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XXIII

Im Schauspiel ist die Hauptperson ein Mann, der zumeist gar nicht im Stück auftritt: der Regisseur! Er hat die Aufgabe, jene Spannung in der Szenenfolge zu erzeugen und den Zuschauer mit der oft mangelhaften Illusion, die das Bühnenbild hervorruft, zu versöhnen. In dem Stück, das hier gespielt wurde, führte die Regie Monsieur Poncelle, und es läßt sich nicht leugnen, daß er sich auf dieses Geschäft glänzend verstand. Er war als »Hexenmeister« weithin bekannt und geschätzt. Das Stichwort war gefallen – und in dem Augenblicke wurde auch schon die Flügeltür aufgerissen zu einem neuen Auftritt. Mit lauter Stimme rief der Diener in den Saal:

»Mr. Hood – Mr. Henne!«

Aller Blicke richteten sich auf die Eintretenden.

Wenn es Monsieur Poncelle darauf abgesehen hatte, seinen Gästen eine Sensation zu bieten, so war ihm dies ganz zweifellos gelungen. Der Mann, der mit lächelnder Miene neben Mr. Hood in den Saal trat, war das vollkommene Ebenbild von Franz Henne, der mit fassungslosem Gesicht auf dem Stuhle vor Mr. Chaconter saß. Er trat in den engen Kreis, nickte seinem Bruder flüchtig zu und machte vor Poncelle eine höfliche Verbeugung.

»Guntram Henne, Ladies and Gentlemen – der Bruder dieses armen Sünders – Sie verzeihen, daß ich in Ihre illustre Gesellschaft einbreche wie der Wolf in die Schafherde, aber Mr. Hood meinte, das sei unbedingt notwendig – und Mr. Hood, Investigation Office, wohl allen den Herrschaften rühmlichst bekannt durch seine hervorragenden Leistungen als Kriminalist – aber darüber ist ja kein Wort zu verlieren – kurz, ich glaubte seine Einsichten nicht in den Wind schlagen zu dürfen, zumal er mich ein wenig in der Hand hat – könnte mir leicht eine kleine Sache einbrocken – na ja, er wird's nicht tun, weiß das, aber immerhin – also: hier bin ich! Wollen Sie zunächst ein paar Worte der Aufklärung sprechen, Mr. Hood?«

Mr. Hood setzte sich auf einen freien Stuhl.

»Ich wüßte nicht«, bemerkte er in leichtem Tonfall, »was dem noch hinzuzufügen wäre, was Sie mir bereits ausführlich mitgeteilt haben. Es ist wohl am besten, Sie erklären den Herren Häberlin den ganzen Sachverhalt. Die Damen und Herren der Gesellschaft sind ja wohl durch ihren Bericht schon gehörig in Verwirrung geraten. Dröseln Sie also den Faden auf!«

Mr. Guntram Henne verbeugte sich leicht.

»Ich bin es schon meinem armen Bruder schuldig, ein paar aufklärende Worte zu sprechen, obwohl – nun ja, Mr. O'Shennan hat die Akten über den Fall des Mordes an der Familie Valler bereits geschlossen. »Erledigt! steht auf dem Aktendeckel, ich habe es selber mit meinen eigenen Augen gesehen, und es ist immer ein beruhigendes Gefühl, so eine schauderhafte Sache in Ordnung zu wissen.

Franz, mein Bruder also, genauer mein Zwillingsbruder – meine Mutter pflegte Familienzuwachs immer en gros abzumachen; zweimal Zwillinge und einmal Drillinge, und alle am Leben und höchst fidel und munter! – Franz schrieb mir eines Tages von Seattle. Das heißt, er hatte mir schon vorher zwei Briefe geschrieben, die mich aber nicht erreicht hatten, da ich wieder mal unterwegs war. Werden gleich davon hören. Er war in Druck, wie man so zu sagen pflegt, hatte kein Geld und nicht den rechten Mut, seine blödsinnigen Sprengpausen an den Mann zu bringen. Hat ihm kein Glück gebracht, diese dumme Geschichte, und er hat mehr Geld in sie hineingesteckt, als er je aus ihr herausbringen wird. Hab' ihm gleich auf den Kopf zugesagt, daß die Sache schief geht. Habe ja noch immer keine richtige Ahnung, was draus geworden ist, aber seit ich weiß, daß die beiden Häberlins sich dahintergeklemmt haben und in den Staaten sind, war mir klar, daß die Pläne keinen Cent mehr wert sind. Nun, das ist seine Sache. Keinerlei Verstoß gegen die Gesetze dieses Landes; kann also ruhig drüber reden.

Franz kam also nach Valdez. Kein Geld, wie gesagt, und ziemlich down! Na, dacht' ich, das is ja 'ne vorzügliche Sache. Der Junge hat dir immer ähnlich gesehen, aber die Jahre scheinen's darauf abgesehen zu haben, uns immer nur noch ähnlicher zu machen. Genau so'n Fall wie bei den Häberlins. Ich sag' ihm also: Mach dir auf der Eseltour ein paar Dollars. Ich gehe inzwischen mit Marcus Lie in die Berge. Der will in der Gegend des Mount Blackburn ein Claim aufmachen zum Verkauf, und die ›Cerdova-Miners-Company‹ ist scharf drauf. Marcus Lie, wissen Sie, war 'ne besondere Nummer. Hatte bessere Tage gesehen, aber, wie das so geht, der Schnaps und die Weiber – die ganze große Ernte am Yukon, auf die er gehofft hatte, war eben doch ausgeblieben. War damals mit Mr. Valler liiert, und die beiden sind in Unfrieden auseinandergegangen, woran aber die Schuld ganz allein den Norweger traf, der im Suff eben streitsüchtig wurde und dann mit keinem Christenmenschen auskommen konnte. Was Genaues darüber weiß ich auch nicht. Marcus hat mir allerhand erzählt von dem neuen Claim, den Mr. Valler am Mount Blackburn aufgemacht haben sollte, und er meinte, das könnten wir auch. Er sei Fachmann, und wenn er auch das Gerät für genaue Untersuchungen nicht habe, so habe er doch dafür die Erfahrung und sehe jeder Probe bis auf drei Hundertstel an, wieviel Gold sie führe.

Na schön – wir kamen also mitten im Winter bis zur Cooper-River-Gabelung, und es war scheußlich kalt. Aber Marcus war einer von den Alten. Er machte 'ne Höhle zurecht, in der es nachher ganz gemütlich wurde, und am Tage gingen wir aus, um Proben zu sammeln. Kann nicht sagen, daß Marcus sehr erbaut war von dem, was wir fanden.

In der vierten Nacht merkte ich, wie er aufstand und sein Lager verließ. Ich war zu müde, um das befremdlich zu finden. Vielleicht ging er bloß mal nach den Sternen gucken – lege mich also auf die andere Seite und schlafe weiter. Aber nachher wach' ich doch wieder auf, und Marcus ist noch nicht da!

Verdammt, denk' ich, er wird doch draußen nicht eingeschlafen sein! Ich rapple mich also hoch, zieh' den Pelz über und schiebe das Fell am Eingang beiseite. Von Marcus Lie keine Spur – aber drüben über dem Cooper-River steht eine hohe Feuersäule. Das kann nur das Haus von Mr. Valler sein …

Ein Unglück! denk' ich – und gleich war ich hell wach. Ich also los und über die Halde zum Cooper-River hinunter. Hab' mir beinah die Knochen dabei gebrochen. Nachher also kam ich ans Haus. Der Wind stand entgegen und wehte eine Glut her, daß man keinen Pelz brauchte.

Marcus saß in Hemdärmeln neben dem brennenden Hause und spielte mit ein paar Nuggets, die auf seiner Jacke lagen. Dazu lachte er blöde vor sich hin. ›Was hast du gemacht?‹ frag' ich, und: ›Wo ist Mr. Valler?‹

Da wies er mit so 'ner verrückten Bewegung auf die Flammen und sagte; ›Tot, alle zusammen. Ich weiß auch nicht, wie es über mich kam, aber ich hab' es eben tun müssen!‹

Mein Gott, kriegte ich eine kalte Haut! Ladies and Gentlemen, Sie können mir's glauben, ich fror plötzlich in meinem Pelz wie'n junger Hund. Marcus Lie ein Mörder und Brandstifter! So was hat's im Distrikt noch nicht gegeben, daß einer friedliche Leute umgebracht hat, bloß wegen so'n paar lumpiger Nuggets. Das kann bloß ein Verrückter tun! Wenn ich mein Gewehr dagehabt hätte oder auch bloß so'nen lausigen Colt, ich hätt' ihn weiß Gott in meiner ersten Wut über den Haufen geschossen!

Bot mir der Lump auch noch an, die Nuggets zu teilen. Danke, sag' ich, behalte den Dreck – und dann kam so'n rascher Entschluß über mich, wie das manchmal so geht. Dachte: Bei der Polizei kannst du ihn nicht anzeigen. Wozu ist die da? Sie soll herauskriegen, wer der Mörder war! Aber wenn sie nicht herausfindet, wer's gewesen ist – so eine Schande kann nich auf dem Distrikt sitzenbleiben. Dann wirst du, Guntram Henne, die Sache in die Hand nehmen. Das hab' ich mir in dem Augenblicke geschworen. Und dann hab' ich gesagt: ›Mach dich schwach, die Nachbarn werden bald da sein. Mac'Phenor wohnt bloß 'ne halbe Stunde entfernt, und wenn der den Feuerschein sieht, nimmt er seine Büchse von der Wand. Nachher denkt er gar, ich sei dabeigewesen. Am längsten Tag – hier! Merke dir das! Am längsten Tag …‹

Wie ich darauf kam? Nu, das ist eigentlich ganz einfach. Wir hatten nämlich für den nächsten Sommer so 'ne Art Prospectorparty abgemacht in die hohen Täler des Mount Blackburn, und wenn bis dahin Marcus Lie noch nicht von der Polizei geschnappt war, dann kam er bestimmt an dem Tage wieder hierher – und nachher – na ja, für das, was einer hat tun wollen, kann er ja wohl nicht belangt werden. Darf also ruhig sagen, unsere Prospectorparty hätte sich dann durch den plötzlichen Tod eines Partners aufgelöst.

Marcus ritt wie im Dusel das Tal hoch, und ich verschwand so bald wie möglich von der Brandstelle. War ja nicht nötig, daß man mich dort fand.

Nachher hat man ja allerhand gehört. Mr. Vallers älteste Tochter sollte nicht mit umgekommen sein in den Flammen. Marcus sagte noch ganz zuletzt zu mir, unter der Asche des Hauses liege noch eine Menge Gold. Ich hab' da gar nicht richtig hingehört. Aber nachher ist mir das wieder eingefallen, und ich dachte, es ist doch schade, daß es dort liegenbleibt, wenn's wirklich wahr ist. Ich besorgte mir also 'ne Kopie von Franzens Paß, was ja in Cerdova 'ne Kleinigkeit ist. Man konnte ja mal nachsehen, und wenn einem einer dabei was wollte, konnte man jederzeit nachweisen, daß man am Tage des Mordes nicht in der Nähe gewesen war. Zur Gabelung hoch mußte ich so und so – von wegen dem längsten Tag und dem, was ich mir geschworen hatte. Konnte ja mal dort nachsehen!

Franz hatte sich ein paar Dollar auf der Eseltour gemacht und hatte nichts Eiligeres zu tun, als sie gleich wieder zum Fenster hinauszuwerfen. Er ging prospecten mit einem Jungen, der ebensowenig davon verstand wie er selber.

Aber die Geschichte vom längsten Tag muß ich doch nun auspacken.

Marcus Lie war im Winter und im Frühjahr wohl im Dawson-Distrikt gewesen, und die Polizei hatte ihn ungeschoren gelassen. Ich war schon am Neunzehnten oben und wohnte in unserer alten Höhle. Drüben über dem Flusse hauste noch immer Mac'Phenor. Ich sah seine Frau am Morgen zum Cooper-River gehen und Wasser holen. Sein Junge trieb sich den ganzen Tag lang mit der Büchse in der Gegend herum, und ich mußte höllisch aufpassen, daß ich ihm nicht in den Weg lief. Gar nicht weit von mir entfernt hauste noch ein Junge, der gegen Abend auf einem klapperdürren Gaul wegritt. Das kam mir ein bißchen unheimlich vor, und ich nahm mir vor, ihm nicht zu begegnen.

Am zwanzigsten Juni spät am Abend kam Marcus Lie das Tal heruntergeritten. Ich ließ ihn sein Feuer anmachen und Tee kochen. Nachher fing er an zu saufen. Als es ganz dunkel war, kroch ich leise näher.

Können es glauben, Ladies and Gentlemen, es ist mir schwer genug geworden, bei meinem Entschlusse zu bleiben. Aber schließlich kann der liebe Gott nicht wollen, daß so 'ne grausige Sache ungerächt bleibt. Hätte ihm ja auch 'ne Kugel durch die Kniescheibe jagen und ihn nachher nach Cerdova bringen können. Hätte zu O'Shennan dann gesagt: Hier bring' ich Ihnen den Mörder der Vallerfamilie! Machen Sie ihn im Spital gesund, und nachher setzen Sie ihn auf den elektrischen Stuhl! Aber woher soll man dafür die Beweise nehmen? Es ist ja so schwer in diesem Lande, einen vor die Geschworenen zu bringen. Da tat mir Marcus auch wieder leid. Eine Kugel durch den Schädel – aus! Das war das richtige. – Na, ich will's kurz machen … am nächsten Morgen hab' ich seine Leiche in den Cooper-River geschleift zum Fraß für die Lachse. Er hatte einen glatten Schuß durch den Kopf, genau so, wie ich ihn mir gedacht hatte – aber der Schuß ist nicht aus meiner Büchse gekommen. Das will ich beschwören! Und ich will auch beschwören, daß dieser Schuß sofort tödlich gewesen ist!«

Er machte eine Pause und blickte harmlos lächelnd im Kreise. Dann sagte er:

»Nun, Mr. Hood, wollen Sie nicht die Freundlichkeit haben und ein Wort dazu sagen?«

Mr. Hood blickte auf, als erwache er aus einem schweren Traume. Dann sagte er kurz:

»Der Bericht von Mr. Guntram Henne entspricht in allen Punkten der Wahrheit. Ich könnte hinzufügen: Ein paar Wochen später wurde er von O'Shennan und seinen Leuten an der Brandstelle abgefaßt und auf Grund des Passes, der auf den Namen seines Bruders lautete, wieder auf freien Fuß gesetzt. Er kehrte vor ein paar Tagen in die Staaten zurück, und es gelang mir, ihn hier ausfindig zu machen. Seit ich den Brief von O'Shennan erhielt, wußte ich, daß Franz Henne einen Doppelgänger hatte. Die Paßfälschung hat das ganze Treiben verrückt gemacht. Ich stelle fest: Der Mord an der Familie Valler wurde von Marcus Lie allein begangen. Der Bericht des Mr. Guntram Henne wurde von allen Seiten nachgeprüft und muß für unbedingt glaubwürdig gehalten werden. Marcus Lie ist tot. Sein Tod wurde durch einen Schuß in den Schädel herbeigeführt, und es steht abermals fest, daß dieser Schuß nicht von Guntram Henne abgegeben wurde. Das Verfahren gegen den Norweger wurde nach dessen Tode eingestellt. Der Mord an dem Mörder wurde von einem Unbekannten begangen« – er lächelte schwach und streifte dabei Guntrams Gesicht mit einem raschen Seitenblick. Aber der verzog keine Miene und starrte gelangweilt über die glänzende Gesellschaft, als ginge ihn die ganze Angelegenheit nichts mehr an. – »Das Verfahren gegen Unbekannt ist mangels jeglicher Beweise durch Beschluß des Sheriffs von Cerdova, Mr. O'Shennan, ebenfalls eingestellt worden!«

Ein schwacher Seufzer ertönte hinter der Menschenmauer, die sich immer dichter um die kleine Gruppe der Sprecher gedrängt hatte.

»Bitte ein Glas Wasser!« sagte Korbin zu einer Dame, die mit halboffenem Munde und geweitetem Blick neben ihm stand. »Miß Valler ist ein wenig unwohl. Ich denke, es wird gleich vorüber sein.«


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