlich.

Erst eine halbe Stunde später faßte die Erschrockene so viel Muth, um sich zu regen und an der Klingel zu ziehen. Allein sie zog dreimal, und zuletzt äußerst starr, ohne daß ihr Mädchen einen Laut von sich gab.

Die Uhr schlug eben zwei, und sie machte sich selbst auf, die Dienerin zu suchen. Doch sie fand nur das leere Bette. Die Köchin aber und der Bediente schliefen beide in einem der obersten Stockwerke, wohin keine Klingel geleitet war. Daß das Stubenmädchen ein unordentliches Leben führte, war Julien schon bekannt. Unfehlbar hatte sich die Dirne in der Hoffnung nicht vermißt zu werden, aus dem Hause gestohlen. Uebrigens fand die Wittwe doch die äußere Thüre verschlossen.

Des Mädchens schlafbedürftiges Auge sagte am folgenden Morgen voraus, was sie späterhin auf Juliens Frage selbst bekannte, daß sie dem Maskenballe, und nicht eben mit Mäßigung beigewohnt habe. Da Julie ihr schon mehrere Mal das nächtliche Verschwinden ernstlich verboten hatte, so wurde die schlechte Dienerin sogleich abgelohnt und aus dem Hause geschickt. Es gelang Julien auch noch an demselben Tage eine andre zu bekommen, welche weit besser einschlug, als drei, mit denen sie es seit der Verheirathung ihrer ersten vergebens versucht hatte.

Alle Nächte wurde die Wittwe nun von der Furcht, wie von einem bösen Fieber befallen. Der Ton jedes Lüftchens, das Knistern des Strohhalms, ging ihr durch den ganzen Körper. Ihr Auge weigerte sich zwar, die Gestalt des Verstorbenen anzuerkennen, aber ihr Ohr hörte die Bewegung derselben. Sie bat ihres Vaters Manen die Zweifel ab, welche sie vormals an seinen Erscheinungen gehabt hatte. Sie verheelte auch niemand die Sache, und konnte sich gegen jeden sehr ereifern, der die Gestalt, die vor ihr Bette getreten war, in Zweifel ziehen wollte. Sie würde sich, sagte Julie empfindlich, die Kraft ihrer Augen und Ohren von keinem Menschen abstreiten lassen. Sie erwähnte jetzt der frühern Erscheinung kurz nach ihres Gatten Tode, und daß sie darum niemand ein Wort davon gesagt habe, weil sie selbst solche zuweilen als die Folge ihres fieberhaften Zustandes bezweifelt hätte. Sie fragte, ob man seitdem Spuren von Verstandesschwäche an ihr gewahr worden wäre. Auch die natürlichen Erklärungen, welche häufig gewagt wurden, waren ihr ein Verdruß. Man meinte zum Beispiel, daß ja wohl ein Liebhaber ihres damaligen hübschen, im Punkte der Liebe sehr gastfreien Mädchens, das Zimmer verfehlt haben könne. Daß es ein solcher gewesen, sei um so wahrscheinlicher, da der sogenannte Geist ganz in gewöhnlichen Modekleidern erschienen wäre, welcher wohl dem Geisterkostüme nicht sonderlich anpassen möge.

Auf ersteres aber entgegnete Julie, daß diejenigen Liebhaber der Dirne, die so vertraut mit derselben wären, um Nachschlüssel von ihr zu Haus und Wohnung zu erhalten, unfehlbar ihr auf der andern Seite gelegenes Gemach gefunden haben würden. Und daß die äußere Thüre wirklich verschlossen gewesen wäre, das werde sie sich von niemanden abstreiten lassen.

Die Einwendung wegen des Kostüms suchte sie mit der Frage niederzuschlagen: ob wohl nicht, ein an sich körperloses Wesen, das sich in der Körperwelt zu erkennen geben wolle, eine kenntliche Gestalt anzunehmen genöthigt sei. Und ob sie denn, fügte sie mit Leidenschaft hinzu, keinen Glauben verdiene, wenn sie versichre, darauf mit gutem Gewissen einen Eid ablegen zu können, daß zwischen der Erscheinung und der Gestalt ihres Verstorbenen kein Unterschied, als der eines geistigen Wesens, statt gefunden, und daß ihr scharfes Auge selbst die Schramme im Backen deutlich wahrgenommen habe.

Julie sprach überhaupt so verständig und überzeugend von der Begebenheit, daß sie eine Menge Anhänger fand, und sie und ihre Geisterseherei wurde so häufig der Gegenstand des Gesprächs, daß es ein Wunder gewesen seyn würde, wenn die Sache der, jetziger Zeit alles ergreifenden, Druckerpresse entgangen wäre.

Obschon das Schriftchen, das irgend ein Unbekannter deßhalb ins Publikum förderte, von Unrichtigkeiten wimmelte, so fand sich doch die Heldin, da ihr Name darin verschwiegen, auch die Geschichte im übrigen ohne Beleidigung vorgetragen worden, zu keiner öffentlichen Berichtigung aufgefordert. Eben so wenig wurde sie von den Spöttern, die sich hier und da darüber vernehmen ließen, in ihrem festen Glauben wankend gemacht. Sie war zufrieden, daß sie, seit ihr jetziges Mädchen in Einem Zimmer mit ihr schlief, von keiner häuslichen Beunruhigung weiter etwas sah noch hörte. Mit den kurzen Sommernächten kam sogar ihr Muth schon in solchem Grade zurück, daß sie ohne die mindeste Besorgniß jede Nacht wieder ganz allein zubrachte. Bei alledem war ihr Glaube an die Wirklichkeit der Erscheinung weder erschüttert, noch auch nur in etwas geschwächt.

Gegen Ende des Sommers traf sie einmal ganz unvermuthet in einem Hause, das zu ihrem Umgange gehörte, einen von ihrem verstorbenen Gatten sehr geschätzten Freund, der ihr schon lange vor des letztern Tode nicht vorgekommen war. Sie freute sich sehr den Mann zu sehen, der bei innerer und äußerer Liebenswürdigkeit, den einzigen Fehler hatte, daß er nur im unstäten Leben sich gefiel, und von einer Heirath gar nichts wissen wollte.

Juliens Eintritt ward zum Raube an der Gesellschaft, welche bis dahin den lebendigen Geist des Mannes in seinen gewandten Erzählungen bewundert hatte. Herr von Rosen gerieth mit der Wittwe seines Freundes in ein besonderes Gespräch, das nur selten von der allgemeinen Unterhaltung unterbrochen, sich bis zum Abschiede munter erhielt, und am folgenden Morgen in der Wohnung der Wittwe fortgesetzt wurde.

Der Gegenstand war Juliens Geisterseherei. Herr von Rosen hatte sich schon früher als einen hartnäckigen Zweifler an diesem ganzen Felde der Erfahrung gezeigt, und noch bei Lebzeiten ihres Mannes mehrere Geistergeschichten mit großem Geschick natürlich erklärt. Er widersprach auch der Erscheinung seines verstorbenen Freundes, und Beweis und Gegenbeweis wurden von beiden Seiten mit zu großer Wärme geführt, als daß es zu einer Entscheidung hätte kommen können.

Nachdem Herr von Rosen lange vergebens behauptet hatte, daß Julie entweder durch ihre eignen Sinne, oder durch andre Menschen hierin getäuscht worden sei, rief er mit Einem Mal aus: »Oder wie, wenn sich alles auch noch anders erklären ließe!«

»Anders vielleicht!« sprach seine Gegnerin, »aber auch besser?«

»Wer weiß. Sie haben mir die besondern Umstände beim Tode Ihres Gatten noch nicht erzählt. – Er starb im Bade; in Ihrer Abwesenheit, und plötzlich

»Sie schütteln dabei zweifelhaft den Kopf. Wollen Sie mich vielleicht überreden, daß er nicht wirklich gestorben sei?«

»Nichts will ich, als eine Erklärung versuchen, die Sie ja verwerfen können, wenn sie Ihnen nicht zusagt.«

»Und ich,« sprach Julie empfindlich, »ich will Sie bitten, dergleichen Experimente nicht an der Asche der mir theuersten Person auf der Welt zu machen.«

Nunmehr bestand Herr von Rosen mit vielem Ernste darauf, daß er, als einer der vertrautesten Freundes des Verewigten, wohl ein Recht auf das Detail seines Todes habe, erhob sich, wie sich Julie darüber nicht erklären wollte, mit einigem Unwillen, und warf einen suchenden Blick nach seinem Hute.

»Es ist wahr,« sagte Julie hierauf, »dieses Recht haben Sie, doch habe auch ich, indem ich es Ihnen einräume, wohl das Recht, Sie vor jedem Mißbrauch zu warnen.«

Unter vielen Thränen gab ihm die Wittwe die Geschichte mit allen Umständen, und sprach, als sie nach der Beendigung sich sein ernstes Gesicht nicht zu erklären vermochte: »Was sagen Sie nun?«

»Nicht das mindeste, was Sie nicht hören wollen.«

»Ihr Achselzucken beleidigt mich, Herr von Rosen. Ich glaube, daß gegen so viel unverwerfliche Zeugnisse des Todes nicht einmal der Versuch einer andern Erklärung gewagt werden könne.«

»Und mir ist es von Ihnen selbst verboten, Sie in diesem Glauben zu stören.«

»Herr von Rosen,« sagte sie feierlich, als er Miene zum Fortgehen machte, »ich will, ich muß Sie jetzt anhören.«

»Dann aber erlauben Sie mir auch einen frühern Umstand zu erwähnen.«

»Erwähnen Sie, was Sie Ihrem Zweck gemäß erachten.«

»Ich bin bereit. – Aus Ihrem Munde habe ich es, daß das Verhältniß zwischen Ihnen und Ihrem Manne kurz vor dessen Tode, der frühern Harmonie so entwohnt war, daß ich besorgen muß, Sie sind beiderseits zur ehelichen Trennung zuweilen ingeheim nicht abgeneigt gewesen. Einige Jahre früher waren alle Wünsche ihres Gatten auf eine weite Reise gerichtet. Diese Wünsche wurden nachher von seiner Liebe zu Ihnen und dem Glück Ihres Besitzes sehr natürlich verdrängt. Die seitdem abermals sehr veränderten Umstände, will ich nun annehmen, hatten die alte Reiselust wieder in ihm erweckt, und es gab zwei Wege zu diesem Ziele, entweder mit Ihnen reisen, oder ohne Sie. Allein Ihnen war es zuviel zugemuthet, die allerlei mit der Reise in einen andern Welttheil verknüpften Beschwerden zu einer Zeit zu theilen, wo Sie, aufrichtig zu sprechen, seinen Umgang nicht einmal immer gern hatten. Die Reise ohne Sie aber, hätte Sie hier der Langenweile, oder der ewigen Besorgniß, durch seine Rückkehr in Ihrem Vergnügen gestört zu werden, Preis geben heißen. Von diesen beiden Wegen war also keiner gut einzuschlagen.«

»Es gab aber noch zwei Mittel, welche eine Radikalheilung versprachen, und wovon das eine – Scheidung hieße. Aber das häßliche Wort empörte Ihren Gatten. Es hätte Sie und ihn dem Gerede der Leute ausgesetzt, die nicht lange zuvor sich an der ungewöhnlichen Zärtlichkeit des Paars – geärgert hatten. Die Vorwürfe ihres Vaters, welcher der Verbindung von Anfang abgeneigt gewesen, hätten überdieß unfehlbar Ihr Leben verbittert. Daher wurde denn auch dieses Mittel verworfen. Das letzte Mittel, welches sich von selbst auseinander setzen wird, sah freilich etwas sonderbar und abentheuerlich aus, aber es versprach meinem Freunde seine Freiheit, und Ihnen nach kurzem Wittwenstande einen zweiten, Ihren Wünschen gemäßen Gatten.«

»Herr von Rosen,« so brach hier die Wittwe aus, »Sie machen es ganz wie der Anwalt eines schlechten Prozesses. Um den Gegner zu ermüden, ziehen sie die Sache mit zwecklosen Dingen in die Länge. Ich würde kein Wort deßhalb verlieren, wenn Sie nur dabei unterließen, diejenigen Punkte meines Lebens, die ich am meisten bereue, diejenigen Saiten meiner Gefühle, welche den schmerzlichsten Ton angeben, ohne alle Schonung zu berühren!«

»Theure Freundin,« fiel der Erklärer ein, »ich habe mir die Vorwürfe wegen dieser bangen Erinnerungen schon früher selbst gemacht. Aber ich mußte jener Zeit gedenken, weil sie der nothwendige Grund des Gebäudes ist, das ich nun schon zur Hälfte beendet habe.«

»Aber wozu denn dieses ganze Kartenhaus, welches der Todtenschein, den ich Ihnen sogleich vorzeigen kann, mit Einem Hauche niederwirft?«

»Der Todtenschein? Als ob noch nie einer ohne Grund ausgestellt worden wäre! Doch da ich über die schwierigsten Stellen bereits hinaus bin, so erlauben Sie mir meine Hypothese weiter zu verfolgen. Ihr Gemahl reiset ins Bad, wo er seinen Bruder vorfindet. Diesem entdeckt er seine häusliche Unbehaglichkeit. Er sagt ihm, daß er gern den dritten Theil seines Vermögens entbehren würde, wenn er damit seine Freiheit wieder erlangen könnte. – Der Umstand, daß vielleicht grade mehreren ihrer Dürftigkeit wegen nicht wohl besorgten Kranken, denen Ihr Gatte aus Mitleid seinen ärztlichen Beistand zuwendet, der unvermeidliche Tod schon zur Seite steht, giebt ein Mittel zum Kaufe der Freiheit um diesen Preis an die Hand. Die schlechte Wohnung des einen Patienten wird der Vorwand, diesem ein Zimmer in dem Hause einzuräumen, welches Ihr Mann mit seinem Bruder bewohnt. Wie voraus zu sehen war, stirbt der Kranke trotz der besten Pflege und Mittel, und Ihr Gatte – geht indessen bei Nacht davon, um alles Weitere seinem Bruder zu überlassen. Finden Sie meinen Wagesatz jetzt natürlicher?«

»Keinesweges, und bitte Sie daher die nähere Auseinandersetzung dieses Weiteren selber zu übernehmen.«

»Wenn ich Sie damit nicht ermüde, recht gern. – Ihr Gatte, der schon auf diesen Plan hin einige Wochen zuvor scheinbar gekränkelt, hat seine Hauskleidung zurückgelassen, welche dem Verstorbenen angelegt wird, dessen Besserung mehrere Tage früher kann erwähnt worden seyn, und der, wie es nun heißen könnte, in seine Heimath zurückgekehrt ist. – Der Verstorbene wird für Ihren Mann ausgegeben und begraben. – So, dächte ich, wäre das Räthsel ziemlich aufgelöst.«

»Bis auf einige Kleinigkeiten, über die Sie hinwegschlüpfen, so sehr auch grade diese Berücksichtigung verlangen. – Unter viele muß sich ein wichtiges Geheimniß niemals vertheilen, wenn es sein Wesen nicht bald verlieren soll, das werden Sie mir zugeben. Wie viele aber müßten hier in's Interesse gezogen worden seyn!«

»Kein Mensch als der alte Diener von Ihres Mannes Bruder, dessen seltene Treue, wie ich mich erinnere, sonst mehrere Male in diesem Zimmer hier gerühmt worden ist. Ihr Mann und dessen Bruder hatten vielleicht im Bade diesen einzigen Menschen zur Bedienung, und von ihm war für das Geheimnis nichts zu befürchten.«

»Ich muß Einwendungen machen, um mich nur von Ihren leider sehr unwahrscheinlichen und falschen Erklärungen auf Einmal zu befreien. Sie vergessen noch gar manches andre, Herr von Rosen. Ein Mann, der so viel Freunde in einem Bade hatte, wie mein Verewigter, würde unfehlbar auch nach seinem Tode manchen Besuch erhalten haben. Die Freundschaft wünscht immer die geliebten Reste noch einmal zu sehen, wenn der Freund selber hinübergegangen ist, und würde in einer fremden, zufällig aufgerafften Leiche gewiß die bekannten Züge vermißt haben.«

»Ja, werthe Freundin, auch ich bin überzeugt, daß Ihres Mannes Bruder manchen Besuch erhalten und des Vorfalls wegen vielfältig hat Rede stehen müssen. Letztres scheint mir sogar ein recht schwieriges Unternehmen: das indessen einem so geschickten Weltmanne wohl hätte gelingen können. Zuverläßig haben auch viele den Leichnam gesehen, bis – auf das Gesicht, welches durch den vorgeblichen Fall aus dem Bette ganz entstellt, in ein Tuch verhüllt worden seyn könnte.«

»Und die Leichenfrau, Herr von Rosen? Oder giebt es in einem so berühmten Bade keine Personen dieser Art, oder haben sie dort nicht die Pflicht sich von des Verstorbenen natürlichem Tode zu überzeugen?«

»Unstreitig giebt es solche Personen und Pflichten auch dort. Aber wer wird einen allgemein für rechtlich anerkannten Mann einer Unternehmung gegen seines Bruders Leben fähig halten? Die Leichenwäscherin wird, wenn er sie bittet, daß sie die Wunde am Gesichte des Verstorbenen nicht aufreißen möge, unter diesen Umständen gar leicht durch ein Goldstück von ihrer Pflicht sich losgesprochen fühlen. Denn das brauche ich nicht einmal anzunehmen, daß der verstorbene Arme wirklich aus dem Bette gefallen, und dadurch sein Gesicht unkenntlich geworden sei, oder daß man sich nach seinem Tode gewaltsamer Mittel bedient habe, ihm das Kenntliche zu benehmen.«

»Aber mein guter Rosen, was haben Sie nun mit dieser so langen, als künstlichen Erklärung, oder leider! vielmehr Verdrehung des Ereignisses bewirkt?«

»Doch wohl den Gedanken an die Möglichkeit, daß Ihr Gatte noch leben könnte?«

»Nur die Gewißheit davon würde mir Trost verschaffen, und diese hat mir Ihre seltsame Deutung nicht gegeben. Am Ende verfolgen Sie wohl gar die Sache noch weiter, und ziehen aus dem Zeitherigen den Schluß, daß es keine Erscheinung, sondern mein verstorben Geglaubter selbst gewesen sei, was ich in meinen Zimmern gesehen habe?«

»Wenn ich nicht die aufgeregte kränkliche Einbildungskraft in Ihnen, oder einen Betrug von außen her annehmen soll, unfehlbar.«

»Wozu, lieber Rosen, verleitet Sie dießmal der Hang scharfsinnig zu erscheinen! Der Mann also, der, um sich – Ihrer Erklärung nach – mit einem Drittheile seines großen Vermögens von mir loskaufte, derselbe Mann sollte nun auf Einmal wieder in meine Wohnung geschlichen seyn, um – sich der Gefahr meiner Ansprüche zu exponiren? Ich gestehe Ihnen, daß mein geringer Scharfsinn nicht ausreicht, um den Zusammenhang dieser zwiefachen Seltsamkeit auszumitteln.«

»Der doch wahrlich überaus nahe liegt. Sehen wir nur das gewiß nicht Unwahrscheinliche, daß Ihr Gatte seiner unbezwinglichen Vorliebe in einem andern Welttheile zu leben, gehuldigt, und das Vergnügen, sie bald befriedigt zu sehen, die erste Zeit über keinem andern Gedanken in seiner Seele Platz gelassen habe. Schieben wir sogar seine Reue bis nach Erreichung des Wunsches hinaus. – Aber kommen mußte diese Reue, zumal bei seinem tiefen Gefühle. Er sieht nun ein, wie schwer er sich an Ihnen vergangen hat, und daß sich nicht berechnen läßt, welche Folgen sein angeblicher Tod, bei dem Zwiespalt der zuvor zwischen Ihnen beiden geherrscht, wohl äußern könnte. Bei dieser Betrachtung erneuert sich Ihr Bild in seinem Herzen, mit der vollen Glorie der frühern Zeit. Seine Sehnsucht treibt ihn zurück. Er kommt hierher, und wünscht nichts sehnlicher, als sich von Ihrem Wohlseyn zu überzeugen. Er findet Mittel in Ihre Wohnung zu gelangen und wird von Ihnen für ein Gespenst gehalten.«

»Wollte Gott,« rief die Wittwe, »daß Sie wahr geredet hätten. Doch, leider! ist diese Deutung noch unwahrscheinlicher, als die Auslegung seines Todes. Alles, bis zur Rückkehr angenommen, warum mußte er zu dem abentheuerlichen Nachtbesuch seine Zuflucht nehmen?«

»Warum? Weil er nicht das mindeste von Ihren Gesinnungen wußte, und sich, als ein Todtgeglaubter, in einer Stadt, wo ihn jedes Kind kennt, bei Tage vor niemanden sehen lassen durfte.«

»Und daß er durch die verschlossene Thür herein und wieder hinausgegangen war, wie erklärt sich das?«

»Recht leicht, nachdem Sie mir gesagt haben, daß Ihr weniger sittliches, als hübsches Mädchen sich grade in derselben Nacht auf dem Maskenballe befunden hat. Kann er denn nicht eben an diesem Abende angekommen, und auf den Maskenball gegangen seyn, um Sie selbst vielleicht da zu sehen, oder in seiner Verlarvung Nachrichten über Sie einzuziehen? – Kann denn nicht der Zufall ihn da mit Ihrem hübschen Mädchen zusammengeführt, und der ziemlich ausgedehnte Begriff von Maskenfreiheit ihm nähere Bekanntschaft mit den Reizen und übrigen Umständen der Nachtschwärmerin verschafft haben. Nun dürfte er seiner Gesellschafterin nur etwa einige Gläser Wein zu viel eingeschenkt, in dem dadurch bewirkten Zustande die Schlüssel heimlich weggenommen, und sich deren hier bedient haben. Ihm, der jeden Winkel dieses Hauses auswendig weiß, würde es wohl nicht allzuschwer geworden seyn, sich im Finstern bis vor Ihr Bette zu finden.«

Julie sagte hierauf sehr empfindlich: »Sie haben viel zu weit ausgeholt, Herr von Rosen, wenn es Ihnen nur darum zu thun war, mit einem so geringen Scherze zu endigen. Mein Verstorbener, das bin ich überzeugt, besaß jederzeit zu viel Stolz, um unwürdige Abentheuer, wie das mit dem Dienstmädchen, aufzusuchen und zu verfolgen. Daher muß es mich kränken, ihn noch nach seinem Tode dergestalt Preis gegeben zu sehen.«

»Aber, beste Freundin,« versetzte Rosen, »Sie nehmen die Sache von der falschen Seite. Durch das Setzen dieses Falles wollte ich ja nur einen von den vielen Wegen zeigen, auf welchen er den Schlüssel hätte finden können, auf den Sie ein so großes Gewicht legten. Ich habe in der Eil einen ungeschickten, dem Charakter Ihres Gatten nicht angemessenen Fall ergriffen, das sehe ich jetzt ebenfalls ein. Viel wahrscheinlicher kann ich dem Doktor einen vertrauten Freund zum Begleiter zugesellen, dem solche Abentheuer auf Maskenbällen weniger zuwider sind. Während Ihr Gatte überall nach Ihnen, oder Nachrichten von Ihnen sucht, könnte dieser Vertraute, in dem Mädchen, zufällig Ihre Dienerin entdeckt, dem Doktor davon einen Wink gegeben, ihm die Schlüssel verschafft und diese, nach gemachtem Gebrauche, der vor Trunkenheit halb Bewußtlosen wieder zugesteckt haben, ohne daß sie von dem ganzen Vorgange das mindeste geahndet hatte.«

»Brechen wir ab, Herr von Rosen. Umsonst haben Sie mir durch Erwähnung der letzten Zeit vor meines Mannes Tode meine Schuld in recht schreienden Farben vor die wunden Augen gerückt. Umsonst haben Sie eine Menge Möglichkeiten gesetzt, mir Ihre Kunst in Erklärung von Geistererscheinungen wieder einmal zu zeigen. Denn nur diesen Zweck muß ich annehmen, wenn ich Ihre Bemühung nicht völlig zwecklos schelten soll. Uebrigens wird mich, so ähnlich auch die Gestalt, wovon die Rede ist, meinem Manne gewesen, kein Mensch überzeugen, daß ich ihn selbst in ihr gesehen habe. Ihr Gang und das Aetherische um sie her, das mich erschütterte, dieß sagte mir bestimmt genug, daß sie einer höheren Welt angehörte.«

»Ihre Bangigkeit, beste Freundin, hatte unstreitig dieses Aetherische erst in die Gestalt hineingetragen.«

Allein Julie widersprach, und blieb dabei, daß die Erscheinung durchaus nicht die Bestimmtheit eines menschlichen Umrisses gehabt hätte.

»Nun,« fuhr der Geisterläugner fort, »so ist Ihnen ohne Zweifel ein Betrug gespielt worden.«

»Still davon!« erwiderte Julie. »Der Betrug kann höchstens die Farbe, niemals aber das Wesen der Wahrheit sich aneignen.«

»Sie kennen solche Kunststücke zu wenig,« sprach der Herr von Rosen. »Ich selbst aber weiß mit Geisterblendwerken umzugehen.«

Julie lehnte die Proben, zu denen er sich erbot, mit Lebhaftigkeit ab. Aber er schien sie mit Gewalt von ihrem Glauben an überirdische Erscheinungen bekehren zu wollen, und wurde hierin mit jedem Tage zudringlicher. Um ihn nur los zu werden, sagte die Wittwe endlich, daß sie ihn unter der Bedingung, nachher nie wieder einen Versuch gegen ihren Geisterglauben zu wagen, gewähren lassen wolle.

Sie verbarg ihren Verdruß darüber, daß sie ihm eins ihrer Zimmer, welches einen abgesonderten Ausgang hatte, acht Tage früher zu den nöthigen Vorbereitungen abtreten mußte, und daß er Schlösser vor dieses Zimmer legte.

Die geheimen Vorwürfe, welche die ganze Sache ihr verursachte, besänftigte der Gedanke, daß die Veranlassung dazu kein Vorwitz, sondern der sehnliche Wunsch sei, allen Vorwitz so weit als möglich von sich zu entfernen.

Dessenungeachtet wurde sie durch die schwarze Kleidung und die außerordentliche Feierlichkeit, womit der Geisterbeschwörer am festgesetzten Abend in ihr Zimmer trat, so sichtbar überrascht, daß es ihm auffiel und er zu ihr sagte: »Sehen Sie wohl, daß Sie sich sogar heute, da Sie wissen, daß Sie es mit einer bloßen Täuschung zu thun haben, einer ungewöhnlichen Stimmung nicht erwehren können! Vielleicht erhielte der Geist, der Ihnen bald erscheinen soll, dieselbe ätherische Hülle, welche ihr Auge der bewußten Erscheinung lieh, wenn ich dem nicht vorzubeugen, und um einen Theil des Eindrucks zu zerstören, meine Gravität ablegen, und Sie nochmals versichern wollte, daß Sie es mit lauter natürlicher Zauberei zu thun haben. Ja ich will Ihnen im Voraus zeigen, in welchem Kostüm die Gestalt sich Ihnen nähern wird.«

Julie erstaunte, als er ihr ein Mignaturgemälde vorhielt, welches ihren beweinten Gatten, in demselben Mantel darstellte, in dem er zuletzt vor ihr Bette getreten war, und wovon sie niemanden gesagt hatte.

»Was aber würden Sie sprechen, theure Freundin,« fing jetzt Herr von Rosen an, »wenn statt der versprochenen Täuschung, die Wahrheit, Ihr Gatte selbst aus diesem Zimmer käme, und die Falle, die ich neulich Ihrer Meinung nach so zwecklos und unnütz setzte, den letzten auf dem Maskenballe ausgenommen, der Ihren Verdruß am meisten erregte, die treue Erzählung des wirklichen Vorgangs enthalten hätten?«

Während sich Juliens Erstaunen durch Rosens zuversichtlichen Ton in Entzücken auflöste, ging er langsam auf die Thüre zu und öffnete sie, um den überzeugendsten Beweis für die Sache zu führen.

Die Liebenden sanken einander schweigend in die Arme.

Rosen selbst war der Vertraute des Doktors auf dem Maskenballe, und jetzt der Mann gewesen, der die Gesinnungen der vermeinten Wittwe hatte prüfen sollen. Kaum aber würde Heß die Sache gewagt haben, wenn ihm die Druckschrift, zu welcher die Geistergeschichte Anlaß gegeben, und die bei aller Falschheit der Angabe, doch seine Gattin kenntlich machte, und ihre Anhänglichkeit an den vermeinten Todten schilderte, nicht in die Hände gerathen wäre.

Aus leicht erklärbaren Ursachen hat man den Vorgang in der Stadt, wo er sich zutrug, nicht verlauten lassen. – Julie verkaufte ihre Besitzungen und entfernte sich, niemand wußte eigentlich wohin. Welschlands fröhlicher Himmel, in dem des Doktors kranker Bruder seine Genesung hoffte, wurde auch des Paares Aufenthalt. Dort leben sie unter dem Namen, den Heß seit seinem vorgeblichen Tode geführt hatte, und wer das glückliche Paar sähe, und die Geschichte wüßte, der würde mancher an zu hohen Erwartungen tödtlich erkrankten Ehe einen dergleichen Salto mortale zum Heilmittel wünschen.

* * *

Der Stoff zu der vorhergehenden Geschichte, als Thatsache, durch einen Freund mitgetheilt, welcher die unter dem Titel: Die Reise nach Pyrmont, bereits von mir herausgegebene Erzählung eben gelesen hatte, schien mir, ungeachtet der zufälligen Aehnlichkeit einiger Umstände mit jener früher erschienenen Erzählung, des Bearbeitens nicht unwerth. Dieß zu meiner Entschuldigung, wenn ich mich hierin geirrt haben sollte.

F. L.

* * *

 


 << zurück weiter >>