Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

49.

Rings um sie her ist Wasserbahn,
Kein Schifflein schwimmt zu ihr heran.
Noch einmal blickt sie zum Himmel hinauf,
Da nahmen die schmeichelnden Fluthen sie auf.

Goethe.

Da wo der Rhein, nachdem er den reißenden Neckar aufgenommen, sich langsam zwischen sandigen Ufern hinwindet, irrte an einem drückend heißen Nachmittage ein Weib am Gestade auf und nieder. Sie schien noch jung, allein ihre Gesichtszüge waren schrecklich verzerrt, aus ihren wildrollenden Augen sprach der Wahnsinn, ihr langes schwarzes Haar hing frei und ledig über Schulter und Rücken herab, jede ihrer Bewegungen war heftig und leidenschaftlich. Ihr Körper war schlank gebaut, nur zeigte sich in den Armen eine Ungelenkigkeit und Steifheit, die eine traurige Folge irgend eines Unfalls sein mochte. Sie trug eine glänzende und kostbare Kleidung; aber diese war an vielen Stellen zerrissen und gab mit der Ueberzeugung, daß die Unglückliche von vornehmer Herkunft sei, auch die betrübende Erkenntniß ihrer Geistesabwesenheit und Gleichgültigkeit gegen Alles, was nicht in Beziehung zu ihren fixen Ideen stehen mochte.

Sie schritt schnell und emsig am Ufer hin und her. Ihre Blicke flogen bald den Strand entlang, bald nach dem jenseitigen Gestade. Ihre Lippen waren in steter Bewegung, allein die Worte, die sie sprach, bildeten keine zusammenhängende Rede und gaben keinen verständlichen Sinn. Endlich blieb sie einige Augenblicke an einer Stelle des Ufers stehen. Sie maß mit starren Augen die Breite des Stroms und rief dann in einem singenden Tone:

»Fliegen! Fliegen! Die Flügel sind gebrochen, Eule ist todt. Wer drüben wäre! Schätzlein sitzt dort im Rosengarten. Muß 'nüber, muß 'nüber!«

Sie wiederholte jetzt diese Worte, in denen mehr Sinn war, als in dem früher Gesprochenen, unablässig. Während sie so für sich hin mehr sang als sprach, lief sie mit eiligen Schritten eine weite Strecke am Ufer hinab. Mit einemmale stieß sie ein lautes Geschrei aus und sprang mit wilden, freudigen Bewegungen in das Weiden- und Binsengesträuch des Strandes. Hier lag ein kleiner, morscher Kahn, in dessen gebrechlichen Boden das Wasser zu einer ziemlichen Höhe eingedrungen war. Niemand würde bei gesundem Verstande gewagt haben, sich in diesem elenden Fahrzeuge den Wellen des Rheins preiszugeben. Sie aber schwang mit triumphirender Geberde das Ruder um ihr Haupt und stieß dann, die Gefahr nicht kennend und nicht achtend, mit einem wahnsinnigen Jubelrufe vom Lande ab. Sie stand bis an die Knöchel im Wasser, und dieses stieg, jemehr sie sich der Mitte des Stromes näherte, mit Macht immer höher. Ihre Blicke hingen an dem Ufer, das sie zu erreichen bemüht war. Lauter und immer lauter erklang ihr monotoner Gesang:

»Schätzlein sitzt im Rosengarten: muß 'nüber, muß 'nüber!«

Da erschien an dem Ufer, nach dem sie sehnsüchtig blickte, während das Wasser in ihr Fahrzeug drang und dieses langsam in die Tiefe hinabzog, ein Ritter in glänzender, prächtiger Hofkleidung. Er war unbewaffnet und ritt ein unansehnliches Pferd, das er aber durch jedes Mittel der Kunst und Gewalt zum eiligsten Laufe anstrengte. Tod und Leben schienen von dieser Eile abzuhängen. Er blickte sich oft besorgt um, er sah forschend zur Seite, wo die Ebene nach dem Donnersberge sich hinbreitete und Adolphs Lager aufgeschlagen stand. Die Veranlassung zu der stürmischen Eile, mit der er vorwärts flog, mochten zwei Männer geben, die in ansehnlicher Entfernung hinter ihm sichtbar wurden. Sie waren auch zu Pferde, wohl bewaffnet mit Schwert und Dolch und augenscheinlich in der Verfolgung des voraneilenden Flüchtlings begriffen. Sie durften sich aber wenig Hoffnung machen, ihn zu erreichen, den sie schienen in der Kunst des Reitens nicht so erfahren, wie er, und die Entfernung, welche sie von ihm trennte, wurde immer bedeutender. Der Flüchtling schlug jetzt einen Weg ein, der seitwärts vom Rhein abführte. Kaum aber hatte er eine kurze Strecke auf diesem zurückgelegt, als er eine kleine Reiterschaar, schnell vom kaiserlichen Lager herüber trabend, erblickte. Er riß in wilder Hast sein Pferd herum, er sprengte in beflügelter Eile querfeldein an das Ufer zurück, er schien die neu entdeckten Reiter noch mehr zu fürchten, als seine Verfolger. Die Kräfte seines Thieres nahmen ab. Es vermochte immer weniger den Anstrengungen zu entsprechen, die sein Reiter ihm zumuthete. Und dennoch sah dieser keinen andern Weg der Rettung, als den, der vor ihm lag. Die kaiserlichen Reiter hatten ihn bemerkt und nahmen ihre Richtung nach ihm hin. Die Verfolger, die ihre Pferde mehr geschont hatten, waren jetzt nicht mehr so weit von ihm entfernt, als früher.

»Wäre es nicht besser, Dein Leben in den Wellen zu endigen, als denen in die Hände zu fallen, die Dich zum Tode durch Henkershand schleppen?« sprach der Ritter für sich hin und blickte düster in die antreibenden Wogen.

»Günther! Günther!« rief da aus dem Fluße heraus eine Stimme, deren Klang ihm einst theuer gewesen und schöne Erinnerungen in ihm erweckte. Und hätte ein Moment des Verzugs augenblickliche Vernichtung über ihn gebracht, so mußte er dennoch anhalten!

»Neckt mich die Wasserfei?« sprach er zusammenbebend, und seine Blicke flogen verwirrt über die Breite des Stromes hin. Da sah er in dessen Mitte und in dem Augenblicke, wo der lecke Kahn mit ihr in die Tiefe tauchte, das Weib, das er einst geliebt.

Sie breitete die verkrüppelten Arme nach ihm hin, sie rief noch einmal in wahnsinniger Verzückung seinen Namen aus. Gefühle, gegen die er in seinem bösen und blutigen Leben längst erkaltet war, ergriffen ihn aufs Neue und mit einer Gewalt, die seine Vernunft erschüttern mußte. Der Andrang der Feinde, der Anblick des unglücklichen, sterbenden Weibes, seine aufgeregte Phantasie überwältigten die berechnende Verstandeskraft, die ihn sonst zum Herrn seiner Handlungen machte.

»Jutta, ich komme!« rief er wild und heftig indem er einen höhnischen Seitenblick auf seine Verfolger warf. » Mort de ma vie! Ihr sollt um den Nollingen geprellt werden!«

Er drückte seinem Pferd den Stachel tief in den Leib, er trieb es in mächtigen Sätzen nach dem Rhein hin. Aber es erreichte den Fluß nicht. Indem die arme Wahnsinnige zum letzten Male aus den verschlingenden Wellen die Hände emporstreckte, wich der Treibsand, den der Fluß ans Ufer hinspülte, unter den Füßen von des Ritters Pferd. Er wollte es zurückreißen, aber es war zu spät. Immer tiefer sanken sie ein. Jutta verschwand in der Fluth, und zugleich ward Roß und Reiter von einem Grabe verschlungen das die Leichen, die es einmal aufgenommen, nimmer zurückgibt.

Die zwei Verfolger des Ritters waren indessen nahe herangekommen und trafen mit den kaiserlichen Reitern zusammen, die, wie jene, Zeugen des entsetzenvollens Anblicks gewesen waren. Alle starrten in die Fluth, die sich über dem unglücklichen Weibe geschlossen hatte, oder blickten schaudernd auf die Sandfläche, unter der in unergründlicher Tiefe der Ritter von Nollingen begraben lag. Nur einzelne Sandkörner rollten noch in eine kleine trichterförmige Oeffnung hinab. Bald war auch diese geschlossen, und die Natur waltete wieder in ihrer vorigen Ordnung, gleich als ob die Vernichtung zweier Menschenleben nur ein Spiel sei, das sie im flüchtigen Vorüberschreiten getrieben.

Der Anführer des Reiterhaufens ritt ernst auf einen der Verfolger zu und sagte, indem er diesem die Hand reichte:

»Das ist ein wunderbares und schreckliches Ereigniß, bei dem wir uns wiedersehen, Bandini! Ist nun Euere Rache gesättigt? Folgen Euere Verwünschungen dem Todten nicht in die Gruft nach?«

»Sein Ende hat mich mit ihm versöhnt;« erwiederte der Lombarde in einem Tone, dem man die innere Erschütterung anmerkte. »Glaubt mir, Ritter Friedmann,« fuhr er fort, »ich hegte kein blutiges Gelüst mehr gegen ihn. Ich wollte ihn zu einem gerechten Richter, zu Kaiser Adolph, führen.«

»Dazu waret Ihr nicht berufen!« versetzte finster der Ritter von Sonnenberg, der auf Kundschaft ausgeritten und zufällig dieses Wegs gekommen war. »Warum überließt Ihr dieses Geschäft nicht denen, die es anging, den Häschern und Schergen?«

»Jedem steht das Recht zu, einen Vogelfreien und Geächteten zu greifen, wo und wie er es vermag;« erwiederte trotzig Bandini. »Und mir hatte er selbst eine besondere Vollmacht dazu eingeräumt, wie Ihr wißt, und hatte sie verbürgt in der Marterkammer des Erzbischofs von Mainz. Lasset die Rache ruhn! Es ist besser für ihn, er schläft hier im sandigen Grunde, als daß er am Galgen ein Spiel der Winde und eine Speise der Raubvögel geworden wäre. Ihr könnt mir einen Dienst erweisen, Herr Friedmann! Nicht weit von hier lagere ich mit Meister Auffenthaler, seinem Eidam Gabriel,« – er deutete hierbei auf seinen Gefährten – »und unserer übrigen Gesellschaft, die Ihr wohl kennt. Wir wissen nicht vor und nicht rückwärts. Vor uns sind Leute, die Fremder Hab und Gut gern zu ihrem eigenen machen, und die hinter uns denken nicht besser. Schenkt uns Euer Geleit bis zu einem sichern Orte. Dann kommen wir schon weiter und haben, wills Gott! die Kriegsfurie bald fern hinter uns.«

»Ich bin an Kaisersdienst gefesselt und kann nur wenig Zeit entübrigen;« antwortete nach einigem Nachdenken der junge Ritter. »Aber ich will Euch zum Flecken Gellheim geleiten. Dort seid Ihr sicher unter meinem Schutze und in wenigen Tagen, hoffe ich, sind unsere Feinde vernichtet und Ihr könnt Euch dann in Frieden hinwenden, wohin Ihr wollt.«

Während Friedmann neben Bandini hinritt, um sich zu dessen Lagerplatz zu begeben, winkte Stephan, der sich unter den Bewaffneten befand, den langen Gabriel zu sich heran und erfreuete sich der Neuigkeiten, welche dieser ihm von dem Pfeffer-Rösel berichtete. Fast zu gleicher Zeit mit seinem Herrn, dem der Italiener die Sache erzählte, erfuhr er die listige Weise, wie das Mädchen den Ritter von Nollingen in das Netz gelockt, das Bandini ihm gestellt. Dieser hatte seinen Gefangenen streng bewacht, dennoch war es dem Ritter in einem günstigen Augenblicke gelungen, sich seiner Bande zu entledigen und eines Rosses zu bemächtigen. Bandini und Gabriel, welche dieses Beginnen noch zeitig bemerkt, hatten sich vergebens bemüht, ihn wieder einzuholen. Welchen unglücklichen Ausgang aber sein Versuch zu entfliehn genommen, ist den Lesern bereits bekannt!

In einem kleinen von Gebüsch umwachsenen und verborgenen Thalgrunde fand der Ritter von Sonnenberg seine alten Bekannten wieder. Die Mienen Aller, in denen sich Anfangs einiger Trübsinn gezeigt, erheiterten sich, als sie ihn beim Näherkommen erkannten. Frau Beata und der alte Auffenthaler traten ihm mit freundlichem Gruße entgegen. Das Pfeffer-Rösel machte seinen ehrbaren Knix. Es verfügte sich aber dann sogleich zu Stephan, mit dem es Viel und angelegentlich zu besprechen haben mochte. Die Rußigen, die sich am Boden gelagert hatten, standen bei Friedmanns Erscheinung auf und rückten die kleinen Ledermützen, welche sie trugen.

Es war keine Zeit zu verlieren. Die Sonne nahm ihre Bahn schon abwärts und der Weg bis zu dem Flecken, wohin der junge Ritter seine Freunde geleiten wollte, betrug noch mehrere Stunden.

Meister Auffenthaler und die Seinigen waren schnell zum Aufbruche gerüstet und dieser wurde nun ohne Zögern bewerkstelligt.

Man zog still und ohne jene Heiterkeit, die einst dieselbe Gesellschaft belebte, als sie die schöne Amalgundis zu dem Flüßchen Aar begleitete, des Wegs. Frau Beata fühlte sich von Mitleiden über das unglückliche Schicksal Jutta's und Günther's ergriffen; die Männer fanden Ursache zum ernsten Nachdenken in der mißlichen Lage, in die sie das Zusammentreffen der zwei Heere versetzte. Selbst Friedmann konnte einer drückenden Empfindung nicht Herr werden, die den sonst frischen und regen Lebensmuth aus seiner Brust zu verdrängen drohete. Unbestimmte Besorgnisse um die ferne Geliebte, um Adolph von Nassau, für die nahe Zukunft, irrten durch seine Seele. Er fühlte sie auf das Lebhafteste; aber er vermochte nicht sie zu erkennen.

Es war Abend geworden. Im Dämmerlichte sahen sie endlich das Oertchen Gellheim nahe vor sich liegen. Da wandten sich zufällig die Blicke des Ritters nach jenen Bergen, von denen die drei Feuer, die Zeichen der entscheidenden Schlacht, empor flammen sollten. Und siehe! in diesem Augenblick loderten sie auf und ihr Schein vergoldete lieblich den abendlichen Himmel.

»Ich muß Euch verlassen!« rief Friedmann, der in einem Augenblicke zu Kampfbegierde und Siegshoffnung umgestimmt war, in stürmischer Bewegung. »Ich muß fort zum Kaiser! Stephan bleibt bei Euch, bis ich ihn abrufen lasse. Mit ihm seid Ihr sicher, Ihr steht unter dem Schutze des Ritters von Sonnenberg. Lebt wohl, Frau Beata! Lebt Alle wohl! Wer weiß, ob wir uns je wiedersehen!« In wilder Eile und ohne die Antwort der betroffenen Freunde zu erwarten, flog er über das Feld hin. Die Bewaffneten stürmten ihm nach. Bald war das kaiserliche Zelt erreicht; aber Adolph fand sich abwesend. Er hatte, wie die Wache aussagte, mit einer kleinen Begleitung den Weg nach dem nahe liegenden Nonnenkloster Rosenthal eingeschlagen.

»So weiß er noch nichts von dem verhängnißvollen Feuerzeichen!« rief Friedmann für sich hin, indem er schon dem Kloster zujagte. »Es wird in seine Seele flammen und ihn zu Heldenthaten begeistern, die seine Feinde zu Boden schmettern.«

Vor dem Kloster hielt die kaiserliche Begleitung. Ritter Schelm trat ihm, als er gerade in die Kirche eilen wollte, in den Weg und sagte:

»Du darfst nicht hinein, Sonnenberger! der Kaiser ist in der Kirche und nur der alte Alessandro durfte ihn begleiten. Jedem andern ward der Eintritt untersagt. Wer weiß, welche geheimnißvolle Werke dort der alte Hexenmeister zu Stande bringt! Zähme Dein ungeduldiges Feuer, mein junger Rittersmann.«

»Ich muß hinein!« versetzte heftig der Angeredete. »Mein Geschäft beim Kaiser leidet keinen Aufschub.«

Schon hatte er die Thüre geöffnet und war eingetreten. Tiefe Dämmerung herrschte in den weiten Hallen des Heiligthumes. Das matte Licht der ewigen Lampe konnte die hochgewölbten Gänge nur wenig erhellen. Er hörte in der Ferne sprechen. Er ging rasch näher, aber der Anblick, der sich ihm nun zeigte, fesselte plötzlich seinen Schritt und bannte ihn an die Stelle, wo er sich befand.

Auf den Knieen lag der Kaiser vor der uralten Domina des Klosters, der hundertjährige Greis stand ihm zur Seite, neben diesem zeigte sich ein emporstehender Leichenstein und dicht an diesem ein geöffnetes Grab. Friedmann fühlte sich in seinen tiefsten Empfindungen erschüttert, als er denjenigen, den er als ein Muster der Ritterlichkeit und Tugend verehrte, in dieser gebeugten Stellung sah. Die Düsterheit der Umgebungen, das Schauerliche der ganzen Szene machte einen lähmenden Eindruck auf ihn. Er hielt den Odem an sich, er wagte weder vor- noch rückwärts zu schreiten, um seine Anwesenheit nicht zu verrathen und durch diese dem hohen Herrn vielleicht eine Beschämung zu bereiten. So mußte er Zeuge einer Unterredung werden, die ihm neue Räthsel für seine eigene Zukunft aufgab.

Die Domina nahm ihre Hände von dem Haupte Adolphs, auf dem sie segnend geruht hatten. Er stand auf und sagte mit bewegter Stimme:

»Ich danke Euch, ehrwürdige Frau! Die Sühne mit Euch versöhnt mich mit mir selber. Ich sehe in ein helles gereinigtes Innere, in dem eine lange dunkele Nacht gewaltet hat.«

Er blickte mit dem Ausdrucke tiefer Trauer lange schweigend auf den Grabstein. Der Schein der Lampe fiel auf sein edles Angesicht, und ließ die männlich schönen Züge genau erkennen. »Hier schlummert also Hedwiga nun schon lange den ewigen Schlaf!« fuhr er dann sehr gerührt fort. »Hier liegt in Staub zerfallen, die einst so blühende Gestalt, die mich entzückte, das Herz, das mich übermächtig liebte, das die Sünde nicht scheuete aus Liebe zu mir, das dann in Kummer und Reue brach, als es sie erkannt. Ach! die Sehnsucht nach dem verlorenen Seelenfrieden trieb sie in ihren letzten Tagen wieder zurück an diese heilige Stätte, die sie im Wonnetaumel der jungen Liebe, meiner Lockung sich hingebend, verlassen, und Ihr nahmt sie auf bei ihrer Rückkehr, wie eine gütige Mutter, die dem verirrten Kinde verzeiht, Ihr wandtet von der Reuigen das strenge Gesetz, das die entflohene Klosterjungfrau zu schrecklicher Strafe verurtheilt.«

»Wenige Stunden vor ihrem Tode kam sie hier an,« versetzte sehr sanft die Domina. »Nur Worte der Milde, des Trostes und der Verzeihung hat sie von meinem Munde gehört. Sie starb sanft in meinen Armen.«

»Und dieses offene Grab?« fragte ernst und bedeutungsvoll Adolph von Nassau. »Für wen ist es bestimmt?«

»Für den nächsten Todten!« antwortete mit großer Ruhe die Domina. »Vielleicht für mich selbst. Es ist Sitte in unserm geweihten Hause, immer eine offene Gruft bereit zu halten. Noch liegt in Gottes Hand das Loos desjenigen, der sie bewohnen wird.«

»Dich wird es treffen, Adolphus!« sagte im dumpfen, prophezeihenden Tone der salernitanische Greis. »Hier werden die mächtigen Glieder des Nassauischen Löwen ruhen neben der Taube von Rosenthal, Deine Stunde ist nahe, bald bist Du wieder vereinigt mit Hedwiga und kannst sie lieben ohne Sünde!«

»Ruhen an ihrer Seite,« rief im Tone der Begeisterung der Kaiser, »ausruhen von den Stürmen des Lebens, tauschen die drückende Last einer Krone mit der leichten Verklärung der Seligen, im Bunde mit Hedwiga – o wäre mir das beschieden!«

»Noch eins, mein Sohn!« hob die Domina an und trat dem Kaiser einen Schritt näher: »Welches Schicksal erwartet das Pfand jener unglücklichen Liebe, welches Loos birgt ihm die Zukunft, jene Zeit meine ich, die nach uns kommen wird?«

Da wehete durch ein offenes Fenster ein Luftzug durch die Kirche, das Licht der ewigen Lampe flackerte unstät und warf einen flüchtigen Schein auf Friedmann von Sonnenberg, der bisher im Schatten gestanden hatte. Adolph erblickte ihn und schien überrascht. Mit festen Schritten aber trat er dann auf ihn zu, ergriff die Hand des jungen Ritters und führte den Betretenen vor die Domina.

»Das ist der Mann, der es bewahren soll bis zum Tage, wo der Ewige es an sich fordert;« erwiederte er mit fester Stimme. »Ich bürge für seine Redlichkeit und Treue.«

»So möge Hedwiga's Schatten segnend über ihm schweben!« sagte die Domina, indem sie ihre Rechte nach Friedmann erhob.

Der Ton eines Silberglöckchens erschallte in diesem Augenblicke. Mit einer Verneigung gegen den Kaiser entfernte sich die Domina, um sich zu ihren Andachtsübungen, zu denen jener Klang sie abrief, zu begeben.

Adolph sah ihr lange schweigend nach. Weder Alessandro noch Friedmann unterbrachen die herrschende Stille. Langsam ließ sich der Kaiser an dem Grabsteine auf ein Knie nieder und betete leise, aber, wie seine Stellung und Geberde vermuthen ließen, mit großer Inbrunst. Dann erhob er sich rasch, ging mit dem Ritter von Sonnenberg, indem er dessen Hand wieder nahm, bis zur Thüre der Kirche und sprach, ehe er diese verließ, mit gepreßter Stimme:

»Sonnenberg, ich setze ein großes Vertrauen in Dich, dessen hohe Bedeutung Du noch nicht ahnest; aber die Zeit wird kommen, in der sich Alles entschleiert. Ich kenne Dein Inneres, Deine Gefühle, Deine Gesinnungen und weiß, daß mein Wille Deinen heißesten Wünschen entgegen kömmt. Nimm diese silberne Kapsel! Gehe ich lebend aus dem Kampfe, der mir bevorsteht, so gibst Du sie mir uneröffnet wieder zurück. Gehe ich unter, so eröffne ihr Siegel und aus ihr wird Deine Zukunft Dir im Lichte des Glücks und der Liebe entgegenstrahlen. Was Dir räthselhaft bleiben sollte, vermag Alessandro zu erklären. Jetzt fort, fort! Die Trompeten schallen vom Lager herüber, die Hörner rufen! Das ist ein Zeichen, daß die dreifache Flamme auf den Bergen lodert. Morgen um diese Stunde sind die Würfel gefallen. Der erste Thron der Welt ist mir gesichert oder – ich ruhe an Hedwiga's Seite!«

Betäubt von allem, was er gesehen und gehört hatte, folgte Friedmann dem Kaiser. Die frische Nachtluft wehte ihn belebend an und gab ihm seine Besinnung zurück. Er verwahrte die silberne Kapsel sorgfältig auf seiner Brust. Bald vermischte das Leben und Getöse im Lager, die Menge der Aufträge, die ihm Adolph zur Anordnung der morgenden Schlacht ertheilte, und der Jubel der Krieger, denen Kunde von dem bevorstehenden Angriffe geworden war, die verschiedenartigen Eindrücke des heutigen Abends aus seiner Seele.



 << zurück weiter >>