Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Zehntes Kapitel.

»Schlafe nicht mehr!«

Macbeth.

Nachdem sie sich durch dunkle, labyrinthische Gänge gewunden, welche zu einer andern Reihe von Kellern führte, als diejenigen, durch welche der unglückliche Favart eingedrungen war, kam Gawtrey endlich am Fuß einer Treppenflucht heraus, die dunkel, schmal, und an vielen Stellen zerbrochen, wahrscheinlich für die Diener des Hauses in seinen glänzenderen Tagen bestimmt gewesen war. Auf diesen Treppen erreichten die Beiden ihre Bodenkammer.

Gawtrey stellte die Laterne auf den Tisch und setzte sich schweigend nieder. Morton, der seine Fassung wieder gewonnen und seinen Entschluß gefaßt hatte, starrte ihn einige Augenblicke ebenso schweigsam an, und endlich sagte er:

»Gawtrey!«

»Ich habe Euch gebeten, mich nicht mit diesem Namen zu nennen,« sagte der Falschmünzer; denn wir brauchen kaum zu sagen, daß er bei dem neuen Gewerbe auch einen neuen Namen angenommen hatte.

»Es ist der am wenigsten schuldhafte, unter dem ich Euch kennen gelernt,« antwortete Morton mit Festigkeit. »Es ist das letztemal, daß ich Euch damit anrede! Ich verlangte zu sehen, durch welche Mittel ein Mann, dem ich mein Geschick anvertraut, sein Leben fristete. Ich habe es gesehen,« fuhr der junge Mann fort, noch immer fest, aber mit bleicher Wange und Lippe, »und das Band zwischen uns ist auf immer zerrissen. Unterbrecht mich nicht; es ist nicht meine Sache, Euch zu schelten. Ich habe von Eurem Brod gegessen und aus Eurem Kelch getrunken. Euch blind vertrauend, und im Glauben, Ihr seyet wenigstens rein von jenen schwarzen, entsetzlichen Verbrechen, für die es keine Sühne gibt, wenigstens in diesem Leben, – mein Gewissen gelähmt durch Jammer und Noth, meine Seele eingeschläfert durch Verzweiflung – ergab ich mich einem Manne, der mich auf eine zweideutige, verdächtige, vielleicht unehrenhafte Lebensbahn führte, – aber doch, nach meinem Glauben, keine mit Abscheulichkeit und Blut befleckte. Ich erwache am Rand des Abgrundes – meiner Mutter Hand winkt mir vom Grab; ich meine ihre Stimme zu hören, während ich mit Euch spreche – ich trete zurück, so lang es noch Zeit ist – wir trennen uns, und für immer!«

Gawtrey, dessen stürmische Leidenschaft seine Seele noch mächtig festhielt, hatte bisher in finstrem, trutzigem Schweigen, mit zornigen Runzeln auf seiner zusammengezogenen Stirne, zugehört, jetzt erhob er sich mit einem Fluche:

»Uns trennen! daß ich einen neuen Verräther los lassen soll in der Welt! Uns trennen! nachdem Ihr mich eben von einer That her kommen seht, die, wenn man nur davon flüstert, mich unter die Guillotine bringt! Uns trennen – nimmermehr! wenigstens nicht lebend!«

»Ich hab' es gesagt,« sagte Morton, ruhig die Arme faltend; »Ich sage es Euch ins Gesicht, obgleich ich Euch heimlich verlassen könnte. Seht mich nicht mit Stirnrunzeln an, Mann des Blutes! Ich bin so furchtlos wie Ihr! In einer Minute bin ich fort!«

»Ha! steht es so!« sagte Gawtrey, und schaute sich im Zimmer um, welches zwei Thüren hatte; die eine davon, durch die Bettvorhänge versteckt, stand in Verbindung mit der Treppe, auf welcher sie gekommen waren, die andere mit der Mündung der gewöhnlichen Haupttreppe; er wandte sich nach jener, die ihm ganz nahe war, schloß sie ab und steckte den Schlüssel in seine Tasche, und dann über die andere einen schweren eisernen Riegel werfend, welcher mit Knarren in seine Höhlung fuhr, stellte er sich mit seiner riesenhaften Masse vor die Schwelle, und brach in sein lautes, trotziges Gelächter aus:

»Ho, ho! Knecht und Narr! einmal mein waret Ihr mein, mit – Leib und Seele für immer!«

»Versucher! ich biete Euch Trotz! tretet zurück!« Und fest und unerschrocken legte Morton seinen Arm an des Riesen Wamms.

Gawtrey schien mehr erstaunt als entrüstet. Er sah seinen kecken Stubengenossen scharf an, auf dessen Lippen nur kaum erst der Flaum sich färbte.

»Knabe!« sagte er, »hinweg! wecke nicht wieder den Teufel in mir! Ich könnte Dich mit einem Druck meines Arms zermalmen!«

»Meine Seele kräftigt meinen Körper und ich bin bewaffnet,« sagte Morton, die Hand an sein Messer legend. »Aber Ihr dürft mir Nichts zu Leide thun, noch ich Euch; mit Blut befleckt, wie Ihr seyd, liebe ich Euch doch noch! Ihr habt mir Obdach und Brod gegeben; aber klagt mich nicht an, daß ich jetzt meine Seele zu retten suche, so lang es noch Zeit ist! – Soll meine Mutter mich vergebens auf ihrem Sterbebette gesegnet haben?«

Gawtrey trat zurück, und Morton ergriff, in plötzlicher Aufwallung, seine Hand.

»Oh! hört mich! – hört mich!« rief er in großer Bewegung. »Verlaßt diese entsetzliche Bahn; Ihr seyd dazu verrätherisch verlockt worden von einem, der Euch nicht mehr betrügen noch schrecken kann! Verlaßt sie, und ich will Euch nie verlassen! Um ihretwillen – um Eurer Fanny willen – haltet inne, wie ich, ehe der Abgrund uns verschlingt. Laßt uns fliehen! weit weg in die neue Welt – in jedes Land, wo unsre Muskeln und Sehnen, unsre starken Arme und Herzen einen ehrlichen Markt finden. Menschen, nicht weniger verzweifelt als wir, haben sich schon auf ehrliche Weise emporgehoben. Nehmt sie, Eure Waise, mit. Wir wollen für sie arbeiten, wir Beide. Gawtrey, hört mich. Es ist nicht meine Stimme, die zu Euch spricht – es ist die Eures guten Engels!«

Gawtrey sank gegen die Wand zurück und seine Brust arbeitete schwer.

»Morton,« sagte er mit erstickter und bebender Stimme; »geht jetzt! Ueberlaßt mich meinem Schicksal. Ich habe gegen Euch gefrevelt, schändlich gefrevelt. Es schien mir so süß, einen Freund zu haben; – in Eurer Jugend und Eurem Charakter war so Viel, um was sich die zähen Sehnen meines Herzens schlangen, daß ich es nicht ertragen konnte, Euch zu verlieren – Euch mich als den zu erkennen zu geben, der ich war. Ich täuschte – ich hinterging Euch hinsichtlich meiner frühern Thaten; das war schlecht von mir; aber ich schwur meinem eignen Herzen zu, Euch keiner Gefahr auszusetzen, und von jedem Laster rein zu erhalten, das meinen Pfad verdunkelte. Ich habe diesen Schwur gehalten bis diese Nacht, wo ich, weil ich sah, daß Ihr Euch von mir zurückzuziehen anfinget, und fürchtete, Ihr würdet mich verlassen, Euch für immer an mich zu binden glaubte, indem ich Euch in diese verbrecherische Kameradschaft verwickelte. Ich bin gestraft und mit Recht. Geht, ich wiederhole es – überlaßt mich dem Schicksal, das mir mit jedem Tage näher schreitend droht. Ihr seyd noch ein Knabe – ich bin nicht mehr jung. Gewohnheit ist zweite Natur. Noch – noch könnte ich bereuen, könnte ich das Leben von neuem anfangen! Aber ruhen – rückwärts schauen – Tag und Nacht heimgesucht werden von Erinnerungen an Thaten, die mir leibhaftig und Angesicht gegen Angesicht entgegen treten werden am jüngsten Tage –«

»Vermehrt nicht die Gespenster! Kommt – fliehet noch diese Nacht – noch diese Stunde!«

Gawtrey schwieg, unentschlossen und schwankend, als er in diesem Augenblick Schritte auf der Treppe unten hörte. Er fuhr auf – wie der in seiner Höhle gefangene Eber auffährt – und lauschte blaß und athemlos.

»Still – sie sind uns auf der Spur! – sie kommen!« und wie er dies flüsterte, drehte sich der Schlüssel von außen im Schloß – die Thüre schütterte.

»Nur gemach! – der eiserne Riegel schützt uns Beide – hieher!«

Und der Falschmünzer schlich an die Thüre der Nebentreppe. Er schloß sie auf und öffnete sie vorsichtig. Ein Mann sprang durch die Oeffnung.

»Ergebt Euch! Ihr seyd mein Gefangener!«

»Nimmermehr!« rief Gawtrey, schleuderte den Eingedrungenen zurück und schlug die Thüre zu, obgleich andere, kräftige Männer mit aller Kraft sich dagegen stemmten.

»Ho, ho! Wer will des Tigers Käfig öffnen?«

Vor beiden Thüren hörte man jetzt Stimmen.

»Oeffnet, im Namen des Königs, oder Ihr habt keine Schonung zu erwarten!«

»Bscht!« sagte Gawtrey, »noch ein Ausweg – das Fenster – das Sail!«

Morton öffnete das Fenster, Gawtrey machte das Sail auseinander. Der Morgen dämmerte schon; es war hell auf den Straßen, aber Alles draußen schien ruhig. Die Thüren knarrten und schütterten unter dem Andrängen der Verfolger. Gawtrey schleuderte das Sail über die Straße hinüber nach der gegenüberliegenden Brüstung; nach zwei oder drei vergeblichen Versuchen packte der am Ende angebrachte Haken und saß fest – der gefährliche Pfad war fertig.

»Fort! – schnell! – zögert nicht!« flüsterte Gawtrey; »Ihr seyd gewandt – es sieht gefährlicher aus als es ist, – haltet Euch fest mit beiden Händen – schließt die Augen. Wenn Ihr auf der andern Seite seyd – Ihr seht das Fenster von Birnie's Zimmer – steigt hinein – die Treppen hinunter – zum Haus hinaus – und Ihr seyd gerettet.«

»Geht Ihr zuerst,« sagte Morton in demselben Tone; »Ich will Euch jetzt nicht verlassen; Ihr braucht länger Zeit hinüber als ich. Ich will Wache halten, bis Ihr drüben seyd.«

»Horch! horch! seyd Ihr toll? Ihr Wache halten! Was ist Eure Stärke gegen die meinige? Zwanzig Mann sollen diese Thüre nicht bewegen, so lang ich mich mit meiner Wucht dagegen stemme. Schnell, oder Ihr richtet uns Beide zu Grunde, und dann könnt Ihr mir auch den Strick halten, er ist vielleicht für sich nicht stark genug meine Masse zu tragen. Halt! – nur noch einen Augenblick! Wenn Ihr entkommt und ich falle – Fanny – mein Vater, er wird sich, ihrer annehmen – vergeßt es nicht – Dank Euch! Vergebt mir Alles! geht! so ists recht!«

Mit festem Puls begab sich Morton auf die schauerliche Brücke; sie schwankte und ächzte unter seiner Last. Hastig mit den Händen sich fortschiebend – den Athem anhaltend – die Zähne übereinandergebissen – mit geschlossenen Augen arbeitete er sich hinüber – gewann die Brüstung – stand wohlbehalten auf der andern Seite, und fest seine Augen anstrengend, schaute er durch das offene Fenster in das gegenüberliegende Zimmer, das er eben verlassen.

Gawtrey stemmte sich noch an die Thüre nach der Haupttreppe, denn diese war die schwächere und heftiger bestürmte von beiden. Im Augenblick darauf hörte man den Knall einer Feuerwaffe; sie hatten durch die Dielen geschossen. Gawtrey schien verwundet, denn er taumelte vorwärts und stieß einen heftigen Schrei aus; noch einen Augenblick, und er gewann das Fenster – erfaßte das Sail – er hing über der gräßlichen Tiefe! Morton kniete an der Brüstung, hielt den Haken fest an seinem Platz mit krampfhaftem Griffe, und heftete seine Augen, mit Blut unterlaufen vor Angst und Bangigkeit, auf die ungeheure Masse In der Vorlage folgt hier ein »geheftet«, das syntaktisch obsolet – einem Versehen des Übersetzers geschuldet sein wird. – Anm.d.Hrsg., die an diesem schwachen Saile, in Gefahr des Lebens, hing.

» Le voilà! le voilà!« schrie eine Stimme gegenüber.

Morton erhob seinen Blick von Gawtrey dorthin; das Fenster war dunkel von den Gestalten der Verfolger – sie waren in das Zimmer gebrochen – ein Polizeibeamter war auf die Brüstung gesprungen, und Gawtrey, seine Gefahr erkennend, öffnete die Augen, und starrte, indem er weiterrutschte, seinen Feind an. Der Polizeimann erhob mit gutem Bedacht seine Pistole – Gawtrey blieb ruhig – aus einer Wunde in seiner Seite träufelte langsam und schwarz das Blut, Tropfen um Tropfen auf die Steine unten; selbst die Schergen des Gesetzes schauderten, als sie ihn sahen; – das Haar emporgesträubt – die Wangen weiß – die Lippen konvulsivisch von den Zähnen weggezogen, und die Augen starr glotzend aus dem Gesicht voll Todesqual und Drohung, worin noch immer die unbändige Kraft und der Trotz des Mannes sich aussprach.

Sein Blick, so fest, so starr, so finster, flößte dem Polizeimann Schauer ein; seine Hand zitterte beim Abfeuern, und die Kugel schlug in die Brüstung ein, einen Zoll unter dem Platz, wo Morton kniete. Ein undeutlicher, wilder, gurgelnder Ton – halb Lachen, halb Schrei – ein Ton des Hohnes und der Freude, entfuhr Gawtreys Lippen. Er schwang sich heran – nahe, immer näher – nur noch eine Elle von der Brüstung.

»Ihr seyd gerettet!« schrie Morton; aber in diesem Augenblick erfolgte eine Salve von dem verhängnisvollen Fenster – der Pulverrauch wälzte sich über die beiden Flüchtlinge – ein Aechzen oder vielmehr ein Geheul der Wuth, der Verzweiflung und der Todesangst machte selbst den Muthigsten, an dessen Ohr es drang, bleich.

Morton sprang auf und schaute hinab. Er sah auf den unebnen Steinhaufen, tief unten eine dunkle, gestaltlose, regungslose Masse – der mächtige Mann voll Leidenschaft und Leichtsinn – der Riese, der mit Leben und Seele gespielt hatte wie ein Kind mit den Spielsachen, die es bewundert und zerbricht – war jetzt, was der Kaiser und der Aussätzige gleicherweise sind, so bald das Gebilde aus Staub ohne den Athem Gottes ist – was Herrlichkeit, Genie, Macht und Schönheit für immer und ewig seyn würden, wenn kein Gott wäre!

»Dort ist noch Einer!« schrie die Stimme Eines der Verfolger. »Feuer!«

»Armer Gawtrey!« murmelte Philipp; »ich will Deinen letzten Wunsch erfüllen;« und kaum die Kugel beachtend, die an ihm vorbei pfiff, verschwand er hinter der Brüstung.



 << zurück weiter >>