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5. Ein Besuch bei Direktor Karling.

»Es wäre mir lieb, wenn ihr heute bei Direktor Karling einen Besuch machtet,« sagte am Sonntagmorgen Herr Uslar zu seinen Töchtern. »Ich glaube, man erwartet es. Der Direktor hat gestern darauf angespielt. Ihr werdet euch mit dieser Familie wahrscheinlich nicht sehr befreunden, aber ihr dürft auch nicht vergessen, daß Herr Karling jetzt mein Vorgesetzter ist.«

»Du begleitest uns doch, Papa?« fragte Minna.

»Leider ist mir's nicht möglich. Der Regierungsbevollmächtigte kommt, da müssen alle Beamte auf dem Platze sein.«

Minna kam der Besuch sehr ungelegen. An diesem ersten Sonntage wollte sie ihre Familie mit Hasenbraten, Apfelmus und Rotkraut bewirten, auf Maruschkas Kochkunst konnte sie sich aber nicht verlassen, doch was half's? Des Vaters Wunsch war Befehl. Mit dem Kochbuch bewaffnet begab sie sich in die Küche und hielt Maruschka eine Rede über die Kunst, einen Hasenbraten aufs beste herzustellen. Maruschka hörte andächtig zu und sagte immer: »Ja, gnädiges Fräulein.«

»Nun muß sie's doch begriffen haben,« dachte Minna, half ihr beim Zusetzen und überließ ihr und dem Himmel dann das Mittagsmahl.

Bruno und Ella sahen den Schwestern nach, wie sie in den eleganten Winteranzügen, die ihnen die Großtante noch besorgt hatte, nach dem großen Hause des Direktors gingen. Sie sahen beide sehr apart und reizend aus.

»Herrgott, was für vornehmer Besuch kommt denn da?« dachte Joseph, des Direktors Diener, warf schnell die befleckte Hausjacke ab und fuhr in den Livreerock hinein; seine plumpe Bauernmanier konnte der gute Joseph leider nicht ebenso schnell wie die Jacke wechseln.

»Wollen Sie zur Madame oder zu den Fräuleins?« fragte er, als Minna ihm die Visitenkarten überreichte. »Unser Fräulein Aurora läuft noch im Schlafrock herum, und bis die angezogen ist, dauert's lange; wenn Sie aber zur Madame wollen, die ist parat.«

Adele machte eine beleidigte Miene; der Bediente zeigte, daß auch von der Herrschaft wenig gesellschaftliche Bildung zu erwarten wäre.

»Melden Sie uns der gnädigen Frau,« sagte Minna.

»Ach, laß uns doch lieber gehen,« flüsterte Adele, als sich der Diener entfernte.

»Papa wünscht den Besuch,« beharrte Minna.

»Ich habe aber keine Lust, mich von diesen ungebildeten Menschen grob behandeln zu lassen.«

»Wir wollen ja nicht Bildung von ihnen lernen; gehen wir aber jetzt fort, so haben wir nur bewiesen, daß wir selbst keine Bildung besitzen.«

»Bitte sich gefälligst die Treppe heraufzubemühen,« schrie Joseph von oben herunter.

»Empörend!« sagte Adele.

Das Zimmer, in das die jungen Mädchen geführt wurden, verriet ihnen sogleich, daß seine Bewohner keinen guten Geschmack besitzen konnten. Weder Harmonie noch Ordnung herrschte darin. Neben einem kostbar geschnitzten Büfett stand ein Sofa mit zerrissenem Überzug. Über den Tisch war ein befleckter Teppich gebreitet, auf dem, ohne Serviette, die letzten Reste eines kleinen Frühstücks standen: Kaviar, eine geöffnete Sardinenbüchse, ein halbgefülltes Weinglas. Das Klavier war aufgeschlagen; einige Notenhefte lagen umher, auch angefangene Handarbeiten und Bücher aus der Leihbibliothek. Über, dem Sofa konnte man die ganze Familie auf einem großen Ölgemälde kennen lernen. Der dicke Herr Direktor, neben ihm die dicke Frau Direktor, einige dicke Kinder, die mit einem Lämmchen spielten, im Hintergrund mächtig rauchende Dampfessen.

Jetzt rauschte die Frau Direktor in einem verschossenen Moirékleide herein; sie war, obgleich bedeutend dicker und älter als auf dem Bilde, doch zu erkennen.

»Guten Tag, meine lieben Fräuleins,« redete sie die jungen Mädchen in der breiten Aussprache der schlesischen Mundart an. »Freut mich, Sie kennen zu lernen. Wollen Sie nicht Platz nehmen?« Sie setzte sich auf das Sofa und wies mit der Hand auf die umherstehenden Stühle. »Na, wie haben Sie sich denn eingerichtet? Wie ich gehört habe, hat die Frau Rendant alles besorgt; eine sehr rechtschaffene Person, aber ohne Bildung. Wo sollte sie auch Bildung herbekommen?«

Die Augen ein wenig geschlossen, sah Adele die Frau Direktor mit ihrer vornehmsten Miene an, und zu Minnas großem Erstaunen sagte sie: »Frau Rendant ist sehr gütig gewesen, wir sind ihr großen Dank schuldig.«

Frau Direktor lachte. »Na, ein Umgang ist die gute Person deshalb doch nicht für Sie, mein Kind. Ihren Umgang werden Sie wohl wo anders suchen. Einen guten Rat kann ich Ihnen ja auch geben – aber ich und meine Töchter leben am Ende in einem Kreise, der Ihnen besser passen wird.«

»Sie sind sehr gütig, gnädige Frau,« versetzte Minna, und ihre Stimme klang neben der lauten dieser Frau wie Musik. »Aber meine Schwester ist noch zu jung, um Gesellschaften zu besuchen, und mir erlaubt es die Zeit nicht; wir haben nur ein Dienstmädchen, und mein Bruder bedarf der besonderen Pflege; er ist hüftleidend.«

»Ja, ich habe schon davon gehört. Da hat aber Ihren Vater viel auf einmal betroffen. Erst verliert er seine Stellung, und dann seine Frau, und nun ist der einzige Sohn auch noch untauglich, sich einmal sein Brot zu verdienen. Da weiß man gar nicht, wie glücklich man ist; unsre Kinder sind, gottlob, alle gesund!«

Es gibt eine Teilnahme, die verletzt. Beide junge Mädchen fühlten es bei den Worten der Frau Direktor.

»Wir hoffen immer noch, daß Bruno mit den Jahren sein Leiden überwinden wird,« sagte Minna. Sie wollte schon aufstehen und sich empfehlen, als die Töchter des Hauses eintraten.

Frau Direktor hatte einen auf dem Tische liegenden Fächer ergriffen und mit diesem deutete sie auf die Eintretenden. »Meine Tochter Aurora – die älteste. – Aurorchen, das sind die Töchter des Hüttenverwalters. – Jeses, so komm doch näher, Rosamunde, und bleib nicht immer im Hintergrund. – Rosamunde ist unser jüngstes Mädel; das andre sind Jungen, aber stämmige.«

Aurora hatte nicht umsonst lange Zeit für ihren Anzug gebraucht; sie war möglichst geputzt und mit Ketten, Armbändern und Ohrringen behangen. Man sah ihr an, sie wollte sich den neuen Ankömmlingen im Glanze zeigen. Sie fing die Unterhaltung auch gleich mit den Tanzvergnügungen an, weil sie diese am meisten interessierten. Rosamunde, ein blondes, rotbäckiges Mädchen von siebzehn Jahren, mit einem sehr gutmütigen, aber etwas verlegenen Gesichtchen, guckte die Uslars nur neugierig und bewundernd an.

»Aurorchen,« sagte die Frau Direktor, »Uslars können nicht in Gesellschaft gehen, wie mir das Fräulein eben gesagt hat, weil es ihre Verhältnisse nicht erlauben; da mußt du dem Fräulein nicht erst das Herz schwer machen.«

Über Minnas Gesichtchen flog ein Lächeln. Sie war durch eine vornehme Geselligkeit verwöhnt und trug kein Verlangen nach der Tarnowitzer. »Ich fühle mich bei Papa und den Geschwistern sehr glücklich, gnädige Frau,« versetzte sie. »Ich wünsche gar nicht auf Bälle zu gehen.«

»Ach, machen Sie mir das nicht weis,« rief Aurora lachend. »Wir haben unter den Herren hier sehr gute Tänzer, wir amüsieren uns himmlisch. – Aber warum wollen Sie denn schon gehen?« – Uslars hatten sich erhoben. »Ich bin ja erst hereingekommen. Sie müssen mir von Berlin noch viel erzählen. Nicht wahr, Sie haben doch bis jetzt in Berlin gelebt?«

Eine laute Stimme vor der Tür überhob Minna der Antwort; sie wurde aufgerissen, und der Regierungsbevollmächtigte, Geheimrat von Polheim, trat, gefolgt von Direktor Karling, ein.

»Ist das Frühstück bereit, meine Liebe?« wendete sich der Direktor zu seiner Frau und dann zu seinem Gaste. »Nur ein ganz einfaches Frühstück im Kreise meiner Familie. – Herr Geheimrat, erlauben Sie mir, Ihnen meine Frau vorzustellen – meine beiden Töchter. Sie sind freilich nicht in einer Großstadt erzogen, aber für Ihre Bildung habe ich keine Kosten gescheut. – Ach, da ist ja Besuch. I der Tausend, gewiß eine kleine Uslar!« Er kniff Adele in die Wange; sie trat mit beleidigter Miene zurück.

Der Geheimrat hatte mit der Frau des Hauses nur wenige höfliche Worte gewechselt, dann ging er mit ausgestreckter Hand auf Minna zu. »Ei, sieh da, meine kleine Freundin! Ich wollte Ihnen eben meinen Besuch abstatten, aber der Herr Direktor hat mir in so liebenswürdiger Weise seine Gastfreundschaft angeboten, daß ich ihm folgen mußte, und später ist es mir leider unmöglich; ich muß mit dem nächsten Zuge fort. – Nein, wie freut es mich, Sie hier zu treffen! Nun kann ich Exzellenz Cronitz doch erzählen, wie sich ihr Liebling befindet.« Er wandte sich zur Frau Direktor. »Wir beneiden Tarnowitz um diese junge Dame. Man behauptet in Berlin, daß Fräulein Uslars Liebenswürdigkeit ganz unvergleichlich sei. – Nehmen Sie es einem alten Manne nur nicht übel, teures Kind, daß er so offenherzig ist, solche Sachen vor Ihnen auszusprechen.«

.

»Nein, wie freut es mich, Sie hier zu treffen ...«

»Nun, ich dächte, Fräulein Uslar könnte sich nur geschmeichelt fühlen,« bemerkte Frau Direktor steif.

»Herr Geheimrat übertreibt, gnädige Frau,« sagte Minna bescheiden. »Daß meine Tante uns vermißt, ist ja natürlich ...«

»Wir andern dürfen freilich nicht klagen, wenn wir an den Verlust denken, den Exzellenz Cronitz erlitten hat,« versetzte Herr von Polheim. »Aber wer soll uns jetzt den Tee bereiten? Die gute Meerkatz trifft nicht den Geschmack der verschiedenen Gäste.«

»Sie haben es wirklich darauf abgesehen, mich verlegen zu machen, Herr Geheimrat,« rief Minna munter.

»Nein, mein kleines Fräulein, Sie tun mir unrecht. Ich habe keine Namen genannt – und doch kenne ich ganz Untröstliche ...«

Minna fiel ihm tief errötend ins Wort: »Sie werden meine Tante grüßen, nicht wahr, und ihr sagen, daß Sie uns wohl getroffen haben? Ich muß jetzt an meine hausfraulichen Pflichten denken.«

Es war nicht ohne Absicht, daß Herr von Polheim Minna so auszeichnete; er wollte Leuten, die ihren Wert nicht verstehen konnten, zeigen, wie hoch man dieses junge Mädchen in einem der vornehmsten Kreise Berlins schätzte. Sobald sich die Tür hinter den Uslars geschlossen hatte, erzählte er weiter, daß die Generalin Cronitz Minna, die sie wie eine Tochter liebe, habe adoptieren und ihr den größten Teil ihres Vermögens hinterlassen wollen; aber Minna hätte die glänzende Stellung, all die Genüsse, die ihr geboten wurden, ausgeschlagen und gesagt: »Jetzt haben Vater und Geschwister das erste Anrecht, denn sie brauchen mich.« Und sie habe nur gebeten, daß ihr Vater nichts davon erführe, weil er sonst glauben könnte, daß sie ihm ein Opfer gebracht habe.

»Fräulein von Meerkatz, die Gesellschafterin der Generalin,« fuhr der Geheimrat fort, »hat mir die Geschichte selbst erzählt mit Tränen in den Augen. Fräulein Uslar ist ein edles, sich aufopferndes junges Mädchen; sie ist eine Zierde der Gesellschaften – und doch entsagt sie ohne ein Wort der Klage allen diesen Vorzügen und Genüssen; sie führt unter beschränkten Verhältnissen dem Vater die Wirtschaft und pflegt den kranken Bruder.«

»Nehmen Sie mir's nicht übel, Herr Geheimrat,« sagte Frau Direktor und faltete die Hände über dem Moirékleide, »das ist mir doch ein bißchen gar zu viel Tugend. Ich bin auch nicht von heute, aber so etwas habe ich noch nicht erlebt!«

Frau Direktor war durch das große Lob Minnas etwas verstimmt; sie konnte nun einmal nicht ›was so Besonderes an dem Mädel sehen‹, wie sie zu ihrem Manne später sagte.

»Ach, die aus Berlin machen immer so viel von sich her,« besänftigte der Direktor. »Wir müssen unsre Aurora nur einmal nach Berlin schicken, weißt du, dann werden die Leute hier auch ›was Besonderes‹ an dem Mädel finden.«

»Das Geld kannst du dir ersparen, Karling. Unser Aurorchen kann sich neben jeder jungen Dame sehen lassen; und es bleibt immer noch ein Unterschied – Verwalterstöchter und Direktorstöchter.«

Adele nahm im Hof den Arm der Schwester: »Zu Direktors gehe ich nicht wieder,« erklärte sie sehr bestimmt.

»Wir dürfen nicht unhöflich sein, und wenn sie uns einladen, werden wir's wohl annehmen müssen; aber ich glaube, wir haben ihnen ebenso mißfallen, wie sie uns.«

»Und jetzt werden sie sich ärgern, daß der Geheimrat dich so lobte; der gute Geheimrat! Ich war so froh darüber. – Da kommt ja Papa.«

Herr Uslar war nach der Konferenz frei und schlug seinen Töchtern einen kleinen Spaziergang vor. Minna wagte nicht, ihn dem Vater abzuschlagen, dachte aber in Sorge an die Kinder und an Maruschkas Kochversuche. Ihr erster Gang, sobald sie zurückkamen, war nach der Küche. Maruschka zog die Pfanne aus dem Ofen, – ein schwarzes, vierbeiniges Geschöpf lag darin – der verbrannte Hasenbraten.

Arme Minna! Der Braten sollte zwei Tage reichen, und jetzt waren nur noch wenige Bissen genießbar. Das Apfelmus sah grau aus und schmeckte nach Eisen, und das Rotkraut schwamm in Fett.

Obwohl das Mittagsmahl nun verdorben war, erschien doch allen dieser Sonntagnachmittag sehr gemütlich. Zum erstenmal erfreuten sich die Kinder ihres lieben Papas, besonders Bruno, der mit größter Spannung den Erzählungen des Vaters lauschte.

Als es schon dämmerig wurde, kamen Herr und Frau Rendant zu einem Besuche. Minna brannte gerade draußen die Lampe an, da kam Ella mit der Puppe auf dem Arme. »Komm schnell, die gute Frau Rendant ist da, die die herrlichen Kuchen bäckt!«

»Ein Hurra für die Frau Rendant,« ließ sich Brunos zarte Stimme vernehmen.

Frau Rosine war über diesen Empfang sehr gerührt.

»Ist man hinter den feinen Manieren doch ein gutes Herz,« bemerkte Grimmel.


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