Hermann Eris Busse
Heiner und Barbara
Hermann Eris Busse

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Festlicher Reigen

Endlich kamen die Sternenbrüder angewalzt mit ihren Instrumenten. Der Schneider Cyriak Trapp aus dem Hespengrund hatte sein Saxhorn mitgebracht. Auf der Tenne, wo jüngst noch die Dreschmaschine ihr Lebtag gehabt, sprang die Jugend der besten Familien, der ältesten Familien weitum, die alten und die neuen Tänze.

Es waren nach und nach noch andere Paare gekommen, sie wußten, daß sie auch ohne Einladung keine ungebetenen Gäste waren. Die Dannerin trat einmal mit Severin in die Einfahrt und schaute dem Treiben zu. Es lockte sie sogar zum Tanzen, aber das konnte sie doch nicht als eben auferstandene Kindbetterin; der Severin indessen nahm sich die junge Gevatterin Barbara von Heiners Seite mit festem Bauerngriff aus den Reihen der Tanzenden und tollte mit ihr den Schiwalzer. Pia lächelte über ihn, der vielleicht noch eine oder zwei Tassen vom guten Kaffee vertragen könnte, auf daß er die Würde eines Vaters nicht 78 vergäße. Der Heiner stand ja mit glosenden Augen da wie ein Bursch, dessen Schatz etwas geschieht. Soll der doch froh sein, wenn der Vater die Städterin überhaupt beachtet! Städterin? Allerdings mit einer langen bäuerlichen Ahnenreihe.

Tanzen macht Durst. Jetzt war es Zeit, ein Fäßlein Bier anzustecken. Die Runzbrüder als Wirtsleute gingen ans Werk. Gleich stand draußen an der Hauswand auf dem Faßbock das begehrte Naß, und der taubstumme Fuhrmann Vinzenz begriff schnell, wozu man ihn gut brauchen konnte. Er machte den Schenken und sah mit der Sorgfalt, die vielen klugen Krüppeln zu eigen ist, darauf, daß nichts vergeudet wurde. Das treffliche Bier aus der kleinen, weit bekannten Brauerei in der Ebene drunten, aus Ulm am Rhein, nicht an der Donau, mundete alt wie jung köstlich. Da kam sogar der ehrwürdige Dannergroßvater Florian selber mit einem grauen Steingutkrügle ans Faß und lachte, daß sein ledergelbes Gesicht nur noch aus Falten bestand.

Die Frauen empfanden es auch heiß in den Stuben. Der Herbstmond kochte mit sanftem Feuer die Trauben an den Stöcken noch bis zur Edelreife weich. Die Frauen traten deshalb gleichfalls in den Hof und ließen sich nur mit kleinem Widerstand bereden von den Männern, auch einen zu lupfen.

Ein so gemütliches Tauffest, reich bestellt mit Speis' und Trank, ging vonstatten, als wären alle gleichen Wesens und gleichen Blutes! Der gleiche Lebenssaft floß wohl auch in mehr oder weniger großer Stärke in allen, weil alte Familien einer alten Landschaft stets miteinander versippt sind, sei es auch nur durch 79 sieben Suppenschüsseln, wie die Redensart meint, durch die weit zurückliegende Geschwisterschaft von sieben Geschlechtern. Ja warum von Geschlechtern? Weil doch jede rechte Frau eine eigene Suppenschüssel mit in die Ehe bringt. Oha!

Die Runzbrüder waren richtige Spielmeister. Wo sie ein Fest besuchten, ging es nach ihrer lustigen und unterhaltsamen Ordnung zu. Jetzt befahlen sie auch die Alten zum Antreten und alle mußten mit. Sie befahlen selbst die beiden Säuglinge mit und den Dannergroßvater, alle Aufwartmädchen und Knechte und Säger, den Geißenbub, das Kindsmägdle, das sie gedungen hatten, den Helmut zu warten. Franz und Xaver sahen scharf darauf, daß kein Mensch in Stall, Küche, Stube zurückblieb. –

Jetzt kam die große Polonaise durch Hof und Scheuer, Ställe und Gänge und Stuben, um die kleinen Nebengehäuse herum, hinauf an den Waldrand, ein Stücklein in die sinkende Sonne hinein, den schmalen Pfad am Meisenbuck hinunter, hintereinander, und an den Reben entlang, ein lustiger Flurumzug.

Der Schneider Cyriak Trapp mußte voraus, der kleine Mann mit dem großen Saxhorn, dahinter die mächtigen Zwillinge mit den gewaltigen Instrumenten, die eine Tonfülle hatten wie Kirchenorgeln, dahinter die Mütter mit den jüngsten Herren der Sippe, dahinter Paar um Paar, wie es sich gab. Da durfte sich niemand zieren. Die Mütter fanden es leichtsinnig, so über Stock und Weg das zarte Leben ihrer Brustkinder zu tragen, doch sahen sie sich nur in glücklicher Besorgnis in die Augen. Das war nun freilich noch 80 nie dagewesen. Die Brüder Runz konnten doch alles erzwingen.

Ho, nun standen sie nebeneinander wie die Riesenkerle des preußischen Königs, ihre Beine wuchtig wie Säulen, ihre Hintern und Rücken wie die großer Elefanten, und ihre Stimmen klangen an das urweltliche Brüllen Hagenbeckscher Tiere an.

Eins, zwei, drei, vier – Einsatz der Musik, noch marschierten sie nicht, schlugen nur mit den Köpfen den Takt, die Leute sollten sich erst an das Marschmaß gewöhnen; jetzt aber bei der Wiederholung los!

So zogen sie dahin, Alte, Jüngere und Junge, summten die Marschweise mit, lachten, gaben sich Mühe, im Takt zu bleiben. Der Goldschmied Onemus hatte den Zylinder aufgesetzt und aus der Kammerecke den mächtigen blauen Schirm mit roter Kante hervorgeholt, der beim Spinnrad als geachteter Urväterkram seit Menschengedenken stand. Er klemmte ihn auf drollige Art unter den Arm, schritt mit seinen dünnen, langen Beinen in der feinen gestreiften Hose und dem Schwenker komödiantenhaft neben der jungen Hurst, die vor lauter Lachen fast nicht weiter konnte. Der Doktor Bachroth, der dahinter mit der kichernden Annette stapfte, sagte ziemlich laut: »Na, die Petra macht doch sicher die Hosen naß vor Lachen!«

Hinter Bachroth kamen Daniel Hurst und Mariann, dann das Dorettle mit dem ernsten Niklaus, dann der alte Großvater Danner mit dem Gutacher Maidle und die Gutacher Gotte mit dem Vater Danner, dann kamen die Säger mit den Mägden, Frauen mit den Taglöhnern, zuletzt schritten frei und leicht, seltsam abgesondert von den andern, ohne es in Wirklichkeit 81 zu sein, Barbara und Heiner. Sie berührten sich kaum, es trennte sie viel, so sehr sie einander zugetan waren. Ihre Lustigkeit war nicht gestiegen, nach der Schnelldichterei Barbaras hatte sie sich kaum merklich abgekühlt. Der Heiner spürte es wohl; das wird halt das Städtische sein, dachte er.

Es ging ja heute auch ein bissel grob zu, laut und derb. Schon wie der Schneider sein Saxhorn quäken ließ, war frech genug, bald wie Kinderquärren in der Wiege, bald wie der Aufschrei einer Magd, die jemand in den Schenkel pfetzt, bald wie das Runksen einer Sau, wenn man ihr Fressen hinschüttet, bald wie das Krähen eines ganz jungen Gockels, bald wie das Gackeln einer Henne, die ein Ei gelegt hat.

Heiner konnte es begreifen, daß die feine Barbara Bachroth daran keine Freude haben konnte und womöglich an die Bälle im Kurhotel mit den vornehmen Kavalieren dachte, die nach Kölnisch Wasser rochen und die Beine kaum bewegten, wenn sie tanzten, und dennoch rundherum und vorwärts kamen wie Hexenmeister. Das war nicht so anstrengend wie hier, wo ihnen allen, auch der schlanken Barbara, die Schweißperlen auf der Stirn standen und der Atem nach Bier roch. Heiner faßte ihre Finger nur leicht an, er schämte sich, sie fühlen zu lassen, wie heiß seine Hand war.

Die beiden Mütter hatten sich, als der Zug durch die Kammern, die Ställe und Stiegen gezogen, fast unmerklich aus dem Reigen gestohlen und saßen nun selband mit ihren suckelnden Brustkindern in der Schlafstube und erzählten sich leise, wie alles zugegangen war. Die Christina hatte wegen der Mariann 82 nur ein Lob, das Mädchen habe einen großen Einfluß auf die dalbrigen, aber gutherzigen Dinger gehabt, sie seien wirklich im Haushalt eifriger geworden und auf der Straße stiller und feiner.

»Der Vater läßt ihnen eben, seit sie auf der Welt sind, alles zu, das ist ein närrischer Gesell, Pia, wenn ich da anfinge zu erzählen, was der für Faxen oftmals im Kopf hat, da verging die Nacht.«

Ja, die Pia gab es zu, daß sie früher nicht verstehen konnte, daß sich die Schwester diesen Mann gewählt hatte; aber sie sei doch darauf gekommen, wie tüchtig und gut der Schwager Anton sein Leben gebaut habe, alles ganz peinlich, ordentlich, nicht wahr, und die Christina habe sicherlich ein sorgloses Dasein.

Die Christina gab das strahlend zu. Auch die Jungfern gediehen brav und sähen gewiß so aus, als würden sie nicht sitzen bleiben; sie hätten ja auch eine rechte Mitgift zu erwarten.

Die Kinder ließen nun ab vom nahrhaften Quell und sanken in seliger Ermattung in Schlaf. Die Mütter sprachen leise über die Kinder und schauten in die der Welt entsunkenen Gesichter. Die Kammerfenster waren geschlossen, die große Wälderuhr tickte gemächlich im Kasten. Der Lärm der Festgäste kam von weit her, immer weiter her. Die beiden Mütter vernahmen alles wie im Traum. Sie lehnten in den Ecken des breiten, hohen, mit Wachstuch bezogenen alten Bauernsofas, und die Müdigkeit überfiel sie, wie sie ihre gesättigten Knaben überfallen hatte. Dämmerung ging nieder in die leuchtende Abendlandschaft, nahm in der Kammer zu, wie um das Geheimnis der schlafenden Mütter zu wahren. 83

Niemand vermißte sie. Die Gäste saßen wieder in den Stuben, die Musik war verstummt, alle hatten von dem langwährenden Reigen, von dem vielen Gelächter und dem letzten Walzer Hunger und Durst bekommen, als hätten sie den ganzen Tag noch nichts in den Magen getan. Sie freuten sich auf den Kartoffelsalat mit den herrlichen Bratwürsten, wozu der Danner einen Klingelberger aufstellen ließ, der vor allem die zünftigen Weinschlürfer, wie den Bachroth und den alten Hurst, der sich nun auch zugesellt hatte, wie die Runzbrüder und den Holzhändler Norbert Huck und ein paar andere, die am Abend auf den Sägbauernhof gekommen waren und werte Gäste wurden, der alle zünftigen Weinschlürfer in Staunen versetzte: das war doch, nundedie, ein Tropfen, meine Herren!

Der Bachroth hatte einen roten Kopf, er sah aus, als wollte ihm das angeheizte Blut aus der Haut springen. Er sagte sich jetzt: Bachroth, du hast genug! Dem Klingelberger konnte er jedoch nicht widerstehn, aber, Bachroth, nit z'viel, mußte er mahnen.

Barbara sah es dem Vater an, daß er seine breite Fröhlichkeit verloren hatte, daß er in heftigem Kampf mit sich selber stand; sie kannte ihn ja in- und auswendig.

Er vergaß nie, daß er Arzt war, ein Arzt, ohne den manche Frauen keine Kinder auf die Welt bringen konnten, ohne den bei manchem Kind das Bauchweh nicht verging, bei manchem Verunglückten das Bein nicht richtig geschient wurde, ohne den mancher Greis den Tod nicht leicht fand. Wo der Bachroth ins Haus kam, richtete sich der Mutloseste an seiner starken und 84 trostkundigen Art auf. Er war nicht derb an Krankenbetten, so derb er sonst sein konnte. Derbe, raunzige Ärzte gibt es wie Sand am Meer. Bachroth war mild und gütig; trotzdem wußte der größte Dickkopf auf dem Krankenlager, daß er aufs strengste den Anordnungen des Doktors folgen mußte.

Barbara trat hinter des Vaters Stuhl, strich ihm, als geschähe es nur im Vorbeigehen, mit der Hand über den Hinterkopf. Bachroth wußte, was das hieß. Die Barbara hatte besondere Gewalt über ihn, sie war ganz die Tochter der schönen, unwiderstehlich klugen Dorothea Schauenburg, der ersten Frau des Doktors, die ihm so rasch an einer Blinddarmentzündung hinweggestorben war. Dorothea hatte ihn auch so fein und zärtlich zu mahnen verstanden.

Er ließ den Klingelberger in vollstem Genuß langsam über die Zunge laufen und gab dem Danner sein Urteil ab. Dann stand er auf, tat, als ginge er nur einmal hinaus. Barbara folgte ihm gleich, und Heiner schob sich aus der Tür. Barbara hatte ihm gesagt: »Tu mir den Gefallen und hilf ganz heimlich einspannen. Der Vater muß fort. Dann sag drinnen deinen Leuten, der Doktor hab' unerwartet fortmüssen.«

Heiner war beglückt und stolz, daß er wie zu Bachroths gehörig behandelt wurde. Draußen lobte ihn der Doktor mit etwas schwerer Zunge mächtig: »Junge, du wirst recht. In Tirol, mei, da kannst du etwas erleben!«

Dann fuhren die Doktors davon. Helga, besonders gut gefüttert, griff aus wie ein Rennpferd. Heiner 85 lauschte ihnen nach, bis das Räderrollen nicht mehr vernehmbar war und richtete dann den Bachrothschen Auftrag in der Stube aus. Aber es ging eine Weile, bis er den Vater fand. Der Danner hatte plötzlich gemerkt, daß die Frauen fehlten. Der Onemus wußte nichts von ihnen. »Oh, derangiere dich doch nicht, Schwager, die halten einen Schwätz miteinander. Morgen in der Früh muß doch wieder geschieden werden.«

Trotzdem trieb es Danner, die Frauen zu suchen. Wenn Pia nicht die Augen über allem hatte, war ihm nicht wohl. Jeder der Gäste bekam zwar sein Sach richtig, aber die Pia, die hielt eigentlich alles so zusammen. Er wollte auch nicht, daß die Jungen zuviel tranken und in den dunklen Schatten von Scheuer, Mühle und Laube herumdisselten. Die Pia, so schien es ihm in seiner leichten Benebelung, könnte das alles hindern.

Er betrat die Schlafkammer. Da beschien der liebe Mond die beiden Frauen mit den Kindern im Schoß und ließ bei beiden die entblößten Brüste wie silberne Kugeln leuchten. Danner blieb scheu und doch von Lachen in der Kehle gekitzelt unter der Tür stehen. Was sollte er eigentlich tun, damit die aufwachten, ohne zu erschrecken? Er machte am besten die Tür wieder zu, ging in den Gang und rief nach Pia. So war sie es gewöhnt, das hatte sie schon oft gehört. Es half. Er hörte, wie die Frauen, aufgewacht, lachend sagten: »Wieviel Uhr ist es denn? Jesses, wenn uns jemand so gesehen hätt'!«

Kurze Zeit darauf kamen sie mit erfrischten Gesichtern – schau, schau, wie die sich verstellen können! 86 dachte Severin – herbei und setzten sich unter die schmausenden Gäste.

Es wurde noch einmal getanzt. Pia hatte gleich gemerkt, daß junge Paare fehlten, auch Mariann und Nikolaus; da ließ sie einen Walzer, dann einen Galopp aufspielen, und alle kamen herbei. »Einen Rausschmeißer jetzt noch«, riefen die Brüder, von Pia dazu angewiesen, und das war der Anlaß auch für die anderen, aufzubrechen.

Eine Stunde danach war es still im Sägbauernhof. Christina schlief mit Kind und Mann in der Gaststube, die Mädchen beisammen in Marianns Kammer. Es waren alle Mannsleut, die ganzen und die halben, mit einem kleinen Zungenschlag behaftet, als sie zu Bett gingen. So war es gut und würdig an einer Taufe im eigenen Haus. Räusche sollten sich die Leute gefälligst im Wirtshaus holen, das war der Willen der Pia, den sie, staunenswert fand es auch der Dannergroßvater Florian, wirklich durchgesetzt hatte.

 


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