Lily Braun
Mutter Maria
Lily Braun

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Zweiter Akt

Im Garten der Mediceervilla Poggio a Cajano. Im Hintergrunde die Villa mit der Säulenhalle davor, die, von blühenden Rosen umgeben, die liegende Venusstatue birgt. Zu beiden Seiten der Halle führen breite Freitreppen von dem Balkon bis in den Garten hinab.

Es treten auf: Die Freunde Angelos, Roberto und Cesare, reich gekleidete junge Leute.

Roberto
Wir sind zur Stelle; hierher lud sie uns,
Des Herzogs Freundin. Seltsam! Welchem Umstand
Verdanken wir die Ehre dieses Mahls?
Sie kennt uns nicht –

Cesare                               Was grübelst du! Das Glück
Fliegt jetzt umher, ein fremder bunter Vogel,
Und läßt sich wahllos nieder, wo's ihm paßt.
Vielleicht war's unsre Jugend, die sie lockte –
Man sagt, sie trüge auf dem üpp'gen Rücken
Schon der Jahrzehnte Last; nach unserm Blut
Gelüstet es am Ende gar den Vampyr!

Roberto
Laß doch den Spott in dieser schönen Stunde!
Mir ist, ich wär' aus tiefem Schlaf erwacht
Und stünde plötzlich vor des Tages Helle!
Wie wird sich seine Pracht mir erst enthüllen,
Wenn ich die Augen, die geblendeten,
Ganz öffnen kann!

Cesare                           Wir waren durst'ge Zecher,
Und Zukunftsträume waren unser Wein;
Im Rausch allein vergaßen wir des Lebens
Entsetzlich graues Einerlei.

Roberto                                     Nun aber
Sind wir erwacht und doch vom Traum umfangen.
Sind nüchtern und berauscht wie nie vorher!
Lorenzo selber ist uns auferstanden,
Mit ihm Florenz und seine goldne Zeit.

Cesare
Warum noch von Lorenzo träumen, da
Giuliano lebt und seines Zepters Zauber
Die Göttin weckt, die uns entschwunden war.

Roberto (tritt vor die Säulenhalle)
Dort ruht sie noch! Sieh nur, welch heller Glanz
Ihr Haupt umspielt! Sie ahnt schon den Triumph,
Den ihr die Jugend von Florenz bereitet.

Cesare
Das wird ein Fest! Aus allen Fenstern wehn
Viel bunte Fahnen, Teppiche und Kränze.
Bemerktest du die Wagen, hoch getürmt
Mit Fässern Weins frühmorgens in den Straßen?
Aus goldnen Bechern trinken wir ihn heut!

Roberto
Ich sah die Mädchen nur! Wie schlichen sie
Scheu und verschämt bis jetzt an uns vorüber,
Die Köpfchen dicht verhüllt in Nonnenschleiern,
Kaum schien's der Mühe wert, sie anzuschaun.
Und nun: welch eine Wandlung! Blumenkränze
In offnen Locken, Perlen um den Hals,
Die schmeichelnd den entblößten Busen küssen,
In lichten Kleidern, die der Glieder Anmut
Verführerisch verraten.

Gasparo (kommt herbeigelaufen)
                                      Wißt ihr schon?!
Man flüstert es sich zu auf allen Straßen:
Giulianos Sohn ist Angelo –

(Sie sprechen noch im Hintergrund lebhaft miteinander, während Angelo mit Pietro langsam näher tritt. Er ist gekleidet wie im ersten Akt.)

Angelo                                         Ich fürchte,
Mein teurer Freund, daß wir uns nicht verstehn:
Du glaubst, wir sind am Ziel, ich aber hoffe,
Daß dieser Tag ein Anfang ist.

(Die andern haben sich ihm indessen mit einer gewissen Ehrerbietung, die er völlig übersieht, genähert.)

Cesare                                             Wie ich!

Angelo (freudig überrascht)
Cesare, du?

Gasparo             Wir fühlen heut mit dir.

(Roberto spricht indessen mit Pietro, der sichtlich erschrickt.)

Angelo
Ihr überrascht mich. Was ich kaum gehofft:
Ihr könntet, wie das Spiel des Knaben, nun
Des Jünglings Werk mit eurem Freunde teilen,
Erfüllt ihr, eh' der Wunsch zu Worte kam.

Pietro (zögernd und ängstlich)
Vielleicht war auch mein Widerspruch zu schroff,
Zu keck mein Spott!

Angelo                             Ich kenne deine Art.
An deinem scharfen Urteil, deinem Witz
Erstarkte mein Gedanke. Er ist reif;
Mit jener Kraft, die ihm die Sehnsucht gibt,
Wird er die Schale sprengen, die ihn hemmt,
Und aus der Erde fruchtbar-heil'gem Schoß
Die Ernte locken, die den Hunger stillen,
Und allen Durst auf immer löschen wird.

Pietro
Du sprichst wie ein Verzückter, ein Prophet;
Die Nähe Aphroditens macht dich rasen.

Angelo
Die Nähe Aphroditens – du hast recht!
Daß für Florenz sie auferstehen soll,
Gilt als Symbol mir für den Sieg des Lichts.
Schon riß das Volk, unwissend noch, warum,
Und nur von dumpfem innern Drang getrieben
Die Kreuze ab, die es auf Schritt und Tritt
An Sünd' und Buße, Tod und Höllenstrafen
Und an der Erde gräßlich Jammertal
Erinnern sollten. Für die Kuttenträger
Wächst die Verachtung, und der Spott verfolgt
Die einst Bewunderten.

Pietro
Nicht anders war's vor fünfzig Jahren auch.
Lorenzo selbst –

Cesare                       Du bist ein Griesgram, Pietro,
Und gießt das Wasser deines Mißvergnügens
In unsres Freundes Feuerbrand.

Angelo                                               Gemach!
Zu hoch für dein Bemühn stieg schon die Flamme!
Auch der Magnifico – ich weiß es längst –
Sang Kirchenlieder. Und ich weiß noch mehr,
Noch Staunenswerteres: Der edle Pico,
Der Musen bester Freund, starb als ein Mönch.
Ficinus, der den Geist des großen Plato
Heraufbeschwor, vermochte seinen Anblick
Nicht zu ertragen, und er rettete
Sich und die Christenheit vor diesem Riesen,
Indem er ihn zum Kirchenvater machte.
Der Heide Valla nahm das Sakrament;
Pomponius Laetus, der mit kecker Stirne
Gott leugnete und die Unsterblichkeit,
Bekehrte sich, als er die Folter sah,
Und Gabriel Salo, der stolze Mann,
Kroch feig zu Kreuz, als er dem Scheiterhaufen
Genüber stand, auf dem er brennen sollte.
Ob Platos Schüler oder Epikurs,
Sie machten ihren Frieden mit der Kirche.
Den Geist, den uralt heiligen, der plötzlich
Aus alten Pergamenten, Marmorstatuen
Und umgestürzten Säulen zu der Menschheit
Zu reden anfing, wie vermochte sie
Ihn zu verstehn, da seine Sprache selbst
Nichts als ein Ton war, der ans Ohr ihr schlug?

Pietro
Und jetzt, so sagtest du mir, wie mich dünkt,
Jetzt sei die Zeit erfüllet, da der Glaube,
Auf den sich unsre Kirche stützt, erschüttert,
Ja, wie du meintest, überwunden ist?

Angelo
Im Walde sah ich eine Eiche einst
Von wildem Weinlaub üppig überwuchert;
Es deckte freundlich ihren rauhen Stamm,
Es überzog mit saft'gem Grün die Äste,
Es war so fest verwachsen mit dem Baum,
Daß es sein eigen reiches Leben schien,
Und nicht das Sprießen einer fremden Pflanze.
In diesem Jahr sah ich die Eiche wieder:
Das Weinlaub ward des rauhen Winters Raub,
Und blätterlos inmitten ihrer Brüder,
Die knospend schon den jungen Frühling grüßten,
Stand sie und streckte gramvoll ihre Äste
Empor zum Himmel. In den Wurzeln aber
Schwillt schon der Saft, kein Weinlaub stiehlt ihn mehr –
Und übers Jahr wird meine Eiche grünen,
Des eignen Lebens voll.

Gasparo                               Du sprichst in Rätseln!

Angelo
Ist ihre Lösung euch zu schwer? Die Eiche,
Das ist die Menschheit.

Roberto                               Und der wilde Wein?

Angelo (sehr stark)
Die Lehre Christi.

Pietro (sich bekreuzigend)
                            Sprich doch nicht so laut!

Angelo
So laut will ich's verkünden, daß in Rom
Der Heil'ge Vater sich bekreuz'gen wird.

Cesare (leise zu Gasparo)
Der Heil'ge Vater ist vielleicht schon jetzt
Ein Medici – drum wagt er solche Tollheit.

Pietro
Zu Epikur bekennst du dich, dem Lust
Der Zweck des Seins. Erinnre dich, mein Freund,
Daß er schon einmal in Florenz geherrscht,
Und daß nach jenen Tagen wilden Taumels
Savonarola kam.

Angelo                       Den achte ich.
Er war ein Mann und sah mit klarem Blick,
Was von den Priestern keiner sehen wollte:
Daß zwischen jener Welt des Christengotts
Und der des Aristoteles, des Plato
Ein Abgrund gähnt, und daß der kühngeschwungne
Gewalt'ge Bogen, der ihn überbrückt,
Und den aus falschen Schlüssen, schönen Worten
In ems'ger Arbeit zwei Jahrhunderte
Mühsam erbaut, zusammenstürzen muß.
Ihn schauderte in seinem Wahrheitsmut
Vor einer Fälschung seines Christenglaubens.

(Lucrezia steigt indessen die große Freitreppe, die von der Estrade der Säulenhalle in den Garten hinunterführt, langsam hinab.)

Dieselben Kräfte, die in seiner Hand
Die Geißel schwangen über all die Lust
Am Leben, an der Liebe und der Schönheit,
In seinem Mund zum Fluche sich geformt,
Mit dem er jenen neuen Geist verdammte,
Der sich schon heimlich in die Kirchen schlich, –
Dieselben Kräfte fühl' auch ich in mir.
    (Er weist auf das ferne Florenz.)
Seht dort die vielen Türme, spitze Finger,
Die jeden Gläubigen gen Himmel weisen
Als seine Heimat, seiner Sehnsucht Ziel;
Darunter all die dunklen Kirchenhallen,
In denen Wolken Weihrauchs statt der Luft,
Der lebenspendenden, des Lenzes wehn;
In denen Fenster, – darauf fromme Kunst
Das fürchterliche Martertum der Heil'gen,
Des Gottessohnes Kreuzestod gemalt, –
Der Sonne glühendgoldnen Himmelskuß
In rotes Blut und schwarzen Schrecken wandeln.

(Lucrezia tritt näher.)

Lucrezia
Und Eure Kirche, schöner junger Freund?

Angelo (sehr überrascht und verwirrt)
Mona Lucrezia –!
    (Er neigt sich über ihre Hand, die sie ihm reicht.)

Lucrezia                     Nehmt – Ihr dürft sie küssen!
Wie rot und heiß doch Eure Lippen sind!
Wie Rosenblätter, von der Sonne Glut
Ganz vollgesogen.

Roberto                       Himmel – ist sie schön!
Wär' ich der Herzog, ließ ich ungerührt
Die Marmorgöttin unter Rosen schlafen,
Und auf dem leeren Sockel stünde sie.

Gasparo
Angelos Sehnsucht wäre dann erfüllt:
Die Kirchen blieben leer; vor Aphrodite,
Der lebenswarmen, kniete ganz Florenz.

Lucrezia (zu Angelo)
Ich war recht ungeschickt, und unterbrach Euch,
Doch Eurer Rede Feuer zog mich an
Wie einen Schmetterling der Fackel Lodern.
Stör' ich Euch, geh' ich wieder.

Cesare                                             Eure Nähe
Ist wie die Windsbraut, die verborgne Glut
Zur Flamme erst entfacht.

Lucrezia                                   Ist das die Wahrheit,
So muß ich auch die Flamme leuchten sehn!
Nach Eurer Kirche frug ich.

Angelo                                       Meine Kirche?
Gott selber baute sie mit heiterm Lächeln,
So wie ein Kind aus bunten Kieselsteinen
Sich selbst zur Lust ein Zwergenschlößchen baut.
Die Berge formte er zu ihren Säulen,
Der Himmel wölbte sich zu ihrem Dach;
Das fröhliche Gezwitscher kleiner Vögel,
Des Windes flüsternd Spiel in Busch und Baum,
Des Donners Rollen und des Meeres Brausen,
Wenn der Orkan die wilden Wogen peitscht,
Ist seiner Kirche Chorgesang, – ein Loblied
Des heil'gen Lebens!

Lucrezia                           Wie entrückt er ist!
Wie schön, wie groß! – Hört, Angelo, Ihr müßt
Noch heute abend auf des Herzogs Fest
Zu seinen Gästen sprechen wie zu uns.
Giuliano wird entzückt sein, und der Hof,
Der danach brennt, des Lebens froh zu werden,
Wird Euch, als seinem Führer, Rosen streu'n.

(Ein Page kommt.)

Der Page
Das Gastmahl ist bereit!

Lucrezia                                 Für euch, ihr Herren!
Ein kleiner Imbiß nur. Er soll uns stärken
Für Aphroditens Einzug in Florenz.
Gebt, Angelo, die Hand mir!

Angelo                                         Meine Hand?!

Lucrezia
Erinnert Ihr euch nicht – wie heißt es doch? –
Wer sich erniedrigt, soll erhöhet werden!

Angelo (führt Lucrezia der Villa zu, die andern folgen)
Der Herzog – sagt Ihr – und heut abend schon –
So rasch wär' ich am Ziel –

Lucrezia                                     Die Macht ist Euer,
Ihr braucht sie nur zu fassen.

Cesare                                           Seht nur, seht!
Die Kurtisane gängelt den Propheten.

(Alle ab.)
(Inzwischen haben sich im Hintergrunde Jünglinge und Mädchen angesammelt, die sich um die Venusstatue bemühen.)
(Meister Sandro und Maria treten auf.)

Maria
Nicht hergefunden hätt' ich ohne Euch,
Und dennoch war mir einst der Weg nach Poggio
Vertraut wie keiner sonst.

Sandro                                     Seit jener Zeit
Gingt Ihr nur einen noch: den in die Kirche;
Ihr lebtet, eine Nonne in Klausur.

Maria
Ich tat's für meinen Sohn. Jetzt dünkt's mich fast,
Es war nicht recht! Denn nun verlor ich ihn,
Weil ich die Wege, die er geht, nicht kenne.

(Im Hintergrunde lebhafte Bewegung. Die Venusstatue erhebt sich langsam. Einige der sie dicht Umdrängenden treten etwas hervor, sie lachen und scherzen.)

Ein Jüngling
Sie steht! Sie lacht uns an!

Ein Mädchen (sich vor ihr auf die Knie werfend)
                                            Wir grüßen dich!

Ein zweites Mädchen (streut aus einem Korbe Blumen über die Statue)
Mit diesen Rosen schenk' ich dir mein Leben.

Ein zweiter Jüngling (ein Mädchen umschlungen haltend)
Nun segne, Aphrodite, unsern Bund.

Maria
Sie ist es! Sie erhebt sich unversehrt!

Sandro
Was ängstet euch? Ein steinern Frauenbild?
Ein uralt Kunstwerk, das ein armer Heide,
Dem noch der Stern von Bethlehem nicht schien,
Aus weißem Marmor schuf, und das ein Volk,
Dem Gott der Herr sich noch nicht offenbarte,
In seinem Wahn für eine Göttin hielt?
Für uns, die wir durch Christi Blut erlöst,
Für uns, die selbst die Hölle nicht mehr schrecken,
Der Tod nicht überwinden kann, ist sie
Kein Teufelsblendwerk mehr.

Maria                                             Ihr kennt sie nicht.
Ich aber kenne sie, ich sah sie leben –
Sah, wie das Blut in ihren Adern pochte –
Und wie der Atem ihren Busen hob –
Sah ihre Augen glänzen – wie das Eis,
Wenn es der Sonne Leuchten widerstrahlt.
Glaubt mir, sie lebt! Nach neuen Opfern sucht sie –
Nach meinem Sohn.

Sandro                             Maria, Ihr verliert Euch –

Maria
Ich war zu stolz. Weil ich der Welt entfloh,
Glaubt ich sie überwunden. Dieser Weg
Durch bunte Frühlingswiesen, der Gesang
Aus jungen Kehlen – und die Luft, die zärtlich,
Wie eine Liebeshand, die Wangen streichelt,
Sie sind schon voll des Zaubers jener Frau.

Sandro
So betet, arme Mutter, betet laut!

Maria
Wie sagt Ihr – Mutter? Weil ich Mutter bin,
Kam ich hierher. Die heil'ge Jungfrau lohn' Euch,
Die schmerzensreiche Mutter, dieses Wort.
Geweihtes Wasser war's, – der Spuk entfloh.
Es gilt, des Sohnes Seele zu erretten.

(Sie geht mit Sandro nach dem Hintergrund und sucht unter der Menge.)

Maria (wieder vortretend)
Ihr seht es: Angelo ist nicht dabei!
Fra Sebastiano hat Euch falsch berichtet.

Sandro
Er irrt sich niemals; seine Zwischenträger
Sind überall.

Maria                   So laßt uns suchen, Sandro!

(Sie gehen. Ein bekränzter Wagen, mit Maultieren bespannt, wird sichtbar und fährt vor die Säulenhalle.)

Ein Mann (der mit anderen die Statue zu heben versucht)
Sie ist zu schwer. Wir schaffen's nicht.

Ein zweiter Mann                                         Mir scheint,
Sie will nicht fort. Am Boden wuchs sie fest.

Ein dritter Mann
Hier sind die Seile. Fertig! Jetzt hebt an!
Wir schieben sie von rückwärts auf den Wagen.

Ein Jüngling
Doch aufgerichtet muß die Göttin stehn,
Wie eine Heil'ge in der Prozession.

Ein Mann (sich bekreuzigend)
Gott schütz' uns! Wir sind gute Christen, Herr!

Ein Jüngling
Getauft, gefirmt, wie's Brauch ist, alter Freund.
Und darum frei, zu sündigen! Die Göttin,
In ihrer nackten Herrlichkeit, soll aufrecht
Heut einziehn in Florenz. Von dieser Sonne
Glutrotem Feuer sei ihr Leib durchtränkt,
Auf daß an ihm sich jedes Herz entflamme
Und heute nacht ein einz'ger Schrei der Brunst
Aus tausend Kehlen auf zum Himmel steige.

(Alle bemühen sich um den Wagen und die Statue. Angelo kommt rasch und erregt die Treppe herunter, Lucrezia folgt ihm langsam, so daß er zunächst allein bleibt.)

Angelo
Des Herzogs Sohn? – Giuseppe nicht mein Vater? –
Mich narrt ein Traum – und dennoch scheint's mir plötzlich,
Als könnt's nicht anders sein. Er war mir fremd.
Ein winzig Knäblein noch, verkroch ich mich
Vor seiner Stimme. Sah ich gar die Mutter,
Wie sie ihm diente, scheu und demutsvoll,
Wie er ihr Dienen forderte und annahm,
So ward ich schamrot, und die Hände krümmten
Sich mir zu Fäusten. Er war gut zu mir.
Ich aber liebt' ihn nicht, ich haßt ihn fast,
Weil ich ihn lieben sollte. Sprach Natur
Nicht laut genug, und spottete vernehmlich
Der Menschensatzung, die der Aberglaube
Für Gottessatzung hält?

Lucrezia                               Ihr stürmt davon.
Ein junger Adler, dem die Gittertüre
Des Käfigs aufsprang.

Angelo                               Und ein Engel war es,
Der sie geöffnet! Herrin, sagt es mir,
Sagt es noch einmal: Er erwartet mich?
Nicht schrecken wird ihn, meint Ihr, was ich wünsche,
Und was zu wirken ich mir vorgesetzt?
Er wird mir ganz ein Vater sein?

Lucrezia                                             Ihr zweifelt?
Er ist ein Medici! Die Kuttenträger,
Die schwarzen, leisen, die wie Fledermäuse
Das Haus umflattern, wenn es dunkel wird,
Will er verscheuchen mit dem hellen Licht
Des Geistes und der Lust, das nie erlöschen,
Ja, das von Jahr zu Jahr nur schöner strahlen,
Und schließlich für die Schiffer auf dem Meer,
Dem unermeßlichen, der Leuchtturm sein soll,
Der ihrem Steuer Ziel und Richtung gibt.

Angelo
So öffnete die Welt mir weit ihr Tor,
Und statt, daß ich allein mit blut'gen Händen
Die arme Kraft an seinen Gitterstäben
Erproben mußte, seh' ich mich vereint
Mit treuen Freunden friedlich Einzug halten,
Und einen Vater finden, statt des Feinds.

(Maria kommt aus dem Hintergrunde, wo sie wieder unter der Menge suchend umherging.)

Maria
Mein Sohn! Mein Angelo!

Angelo (ihr zu Füßen sinkend)     Geliebte Mutter!

Maria
Ich suchte dich in Angst, – nun halt' ich dich.

Angelo
Ich sehnte mich nach dir in meinem Glück,
Nun laß ich dich nicht mehr. Du darfst nicht weinen!
Die Kette, die dich fesselte, zerriß.
Um meinetwillen trugst du diesen Schleier, –
Ich will ihn wandeln in ein Diadem.
Um meinetwillen hülltest du den Leib
In graue Kleider der Gefangenschaft, –
Mit weicher, weißer Seide schmück' ich ihn.
Um meinetwillen grub um deinen Mund'
Sich diese Falte tiefen Grams; ich gebe
Das Lächeln seiner Jugend ihm zurück.
Und diese Hände, die du im Gebet
So bleich gerungen, füll' ich dir mit Rosen.

Lucrezia (erwidert Marias fragenden Blick mit einem triumphierenden)
Er weiß!

Maria (reißt sich aus der Umarmung ihres Sohnes los)
              Und hat entschieden?

Lucrezia                                           Fragst du noch?

Maria
Verführtes Kind! Wie sehr muß dir der Glanz
Der Erdenlust das Aug' geblendet haben,
Daß du die eigne Mutter nicht mehr kennst.
Mich lockt kein Diadem und keine Seide;
Im Dienst des Herrn trag' ich das Kleid der Magd,
Und grub der Gram mir Falten in das Antlitz,
So sind sie nichts als Narben, die der Krieger
Nicht missen mag, – ein Feigling, dessen Züge
Von keinem Lebenskampf die Zeichen tragen!
Und meine blassen Hände will ich leer,
Auf daß ich im Gebet für dich sie falten
Und dir sie, wenn du strauchelst, reichen kann.

Angelo
Ich strauchle nicht, und dennoch fass' ich sie.
Ich greife nicht, wie ein betörtes Kind,
Nach buntem Tand, als wär's ein Königsschatz,
Doch wenn ein Stern wegweisend mir am Himmel
Urplötzlich aufflammt, folg' ich ihm.

Maria                                                       Auch dann,
Wenn er dich nicht nach Bethlehem geleitet?
Wenn er, ein Trugbild, in die Irre führt?
Was suchst du noch an Gütern, die dir Christi
Allgegenwärt'ge Gnade nicht ersetzte?

Angelo
Die Freiheit!

Maria                   Frei ist der in Gott Gebundene.

Angelo
Du warst nicht immer kühl und klar und heilig,
So wie du jetzt bist, Mutter. Und du hättest
Die Freiheit nie ersehnt, du selbst zu sein
Und deines eignen Willens Werk zu schaffen?

Maria
Es war die Sehnsucht meine Sünde, Kind.
Ich rang mit Gott, daß er sie schweigen ließe,
Und daß mein Wille ausgelöscht in seinem.

Angelo
Mir aber ist die Sehnsucht ein Versprechen,
Der Wille die Gewähr des Werks.

Maria                                                   Du sollst
Die Mutter ehren, sprach der Herr, dein Gott.
Und du verwirfst, als wär' es eitel Spreu,
Was ich dich lehrte, was ich im Gebet
Auf dich herabgefleht, was ich an Liebe
Dir Tag um Tag und Nacht um Nacht gegeben.

Angelo
Du sollst den Vater ehren, wie die Mutter –
So lautet das Gesetz. Ich will zu ihm.

Maria
Besudle mir den Namen Vater nicht.
Dein Leben dankst du jenem alten Mann,
In dessen Augen deine Augen blickten,
Als du zuerst sie aufschlugst, den du Vater
Zu nennen lerntest mit dem ersten Lallen
Der Kinderstimme.

Angelo                           Der mich eingezwängt
In eine Welt, die nicht die meine ist.
Der dir ein Fremder war und blieb, dich nimmer
Vergessen ließ, daß er die Sünderin
Aus frommem Mitleid in sein Haus genommen.

Maria
Klagt' ich ihn an?

Angelo                       Du duldetest und schwiegst!
Ich aber, Mutter, sah, was niemand sah,
Ich fühlte, was du selbst nicht fühlen wolltest,
Daß dieser Mann mit seiner harten Faust
Jedwedes Blümchen Glück, das sich im stillen
Auf deines Lebens Flur entfalten wollte,
Mit allen Wurzeln aus dem Boden riß.

Maria
Und sahst du es und fühltest du mein Weh,
Und weißt, daß ich in dieser weiten Welt
Nichts habe – nichts, als dich, mein einzig Kind –
Wie kannst du von mir gehn?

Angelo                                           So soll auch ich
Mein Leben opfern, wie du deins geopfert?
Wenn du mich liebst, so forderst du es nicht!
Erbarm' dich unser, – bleibe du bei mir!

Maria
Ich bin vor Gott sein Weib; nur Gott allein
Vermag zu trennen, was er band. Die Treue
Ist deiner Freiheit Feind; ich wähle sie.
Und lieber stürb' ich, als daß je mein Fuß
Das Haus der Medici betreten würde!
Sei nur in dieser Stunde noch der Knabe,
Der gläub'gen Herzens mir zu Füßen saß,
Der nichts so sicher wußte, als das eine:
Die Mutter trügt mich nicht! Auch ich ging einst
Denselben Weg. Ich gab mein Herz nicht nur,
Gab meine Seele hin – sie nahmen alles –

Angelo
Mein Vater?

Maria                   Frag' mich nicht! Sie reißen dir
Das Herz heraus und lachen, wenn's dir weh tut!
Und breitest du das Höchste, was du hast,
Vor ihnen aus als dein Geschenk, sie treten
Mit schmutz'gen Sohlen, die durch alle Straßen
Und allen Kehricht gingen, frech darauf.

Angelo
Mein Vater?

Maria                   Frag' mich nicht!

Angelo                                           Ich muß es wissen.

(Giuseppe kommt atemlos gelaufen.)

Giuseppe
Nur einen Tropfen Wassers, gute Leute –
Ich lief – ich lief –

Maria                           Giuseppe, wie du zitterst!
Hier, setz' dich nieder.

Giuseppe                           Setzen? Nein. Ich weiß,
Was sich geziemt vor solchem hohen Herrn!
Hört, Messer Angelo, – sie kommen schon!

(Lucrezia und Angelos Freunde umdrängen ihn.)

Angelo
Wer kommt?

Lucrezia             So sprecht doch!

Maria                                               Laßt ihn Atem schöpfen!

Giuseppe
Fra Sebastiane und die Seinen sind's,
Die Mönche und die Bauern, die er heute
In aller Frühe aus den Betten riß.
Mit wilden Reden, daß der Teufel selber
Im Lande umgeht und das Volk verführt,
Daß heute noch die Jugend von Florenz
Sein schandbar Abbild im Triumph von Poggio
Geleiten wolle zu des Herzogs Fest,
Hieß er sie, sich mit Spieß und Beil bewaffnen
Und ihm zu folgen.

(Fra Sebastiano stürzt, von Bauern und Mönchen gefolgt, herein. Die Jünglinge und Mädchen, die den Wagen, auf den jetzt die Venusstatue aufgerichtet steht, umgeben hatten, fliehen voll Entsetzen.)

Fra Sebastiano               Dort, das Götzenbild –
Ein Hieb, es ist zermalmt.

(Maria klammert sich mit aller Gewalt an Angelo, der mit ihr ringt, um sich loszureißen.)

Maria                                       Ich laß dich nicht!

Angelo
Du mußt – du mußt – daß ich mich nicht vergreife
An meiner Mutter!

Maria                             Gott im Himmel hilf!
Du darfst das Bild nicht schützen – darfst es nicht!

(Angelo befreit sich aus den Armen der Mutter, reißt dem Fuhrmann, der eben im Begriffe ist, zu entfliehen, die Peitsche aus der Hand, und will sich den Anstürmenden entgegenwerfen. Maria eilt ihm nach.)

Maria
Du frugst nach – ihm. Er nahm mich – mit Gewalt!
Sieh, – wie sie triumphiert! – Sie stand dabei
Und lächelte. Du kannst es nicht – kannst nicht
Ihr Herold sein – sie mordete mein Herz –
Und du bist mein – nur mein.

Angelo                                         Ich bin des Werkes!

(Fra Sebastiano hebt dicht vor der Statue die beilbewaffnete Hand, Angelo schlägt ihm mit der Peitsche über das Gesicht, so daß er zurücktaumelt. Als die Entflohenen das sehn, eilen sie Angelo zu Hilfe. Es entsteht ein Handgemenge. Die Mönche werden zurückgedrängt. Der Zug der Venusstatue, mit Angelo, der die Peitsche umklammert hält, an der Spitze, setzt sich in Bewegung.

Maria bricht zusammen; Giuseppe zaudert einen Augenblick, als besänne er sich, ob er bei ihr bleiben solle; dann schließt auch er sich dem Zuge an, der nach recht« verschwindet. Maria bleibt allein zurück).

Der Vorhang fällt.

Ende des zweiten Aktes.

 


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