Otto Julius Bierbaum
Pankrazius Graunzer
Otto Julius Bierbaum

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XXI.
Ein Brief des Herrn Pankrazius Graunzer an seinen Freund Peter Kahle. Handelt von idyllischen Plänen.

Dießen am Ammersee,
im Rosenmond.        

Lieber Peter!

München ist eine herrliche Stadt, aber es wird und viel Kunstsimpelei dort getrieben. Das Kunstschaffen ist ein köstlich Ding, aber das Kunstschwatzen ist ein greulicher Unfug.

Schlimm ist es, wenn dieser Unfug von Künstlern begangen wird, schlimmer, wenn ihn die Philister treiben, am schlimmsten, wenn ihm Kunstgelehrte obliegen.

Denn, wie sagt doch schon der göttliche Sterne in Tristram Shandys Drittem Teile: Dort steht im zwölften Kapitel also geschrieben: »Von allem Geschwätze, das in dieser geschwätzigen Welt geschwatzt wird, ist das Kennerkunstrichtergeschwätz das Unausstehlichste.« Sei mir gepriesen, Mann aus Clonmel!

Ich hatte das Unglück, mit einem besonders degoutanten Exemplar dieser Spezies hier in Berührung zu kommen, mit einem vom jungen Nachwuchs, daß Gott Erbarm'! Ein langer, dürrer Kerl mit sauren Lippen und Augen wie aus ranzigem Oel. Sprach von nichts als von Kunst, aber in einem Tone, als beklage er sich, daß es ihm vom Schicksal beschieden sei, über derlei Zeug zu reden.

Ich hätt' ihn immer an den Schultern packen, schütteln und ihm in's Gesicht schreien mögen: Mensch, warum handeln Sie nicht lieber mit Perleberger Glanzwichse, wenn Ihnen die Sache so schnuppe ist?

Thoma war bäurisch, – und das sagte er wegwerfend. Uhde »machte ihm zu viel mit Empfindung«, und »bei Boecklin muß man den Fabulisten vom Maler trennen«.

Kein Bild, das er nicht beschleimte, kein Maler, den er nicht mit Vergleichen bekleckerte, – die ganze Kunst war ihm bloß Gelegenheit, um prätentiöse Fadheiten zu sagen. Nur kein Enthusiasmus! Nur keine Hingabe! Nur nicht das Land der Schönheit mit der Seele suchen!

Haupterforderniß für einen derartigen Kunstgelehrten ist, und daran kannst Du ihn erkennen: stets mit halb zugekniffenen Augen ein Bild betrachten und dabei die Mundwinkel fallen lassen. Nur die geübteren wagen dazu ein unausdeutbares »Hm«.

Der meine war einer von den Vorgeschrittenen. Er operirte mit einem Riesenarsenal von Atelierredensarten, – ich möchte ihn einen Maulmaler nennen.

Apage monstrum! Der Kerl hat mir die Lust an München vergällt, ich nahm meinen Rucksack und schob ab.

Nach dem Ammersee.

Du! Der ist schön! Schöner als der Starnberger, fand ich. Der ist schon ein Bischen Bassin geworden, »umkränzt von Villen«. Ich danke für diesen Kranz.

Der Ammersee dagegen hat noch viel Natur. Item: es gefällt mir hier.

Ich habe mich in Dießen eingenistet. Vorerst im Kloster oben, das jetzt ein Gasthaus ist. Aber ich bin auf der Suche nach einem Bauernhaus, in dem ich wohnen könnte. Mich gelüstet's nach Idylle. Ich möchte 'mal ein Bischen Unkultur kosten, 'mal bloß naturbeschaulich leben, ohne Wollen, ohne Ziel.

Ob's geht?

Retournons a la nature, d. h. auf Deutsch: sehen wir uns 'mal in uns selber um.

Dazu kommt man in der Kultur nicht. Die besteht aus lauter Verhältnissen und läßt Keinen sich selber haben. Da wird man nur gehabt. Es ist eine ewige seelische Prostitution, und das Beste, was die Kultur hervorbringt, die Kunst, ist aller Prostitutionen tragischste. Gott Lob, daß ich kein Künstler bin. Es muß etwas Gräßliches sein, sich von aller Welt befingern und kennerhaft abtasten lassen zu müssen.

—   —   —

Wie ich hier lebe? Ganz schäferlich. Wandre hin, wandre her und weide meine Schafe.

Ich bin Herr von einer großen Heerde,
Und die ganze Welt ist meine Weide,
Meine Schafe weiden selbst im Himmel.

Es ist doch kein Kritiker in der Nähe? Wie würde der witzig den Bleistift spitzen, wenn er läse, daß ich meine Gedanken und Gefühle Schafe nenne.

Man wird so angenehm müde bei dieser Beschäftigung, so ruhig, so abwartend, so haßlos. Das Vegetieren ist die gesundeste Beschäftigung.

Nerven? Was ist das für ein Wort?

Aerger? Wo hab' ich doch dieses Substantivum 'mal gehört?

Die größte Aktualität sind mir jetzt Rosen.

Wunderbare giebt es davon hier.

Und dann das Bauernblumenzeug, das in den Gärten blüht. Welche eine Pracht!

»Bäurisch!« würde das wandelnde Pergament sagen. Fahr' ab, Greuel!

Du solltest einmal hier zu meinem Fenster hinausblicken können. Grün ringsum, aber in der Weite vorn der blaue See und drüber her der Himmel mit weißen Flaumwolken.

Auch die Menschen gefallen mir hier im Ganzen. Es ist eine gute Mischung: Schwabbayern. Besonders gut gefällt mir die Sprache, dieses mit Schwäbischem durchsetzte Altbayrisch.

Beim Ginglawirth,
Beim Ginglawirth,
Da kehra d' Schwabe ei'
Und trinken 's Gläsle Branntewei'
Und schiewe 's Gläsle ei'.

Schwaben und Oberbayern stoßen hier hart aneinander, und es ist, obwohl sie eigentlich ineinandergeflossen sind, immer noch mancher Rest von früherer Gegnerschaft vorhanden, jetzt nur in Redensarten und leichten Spöttereien.

Man könnte fast versucht sein, »Studien« zu machen. Aber da sei Gott vor! Ich fang mir nur hier und da ein alt Liedel ein und freu' mich d'rüber.

Was sagst Du zu diesem schwäbischen Schnapphahnlied:

I bin Dei un Dei,
Un Du bischt mei un mei,
I geh in's Schtädla nei
Und Du in Tenna,
I schtiehl a Schtrimpfla mehr
Un Du a Henna.

Ist das nicht wunderhübsch?

Solcher Lieder fliegen hier viele durch die Luft.

Weiß der Himmel, welcher Brandsohlenläufer sie einmal erfunden hat, aber wenn ich die Wahl hätte, wem ich den Kranz geben soll: ihm oder einem der reputirlichen Reimfriseure von heute, ich würde mich nicht lange besinnen.

Verliebt ist aber das Volk hier, – es ist zum Hinwerden! Ich würde Dir noch eine ganze Reihe von Liedern aufschreiben, wenn sie nicht ausschließlich von der Person eingegeben wären, die Fischart »Das federlinde Töchterlin« nennt.

Hans und Grethe,
Grethe und Hans,
Ueberall derselbe Tanz.
Immerfort derselbe Kreis.
Von Adam her im Paradeis
Zielt Alles auf denselben Strich, –
Das Ding ist unabänderlich.

Dein                
Pankraz.


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