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Trotz aller Entschlossenheit sollte dem dunkeläugigen Mädchen die Zeit noch etwas lang werden, bis sie Rother den Beweis liefern konnte.

Drei Wochen waren seit dem Vorfalle verstrichen. Die Töne in dem Nachbarhause waren zu ihrem großen Schrecken sehr bald verstummt, da die Vacanzzeit den Urheber derselben fortrief. Die versprochene Anfrage war ebenfalls unterblieben und wohl in dem Eifer der letzten Studientage vergessen worden. Vergeblich hatte die Kleine schon mehrmals ausgespäht, ob sie Rother nicht den Weg zur Klasse würde einschlagen sehen; aber Jetta sagte, die Vacanzzeit sei noch nicht beendet.

Eines Morgens in der Frühe jedoch erklangen jene Töne plötzlich wieder aus dem Giebelstübchen; doch dachte der Bewohner desselben nicht an seine junge Nachbarin, die er dadurch aus dem Morgenschlafe weckte. In der angeregten Zeit seines Aufenthalts zu Asten, in dem heitern Kreise dort war ihm die Erinnerung an jenes kleine Straßen-Ereigniß ganz geschwunden. Er benutzte meist die ersten Frühstunden oder den späten Abend zu seinen musikalischen Uebungen, um seine Studien nicht allzu sehr dadurch zu beeinträchtigen. Sein junger, frischer Geist kargte gern mit den Stunden der Ruhe, die ihm wie verlorene Zeit dünkten bei dem vielen, was ihn beschäftigte – Ruhe – dieser Gegensatz vollen, übersprudelnden Lebens.

Volles, übersprudelndes Leben aber sprach aus jedem Winkel des kleinen Raumes, der den jungen Mann umgab. Vom Jagd- und Fischgeräth an der Wand und der Ueberfluthung von Büchern und Schriften, die sich über Tisch und Stühle verbreitete, bis zu den musikalischen Instrumenten, welche seine vorherrschende Neigung verriethen – dabei Vögel in Käfigen, Blumen am Fenster – äußeres Leben, geistiges Leben, Kunst und Natur, alles war vertreten: Sinn für alles, Freude an allem, Auge für alles: das Gemach kennzeichnete den Besitzer.

Ein ernster Pädagoge würde wohl den Kopf dazu geschüttelt haben. Es ist vielleicht ein gefährlicher Reichthum, wenn der Mensch nur um sich zu schauen braucht, um allerorts Genuß zu finden, und die Gefahr der Zerstreuung und Zersplitterung mag nahe liegen, wenn so vieles anregend wirkt. Aus dürftigerm Boden, der nur eine Frucht kennt, wird diese sich oft vollkommener entwickeln; aber eine köstliche Gabe bleibt es doch, wenn das Herz allem froh entgegenschlägt, der Geist alles so frisch zu erfassen vermag, daß der Mensch kaum weiß, welche Thätigkeit ihn am meisten lockt, und er nie an der Schwere des Vollbringens zu kranken braucht.

Der Jüngling mit den sonnigen Locken besaß diesen Reichthum, der mehr als der materielle das Lächeln auf den Lippen läßt, und mehr als der goldene Ballast dazu dient, das Leben leicht zu machen. Von dem goldenen Ballast besaß er freilich wenig, aber leicht war ihm das Leben geworden, seitdem er den ersten Schritt hinein gethan, seitdem das erste Wort leichter und früher über seine Lippen ging, als seine Eltern es geahnt. Verhältnisse sogar, die auf andern schwer gelastet haben würden, hatten sich freundlich für ihn gestaltet.

Sein Geschick war früh mit dem seines Freundes Velden verflochten worden, so verschieden ihre äußere Lebensstellung auch war. Anton Rother's Vater hatte der Familie Velden durch die treue Verwaltung der Geschäfte große Dienste erwiesen. Der Sohn eines kleinen Handwerkers im Dorfe Asten, hatte er jenen Drang zu geistigem Aufschwung gehegt, der oft in diesem Stande etwas so Rührendes hat, wenn man der Schwierigkeiten gedenkt, mit denen dabei zu kämpfen ist. Die Nothwendigkeit frühen Verdienstes hatte ihn, seiner sinnigen Natur wenig entsprechend, zu der trockenen Beschäftigung eines Schreibers genöthigt, und als solcher hatte er in der Asten'schen Rentei eine Stelle gefunden. Graf Asten war bald aufmerksam geworden auf den strebsamen und doch bescheidenen Mann, und seiner Vermittelung verdankte er die Beförderung zu der Rentmeisterstelle auf Burghof bei dem Baron Velden, die in noch ziemlich jungen Jahren ihm wurde. Graf Asten aber hatte damit nicht allein ihm, sondern auch seinem Standesgenossen einen Dienst erweisen wollen. Er hatte mit richtiger Menschenkenntniß herausgefühlt, daß Rother gerade für einen solchen Posten, der besseres als bloße Geschäftsroutine verlangte, der richtige Mann sei, welcher mehr dem Geist als bloß der Form nach sein Amt auffassen würde. Die Aufgabe, die ihm dort gestellt wurde, war nämlich keine leichte. Sehr verworrene Zustände, schwer verwickelte Geschäfte lagen vor; die größte Schwierigkeit aber bot die Person des Besitzers selbst.

Es war seit Generationen ein rauhes, ungestümes Geschlecht, das der Barone von Velden: kraftvolle männliche Erscheinungen, mächtige Nimrods, kühne Reiter, – aber tüchtige Trinker dabei und jeder geistigen Thätigkeit abhold. Eine gewisse Herzensgüte hatte ihnen stets gute Freunde und Kameraden zugeführt, und unbekümmert um alles übrige hausten sie auf ihrem in den Bergen liegenden Grundbesitz, der einst recht ansehnlich gewesen, aber unter der Hand jedes Besitzers sich verringert hatte, obschon sie feinere Genüsse nicht kannten und ein scheinbar sehr einfaches Leben führten.

Der damals lebende Besitzer von Burghof verleugnete in nichts die Traditionen seines Geschlechts. In ungeregelten Verhältnissen aufgewachsen, war seine Erziehung sehr vernachlässigt und kaum das Nothdürftigste an Bildung ihm geworden. So war er durchaus nicht befähigt, die Tragweite der Schwierigkeiten, die sich allmälig anhäuften, einzusehen, bis die regellose Wirthschaft ihn endlich in Verwickelungen stürzte, aus denen er sich nicht herauszufinden wußte, wollte er nicht zur letzten Consequenz, zur Entäußerung seines ererbten Besitzes schreiten. Dagegen sträubte sich aber die angeborene Liebe zur väterlichen Scholle um so mehr, als dies vielleicht das einzige ideale Gefühl war, das dem Geschlechte noch innewohnte.

In jener Zeit hatte er sich um Rath und Hülfe an Graf Asten gewandt. Die Familie Asten, trotzdem sie noch zur Nachbarschaft der Velden zählen konnte, hatte denselben doch stets fern gestanden, da ihre Richtungen zu verschieden waren. Die Grafen Asten waren im Gegensatz zu den Veldens meist Männer von tüchtiger Bildung, welche alle geistigen Elemente eben so würdigten und pflegten, wie sie zu Burghof verachtet wurden.

Durch ihr thätiges Eingreifen in alle öffentlichen Angelegenheiten wie durch die umsichtige Verwaltung ihres Eigenthums hatten sie sich großes Ansehen bei ihren Standesgenossen gesichert, was auch den Baron Velden veranlaßte, beim jetzigen Stammhalter Rath zu suchen. Graf Asten, damals noch jung, war ein Mann von praktischem Blicke und erkannte bald, daß in den Velden'schen Gütern immerhin noch ein genügender Fonds zur Wohlhabenheit liege, wenn nur eine ordnende Hand eingriff und die vorhandenen Quellen richtig ausnützte.

Das war die Aufgabe, welche Rother anvertraut wurde, und der er auch mit ganzer Hingebung sich widmete. Glücklicher Weise gibt es in allen Stellungen des Lebens Menschen, die in ihrem Amte mehr sehen, als bloß materielle Versorgung, die es durch eine höhere Auffassung, durch einen selbstlosen Sinn zu vergeistigen wissen. Diese höhere Auffassung ist dann wie der Sonnenstrahl, der auch die bescheidensten Winkel vergoldet und verklärt. So trocken und eintönig auch die Beschäftigungen des Rentmeisters Rother waren: der Gedanke, ein altes gesunkenes Geschlecht wieder zu erheben, den Besitz ihm zu erhalten und die Schäden auszugleichen, die der traurige Verfall der Grundherrschaft auf das umwohnende Volk ausgeübt, war für ihn das geistige Element, das allen Schwierigkeiten zum Trotz ihm Befriedigung und Genugthuung gewährte.

Lange schien es zwar, als sollten seine Bemühungen erfolglos bleiben, da die Launen seines Herrn seine besten Pläne kreuzten; doch trat ein Umstand ein, der seine Wirksamkeit zu einer um so freudigern gestaltete, als er zuerst nur ein neues Hinderniß darin zu sehen geglaubt. Zu den unvorherzusehenden Unberechenbarkeiten seines Herrn gehörte nämlich dessen plötzlicher Entschluß zu einer Verbindung mit einer jungen Dame, die gewiß am wenigsten passend zu seiner Gefährtin erschien.

Nachdem er Jahre hindurch, selbst bei den vernünftigsten Vorschlägen, dem Ehejoch sich abhold gezeigt, fiel seine Wahl auf ein Mädchen, das kaum der Kindheit entwachsen und mittellos, aber bisher von aller Verfeinerung und Verwöhnung geistiger und materieller Art umgeben war, wie das Leben in einem Gesandtenhause der Residenz sie bietet. Ihre Eltern mußten sehr gewünscht haben, die Tochter vermählt zu sehen, daß sie dieselbe rücksichtslos solche entgegengesetzten Verhältnissen preisgaben. Vielleicht hatte der Klang des Namens sie geblendet, der immerhin einer Aristokratie angehörte, die im In- und Auslande zu den geachtetsten und vornehmsten zählte.

Für ein Mädchen von sechszehn Jahren aber hat ein Ehe-Antrag meist etwas Ueberwältigendes; das kindliche Vergnügen, die Freundinnen und Schwestern mit diesem Ereigniß zu überflügeln, ist dann so vorherrschend, daß kaum etwas anderes zur Erwägung kommt. Ueberdies gefiel der kleinen Stadt-Comtesse die immerhin noch schöne, ritterliche Erscheinung, die in ihrer urwüchsigen Art ihr etwas ganz Neues war, und auf dem Landgute, wo sie während einer Jagd-Episode die Bekanntschaft des Barons gemacht hatte – die Jagd war das Einzige, was Velden aus seinen Bergen herauslockte –, zollte man ihm als renommirtem Jäger viel Anerkennung. Was aber vermag die Phantasie eines sechszehnjährigen Mädchens nicht alles zu ergänzen!

Die Bewunderung, die er in ihren hübschen, unbefangenen Kinderaugen las, und das Zureden von Seiten heirathsstiftender Verwandten ließ die Angelegenheit einen raschen Abschluß finden. Die eben eingetretene Versetzung des Vaters beschleunigte die Heirath, so daß das junge Ding kaum zur Besinnung gekommen war, als es sich schon als die Gattin des Barons sah.

Ein Hauch der Enttäuschung mochte aber schon über das geträumte Glück gezogen sein, als Baron Velden sein junges Weib nach kurzer Hochzeitsreise in sein Heim einführte. Das Bild roher Vernachlässigung, das sich dort ihr darbot, war vielleicht die Bestätigung einer Ahnung, die in den letzten Tagen in ihr aufgestiegen war, daß sie so starren Blicks darauf hinsah und so erschrocken den zierlichen Fuß zurückzog, der über die unwirthliche Schwelle treten sollte.

Der Burghof konnte in seiner alterthümlichen Bauart früher Anspruch auf Schönheit erheben; aber seit Jahren hatten die Besitzer nicht allein zur Erhaltung nichts beigetragen, sondern mit seltenem Ungeschmack alle Spuren des ursprünglichen Charakters zu verdecken und zu verwischen gewußt, so daß das Unschöne wie mit Absicht dem Auge entgegentrat. Das alte Herrenhaus erschien daher nur als eine wüste Steinmasse mit öden, unbehaglichen Räumen in der verkommensten Umgebung.

Rother hatte zwar versucht, einige Wohnlichkeit in die Einrichtung zu bringen; doch hatte theils die Abneigung des Barons gegen jegliche Aenderung, theils die gebotene Sparsamkeit seine Pläne gekreuzt. Durch die halben Verbesserungen wurde jetzt in den Augen der verwöhnten Städterin die Unzulänglichkeit desto mehr hervorgehoben.

Das Einzige, was ihr sympathisch entgegentrat, war vielleicht der stille, bescheidene Mann selbst, der an der Pforte sie empfing, und dessen theilnahmvoller Blick ihren Schrecken, ihr Entsetzen, ganz zu würdigen schien. Rother war zwar kaum minder erschrocken bei dem Anblick dieser noch fast kindlichen Erscheinung, die in ihrer großstädtischen Eleganz einen so schneidenden Gegensatz zu solcher Umgebung bildete. Doch fast in demselben Augenblicke verwandelte sich seine Theilnahme in Bewunderung, als er sah, wie keine Thräne, kein Wort, keine Miene ferner verrieth, welchen Eindruck das neue Heim, dessen Verwahrlosung auf so vieles andere schließen ließ, bei ihr hervorgerufen.

Wille und Kraft mußten in dem jungen Wesen sein, das doch so entschlossen plötzlich voranschritt, so schweigend und muthig den Platz einnahm, der ihr nun einmal zugefallen. Ihr Gatte, froh, wieder in dem gewohnten Daheim zu sein, das ihm zusagte wie kein anderes, hatte keine Ahnung von dem Eindruck, den sie empfangen. Nie ging ihm recht das Verständniß auf von dem, was sie entbehrte. Er liebte seine junge Frau in seiner Art. Daß er sie zur Baronin Velden auf Burghof gemacht, war wahrhaftig ein besseres Loos, als gleich den drei ältern Schwestern in den Salons ihres Vaters zu »vertrocknen«, wie er sich ausdrückte. Die Stadtmucken würden ihr bald vergehen, meinte er, wenn sie erst tüchtig in Keller und Küche wirthschafte, wie alle Baroninnen Velden gethan.

Gewirthschaftet hatten sie freilich, die Baroninnen Velden, viele Generationen hindurch, aber nur um die ungezügelte Verschwendung der Haushaltung noch zu steigern, wenigstens ohne ihr jemals Einhalt zu thun, und um selbst unterzugehen in der Verkümmerung, welcher der Höhergestellte so leicht anheimfällt, wenn er jeder geistigen Richtung sich entäußert.

Und trotz aller Kraft und allem festen Willen wäre vielleicht auch das Schicksal dieses jungen Wesens fraglich geworden; denn mit sechszehn Jahren ist das Leben nur erst in der Knospe, und seine Entfaltung bleibt abhängig von der Atmosphäre, die es umgibt. Das junge Herz, der frische Geist, dem so viele Entbehrungen geistiger und materieller Art aufgelegt waren, darbte und lechzte in dieser Oede, und Stunden und Zeiten kamen, wo das Zünglein der Waage bedenklich schwankte. Die Baronin von Velden würde vielleicht nicht den Sieg errungen haben, hätte da nicht Einer ihr zur Seite gestanden, dessen einfacher Rath, dessen schlichtes Beispiel den glücklichen Ausschlag gab. Es war zwar nur ein ihr Untergebener, von wenig äußerer Bildung, aber im Besitz jener Herzensbildung, die den erwärmenden und sicher leuchtenden Funken in sich trägt. Frau von Velden, klug, wie sie war, hatte bald erkannt, welche Stütze sie an Rother besitze. Seine uneigennützige Hingebung an die ganz fremde Sache forderte auch ihre Thatkraft heraus. Er wußte in seiner schlichten Art ihren jugendlichen Sinn für den Gedanken zu begeistern, durch ihre Wirksamkeit dem alten Geschlechte den ihm gebührenden Rang wieder zu erringen.

Der Gedanke gewann für sie aber erst rechte Bedeutung, als sie sich über die Wiege ihres Erstgeborenen beugte und das Mutterglück ihr das Ziel zeigte, dem ihr Schaffen gelten sollte. Bei dem Anblick dieses Kindes, »des neuen Erben des alten Geschlechts,« wie der Vater im höchsten Stolz so gern es nannte, ging ihr die Einsicht auf von dem, was eben diesem alten Geschlechte wiedergewonnen werden müsse, was bisher ihm gemangelt habe. Sie erkannte, daß es mehr geistige als materielle Güter seien, die hier noth thaten, daß sie dafür den Kampf beginnen mußte. Der Gedanke hob ihr junges Gemüth und wurde der Inhalt ihres Lebens. Es ist ein Segen des Herrn, daß das Gefühl des Schaffens und Wirkens fast gleichbedeutend ist mit dem des Glückes.

Klar und wahr hatte Rother Frau von Velden von Anbeginn in alle Verhältnisse eingeweiht. Entschlossen suchte sie durch geregelte Sparsamkeit der Verhältnisse Herr zu werden; ebenso entschlossen suchte sie aber auch sie umzugestalten, so weit es in ihrem Bereiche lag. Rother's Ruhe und etwas pedantischer Sinn zügelte ihren Uebereifer, indeß ihr weiblicher Scharfsinn manches herausfand, was er bisher unbeachtet gelassen.

Ihr Zimmer, in dem sie alle Reminiscenzen ihres frühern Lebens barg, in welchem ihr feiner Geist, ihre verschönernde Hand waltete, glich bald einer Oase in der Wüste des öden, unwirklichen Hauses. Von ihm aus spannen sich die Fäden, die das Ganze allmälig in andere Bahnen lenkten, allen Hindernissen zum Trotz. Das Haupthinderniß lag wohl darin, daß ihrem Gatten jedes Verständniß für ihr Wirken abging. Er vermochte eben keine andere Lebensauffassung als die seine zu begreifen; jede feinere Schattirung des Geistes entging ihm oder hatte für ihn etwas Verächtliches. Das gehörte zu den härtesten Prüfungen der jungen Frau und forderte am meisten Geduld heraus.

Allmälig würde aber die Behaglichkeit, die sie um sich herzu verbreiten wußte, auch auf den Gatten gewirkt haben, wäre nicht ein anderes Gespenst dazwischen getreten, was sie leider mit all' ihrer Kunst und Ausdauer nicht zu bannen vermochte. Die Veldens waren von jeher, wie schon gesagt, mächtige Trinker gewesen und waren sogar stolz auf diesen Ruhm, wie es bei solchen Kraftmenschen nahe liegt. Velden selbst hatte schon vor seiner Ehe in dem Rufe gestanden, und wenn er sich auch später einige Mäßigung auferlegte, siegte doch endlich die Leidenschaft.

Frau von Velden konnte sich daher bald der Erkenntniß nicht mehr verschließen, daß sie dagegen nichts ausrichten würde, daß das Uebel schon zu tief wurzele, um noch ausgerottet werden zu können, und daß ihr nichts übrig bleibe, als es in Geduld zu ertragen. Ertragen war das Loos ihres Lebens geworden. Aber der Mensch wird wohl erzogen in der Schule des Ertragens; es legt sich dann so sachte das eine zum andern, daß er jeder neuen Bürde sich gewachsen fühlt.

Ihrem Kinde mußte sie jetzt zweifache Stütze werden; es war ihr einziger Trost und Lichtpunkt. Und doch, wie kräftig der Knabe auch gedieh, war er für sie zugleich der Inbegriff neuer, banger Sorge. Denn waren das nicht dieselben graublauen Augen mit dem trotzigen Ausdruck, wie sie aus der langen Reihe der Ahnenbilder hervorsahen? War das nicht derselbe feste, massige Knochenbau, diese gewaltige physische Kraft, aus welche alle die Vorväter so stolz gewesen und die durch ihr Uebergewicht nie einen Funken geistigen Feuers hatte zur Geltung kommen lassen?

Frau von Velden umfing mit zitternder Angst ihren Knaben, wenn diese Gedanken sie bestürmten, wenn sie sah, wie er schon im frühesten Alter wie verständnißlos sich von dem abwandte, womit sie sein junges Gemüth anregen wollte, und lieber des Vaters wildem Spiel sich zuwandte, für das allein er Sinn und Verständniß zu haben schien. Aber wie sie sich des Krebsschadens dieses Hauses, dieses Geschlechts bewußt war, so stand auch ihr Entschluß fest, ihr Kind um jeden Preis davor zu bewahren, dasselbe für jene geistige Richtung zu gewinnen, deren der Mensch in höherer Lebensstellung am meisten benöthigt. Wo nicht körperliche Arbeit das Gegengewicht bildet, verfällt der Mensch ohne vergeistigenden Einfluß der dumpfsten Trägheit oder der rohesten Genußsucht.

Frau von Velden suchte mit jedem Gedanken, jedem Worte ihrem Söhnchen diese höhere Lebensanschauung einzuimpfen, das Bedürfniß nach Edelerm in seiner jungen Seele zu wecken. Es war, wie gesagt, nicht leicht, denn der Sinn des Knaben war wenig empfänglich dafür; nur äußere Thätigkeit sagte ihm zu. Als er älter wurde, ging dazu noch seines Vaters Bestreben dahin, ihn von der mütterlichen Richtung abwendig zu machen, um einen echten Velden daraus zu ziehen, wie seine rohe Auffassung es ihm eingab. Der Mutter Mühen hätten daran scheitern können, wenn nicht der kleine Gefährte gewesen wäre, den Gottes Fügung ihr dabei zu Hülfe gab.

Rentmeister Rother, der in spätern Jahren eine Tochter des Rentmeisters zu Asten geheirathet hatte, besaß zwei Knaben, von denen der jüngere im Alter des kleinen Velden war. Leicht hätte Frau von Velden ein Gefühl des Neides anwandeln können, so viel eine Mutter es zu empfinden vermag, wenn sie neben ihrem stillen, etwas schwerfälligen Knaben das Cherubsköpfchen des kleinen Rother sah, dessen strahlende, lachende Schönheit und geistige Belebtheit einen so auffallenden Gegensatz dazu bildeten. Die sprudelnde Heiterkeit, die rasche Fassungskraft, die anmuthige Geschicklichkeit, die Anton für alles und jedes zeigte, all' das war so recht dazu angethan, ihn zum Liebling aller zu machen. Seit seiner frühesten Kindheit besaß er eine glockenreine Stimme und das feine Gefühl für Harmonie und Ton, das auf außergewöhnliches Talent schließen läßt.

Die beiden Knaben waren bei der Nähe des Schlosses und des Renteihauses als Kameraden aufeinander angewiesen und schienen in seltenem Maße sich zu ergänzen. Der kleine, ernste Velden gab sich ganz dem Zauber hin, den der bewegliche Geist des jungen Rother auf ihn ausübte. Was sein Gespiele angab, was er that oder liebte, davon schloß er sich nicht aus, indeß seine Ruhe und seine physische Kraft ihm ein gewisses Uebergewicht über den Freund verliehen und dessen übersprudelnde Lebendigkeit oft in den rechten Schranken hielten.

Frau von Velden beförderte stets den Verkehr der Knaben; denn unwillkürlich empfand sie, wie die Anlagen des kleinen Rother ihre Bestrebungen unterstützten. So kam es, daß die Kinder von früh auf jegliches theilten, ihre kindlichen Spiele wie die Anfangsgründe des menschlichen Wissens.

Die Knaben hatten indessen kaum das achte Jahr erreicht, als beide Familien ein harter Schlag traf, der für einen Augenblick drohte, Frau von Velden den lang bewahrten Muth zu nehmen.

Rother, der Vater, war nie eine kräftige Natur gewesen, und plötzlich sah er sich, noch in den besten Mannesjahren, an der Schwelle des Todes, als er eben den Erfolg seiner langen Mühen heranreifen sah.

Kaum seine eigenen Angehörigen aber konnten den Verlust so bitter empfinden wie die bleiche Frau, die sich über das Sterbelager des treuen Dieners beugte, an dem sie ihren einzigen Halt zu verlieren meinte. Seine letzten Kräfte galten auch in ungeminderter Treue noch dem Gedanken, für den er gelebt. Seine Herrin hatte kaum die Fassung, seine fürsorglichen Rathschläge zu vernehmen.

»Es nutzt nichts, es ist ein fallend Haus!« rang es sich über ihre Lippen, und Thränen benetzten die Hände des treuen Dieners. Doch fast väterlich mahnte er sie noch ein Mal an die Pflichten, die ihr eben dadurch auferlegt seien. »Nein, es wird ein aufblühend Geschlecht sein,« sagte er leise, wie mit der Klarheit eines Sterbenden voraussehend, »ein aufblühend Geschlecht! Meine, wie Ihre Mühe ist nicht verloren. Sagen Sie es Ihrem Sohne, sagen Sie es auch meinem Sohne, daß nur in einem ernsten Lebensberuf, der nicht bloß das eigene Wohl sucht, Glück und Befriedigung ruht für hier und der beste Trost für's Jenseits. Mag das Werk noch so bescheiden sein, jeder soll für die Aufgabe, die Gott ihm gegeben, auch das Schwere tragen können; dann bleibt ihm der Lohn nicht aus, den der Herr allen verspricht, ob Er sie über Hohes oder Geringes gesetzt.«

Das war das Lebensprogramm des einfachen Mannes gewesen, das in Wahrheit seine bescheidene Wirksamkeit mit lichtem Schein verklärte, und ermuthigend drangen seine Worte jetzt in das Herz der Frau, die nun allein blieb, die schwere Aufgabe zu vollführen.

Rother hatte Frau von Velden den Rath ertheilt, den Grafen Asten, der ihm stets wohlwollender Beschützer geblieben war, in allen geschäftlichen Angelegenheiten um Beistand anzugehen.

Der Graf ging gern auf ihre Bitte ein; durch Rother hatte er stets viel von der jungen Frau gehört, deren muthige Art, ihr Schicksal aufzufassen, seine ganze Bewunderung gewonnen hatte. Er wurde ihr von jenem Tage an ein treuer Freund und Berather, und sein Einfluß bewährte sich auch sehr günstig bei der Erziehung ihres Sohnes.

Für Frau von Velden war es ein großer Kummer, daß sie sich den Hinterbliebenen ihres treuen Dieners, der den Seinen nur wenig hinterlassen hatte, nicht dankbarer erzeigen konnte. Frau Rother kehrte mit ihrem ältesten Knaben zu ihren Eltern zurück, überlebte ihren Gatten aber nur einige Jahre. Anton Rother, der jüngere, sollte hingegen die Erziehung mit Hermann Velden theilen, da die ausgesprochenen Talente des Knaben ihn zu einer höhern Ausbildung befähigten, die Frau von Velden ihm später erleichtern zu können hoffte.

So hatte Anton schon früh seine Heimath zu Schloß Burghof gefunden; es war für ihn kaum eine Uebersiedelung gewesen, da Frau von Velden stets fast wie eine Mutter ihm nahe gestanden. Einige Jahre hindurch hatten die Knaben ihre Studien daheim noch fortgesetzt, und diese Jahre waren die glücklichsten, die Frau von Velden zu theil geworden. Sie war noch jung genug, um an dem fröhlichen Treiben der Kinder theil zu nehmen, und überwachte mit Freude und mit Ernst ihre Fortschritte. Anton's reiches Talent erweckte wieder, was an Kunstsinn und Kunstfreude in ihr lag und dessen Genuß sie so lange entbehrt hatte. Musikalisch sehr gebildet, leitete sie zum größten Theil selbst seinen Unterricht in der Musik, und lebte darin ganz wieder aus.

Ueber Hermann's ernstes Gesicht aber zog ein Schatten, wenn er Mutter und Freund so in die Kunst versenkt sah, wenn sie so übereinstimmend in ihrem Entzücken waren über das, worin er ihnen nicht folgen konnte. Meist blieb er unbetheiligter Zuhörer. Aber seiner Mutter Augen glänzten dann so freudig, ihr Antlitz war dann so belebt, – und der Knabe bemerkte allmälig doch, daß es seltene Augenblicke waren, wo solche froher Schein auf ihren Zügen lag. Dabei senkte sich in sein junges Herz der erste Keim jener selbstlosen Liebe, die das Glück derer, die wir lieben, höher schätzt als die eigene Befriedigung. Ernst, wie er war, und wenig sich äußernd, liebte er feine Mutter über alles und empfand es schmerzlich, ihr nicht mehr sein zu können. Die kühnen körperlichen Uebungen, welche ihm so sehr zusagten, unterließ er ihr zu liebe sogar willig, weil dann stets der sorgenvolle Ausdruck bei ihr zurückkehrte, und versuchte es, wenigstens durch Fleiß ihren Beifall zu erringen. Die Mutter aber beschlich mitunter etwas wie Reue, daß sie sich dem kleinen Fremden geistig so viel näher fühlte als ihrem eigenen Kinde.

Als die Knaben älter wurden, genügte die heimische Erziehung nicht länger; sie mußten einer höhern Lehranstalt übergeben werden. Frau von Velden hätte sie am liebsten nach Bornstadt begleitet. Doch war daran nicht zu denken; alle Pflichten hielten sie an der Seite ihres Gemahls zurück. Ihr Antheil war also größere Einsamkeit als je.

Beiden Knaben hatte sie jene schöne, einfache Lebensauffassung des Vaters Rother, die auch ihre Richtschnur geworden, einzuprägen gesucht. Nicht unnatürlich war es, daß Anton Rother's feuerige Seele sich dabei von Anbeginn der höchsten Stufe dieser Auffassung zuneigte. Ueber alles irdische Schaffen hinaus seinen Beruf nur im Dienste des Höchsten zu suchen, schwebte ihm von früh auf als Lebensziel vor, – ein kindlicher Gedanke, den Frau von Velden eher zu beschwichtigen als anzuregen suchte, den der Knabe aber mit großer Beharrlichkeit festhielt.

Abgesehen von dem Berufe, hatte dieser Entschluß auch eine praktische Seite, da der geistliche Stand das einfachste Ziel der Studien war, durch mancherlei Stiftungen auch dem Unbemittelten erreichbar.

Die jungen Leute waren dem Ende ihrer Gymnasialstudien bald nahe; sie hatten gleichen Schritt gehalten, da Hermann Velden's ernste Pflichttreue Anton's leichte Fassungsgabe fast aufwog, und immer mehr eine tüchtige Denkkraft bei ihm sich entwickelte.

Schloß Asten, das dem alten Bischofssitze Bornstadt so nahe lag, hatte in jenen Jahren den jungen Leuten die schönsten Erholungsstunden geboten und sie die Ferienzeit hindurch stets gastlich ausgenommen.

Frau von Velden brachte manches stille Opfer mütterlicher Liebe, indem sie ihrem Sohne den heitern Jugendkreis auf Schloß Asten gönnte. Fand sie es doch auch nothwendig, ihm den Zustand des Vaters zu verbergen, der mit den Jahren sich stets verschlimmert hatte und zuletzt in Siechthum übergegangen war.

Im letzten Herbst hatte der Tod dem traurigen Zustande des Barons Velden ein Ende gemacht. Ein in Gott ergebenes Scheiden war wenigstens ein versöhnender Schluß gewesen. Hermann hatte jetzt von Asten aus seine Mutter heimbegleitet, indeß Rother nach Bornstadt zurückgekehrt war. Wenn die jungen Leute auch alles gemeinsam betrieben, so theilten sie doch nicht die gleiche Wohnung. Die Großeltern Rother's hatten Einsprache dagegen erhoben, und Frau von Velden hatte eingesehen, daß sie vernünftige Gründe dafür hatten. Schon Rother's musikalische Studien und Uebungen machten die räumliche Trennung wünschenswerth, was aber die Freunde nicht hinderte, meistens zusammen zu sein.

Rother hatte, wie gesagt, den heutigen Morgen, wo er von der Klasse frei war, schon eifrig der Musik gewidmet und war so darin versunken, daß er das schüchterne Klopfen an seiner Thüre ganz überhört hatte. Sehr erstaunt unterbrach er eine seiner schönsten Cadenzen, als seine Thüre langsam und vorsichtig sich öffnete und zuerst die mächtige Habichtsnase und dann die kleine Gestalt Daniel Veitels sich hereinschob.

Er kannte seinen Nachbar gegenüber genügend, um sich sogleich seiner zu erinnern; denn Herr Veitel war häufig in seiner schwärzlichen Hausthüre zu sehen, wie er mit den Vorübergehenden Unterhandlungen anknüpfte, die wohl nicht bloß müßige Worte enthielten. Auch war sein Aeußeres ganz dazu angethan, sich einzuprägen. Ueberrascht sah der junge Mann aus seinen Nachbar, nicht im entferntesten ahnend, was den Herrn Veitel zu ihm führen könne.

Herr Veitel aber hatte schon einen ganzen Schwall von Entschuldigungen bereit: es thue ihm leid, den jungen Herrn zu so unziemlicher Stunde zu belästigen und in seinem wunderbar schönen Spiel zu stören; er habe aber gefürchtet, ihn, wie schon einige Mal, nicht daheim zu treffen; und es habe ihm schon lange Zeit auf der Seele gebrannt, seinen Dank auszurichten dafür, daß der Herr Rother sich so freundlich gekümmert habe um seine Enkelin, und sie in Schutz genommen gegen die Rotte der Straßenjugend, die das arme Kind angefallen. Der Herr mög's ihm lohnen, da er's nimmer könne; er würde es aber dem jungen Herrn nie vergessen, setzte Herr Veitel ganz gerührt hinzu. Es wäre freilich seine Pflicht gewesen, gleich zu kommen; der Herr Nachbar sei jedoch damals verreist – seine Kleine habe ihm seit seiner Rückkehr aber keine Ruh' gelassen, bis er's ausgerichtet.

Rother hatte mehrmals versucht, den Fluß der Worte zu unterbrechen; aber der Alte ließ sich nicht irre machen. Er nahm auch erst am Schlusse seiner kleinen Rede nach vielen Nöthigungen Rother's auf dem angebotenen Stuhle in bescheidenster Weise Platz, durchaus nicht, wie Fräulein Daniella's stolze Bezeichnung »Herr Daniel Veitel, Banquier« hätte erwarten lassen. Rother versicherte ihm indessen auf seine vielen Dankesbezeugungen, es sei ja nichts einfacher gewesen, als der armen Kleinen zu Hülfe zu kommen, und sein Freund, Baron Velden, verdiene jedenfalls den größten Theil des Dankes, da er zuerst den Vorfall bemerkt habe. Er erkundigte sich theilnehmend nach dem Befinden des Mädchens, ob es weiter keinen Schaden von dem Unfall verspürt, und versicherte, daß er schon gekommen sein würde, nachzufragen, hätten die Studien und dann seine Abwesenheit in der Vacanz ihn nicht abgehalten.

Die gewinnende, herzliche Weise des jungen Mannes erfreute Herrn Veitel sichtlich. Er faßte entschieden fester Posto auf seinem Stuhl und schien, zu Rother's Staunen, seine Mission noch gar nicht als beendet anzusehen.

Für's erste sprach er zwar nur seine Freude aus, Herrn Rother ein Mal persönlich kennen zu lernen; gesehen habe er ihn schon oft, wenn er allmorgendlich an seiner Thüre vorbeikomme; dann hab' er sich allezeit gefreut, wie er ein »so schöner, feiner junger Herr geworden, wie 'en Prinz«, – und oft hab' er gedacht, wie sein Herr Vater sich freuen würde, wenn er ihn so sehen könnt'. Er, Veitel, hab' ja gekannt seinen Vater sehr gut, der ihn ebenfalls als den »Wander-Veitel« gekannt; er sei ja auch aus Asten gebürtig, und ehe er gekommen in die Stadt, hab' er gemacht manch' Geschäftchen mit dem Herrn Rother, seinem Vater, und auch mit dem Herrn Rhederer, dem gestrengen Herrn Rentmeister zu Asten, dem Großvater von Herrn Rother.

Rother befürchtete schon, Herr Veitel würde seinen ganzen Stammbaum nun so weiter durchgehen, aber der Alte kam wieder auf den Vater zurück. Er sei ein wunderbar herrlicher Mann gewesen, meinte er, so gottesfürchtig und brav – der Herr von Velden hätte von Glück nachsagen können, so 'nen Mann für seine Geschäfte gehabt zu haben, denn der Herr Baron selbst – nu, er, der Daniel Veitel, wisse vieles, und es sei besser, nicht davon zu reden.

Der sich verfinsternde Blick Rother's deutete ihm wohl an, daß es wirklich besser sei, über dies Thema zu schweigen, weshalb der kleine Mann gar nicht ungeschickt mit seiner Rede auf Frau von Velden überging, die er pries: so 'ne gnädige Dame, 'ne schöne Dame, 'ne gebildete Dame hab' er noch nie gesehen, wie die Frau Baronin. Und wie die auf den Herrn Rother gehalten! – wie der aber auch viel für sie gethan und stets gesagt habe, daß sie eine so kluge, verständige Frau sei. Und wie schön es nun wäre, daß er, Rother, und der junge Herr Baron gerade wie zwei Brüder erzogen würden, und die Frau Baronin ihn so recht was lernen ließe. »Ja, die Bildung thut's jetzt in der Welt,« meinte Herr Veitel mit einem Seufzer; »zu meiner Zeit hat man mehr an's Verdienen denken müssen als an die Bildung

Rother, den es gefreut hatte, das Lob seines Vaters zu hören, erwiderte hieraus lachend, er fürchte, daß er es nie so weit mit seiner Bildung bringen werde, als Herr Veitel mit dem Verdienen, da man recht gut wisse, wie weit Herr Veitel damit gekommen. Er fing aber endlich an, neugierig zu werden, wo denn der alte Jude eigentlich hinaus wolle.

Umsonst hatte Herr Veitel die alten Beziehungen zu Rother's Familie nicht ausgekramt; er kam nun seinem Ziele näher.

Er könne und wolle nicht leugnen, sagte er, daß es ihm sehr gut gegangen, wenn er sich auch hätte plagen müssen. Er habe nur ein Kind gehabt, eine Tochter, die gar gut geheirathet habe nach Berlin hin – die Mutter von der Kleinen, die jetzt bei ihm sei, und deshalb sei die Daniella ihm so an's Herz gewachsen. Sie habe ihre Mutter früh verloren und sei nun bei ihm, um sich etwas zu erholen in anderer Luft, weil sie ein so feines Ding sei, wie der Herr Rother ja gesehen. Auch ein kluges Ding sei sie – ein grausam gescheidtes Ding, und der Vater habe sie schon viel lernen lassen, zu viel für ihre Gesundheit, weil er auch sei so sehr auf die Bildung.

Und die Kleine sei vor allem so »musikalsch«, wie Herr Veitel es nannte, so merkwürdig musikalsch, gerade wie der Herr Rother selbst. Der Vater habe nichts dran gespart und hab' ihr die theuersten Lehrer gehalten, daß sie schon spiele auf dem Clavier ganz merkwürdig für solch ein Kind. Sein Schwiegersohn hab' ihr jetzt gekauft ein Instrument, was seine Hunderte gekostet, und hab' ihr das nachgeschickt von Berlin hierher, damit sie sich nicht vernachlässige in der Musik, weil er so sei auf die Bildung.

Die Kleine aber habe nun allabendlich den Herrn Rother spielen gehört und ihm gesagt, wie wunderschön er spiele – grad' wie ein Künstler, sage sie –, und da hab' sie nun sich in den Kopf gesetzt – wenn Herr Rother es nicht für ungut nehme –, daß er 'mal kommen solle, zu versuchen das neue Instrument und etwas zu musiciren mit ihr. Vielleicht könne er ihr auch Rath geben, bei wem sie wohl Unterricht nehmen könnt' in der Stadt. Sie hab' ihm, dem Großvater, keine Ruhe gelassen, es sei ein verwöhnt Ding, bis er versprochen hab', wenigstens dem Herrn Rother es zu sagen – und ob er ihm nicht die Ehre anthun wolle, einmal herüber zu kommen zu ihm in sein Haus.

Herr Veitel schien trotz der weiten Umschweife, die er in dieser Einladung gemacht, etwas verlegen; er stockte und sah schüchtern zu dem jungen Manne auf.

Aber es amüsirte Rother sehr, endlich so des Pudels Kern zu Tage treten zu sehen; und daß das kleine schwarze Mädchen nun gar eine Kunstschwester, war ihm ganz interessant: die dunkeln Augen schienen also wirklich nicht getrogen zu haben. Daniel Veitel konnte daher sehr zufrieden mit der Aufnahme seiner Einladung sein.

Gewiß wolle er kommen, sagte Rother; es würde ihm große Freude machen, doppelte Freude, da Herr Veitel schon seinen Vater gekannt, von dem er ihm noch viel erzählen müsse; und zu hören, was seine kleine Freundin schon alles in der Kunst leiste, würde ihn sehr interessiren.

Rother besaß jene Freundlichkeit in Wort und Weise, die immer den Gefallen mehr als empfangend, wie als zu leisten darstellt und die dadurch etwas sehr Wohlthuendes hat.

Des alten Juden Gesicht hellte sich sonnenklar dabei auf. Er hatte wenig Vertrauen zu dem Erfolge seiner Mission gehabt; der Herr Rother, der mit dem Baron Velden erzogen wurde, hatte ihm etwas zu sehr imponirt. Dafür wiederholte er jetzt unter den schönsten Bücklingen die Versicherung, welche Ehre es ihm sein werde, wenn der Herr Rother komme, und welche Freude das Mädchen haben würde; sie habe ohnehin so wenig Freude in seinem einfachen Haus zwischen den beiden alten, ungebildeten Leuten, und sei's doch so ganz anders gewohnt zu Berlin.

In seiner Freude wurde er so unerschöpflich, daß Rother erleichtert aufathmete, als bei der festen Zusicherung, noch am Abend desselben Tages zu erscheinen, des Alten Bücklinge ihn allmälig rückwärts zur Thüre hinausführten.

Rother hatte übrigens dies Versprechen gar nicht ungern ertheilt; wenn er auch einige Zweifel in Herrn Veitels musikalisches Urtheil setzte und einige israelitische und großväterliche Prahlerei dabei in Anschlag brachte, war er doch neugierig geworden auf die kleine Künstlerin, vielleicht auch auf das neue Instrument, auf etwas Neues überhaupt, das immer seinen beweglichen Geist lockte.


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