Dante Alighieri
Die Göttliche Komödie
Dante Alighieri

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Dreiundzwanzigster Gesang

  1. Wir gingen einsam, schweigend, unbegleitet.
    Ich hinterdrein, der Meister mir voraus,
    Wie auf dem Weg ein Franziskaner schreitet.
  2. Mir mußte wohl der Teufel wilder Strauß
    Äsopens Fabel ins Gedächtnis bringen,
    Worin er spricht vom Frosch und von der Maus.
  3. Denn wer Beginn und Schluß von beiden Dingen
    Mit reiflicher Erwägung wohl verglich,
    Dem konnte Jetzt und Itzt nicht gleicher klingen.
  4. Und wie aus einem der Gedanken sich
    Der zweit’ entspinnt, so mußt’ ich weiterdenken,
    Und doppelt faßte Furcht und Schrecken mich.
  5. Ich dachte so: Die sind in ihren Ränken
    Durch uns gestört, beschädigt und geneckt
    Und müssen drob sich ärgern und sich kränken.
  6. Wenn dies zur Bosheit noch den Zorn erweckt,
    So werden sie uns nach im Fluge brausen,
    Wie wild ein Hund sich nach dem Hafen streckt.
  7. Schon fühlt’ ich mir das Haar gesträubt vor Grausen,
    Und rückwärts lauschend, rief ich: "Meister, flieh!
    Verbirg uns wo in diesen FeIsenklausen.
  8. Die Grimmetatzen kommen schon. O sieh,
    Sie kommen schon mit einem ganzen Heere!
    So, wie ich sie mir denke, fühl’ ich sie!"
  9. Und er zu mir: "Wenn ich ein Spiegel wäre,
    Kaum faßt’ ich doch dein äußres Bild so klar.
    Als ich dein inneres mir leicht erkläre.
  10. Jetzt aber nimmst auch du mein Innres wahr
    Und kommst mir selber schon mit dem entgegen,
    Was für uns beid’ in mir beschlossen war.
  11. Und ist der Abhang rechts nur so gelegen,
    Daß man zum nächsten Schlund hinunter kann,
    So sollen sie umsonst die Flügel regen."
  12. Kaum sprach er’s, als die Teufelsjagd begann,
    Und mit gespreizter Schwing’, um uns zu fangen.
    Kam, nicht gar fern, der wilde Zug heran.
  13. Mein Führer eilte nun, mich zu umfangen,
    Der Mutter gleich, die aufwacht beim Getos
    Und nahe sieht die Flammen aufgegangen,
  14. Ihr Kind erfaßt und, nur um dessen Los
    Bekümmert, nicht um ihr’s, enteilt ins Weite
    Entkleidet noch und bis aufs Hemde bloß.
  15. Daß er herab am harten Felsen gleite,
    Streckt er sich rücklings an den steilen Hang,
    Der jenen Sack verstopft von einer Seite.
  16. Nie hat ein Mühlbach sich mit schnellerm Drang
    Aufs Mühlenrad durch seine Rinn’ ergossen,
    Als jetzt mein Meister, vor Verfolgung bang,
  17. Von jenem Felsenhang herabgeschossen,
    Mich mit sich nehmend, an die Brust gepreßt
    Und fest umstrickt, als Kind, nicht als Genossen.
  18. Kaum stand sein Fuß am Rand der Tiefe fest,
    So hörten wir sie über jenem Grunde,
    Doch er blieb ohne Furcht; denn nimmer läßt
  19. Die ew’ge Vorsicht, die im fünften Runde
    Als Diener ihrer Macht sie eingesetzt,
    Sie wieder vor aus diesem schmalen Schlunde.
  20. Getünchte Leute sahn wir unten jetzt
    Im Kreise zieh’n mit langsam-schweren Tritten,
    Matt und erschöpft, von Tränen ganz benetzt.
  21. Verhüllt die Augen von Kapuzen, schritten
    Sie träg dahin in Kutten, gleich der Tracht
    Der Mönch’ in Köln am Rheine zugeschnitten;
  22. Gold außen, blendend durch des Glanzes Pracht,
    Von innen Blei, schwer, daß von Stroh erscheinen,
    Die Friedrich für den Hochverrat erdacht.
  23. O Mantel, lastend unter ew’gen Peinen!
    Wir gingen, folgend, zu der Rechten mit,
    Aufmerksam auf ihr jammervolles Weinen.
  24. Doch so erschwert war durch die Last ihr Tritt,
    Daß neben uns, so oft wir vorwärts traten,
    Ein neuer Sünder durch das Dunkel schritt.
  25. Ich sprach: "Oh sieh dich um! ist wohl durch Taten
    Und Namen mir von diesen wer bekannt?
    Und sage mir’s, sobald wir einem nahten!"
  26. Und einer, der Toskanisch wohl verstand,
    Rief hinter uns: "Oh bleibt ein wenig stehen,
    Ihr, die ihr rennt durch dieses dunkle Land.
  27. Was du verlangst, kann wohl durch mich geschehen!"
    Da wandte sich mein Herr und sprach: "Halt an
    Und suche langsam, wie er selbst, zu gehen."
  28. Ich stand und sah nun zwei, die, um zu nah’n,
    Sich sehr anstrengten und sich weidlich plagten.
    Gehemmt von schwerer Last und enger Bahn;
  29. Dann, angelangt, mit keinem Worte fragten,
    Vielmehr nach mir den scheelen Blick gedreht,
    Sich unter sich besprechend, dieses sagten:
  30. " Der lebt, wie ihr am Zug des Odems seht,
    Und welcher Freibrief dient zu ihrem Schilde,
    Daß der und jener ohne Bleirock geht?"
  31. Zu mir dann: "Tusker, der du zu der Gilde
    Der Heuchler kommst, zu ihrem trüben Leid,
    Wer bist du? Sag’ es uns mit Huld und Milde."
  32. Und ich: "Mich hat die Stadt voll Herrlichkeit
    Am Arnostrand geboren und erzogen,
    Und diesen Körper trug ich jederzeit.
  33. Doch wer seid ihr, von deren Wang’ in Wogen
    Ein Tränenstrom so schmerzlich niederrinnt?
    Und was hat euch solch Übel zugezogen?"
  34. Und einer sprach: "Die gelben Kutten sind
    Von Blei, so schwer, daß ihr Gewicht der Wage,
    Die’s trägt, ein heulend Knarren abgewinnt.
  35. Lustbrüder waren wir von gleichem Schlage,
    Ich Catalano, Loderingo er,
    Von deiner Stadt erwählt an einem Tage,
  36. Weil sich zum Friedensstifter eignet, wer
    Parteilos selber ist – und wer wir waren,
    Zeigt beim Gardingo noch sich ringsumher."
  37. Und ich begann: "Das Leid, das ihr erfahren –"
    Doch schwieg und mußt’ an dreien Pfählen dort
    Gekreuzigt einen auf dem Grund gewahren.
  38. Als er mich sah, verrenkt’ er sich sofort
    Und haucht’ in seinen Bart mit lautem Stöhnen,
    Und Bruder Catalan sprach dieses Wort:
  39. "Der Angepfählte, dessen Klagen tönen,
    Gab einst den Pharisäern diesen Rat:
    Mög’ eines Tod fürs Volk den Zorn versöhnen;
  40. Nun liegt er nackt und quer auf unserm Pfad,
    Und fühlen muß er, wenn wir drüberwallen,
    Wieviel Gewicht von uns ein jeder hat.
  41. So wird sein Schwäher auch gestraft, mit allen
    Vom Pharisäerrat, durch den so viel
    Der schlimmen Saat für Judas Volk gefallen."
  42. Und wie ich sah, erstaunte selbst Virgil,
    Daß er gestreckt am Kreuz an diesem Orte
    So schmählich lag im ewigen Exil.
  43. Zum Bruder richtet’ er dann diese Worte:
    "Sagt, wenn ihr dürft, ist rechts die Straße frei,
    Und ist wohl eine Schlucht dort, die als Pforte
  44. Zu brauchen ist zum Ausgang für uns zwei,
    Ohn’ einen von den Teufeln erst zu bannen,
    Daß er zum Weitergehn uns Führer sei?"
  45. Und jener drauf: "Ihr geht nicht weit von dannen,
    So seht ihr einen Stein vom großen Rund
    Als Steg sich über alle Täler Spannen.
  46. Er ist nur eingestürzt ob diesem Schlund,
    Allein ihr könnt die Trümmer leicht ersteigen,
    Denn, schief sich lagernd, stehn sie aus dem Grund."
  47. Ich sah den Herrn das Haupt ein wenig neigen.
    Drauf sprach er: "Mußte doch der Teufel hier
    Sich wiederum in schlechtem Ratschlag zeigen."
  48. Und jener: "In Bologna merkt’ ich’s mir,
    Der Teufel sei ein Lügner stets, ein dreister,
    Ja, aller Lügen Vater für und für."
  49. Nun ging davon mit großem Schritt mein Meister
    Und schien ein wenig zornig und erbost,
    Und ich verließ die bleibeschwerten Geister
  50. Und folgte der verehrten Spur getrost.

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