Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

XXIV.

Nach drei Wochen konnte ich das Zimmer verlassen und den häuslichen Obliegenheiten nachgehen. Und als ich zum erstenmal den Abend in der Bibliothek verbrachte, bat ich Cathy, mir etwas vorzulesen, denn meine Augen waren noch schwach. Der Herr war schlafen gegangen. Sie schien keine rechte Lust zu haben, ich sagte daher, sie möge ein Buch wählen, das ihr selbst lieb und unterhaltend sei. Sie tat es und las wohl eine Stunde lang. Dann stellte sie Fragen.

»Ellen, bist du nicht müde? Wäre es nicht besser, wenn du dich jetzt hinlegtest? Du wirst dich überanstrengen, wenn du solange aufbleibst, Ellen.«

»Nein, nein, Herzchen, ich bin nicht müde«, gab ich zurück.

Da sie mich so unzugänglich fand, verfiel sie auf einen anderen Weg, um frei zu kommen. Sie gähnte und dehnte sich und sagte:

»Ellen, ich bin müde.«

»So hören Sie auf, und wir wollen uns was erzählen«, antwortete ich.

Das war noch schlimmer. Sie schmollte und seufzte und sah nach der Uhr; und um acht ging sie, ganz überwältigt von Müdigkeit, auf ihr Zimmer. Am anderen Abend schien sie noch ungeduldiger, und am dritten klagte sie über Kopfweh und ließ mich schon früh allein. Ich fand ihr Benehmen merkwürdig. Und nachdem ich ziemlich lange allein gesessen hatte, beschloß ich nachzusehen, ob es ihr besser ginge. Keine Catherine war zu finden, weder oben in ihrem Zimmer noch unten im Hause. Die Dienstboten versicherten, sie nicht gesehen zu haben. Ich horchte an Mr. Edgars Tür. Alles war ruhig. Ich kehrte in ihr Zimmer zurück, löschte das Licht und setzte mich ans Fenster.

Der Mond schien hell. Ein leichter Schnee deckte den Boden, und ich überlegte, es könne ihr möglicherweise in den Sinn gekommen sein, sich durch einen Gang in den Garten zu erfrischen. Ich erkannte eine Gestalt, die innen am Parkgitter entlang schlich. Aber es war nicht meine junge Herrin; als die Gestalt ins Licht trat, erkannte ich einen der Stalljungen. Er stand eine lange Zeit und lugte die Allee hinunter. Dann plötzlich eilte er davon und kehrte gleich darauf mit Catherines Pony zurück. Und da war sie, schweigend neben dem Pferde hergehend. Der Bursche führte das Tier vorsichtig quer übers Gras zum Stall hinüber. Cathy stieg durchs Fenster des Wohnzimmers ins Haus und kam lautlos herauf in ihr Zimmer. Sie schloß leise die Tür, zog die schneenassen Schuhe aus, legte den Hut ab und entledigte sich ihres Mantels, als ich plötzlich aufstand und mich zu erkennen gab. Die Überraschung überrumpelte sie: sie sah mich an und rührte sich nicht.

»Meine liebe Miß Catherine«, begann ich milde, »wohin sind Sie zu so ungewöhnlicher Stunde geritten? Und warum sollten Sie mich hintergehen wollen? Wo sind Sie gewesen? Antworten Sie!«

»Bis ans Ende des Parks«, stammelte sie. »Das ist die Wahrheit.«

»Und nirgends sonst?« fragte ich.

»Nein«, murmelte sie.

»O Catherine!« rief ich bekümmert. »Sie wissen, Sie haben Unrecht getan, sonst würden Sie sich nicht veranlaßt sehen, mir die Unwahrheit zu sagen. Das schmerzt mich sehr. Ich möchte lieber drei Monate krank sein, als eine so offenkundige Lüge von Ihnen hören.«

Sie fiel mir um den Hals und brach in Tränen aus.

»Ach, Ellen, ich fürchte so sehr, daß du böse bist«, sagte sie. »Versprich mir, nicht böse zu sein, und du sollst die ganze Wahrheit hören.«

Wir setzten uns am Fenster nieder. Ich versprach ihr, sie nicht zu schelten, was für ein Geheimnis sie auch haben möge, und ich hatte es natürlich längst erraten. Sie begann:

»Ich war auf Sturmheid, Ellen, und ich bin seit Beginn deiner Krankheit jeden Tag dort gewesen – bis auf zwei oder dreimal. Ich gab Michael Bücher und Bilder, damit er Minny sattele und nach meiner Rückkehr wieder in den Stall führe. Du darfst auch ihn nicht schelten, hörst du? Um halb sieben war ich drüben in Sturmheid und blieb gewöhnlich bis halb neun, und dann galoppierte ich heim. Ich ging wirklich nicht zu meinem Vergnügen hin, ich war oft sehr unglücklich dort. Manchmal war ich glücklich – einmal wöchentlich vielleicht. Weißt du, ich fürchtete zuerst, du würdest mir nicht erlauben, Linton mein Wort zu halten; ich hatte ihm nämlich damals, als wir gingen, mein Wort gegeben, am anderen Tag wiederzukommen. Da du aber an jenem Tag in deinem Zimmer bliebst, ging alles ganz glatt. Als Michael an der Parktür das Schloß ausbesserte, nahm ich den Schlüssel an mich und erzählte ihm, wie sehr mein Vetter auf meinen Besuch rechne, da er krank sei, und wie Papa sich dem widersetze; und dann unterhandelte ich mit ihm wegen des Ponys. Er liest gerne und er will bald fortgehen, um zu heiraten. Ich bot ihm also an, daß ich ihm Bücher leihen wolle, wenn er meinen Wünschen nachkomme.

Bei meinem zweiten Besuch schien Linton ziemlich aufgeräumt. Zillah (das ist die Wirtschafterin dort) machte uns ein gemütliches Feuer an. Josef war zu irgend einer frommen Versammlung ins Dorf gegangen, und Hareton Earnshaw war auf Jagd; wir waren also ganz für uns allein. Zillah brachte mir Glühwein und Honigkuchen und war sehr zuvorkommend; und Linton saß im Lehnstuhl und ich im Schaukelstuhl beim Feuer, und wir lachten und sprachen so fröhlich und hatten uns soviel zu sagen. Wir besprachen, wo wir im Sommer hingehen und was wir alles tun würden.

Einmal aber hätten wir uns beinahe gezankt. Er sagte, die angenehmste Art, einen heißen Julitag hinzubringen, sei von morgens bis abends mitten in der Heide zu liegen, wenn die Bienen durchs Kraut summen und die Lerchen singen und die Sonne frei am wolkenlosen Himmel steht. Das war seine Idee von Himmelsseligkeit. Meine aber war: in einem rauschenden Baum zu schwingen, wenn der Westwind droben die kleinen weißen Wolken jagt. Und nicht nur Lerchen, sondern Amseln und Drosseln und Hänflinge und Kuckucke müßten rundum Musik machen, in der Ferne müßte man die Heide sehen, die sonnigen Hügel und kühlen dunklen Täler. Nahebei aber wehen die langen Gräser im Wind, und Wald und Wasser rauschen, und die ganze Welt ist wach und toll vor Freude. Er wollte, alles solle in einem Friedensrausche liegen, ich wollte, alles solle glänzen und leuchten und tanzen in jubelnder Seligkeit. Ich sagte, sein Himmel würde halb im Schlaf liegen, und er sagte, der meine sei wie betrunken, er könne darin nicht atmen. Und er wurde ganz ungezogen. Aber schließlich sagten wir, sobald das rechte Wetter käme, wollten wir beide Himmel ausprobieren, und wir küßten uns und waren wieder Freunde.

Später bat ich Linton, draußen auf der Diele mit mir Ball zu spielen. Wir fanden zwei Bälle in dem alten Büffet, unter allerlei anderem Spielkram. Einer war mit C, der andere mit H gezeichnet. Ich wollte das C haben, weil ich Catherine heiße, aber Linton wollte nicht das H, denn dieser Ball hatte ein Loch. Ich spielte viel besser als er, und er wurde wieder zornig und hustete und setzte sich wieder in seinen Armstuhl. Aber ich sang ihm schöne Lieder – deine Lieder, Ellen. Und als ich gehen mußte, ließ er mich nicht fort, bis ich versprochen hatte, am nächsten Abend wiederzukommen. Minny flog mit mir wie ein Sturmwind nach Hause, und ich träumte von Sturmheid und meinem süßen geliebten Vetter bis zum Morgen.

Am anderen Morgen war ich traurig; zunächst weil du krank warst, Ellen, und dann, weil mein Vater nichts von meinem Ausflug wußte. Aber abends war wieder herrlichster Mondschein, und während ich davonritt, wurde ich wieder fröhlich. Ich werde doch einen frohen Abend haben, dachte ich bei mir, und vor allem: mein lieber Linton wird Freude haben. Ich ritt durch den Garten hinauf und wollte mich nach der Hinterseite des Hauses wenden, als jener Bursche Earnshaw mir begegnete und das Pferd zur Vordertreppe zurückführte. Er streichelte Minny und sagte, sie sei ein schönes Tier, und er tat so, als wolle er mir etwas sagen. Ich gebot ihm aber, mein Pferd in Ruh zu lassen, da es sonst nach ihm ausschlagen werde. Aber er lachte nur dazu. Er ging dann vorauf und öffnete die Tür, und als er den Griff in der Hand hielt, blickte er zu der Inschrift über derselben auf und sagte:

»Miß Catherine, das da oben – jetzt kann ich das lesen.«

»Großartig«, rief ich aus. »Also lassen Sie hören.«

Er buchstabierte und stolperte über die Silben und brachte es schließlich heraus: ›Hareton Earnshaw‹.

»Und die Ziffern?« rief ich ermunternd, da er innehielt

»Die kann ich jetzt noch nicht«, antwortete er.

»O, Sie Schlaukopf!« rief ich und lachte ihn gewaltig aus.

Der Narr glotzte, und es schien fast, als habe er große Lust, in meine Fröhlichkeit einzustimmen. Da wurde ich aber gleich wieder ernst und befahl ihm, aus dem Weg zu gehen, denn mein Besuch gelte nicht ihm sondern Linton. Er errötete, gab den Türgriff frei und schob davon – ganz gekränkte Eitelkeit! Er hielt sich, wie ich vermute, für ebenso gebildet wie Linton, weil er jetzt seinen eigenen Namen buchstabieren konnte. Daß ich nicht dasselbe dachte, hatte ihn ganz furchtbar empört.«

»Halt, Miß Catherine, Liebling!« fiel ich ein. »Ich will nicht schelten, aber Ihr Betragen da gefällt mir gar nicht. Hätten sie daran gedacht, daß Hareton ebensogut wie Mr. Heathcliff Ihr Vetter ist, so hätten Sie gefühlt, wie unpassend Ihr Benehmen war. Zum wenigsten war es doch ein lobenswerter Ehrgeiz von ihm, ebenso gebildet sein zu wollen wie Linton. Sicherlich wollte er sich nicht mit seinem Können brüsten. Gewiß haben Sie ihn früher wegen seiner Unwissenheit verhöhnt, und er wollte das nun wieder gut machen. Es war sehr häßlich von Ihnen, seinen mißglückten Versuch zu verlachen. Wären Sie unter den gleichen Umständen aufgewachsen wie er – Sie wären um kein Haar gebildeter. Er war ein ebenso aufgewecktes und intelligentes Kind als Sie, und es verletzt mich sehr, daß er nun verachtet wird, weil dieser Hallunke Heathcliff so ungerecht gegen ihn verfahren ist.«

»Aber, Ellen – du wirst doch nicht deswegen weinen?« rief sie erstaunt. »Aber wart nur: gleich sollst du hören, ob er mit seinem Abc versuchte, mir zu gefallen. Ich trat ins Haus; Linton lag am Herd in seinem gewohnten Stuhl.«

»Liebste Catherine«, sagte er, »ich bin krank heut abend. Du mußt die Unterhaltung allein führen und mich zuhören lassen. Komm, setz dich zu mir. Ich war sicher, du würdest dein Wort halten, und auch heut mußt du mir, ehe du wieder gehst, versprechen, morgen wiederzukommen.«

Ich wußte nun, daß ich sanft sein mußte zu ihm, weil er sich krank fühlte, und ich sprach leise und stellte keine Fragen. Ich hatte ein paar schöne Bücher mitgebracht und wollte ihm daraus vorlesen. Da stürzte plötzlich Earnshaw ins Zimmer. Er ging direkt auf uns zu, ergriff Linton beim Arm und warf ihn vom Stuhl herunter.

»Geh in dein eigenes Zimmer!« schrie er ihn an, und er sah schrecklich wütend aus, als er das sagte. »Sie kann dorthin gehen, wenn sie dich besuchen will. Ich lasse mich hier nicht austreiben von euch. Marsch, fort mit euch beiden!«

Er fluchte und ließ Linton keine Zeit zu einer Entgegnung, sondern schleuderte ihn zur Tür hinaus; und er drohte mir mit der Faust und hatte nicht übel Lust, mich niederzuhauen. Er warf die Tür hinter uns zu, und wir flüchteten in die Küche. Josef lachte heiser und rieb sich vor Freude die Hände.

»Eich hon et gewußt, datt er Eich enauswerfe dhät. Er' is en feiner Borsch! Er wääß et – jo, er wääß et grad su gut als eich, wer' hie der Här sein sullt, hiehä hä hää! Er hot Eich dichtig geschierelt! Hä hä hää!«

Linton war bleich und zitterte. O, er sah schrecklich aus, Ellen! Gar nicht mehr hübsch. Sein Gesicht war von hilfloser Wut ganz entstellt. Er rüttelte an der Türklinke.

»Wenn du mich nicht einläßt, töte ich dich! Ich töte dich!« so kreischte er fassungslos. »Satan! Satan! Ich töte dich – ich töte dich!«

Josef krächzte wieder.

»Do! Dat is der Vatter! Dat is der Vatter!« rief er. »Mir hon alsu doch aach vun seiner Seit ebbes in uns. Nor los, nor kä Angst, Bub – er kann dir neist dhun! Hä hä hä!«

Ich hielt Lintons Hände fest und versuchte ihn fortzuziehen. Aber er bekam einen furchtbaren Hustenanfall, Blut goß aus seinem Munde, und er fiel zu Boden. Ich lief entsetzt in den Hof und rief so laut ich nur konnte nach Zillah. Sie kam aus dem Kuhstall, und ich zog sie ins Haus und sah mich nach Linton um. Earnshaw trug ihn schon die Treppe hinauf in sein Zimmer. Mich ließ er nicht mit hineingehen, und ich stand draußen und weinte, bis die Wirtschafterin wieder herauskam. Sie sagte, es sei nicht sehr schlimm mit ihm; ich solle aber nicht mehr weinen, er könne es nicht vertragen. Sie führte mich ins Wohnzimmer, und ich weinte und weinte.

Ellen, ich hätte mir die Haare ausraufen mögen! Der Grobian kam wieder ins Zimmer und versuchte mich fortzutreiben und leugnete seine Schuld an Lintons Anfall. Und als sie mich schließlich dazu gebracht hatten, fortzureiten, hatte ich noch immer keine Ruhe vor diesem Menschen, den du so gern hast.

Er stürzte plötzlich aus dem Schatten am Wegrand hervor, hielt Minny an und rief mir zu:

»Miß Catherine, es tut mir sehr leid, aber es ist doch zu schlimm, daß –«

Ich gab ihm einen Hieb mit der Peitsche, weil ich Angst hatte, er wolle mich ermorden. Da ließ er mich los, und ich galoppierte halb von Sinnen nach Haus.

Am anderen Tag ging ich nicht nach Sturmheid. Ich fürchtete mich zu hören, daß Linton tot sei, und ich fürchtete mich, Hareton zu begegnen. Am nächsten Tag aber war ich mutiger und stahl mich wieder davon. Ich ging zu Fuß – um fünf Uhr hier fort. Die Hunde bellten, als ich dort ankam, und Zillah empfing mich und führte mich in ein kleines, sauberes, teppichbelegtes Zimmer. Wie groß war meine Freude, als ich Linton hier auf dem Sofa liegen sah; er blätterte in meinen Büchern. Aber er wollte weder mit mir sprechen noch mich ansehen. Eine ganze Stunde lang beachtete er mich nicht, Ellen. Und als er dann den Mund öffnete, so war es nur um zu behaupten, ich hätte den Aufruhr neulich verursacht, und Hareton treffe keine Schuld. Ich konnte gar nichts antworten, so empört war ich, und ich ging schweigend aus dem Zimmer. Er rief mir ein schwaches ›Catherine‹ nach. Aber ich drehte mich nicht um.

Am anderen Tag blieb ich zum zweitenmal zu Hause und hatte beinahe beschlossen, ihn nie wieder zu besuchen. Aber es war so traurig, zu Bett zu gehen und wieder aufzustehen und nie etwas über ihn zu hören. Es war unrecht gewesen, daß ich diese heimlichen Besuche anfing – jetzt schien es unrecht, sie wieder einzustellen. Michael kam und fragte, ob er Minny satteln solle. Ich sagte ›ja‹ und hatte das Gefühl, eine gute Tat zu tun, als ich wieder unterwegs war nach Sturmheid. Ich mußte, um nach dem Hof zu gelangen, vorn am Hause vorbei; es hatte keinen Zweck, mein Kommen verbergen zu wollen.

»Der junge Herr ist auf der Diele«, sagte Zillah. Ich trat ein. Earnshaw war auch da, aber er verließ sofort das Zimmer. Linton saß halb schlafend im großen Armstuhl. Ich stellte mich ans Feuer und hielt ihm eine Rede, mit der es mir fast ernst war:

»Da du mich nicht leiden kannst, Linton, und da du meinst, ich komme nur, um dir weh zu tun, so ist dies heut unser letztes Zusammentreffen. Laß uns Abschied nehmen. Und sage Mr. Heathcliff, daß dir nichts daran liegt, mich zu sehen, und daß er mir nicht wieder solche Lügen vorreden soll.«

»Setz dich, Catherine und nimm den Hut ab«, antwortete er. »Du bist so viel glücklicher als ich bin – du solltest auch besser sein. Papa spricht so viel von meinen Mängeln und verhöhnt mich so sehr, daß es natürlich ist, wenn ich an mir selbst zweifle. Ich denke oft, ich sei wohl wirklich so elend und überflüssig, wie er behauptet, und dann bin ich so bös und bitter – ich hasse dann jeden Menschen! Ich bin schlecht und übellaunig und langweilig, ich weiß es; und wenn du willst, so magst du mir Lebewohl sagen. Nur, Catherine, glaube mir: wenn es mir möglich wäre, so lieb und gut und herzlich zu sein, wie du es bist, dann wäre ich es! Und glaube: deine unverdiente Güte ist mir mehr zu Herzen gedrungen, als wenn ich deiner wert gewesen wäre. Und wenn ich auch launenhaft und ungezogen zu dir bin, so bedaure ich doch, daß es so ist, und bereue es und werde es bereuen, bis ich sterbe!«

Ich fühlte, daß er die Wahrheit sagte, und ich fühlte, daß ich ihm vergeben mußte, und hätte er im nächsten Augenblick wieder gestritten und wäre lieblos gewesen – ich hätte ihm wiederum vergeben müssen. Wir versöhnten uns; aber wir weinten alle beide die ganze Zeit, die ich da war. Ich war so traurig, daß Linton einen so verkehrten Charakter hat. Er kann nie seine Freunde in Ruhe lassen, und er wird selbst nie zur Ruhe kommen. – Am anderen Tag kam sein Vater zurück, und von da ab habe ich Linton immer in seinem eignen kleinen Wohnzimmer besucht.

Dreimal vielleicht waren wir froh und hoffnungsvoll, sonst immer trüb und bekümmert. Aber ich habe gelernt, Lintons Launen zu ertragen, und auch an sein Kranksein habe ich mich gewöhnt. Mr. Heathcliff geht mir anscheinend aus dem Wege; ich habe ihn kaum gesehen. Letzten Sonntag allerdings kam ich früher als sonst, da hörte ich, wie er Linton gräßlich ausschalt wegen seines Benehmens am Abend vorher. Er muß uns belauscht haben, denn wie konnte er sonst etwas davon wissen. Linton hatte sich wirklich schlimm aufgeführt, aber das war meine Sache und ging keinen sonst etwas an; und ich unterbrach Mr. Heathcliffs Vorlesung, indem ich eintrat und ihm das sagte. Er brach in Lachen aus und ging fort, nachdem er gesagt hatte, es freue ihn, daß ich die Sache so auffasse. Seitdem muß Linton mir seine Klagen immer leise sagen; ich lasse sie mir zuflüstern.

So, Ellen! Nun hast du alles gehört. Wenn man mich verhindert nach Sturmheid zu gehen, so macht man zwei Menschen unglücklich; wenn du hingegen Papa nichts sagst, so würde mein Besuch dort niemanden stören. Du wirst nichts sagen, nicht wahr? Es wäre herzlos, wenn du es tätest!«

»Ich werde mir die Sache bis morgen überlegen, Miß Catherine«, antwortete ich. »Sie muß bedacht werden. Ich überlasse Sie also jetzt dem so nötigen Schlaf und gehe, mir den Fall zu bedenken.«

Ich bedachte ihn laut – in Gegenwart meines Herrn. Ich ging geradewegs von ihr zu ihm und erzählte ihm die ganze Geschichte, mit Ausnahme ihrer Gespräche mit Linton und Hareton. Mr. Linton war bestürzt und bekümmerter, als er mich sehen lassen wollte. Am anderen Morgen erfuhr Catherine, wie sehr ich ihr Vertrauen mißbraucht hatte, und sie erfuhr ferner, daß ihre heimlichen Besuche ein Ende hatten. Vergebens weinte sie und lehnte sich gegen das Verbot auf und beschwor ihren Vater, Mitleid zu haben mit Linton. Alles was man ihr als Trost gab, war die Zusicherung, daß ihr Vater ihm schreiben und gestatten wolle, wenn er Lust habe, nach Drosselkreuz zu kommen, daß er aber nicht mehr erwarten solle, Catherine auf Sturmheid zu sehen.


 << zurück weiter >>