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Das Wohltätigkeitskonzert

Meine Familie war wieder einmal recht geringschätzig gegen mich. Wenn ich sprach, spielte man Klavier, wenn ich Klavier spielte, sprach man. Nun ja: dem Onkel Alois blühte eine Rosette oben im Rock, der kleine Ludomir war damit geschmückt – – ich dagegen … Ich weiß nicht, was andern so leicht fällt – sie brauchen nur p–h! zu machen – ist für mich eine glatte granitene Mauer. Immer versuchte ich wieder hinaufzuklettern, höre die andern von jenseits jauchzen, sehe die geschwungenen Fahnen des Erfolges – – ich habe nie etwas, zu schwingen, ja manchmal kommt sogar die Fahnenstange über die Mauer und gibt mir unversehens eines auf den Kopf, was offenbar ein Irrtum in der Person ist. Ich hatte also keinen Orden.

»Du hast eben nichts geleistet …!« warf meine Frau ein, die unsrer Mißgeschicke Wurzel stets in mir sah und in meinem Herzen Salat stach.

»Nichts geleistet …? Deine Logik ist bewundernswert! Wer verdient denn, frag' ich, einen Orden, wenn nicht die, die nichts geleistet haben? Das wirkt auf sie wie Sauerstoff, unter diesem Anhauch wird ihr Staatsgefühl entflammt – nicht wahr – sie fahren auf vom Lotterbett, sie fangen an, sie heben die Welt aus den Angeln! Aber einer, der es schon hinter sich hat – versuch nur, gib ihm einen Orden –! das wirkt auf ihn wie Veronal, er tut nichts mehr, er legt sich darauf schlafen, sein Staatswert sinkt auf Null! Na, siehst du! Das ist meine Theorie …«

Doch Aglaja fuhr mit rücksichtsloser Stimme unbeirrbar fort, die Liste der Dekorierten im Morgenblatt zu lesen. Immer neue Kolonnen entstiegen den Spalten, marschierten an mir vorüber und wölbten lächelnd ihre wohlbesternte Brust. Da hieb ich auf den Tisch. Ich hatte es satt! Alle Morgen die Parade! Wenn ich will, so kann ich's auch. Also, ein Kriegskonzert, ich mache ein Kriegskonzert! Ich spiele für die Armen! Die Armen sollen ihre Kohlen haben. Mit Musik geht bei uns alles! Fertig!

In diesem Winter hatte ich ein neues Instrument erfunden und dies beschloß ich, vorzuführen. Es war das Oktavún. Ein Klavier, das nicht nur halbe Töne, sondern auch die Viertel-, Sechstel-, ja die Siebentel-Töne spielen kann. Unglaublich, wie das klang! Man konnte jeden Ton in immer dünnere Schnitten zerlegen wie einen Käse, und auf empfängliche Naturen mußten die Dünn-Töne magisch wirken. Ich hatte es halbkreisförmig bauen lassen, mit elektrischem Antrieb, die Tasten in mehreren Stockwerken übereinander, ein Instrument, das meine Frau zwar einen Fingerzirkus nannte – der Spieler mußte allerdings viel Ortssinn haben – das aber eine neue Welt von Klang, erschloß.

Unverdrossen übte ich. Mit jeder Stunde war ein neuer Kohlensack gewonnen. Das stachelte mich. Und noch etwas: Ein junger, leider unbekannter Meister, namens Diddeldorff, hatte da ein Stück erscheinen lassen, den »Kampf mit dem Drachen«, Rhapsodie nach Schiller, das für polychromatisches Klavier geschrieben und so begabt war, das man unbedingt dafür eintreten mußte. Es war mir eine Ehrenpflicht, Diddeldorff voranzugehen und für ihn einen Weg in den Fels der Öffentlichkeit zu sprengen. Ich übte, übte. Mein Üben war vor allem ein Kampf gegen mich selbst, gegen zehn bockbeinige Finger, die immer andres wollten, als man ihnen befahl und durch unberechenbaren Mutwillen verdarben, was man ihnen beigebracht. Eigentlich war er ein Kampf gegen meine Vorfahren, die mir diese neurasthenischen Finger leichtfertig übergeben und sich zurückgezogen hatten, und alles Üben hatte nur den Zweck, die Herren Väter, Vaterväter, kurz, die ganze Ahnenreihe in beiden Linien zu überwinden, ins Unendliche zurück. Welche Arbeit! Wenn ich gerade den Vater überwunden hatte, pfuschte die Urgroßmuter hinein – wenn ich diese anging, begann sich wieder der Großvater zu rühren – ach, immer neue Übungen brachen sich an den heimtückisch verschanzten Ahnen!

Endlich hatte ich's soweit, die Finger spazierten leidlich in allen Stockwerken, und da die Götter vor jeden Erfolg den Schweiß gesetzt, war ich sicher: Diddeldorff wurde eine Sensation!

Dieser Ansicht schien der Konzert-Unternehmer Gideon Reißer nicht zu sein, den ich aufsuchte, um ihn das Oktavun vorzuführen. Es war die erste Enttäuschung. Die Firma hörte den Kampf mit dem Drachen, schaukelte mit dem Kopf und sagte: »Es ist zwar sehr ausgefallen, sogar unerhört – – aaber –« kurz die Firma schien nicht recht anbeißen zu wollen, die Sache war zu neu. Sie spreizte die zehn Finger auf die Tischplatte, wiegte den Oberkörper und meinte, es ließe sich darüber reden, wenn ich – – nun, wenn ich – – nun, wenn ich mich entschließen könnte, eine Mitwirkung zu gestatten, die – kurz, es sei da eine junge Dame … schön … talentvoll … die die Firma einzuführen beabsichtige  … Fräulein Poldy Fimmelström. »Wie –?« »Poldy Fimmelström!« – Hm.« Es war eine schwedische Kostümtänzerin, ein neuer Stern, den die Firma Reißer entdeckt zu haben und von dem sie mehr zu erwarten schien, als vom Kampf mit dem Drachen auf dem Oktavun. Was blieb mir übrig? Ich mußte die mitwirkende Schwedin dulden, und Gideon Reißer ließ meterhohe Plakate anschlagen, aus deren oberer Ecke in wechselnden Farben Poldy Fimmelström die Leute anlächelte, während ich mit Diddeldorff und meinem Instrument unten in den kleingedruckten Zeilen spazieren ging. Nun, man sich fügen, um des Großen, um des Neuen willen, dem man dient.

Die Firma Reißer brachte auch einen Schutzpatron für diesen Abend auf, einen uralten, backenbärtigen Exzellenzherrn, der Beziehungen zu allen maßgebenden Gottheiten des Landes hatte und Schönwetter machen konnte. Er war vielleicht schon tot, hielt sich aber noch für lebendig, jedenfalls verstand er, sich durch Berührung mit den schönen Künsten und den Künstlerinnen immer wieder ins Leben zurückzurufen, kurz, er erschien in jedem bedeutenden Konzert und wurde von den jungen Damen hereingelotst, als ob er eben Urlaub vom Friedhof bekommen hätte. Alles dies wirkte zu seiner maßgebenden Autorität zusammen.

Als ich am Vormittag des denkwürdigen Abends, der das Oktavun bekannt machen sollte, zur Probe erschien, sah ich Fräulein Poldy Fimmelström. Es war eine rotgelockte, schwellende, manchmal überquellende junge Dame, die einen günstigen Eindruck von Schwedens Landwirtschaft hervorrief, während der magere, glatzköpfige Gideon Reißer wie ein Tempelhüter vor ihr stand und jede nahende Störung mit einem nervösen Pst, pst! abwehrte. Er erwiderte meinen Gruß nur flüchtig über die Schulter, hatte keine Zeit und sah seinem neuen Stern mit dem Interesse eines Astronomen zu. Hupp –! da war sie in der Luft. Die ganze Landwirtschaft wirbelte an mir vorüber. Sie führte eben, wie ich hörte, den »Tanz ums Glück« vor. Sie drehte sich um einen Kreis am Fußboden, in dem ein Butterstück oder ein Ei, kurz, irgend etwas Seltenes zu liegen schien, denn sie machte ein erstauntes, fast erschrockenes Gesicht, so oft sie hinsah, und schien sich selbst, bald fliehend, halb verfolgend, nachzuspringen und fangen zu wollen, was ihr aber nicht gelang. Man sah nur einen rosigroten, dicken Kreisel, der sich um etwas Imaginäres immer schneller drehte und hätte diese Evolution auch das irrsinnige Europa oder die tollgewordene Erde nennen können. Der magere Gideon klatschte lauten Beifall und folgte der Tänzerin mit den verzückten Blicken seines Namensvetters in der Bibel, als er den ersten Engel sah.

Dann half er ihr in den Mantel und führte seinen Schatz mit einer besorgten Zärtlichkeit weg, als geleite er eine eiserne Kasse, ohne für meinen Tonspalt-Apparat das geringste Interesse zu zeigen. Merkwürdig war auch, daß Poldy Fimmelström sich Kostümtänzerin nannte, denn was sie am Leibe hatte, ging bequem in einen eingeschriebenen Brief.

Ich sah ihr nach … Da sagte ein Mann, den ich bisher nicht bemerkt hatte, mit tiefer Stimme: »Was, dö kanns …?« Es war der Hausmeister und Saaldiener Josef Kortzfleisch, den ich für den Riesen Christophorus gehalten hätte, wenn er sich, vertraulich näher kommend, nicht durch den Likörgeruch von Christophorus unterschieden hätte. Vielsagender Stolz zwinkerte aus seinen Mienen: »Dös is nämlich … im Vertrauen, Herr Doktor, dös is mei Tochter …!«

»Ihre – Tochter, Kortzfleisch? – – sie ist doch aus Schweden …!«

»Gar ka Spur von Schweden; das is mei Poldi …«

Den Lenden dieses durchaus unschwedischen Mannes war also Reissers Terpsichore entsprungen, und die Firma schien sie »machen« zu wollen, wobei sich die Wärme persönlichen Anteils mit kühlem geschäftlichen Sinn zu einem Streben verbanden.

Wie sie sich auch nennen mochte, ob Kortzfleisch oder Fimmelström – am Abend machte Poldi Sensation. Der alte Exzellenz auf seinem Ehrensitz schien nur noch aus zwei großen, schwarzen Operngucker-Augen zu bestehen, er ließ keinen Blick vom »Tanz ums Glück«, und wenn er einmal den Kopf wandte, so nur deshalb, um verzückte Bestätigungen aus den Gesichtern der hinter ihm Sitzenden zu holen. Und der beifallsschwangere Saal folgte seinem Führer: Dreimal mußte die landwirtschaftliche Poldi ihre Nummer wiederholen, aus dem beifallsschwangeren Saal stürzten ihr heiße Winde von Beifall nach, der Exzellenz erschien mit leuchtendem Gesicht im Künstlerzimmer, legte der tiefatmend ins Sofa geworfenen Schwedin einen Schal um die Schultern, reichte ihr mit Huldigungsgezitter eine Limonade, knüpfte ihr die Schuhbänder zu und blieb auf Sklavenknien liegen, als das Knüpfen längst vorüber war.

Nach der Pause kam ich dran. Ich hatte es – nach Poldi Kortzfleisch – nicht ganz leicht; jedoch die neue Welt, die ich eröffnen, die Traumlandschaften Diddeldorffs, die Spiegelkammer unerhörter Harmonien, die ich zeigen wollte –, das alles flößte mir Vertrauen ein. Ich begann den Kampf mit dem Drachen. Eine stürmische Einleitung, worauf zwei Themen losgelassen werden: der Ritter und der Drache, wobei der Komponist durch eingefügte Siebenteltöne, durch auf- und ab- und ineinander gleitende Klänge die Angstgefühle schilderte, die beide vor einander hatten –, gewiß ein Zug vordeutender Psychologie, den Schiller sich entgehen ließ … Des Publikums bemächtigte sich immer tiefere Ergriffenheit, sie atmeten schwer, sie keuchten und saßen mit gesenkten Stirnen: es schien, ich siegte über Poldi Kortzfleisch. An der Saaltüre lehnte ihr Vater. Ich habe es immer vertreten: auf einfache Naturen wirkt das Musikgeheimnis am stärksten. Er schien gänzlich berauscht zu sein. So ging die erste Stunde hin, es kam zum Höhepunkt, wo das Volk zu rennen beginnt – –

Da gab es plötzlich einen dumpfen Sturz und Schlag. Der Boden dröhnte. Die Köpfe tauchten auf, Herr Kortzfleisch stürzte vor und griff mit beiden Armen nach dem alten Exzellenz, der, weiß Gott warum, von seinem Ehrenstuhl gefallen war und wie ein Besessener um sich schlug, wobei er unaufhörlich kreischte: »Begraben lassen, begraben lassen –!«

Ich weiß nicht, wen er damit meinte – mich? sich? Diddeldorff? – ich wollte nur die Stimmung retten, den Zwischenfall besiegen – noch gellte mir der Grabesruf des alten Herrn im Ohr – da geschah etwas, was mir heute noch irr erscheint, was die Volksseele, schwankend wie sie ist, in unberechenbarer Laune hervorstößt –: die Stimmung kochte auf, es gor, sie fingen an zu toben: »Weiterspielen …! Aussischmeißen …! Ruhig! Pscht! Erlauben Sie! Halts Maul …!«, die Leute sprangen von den Sitzen, es bildeten sich zwei Menschenknäuel, die Vierteltonpartei und ihre Gegner, aus Lämmern wurden Tiger, sie stürzten aufs Podium, zerhieben das Klavier – man glaubt nicht, wie schnell das geht – jeder Schlug fuhr mir ins Herz – berauschten sich an ihrer Wut, zogen sich die Stiefel aus, und schleuderten Noten, Sesselfüße, Spiegel, Hüte, Schirme, Stöcke, Stiefel, rasten, keilten sich untereinander – kurz, es war die Revolution in vollster Form, bis der Riese Christophorus erschien und Mann für Mann hinauswarf. Er mußte, so scheint mir, aus Versehen auch mich erwischt haben, denn wo war mein Hut, mein Überzieher … und warum lag ich plötzlich mitten in der Straße auf dem Bauch …?

*

Es war ein innerer Erfolg. Wenn die Leute streiten, hat der Künstler recht, rief mir eine innere Stimme zu. Allein, ich konnte an dem folgenden Morgen nicht frühstücken, denn noch immer litt ich an den Folgen des Konzerts. Noch immer brachte ich – seit jenem Schnellflug auf die Straße – die Kinnladen nicht auseinander. … Nebenbei bemerkt, hatte ich auch meinen Hut nicht wiederfinden können und Kortzfleisch hatte erklärt, ich hätte nie einen Überzieher gehabt … Dagegen hatte ich den Anblick eines groben Briefes der Firma Reisser, eines Schocks von Rechnungen – Spiegelscheiben, Luster, Sessel! – eines Dutzends von Zivilklagen, – die Leute wollten ihr Geld zurück – und einige Tasten, die sich im Geist zu einem Oktavun zusammenstellen ließen, wie man in Afrika aus einem Knochen auf einen gemeuchelten Missionär schließen kann. Außerdem schickte Diddelsdorf eine arrogante Visitkarte, in der er sich verwahrte – – Kurz, ich duldete die Gefühle des von Apollo geschundenen Marsyas, der ebenfalls ein Märtyrer des inneren Erfolges war.

Aglaja aber las mit ihrer rücksichtslosen Stimme das Morgenblatt. »Das von der rührigen Firma Reisser unlängst veranstaltete Wohltätigkeitskonzert hatte einen Reinertrag … über alles Erwarten … 3000 Kronen … Kohlen für die Armen gesichert … Riesenerfolg von Poldy Fimmelström … eine Bashkirtseff, Angelika Kauffmann, Ellen Key der Tanzkunst … wiedererstandene Fanny Elßler … Brillant-Medaillon … Armband … Lorbeerhain … Verlobung … Wir freuen uns, weiter mitteilen zu können, daß dem Saaldiener Josef Kortzfleisch für sein langjähriges Wirken und tatkräftiges Bemühen um die heimische Kunstpflege der »Verdienststern am violetten Band …« Was von mir stand, – laßt es mich lieber verschweigen! … »Untauglicher Interpret … ein junger Meister wie Diddeldorff hätte doch nicht nötig … peinliches Intermezzo, das zum Glück durch das beherzte Eingreifen besonnener Elemente …«

Kurz, sie gaben mir mit der Stange eins auf den Kopf.

Das war mein Orden.

Die Armen hatten ihre Kohlen, die Firma Reisser rieb sich die Hände, die Schwedin Poldi hatte ihre Brillanten, Herr Kortzfleisch seinen Orden – und ich, der ich das ganze inszeniert, der ich geübt, geschwitzt, gekämpft, der ich ihnen eine neue Welt – – ja ich, ja ich – – ich machte eine wundervolle persönliche Erfahrung: am sichersten ist der eigne Mißerfolg und wir arbeiten daran im Schweiße unsres Angesichts. Arbeite daher stets so, daß die andern etwas davon haben und du nichts – das macht dich wahrhaft glücklich und beliebt!


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