Felix Dahn
Julian der Abtrünnige
Felix Dahn

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Neunundzwanzigstes Kapitel

Ach! Ich bin so glücklich, Lysias! Was bedeutet die undankbare Mißgunst des Imperators gegenüber dem tiefen, herzbeseligenden Glück, das mir seine holde Schwester gewährt. Und der Verkehr mit einem Freunde wie dieser Serapio, mit dem ich alle Fragen der Weltweisheit durchstreiten kann! (Denn allerdings ist er fast in jeder anderer Meinung als ich!) Und das Vertrauen auf einen Freund wie diesen Jovian, auf dessen Pflichttreue ich fast mehr als auf die eigene bauen darf! (Denn er hat mehr Ruhe und Stete, obzwar weniger Begeisterung!) Und dann bleiben doch auch allnächtlich ein paar Stunden für die geliebten Bücher. Maximus und Libanius und Priscus senden mir bis hierher, bis in den Schnee dieser schmutzigen Kelteninsel von Paris, ihre Schriften. Der ganze Tag freilich und ein großer Teil der Nacht geht über den Geschäften, ach den Sorgen des Staates dahin. Aber ich brauche nur zwei Stunden Schlaf, wie auch Essen und Trinken mich nicht beschwert oder aufhält. Während des Mittagmahls – nicht eine halbe Stunde darf es währen – laß ich mir Plotin vorlesen.

Aber Plotin löst nicht meine Hauptfrage: Soll ich die beiden unerläßlichen Feldzüge des nächsten Jahres erst beginnen, nachdem ich die Vorräte aus Südgallien bezogen? (Constantius verlangt nur Steuern, sendet aber weder Geld noch Korn!) Dann muß ich warten bis Anfang Juli! Und alle diese Völkerschaften der Alemannen und der Franken haben Zeit, zusammenzulaufen. Oder soll ich losschlagen, ohne die Vorräte abzuwarten? Dann muß ich es daraufhin wagen, das Heer durch Beute in Feindesland zu ernähren, denn auf mehr als zwanzig Tage kann ich dem Mann nicht Mundvorrat aufbürden. Ich schwanke, ich zweifle . . .

 

Heute kam eine andere, ja die Lebensfrage für Gallien, für das ganze Abendland zur Entscheidung. Die Allermeisten – (und zweifellos die Besten!) – meiner Truppen sind germanische und keltische Söldner, dazu kommen Veteranen, eigentlich ausgediente Krieger jeder Abstammung, die für sich, für Weib und Kind, ein Gütchen in Gallien erhalten haben, das ihre Familien und etwa ein Knecht bebauen, während sie noch einige Monate Dienst leisten, aber vom Spätherbst bis Frühsommer zu ihren Penaten entlassen werden. Für fast alle diese Leute lief im vorigen Monat ihre Vertragszeit ab. Ohne sie bin ich wehrlos. Von den sechzehntausend Mann in ganz Gallien – nach neuen Aushebungen –, über die ich jetzt (nach Abzug der Bataver, die ihre Könige verloren haben) gebiete, sind zwölftausend solche Söldner oder freiwillig nach Vertrag noch dienende Veteranen.

Wohlan, nun hatten sich alle diese meine Besten: Primani, Cornuti, Braccati, Petulantes, Schildner, alle germanischen und gallischen Söldner verständigt, in neue Dienstverträge nur einzutreten, wenn ich ihnen im Namen des Augustus versprach, daß sie nur zur Verteidigung Galliens verwendet, niemals aber über die Alpen nach Italien oder über die Pyrenäen nach Spanien oder gar in irgendeine entlegenere Provinz geführt werden würden.

Das Verlangen ist voll begreiflich und voll begründet. Die Germanen unter ihnen wollen nach Ablauf ihrer Dienstzeit über den Rhein zu ihren Stammesgenossen. Diese Söldner fechten ohne weiteres wie gegen ihre germanischen Volksgenossen überhaupt, so meist auch gegen ihre eignen Stammesgenossen; und das wird ihnen von diesen selbst nicht verdacht. Keineswegs aber wollen sie in unserm Dienst für immer auf- und untergehn; haben sie unter unsern Fahnen Abenteuer, Genuß, Beute, Ruhm genug gewonnen, kehren sie zu den Ihrigen zurück. Nicht für immer wollen sie sich von der Heimat trennen, nicht durch die Alpen, die Meere, die Strudel unserer staatlichen Wirren den Rückweg in den Heimatgau sich versperren lassen. Schon gar mancher Germane ward so, von uns geschult, später ein desto gefährlicherer Führer der Seinen gegen uns. Von jenem Arminius, dem römischen Ritter, an und von Claudius Civilis, bis – unwillkürlich wollte ich schreiben: bis auf Merowech-Serapio, seinen späteren Urenkel. Der aber nicht nur, schon auch andere unvergleichlich Tieferstehende fangen an, in ihren Dienstverträgen den Kampf wenigstens gegen die eignen Stammesgenossen abzulehnen. Wenn das zunimmt . . .?

Die Kelten unter ihnen wollen ihr Gallien verteidigen, aber nicht verlassen, desgleichen die angesiedelten Veteranen, die ihr Gütlein und ihre Familien gegen die wilden germanischen Einfälle schützen, aber nicht dies Gallien räumen wollen, das ihnen wahre zweite Heimat geworden.

Obgleich ich nun gar nicht anders konnte als ja sagen – (denn weder vermochte ich die Leute zu zwingen, zu bleiben, mit viertausend gegen zwölftausend, noch sie zu entbehren) –, versicherte ich mich doch, vorsichtig – (wie mich der Imperator hat werden lassen) – seiner ausdrücklichen urkundlichen Ermächtigung. Vor kurzem traf sie ein, mit dem Reichssiegel gesiegelt. Ich beschied nun die ganze Menge der Ausgedienten – (sofern sie aus den bedrohten Kastellen berufen werden konnten) – hierher nach Paris – (es kamen über zehntausend Mann) – und schloß den neuen Vertrag mit ihnen ab.

Ich sage dir, das war eine gar feierliche Handlung, mit allen Formen des Rechts und gar manchen Götterglaubens gefestigt. Weit westlich von meinem kleinen Palatium, aber wie dieses südlich des Flusses, dehnt sich eine beträchtliche Ebene, deren Waldbestand großenteils beseitigt ist, Lehmgruben Platz zu machen. Hierher beschied ich die Scharen, nach ihren Kohorten geordnet. Es war ein heller, warmer Tag im März; schon flogen die ersten Falter. Die Sonne hatte schon seit Wochen den schnell geschmolzenen Boden getrocknet.

Hell glitzerte sie an diesem Frühlingsmorgen auf die Waffen der Krieger. Das Herz im Leibe lachte mir; auch auf meiner bleichen Helena Wangen, die mich in offner Sänfte begleitete, riefen die Lenzlust, der Sonnenschein, der prächtige Anblick der mich mit Freudenrufen begrüßenden Scharen, ein flüchtig Rot. Ich ließ die Führer zu mir bescheiden, las ihnen das Schreiben des Augustus vor, zeigte ihnen seine Unterschrift, sein Siegel, ließ es ihnen durch Dolmetscher in das Keltische, dann in die Mundarten der Alemannen, Franken, Thüringer, Quaden, Markomannen, Sachsen und Friesen übersetzen. (Denn diese Germanen verstehen nicht oder nur schlecht untereinander ihre greulichen Mundarten, die wie das Gekrächze von Sumpfvögeln klingen.)

Nachdem sie es verstanden (es mußte ihnen dreimal verlesen werden, das feierliche Versprechen, daß sie nie gegen ihren Willen aus Gallien könnten abbefehligt werden), forderte ich sie auf, nun dem Imperator aufs neue den Eid zu leisten, wie jeder wollte, auf ein Jahr oder auf mehrere. Das taten sie denn; ihre Führer sprachen ihnen die Schwurformel vor, und die Leute wiederholten sie auf griechisch, auf lateinisch – (die meisten) –, andere auf keltisch und in jenen unsprechbaren germanischen Sprachen. Sie schworen dann bei Christus, bei Zeus, bei Jupiter, bei den keltischen Göttern Hesus und Teutates und bei den – ganz unmöglich – benannten der Germanen.

Das war nun recht lehrreich zu betrachten, und ich flüsterte meiner holden Helena zu: »Was mag Helios empfinden, sieht er und hört er mit an, wie diese Tausende statt nur bei seinem Namen, bei so vielen Dämonen und bei dem Galiläer Eide tun?«

Aber es sollte für mich bei solch lehrhafter Betrachtung nicht bleiben. Als die Scharen die Eide geleistet hatten, traten ihre Führer wieder an mich heran, der ich mein Pferd schon wenden wollte. (Denn mich reute die vergeudete – »verschworene« möchte ich sagen; wie »vertrunkene«, »verspielte«, oder ist es doch zu gesucht? – Zeit, und mich rief es zu Plotin und Maximus.) Und sie sprachen ehrerbietig, aber bestimmt: »Wir haben geschworen; nun schwöre du.«

Ich stutzte. Aber der Führer der Cornuti – (Bainobauds Nachfolger, ein Franke, Nevitta, ein ausgezeichneter Krieger) – sprach: »Dich kennen wir, o Cäsar. Wenig kennen wir den Imperator Constantius. Ich zweifle nicht gerade an seinem Wort . . .« – »Schweig, Unseliger!« rief ich erschrocken. »Aber«, fuhr der Tollkühne fort, »wir wollen dein Wort: des Mannes, den wir kennen. Und da man unserem Worte, das wir Germanen immer halten, nicht geglaubt, uns Eide abverlangt hat, so verlangen auch wir Eide. Denn worttreuer und tapfrer als die Germanen ist kein Volk auf Erden.«

(Diese Hochmütlinge! Wie das in den Kerlen steckt, altvererbt! Mir fiel der Bericht des Tacitus ein, nach welchem, fast mit den gleichen Worten, Gesandte der Friesen zu Rom unter Nero sprechen. Mein wackerer Nevitta hat gewiß nie Tacitus gelesen, und er braucht den gleichen Ausdruck wie jene Germanen vor dreihundert Jahren!)

So blieb mir nichts übrig, als ihnen den Willen zu tun. Und so schwor ich denn – (wieder einmal!) – bei dem Galiläer und bei Zeus und Jupiter und bei allen verlangten Göttern der Kelten und Germanen. Ja, die Quaden und Markomannen rissen ihre Schwerter heraus, stießen sie mit den Griffen in die Erde und baten, ich möge eine Schwertspitze berühren und dabei schwören. Ich tat's. »Nun bist du«, riefen sie mit sonderbarem Vergnügen, »bist du im Falle des Eidbruches unsern Schwertern verfallen!« Diese Aussicht schien sie lebhaft zu erfreuen; mehr als mich!

Darauf kamen Söldner aus dem Sachsen- und Friesenstamme von der Schar der Cornuti und meinten treuherzig – (einer ihrer Führer, Sigiboto, verdolmetschte es mir) –, sie verehrten mich seit dem Tage bei Straßburg so hoch, daß sie mich würdigten, ihr Blutsbruder zu werden; ich solle ihnen, wie sie mir, Blutsbrüderschaft schwören, indem wir unser Blut in Wein mischten und tränken. Ich dankte lebhaft für die Ehre. Welche Frechheit! Welche Überhebung dieser Barbaren! Als ich es entrüstet Serapio, der zu Hause geblieben war, erzählte, zuckte er die Achseln und sprach mit jenem seltsam stolzen Lächeln, dessen Grund ich noch nicht ergründet habe – (»Grund ergründen« ist hübsch, nicht?) –: »Das war ein Fehler, Julian. Du mußtest dir diese stahlharten Männer unlöslich verpflichten durch Eingehen auf ihren dich ehrenden Vorschlag.« – »Aber . . .!« rief ich. »Ein Cäsar sein Blut mischen mit unebenbürtigen Barbaren? So meinst du, das ist dein Gedanke. Und dieser Gedanke ist, so hoffe ich – deine Torheit. Und diese deine Torheit, die Unterschätzung unserer Eigenart, ist – vielleicht – euer Verderben und unsere Rettung. Vielleicht, sage ich, denn erst der Ausgang wird es lehren. Wir beide werden's nicht erleben!« Und er verstummte, wie schon so oft, kam das Gespräch auf diese Fragen. Er verbirgt hier schwerwiegende Gedanken. Aber bei nächster Gelegenheit zwinge ich ihn, sie auszusprechen.

 


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