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Das Reich des Königs Nákbè auf Bubaque

Am nächsten Morgen gingen wir an Land, um auf der Insel Bubaque einen Lagerplatz zu suchen. Die Bucht vor dem Dorf Bijante schien uns am geeignetsten dazu. Die nächste Flut trug unsere »Binar« bis nahe zum Strande, wo bald darauf unsere Zelte aufgeschlagen waren.

Bijante hat etwa sechzig Häuser und ist das größte Bidyogodorf auf der Insel und gleichzeitig der Sitz des Inselkönigs. Seine Bewohner, die übrigens überaus zahlreich zu sein schienen, waren uns als besonders frech und anmaßend geschildert worden. Wir glaubten aus dieser Schilderung entnehmen zu können, daß die Menschen hier konservativ gesinnt seien und ihr Benehmen von den Europäern nicht verstanden werde. In dieser Annahme täuschten wir uns nicht.

Frech konnte man das Betragen dieser Menschen wirklich nicht nennen. Sie zeigten nur keine besondere Achtung vor den Weißen und dürften wohl ihre Gründe dafür gehabt haben. Sie grüßten nicht, wenn man durch ihr Dorf ging, und trugen ein Selbstbewußtsein zur Schau, das zu besagen schien: »Wir brauchen euch nicht, laßt uns in Frieden!« Jedenfalls waren sie erfreulicherweise nicht so eingeschüchtert wie die Bewohner der meisten anderen Inseln.

Finster und ohne ein Wort zu reden, sahen uns einige Männer zu, als wir das Lager aufschlugen. Der König hatte seinen Untertanen den Auftrag erteilt, uns jede Antwort zu verweigern und uns keine Lebensmittel zu verkaufen.

Bald erfuhren wir auch, warum wir hier so ungelegen kamen. Gerade der Bucht von Bijante gegenüber liegt die Insel Kanyabak, deren Bewohner den Portugiesen weder Steuern zahlten noch sonst ihre Macht anzuerkennen geneigt waren. Diese aufständischen Eingeborenen betrieben nun einen regen Handel mit den Bewohnern von Bubaque, und die Bucht, die uns durch einige schön bemalte Einbäume angelockt hatte, war just die Stelle, wo die Leute von Kanyabak zu landen pflegten, von denen sie Kriegsmaterial aufkauften.

Die Bewohner von Bijante gaben auch dadurch ihre Mißachtung der Weißen zu erkennen, daß sie trotz der Nähe der europäischen Siedlung keine europäischen Schmuckstücke trugen und auch sonst ihr Leben vom Einfluß der Zivilisation fast völlig unberührt geblieben war.

Im Busch hinter unserem Lager wimmelte es geradezu von Haustieren aller Art, die vor den Weißen versteckt gehalten wurden, um eine Beschlagnahme oder Diebstähle von seiten der schwarzen Gendarmen zu verhindern.

Im Verlauf der nächsten Tage verbreitete sich wohl die Nachricht, daß man uns trauen könne, und so verwandelte sich die schroffe Zurückhaltung der Bidyogo in Neugierde. Es war nicht schwer, mit den überaus koketten und übermütigen Mädchen, die sich nach und nach blicken ließen, Freundschaft zu schließen. Auf meine Neckereien gingen sie fröhlich lachend ein und bettelten schelmisch um Tabak. Ungläubig schüttelten sie den Kopf, als sie erfuhren, daß unser drittes Expeditionsmitglied eine Frau sei. Erst ein unverfrorener Blick in den Blusenausschnitt meiner Frau überzeugte sie von der Wahrheit dieser Angabe, was ihnen sichtlich viel Spaß bereitete.

Die Mädchen trugen kurze Grasröckchen, die sorgfältig schwarz und rot gefärbt und besonders buschig waren, so daß sie beim Gehen graziös hin und her wippten. Die Frisuren waren kunstvoll aus roten und schwarzen Lehmkügelchen aufgebaut.

Von der Schüchternheit der Männer den Mädchen gegenüber, die uns auf Orango Grande aufgefallen war, konnten wir hier nichts bemerken. Die gute Laune der Mädchen aber wurde dadurch nicht beeinträchtigt, daß die Burschen mit ihnen herumkommandierten und sie auch gelegentlich recht hart anfaßten, wenn sie nicht folgen wollten.

Die Männer waren kräftige, stattliche Erscheinungen. Den althergebrachten Ziegenfellschurz trugen nur mehr wenige, die meisten hatten schwarze Hüfttücher umgeschlungen. Einfache Holzringe und Ketten schmückten Hals und Arme, besonders effektvoll waren Ketten aus Schneidezähnen von Hunden, die an einem dünnen Messingdraht aufgefädelt waren. Die Haartracht der Burschen war die schwarzrot gemusterte Lehmkalottenfrisur.

Sowohl bei Mädchen wie bei Burschen sahen wir häufig die beiden oberen Schneidezähne zugespitzt. Dies soll heute hier nur mehr als eine Verschönerung angesehen werden und hat nicht mehr die Bedeutung eines Stammesabzeichens. Aus demselben Grunde sind Mädchen und Burschen tatauiert. Reiche Muster, die sich aus winzigen eingeritzten Strichen zusammensetzen, verzieren oft den Körper der Mädchen unterhalb der Brüste. Um die Narben hervortreten zu lassen, werden die noch nicht verheilten Wunden mit Palmöl eingerieben.

Immer mehr Eingeborene trafen sich bei unseren Zelten, durch die Nähe ihres Dorfes und ihres Landungsplatzes standen wir bald in reger Verbindung mit ihnen.

Da gab auch König Nákbè den Widerstand auf und erschien eines Tages im Lager. Hochaufgerichtet und würdig kam er herangeschritten, auf einen langen, eisernen Speer gestützt, und ließ seine von buschigen Brauen überwölbten blitzenden Augen streng und beobachtend über uns und unser Lager dahingleiten. Ein graues Baumwolltuch war um seine Schultern geschlagen, ein zweites in der Form eines mächtigen Turbans um seinen Kopf geschlungen. Wir forderten ihn ehrerbietig auf, neben uns Platz zu nehmen, bewirteten ihn mit Tabak und Zuckerrohrschnaps und befleißigten uns der ausgesuchtesten Höflichkeit. Dies gefiel ihm.

Allmählich verwandelte sich seine Würde in freundliches Entgegenkommen, sein strenger Blick in listiges Augenzwinkern. Er hatte unsere Absichten und den Zweck unserer Arbeit begriffen und mit sicherem Instinkt herausgefühlt, daß die Ansichten, die wir vom Leben und Treiben der Eingeborenen hegten, mit den seinen übereinstimmten. Er war bald davon überzeugt, daß ihm und seinem Volke durch uns keinerlei Gefahr drohte.

Ja, heitere Bemerkungen, die ich ihm von Takr übersetzen ließ, unterhielten ihn so gut, daß er sich vor heiserem Lachen schüttelte und gar keine Anstalten traf, uns wieder zu verlassen. Er erwiderte stets witzig und mit leichter Ironie.

So wurden wir gute Freunde. Er wäre sicher nicht so oft zu uns ins Lager gekommen, wenn es ihm kein Vergnügen bereitet hätte. Fast täglich erschien er mit derselben Würde und verließ er uns in der heitersten Stimmung. Er saß stundenlang bei mir und erzählte mir vieles aus seinem und seines Volkes Leben, wobei er wiederholt versicherte, daß ich der erste Weiße sei, dem er sein Vertrauen schenke.

Als ich eines Abends ins Dorf kam, um die Häuser genauer in Augenschein zu nehmen, trat mir der König mit den Worten entgegen: »Du hast die mächtige Königstrommel noch nicht gesehen!« Als ich diesen betrüblichen Umstand bestätigte, befahl er mit einer schwungvollen Bewegung seiner langen hageren Arme, die große Schlitztrommel herbeizubringen. Zwei Männer schleppten das schön gearbeitete Instrument heran. Ein dritter stellte eine menschenähnliche, aus Holz geschnitzte Figur zu Füßen des Königs auf, es war der Fetisch der Trommel. Nun wurde die Trommel dergestalt auf den Kopf des Fetisch gestellt, daß sie im Gleichgewicht ruhte. Nákbè ließ sich feierlich auf einem Holzschemel nieder und begann mit zwei Holzschlägeln die Trommel in einem ganz bestimmten Rhythmus zu schlagen. Hingegeben schloß er dabei die Augen und vertiefte sich sichtlich in die eindrucksvollen Klänge, die er hervorbrachte.

Mir aber war es leider nicht möglich, mit derselben stummen Ehrerbietung zuzuhören, wie es des Königs Gefolge tat. Denn ich litt darunter, daß ich diesen Augenblick nicht auf die Platte bannen konnte. Ich hatte zwar, wie immer, einen photographischen Apparat bei mir – aber der König saß im tiefen Schatten eines uralten Baumes.

Ich entschloß mich schließlich, ihn zu ersuchen, sich samt der Trommel in die Sonne zu begeben. »Das erlaubt der Fetisch nicht«, war die kurze, aber bestimmte Antwort.

Da begann ich ihm eindringlich zu erklären, daß ich der Nachwelt ein Bild des mächtigsten Bidyogohäuptlings, des König Nákbè, übermitteln wolle, daß dies aber nur in der Sonne möglich sei. Zur Bekräftigung meiner Worte zeigte ich dem König Bilder auf der Mattscheibe des Apparates.

Da hatte nun der Fetisch doch ein Einsehen, und so konnte ich Nákbè mit seiner Königstrommel in aller Ruhe photographieren.

Plötzlich erhob sich der König und verkündete mir, daß ich nun noch einen Tanz sehen würde. Ich schlug vor, diese mir sehr willkommene Veranstaltung auf den anderen Morgen zu verschieben, da die Sonne bereits unterging. Wieder aber war der Fetisch anderer Meinung: Er erlaubte nicht, daß die Königstrommel umsonst geschlagen wurde, ihr Ruf mußte stets dem Volke einen Befehl übermitteln.

Und während ein Mann mit Hilfe einer kleinen Schlitztrommel den König unterstützte, strömten von allen Seiten Leute herbei. Mit Öl gesalbte Frauen und Mädchen jagten in Gruppen hin und her, alte Männer stellten sich vor der Trommel auf, verneigten sich vor dem Fetisch bis auf die Erde und berührten dabei die Trommel mit der ausgestreckten Hand. Dann vollführten sie einige Tanzschritte und stampften im Takt mit den Füßen auf den Boden.

Nach einiger Zeit erklärte jedoch der König, daß er müde sei, und entließ seine Untertanen. Mir vermittelte Takr den vielsagenden Ausspruch des Königs, daß er nun dem Fetisch Vieh, Palmwein und Tabak opfern müsse. Ich fühlte mich natürlich verpflichtet, Palmwein und Tabak meinerseits zur Verfügung zu stellen. Daneben begnügte sich der Fetisch für diesmal ausnahmsweise mit einigen Hühnern, da der Tanz nur kurz gedauert hatte.

Es war schon spät, als ich ins Lager zurückkehrte. Ein merkwürdig fahles Licht lag über dem Meer, das während der letzten Abende so hell im Mondschein geglänzt hatte. Plötzlich wurde es ganz dunkel. »Sieh auf den Mond!« rief mir lebhaft meine Frau entgegen. Und wirklich, vor die silberne Scheibe des Mondes schob sich langsam und gespensterhaft ein großer, schwarzer, runder Schatten, der Schatten unserer Erde. Staunend blickten wir hinauf in das weite Weltall und empfanden für Augenblicke die erschreckende Nichtigkeit unseres menschlichen Daseins angesichts der unfaßbaren Macht und Größe der Natur.

Unsere Burschen waren sichtlich bedrückt. Ich versuchte ihnen das Naturereignis einigermaßen verständlich zu machen, Takr, der Pepel, versicherte aber, daß bei jeder Mondfinsternis ein großer König sterben müsse. Erinnerte dieser Glaube nicht an den Kult einer vorgeschichtlichen Zeit, in der der König, als Inkarnation dieses Gestirnes, bei einer Mondfinsternis wirklich getötet wurde?

Ein Bidyogojüngling, der sich noch im Lager aufhielt, war nicht der Ansicht des Pepel. Nach der Meinung seines Volkes künde eine Mondfinsternis blutige Kriege an. Derart verschiedene Ansichten ließen sich nicht vereinigen, und so gingen wir in unserem Zelt zur Ruhe, während der Mond wieder in vollem Glanz zu strahlen begann.

In der Nacht weckte mich meine Frau aus tiefem Schlummer. Das Rauschen des Meeres war schon lange unser Wiegenlied geworden, wir waren es gewohnt. Jetzt aber klang es so nahe wie noch nie – was hatte sich ereignet? Eine mächtige Woge schlug an unsere Zeltwand, und dort, wo nur der Moskitoschleier den Eingang verdeckte, stürzte das Wasser zu uns herein! Beim Licht der Taschenlampe sahen wir, daß unsere Feldbetten fast bis zu den Matratzen im Wasser standen. Wir hatten der Springflut bei Vollmond nicht gedacht, und diese überschüttete uns nun mit ihrer salzigen Flut. Ich beobachtete die Dünung und bemerkte, daß die Wogen immer schwächer über den Zeltboden hinrollten. – Wir konnten beruhigt weiterschlafen, die Flut war bereits im Fallen.

Am Morgen ließ ich unser Zelt vorsichtshalber einige Meter landeinwärts verlegen. Mit schadenfrohem Gelächter begleiteten Abu und Ilere diese Arbeit, sie hatten sich immer schon darüber aufgehalten, daß wir dem schrecklichen Meer so nahe zu schlafen wünschten.


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