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Erster Teil.
Die Welt vor dem Propheten


Die Wüste des Propheten

Komm, daß ich Dir sage, wie er durch die Wüste geht. Sein Brot und sein Wasser trägt er auf der Schulter, wie der Esel seine Last. Die Wirbel seines Rückens sind gebogen. Sein Getränk ist stinkendes Wasser.

Papyrus Anastasi IV, 9 ff

Im Nordosten Afrikas liegt Ägypten, das Land des blauen Flusses, der grünen Ebene und der gelben Wüste, die Fluß und Ebene umschließt. Eine dünne Landzunge verbindet Ägypten mit der Welt Asiens, und eine große Wüste trennt es von dem Gebiete der zwei Ströme – Euphrat und Tigris.

In Ägypten herrschte der Pharao; am Euphrat und Tigris standen zwei mächtige Reiche, Assyrien und Babylon. Was dazwischen lag, war Wüste, Wildnis, Barbarei. Die Machthaber dieser Welt, die sich an den großen Flüssen ausbreitete, gingen achtlos an dieser Wildnis vorüber. Sie errichteten Pufferstaaten am Rande der Wüste, entsandten von Zeit zu Zeit Strafexpeditionen und erzählten sich Schauergeschichten von dem trostlosen Dasein des räuberischen Wüstenvolkes. ›Geh nicht in die Wüste, mein Sohn‹, lehrte ein alter erfahrener Ägypter, ›in der Wüste hat noch keiner sein Glück gefunden. Wenn du in die Wüste gehst, wirst du bald wie ein Stamm sein, der die Rinde verlor und vom Wurm angefressen wird.‹

Später verschwanden die Pharaonen, und auch die Reiche des Zweistromlandes zerfielen. Neue Könige kamen und taten das gleiche wie ihre Vorgänger: Sie bauten Paläste, entsandten Strafexpeditionen und errichteten Pufferstaaten gegen die Wüste. Die Wildnis und Barbarei aber, die zwischen Nil und Euphrat lag, blieb auch weiterhin, trotz allem, was um sie geschah, unverändert. ›Für uns waren sie immer Bettler und Landstreicher‹ sagte über das Volk der Wildnis ein später Herrscher am Euphrat.

Am Nil, am Tigris und Euphrat entstanden und vergingen Weltimperien. In der Wüste, die zwischen den Strömen lag, entstand und verging scheinbar nichts. Sie war einfach da und störte die kulturbeflissenen Menschen des Nil und Euphrat. Doch war dieses Hindernis nicht allzu groß. Die Wüste war nichts als ein gefährlicher Karawanenweg für den Handel, ein Dämonenland für Märchenerzähler und ein unwichtiges Nebengebiet für Eroberer und Staatsmänner.

Der Name der Wüste: Ǧazira al-ʿArab – bedeutet: Die Insel der Araber. Dieses Land ist aber keine Insel, sondern eine Welt zwischen Afrika und Asien, beiden Kontinenten verwandt und doch innerlich fremd. Eine Welt für sich.

Arabien ist eine Halbinsel. Sechsmal so groß wie Deutschland. Die Küsten der Halbinsel am Roten Meer, am Mittelmeer und am Persischen Golf sind felsig und unzugänglich. Nur wenige Häfen können von Schiffen angelaufen werden. Das Meer, das andere Länder verbindet, trennt Arabien von der übrigen Welt. Noch mehr aber isoliert es die Wüste; im Norden am Irak die Wüste Nafūd, das ›al-baḥr bilā māʾ‹, ›das Meer ohne Wasser‹, im Süden die Rubʿ al-ḫālī, die rote Sandwüste, das Schreckensland Ḥaḍramaut. Unzugänglich, wild, finster und arm liegt Arabien seit Jahrtausenden zwischen den größten Kulturländern des alten Orients.

Was ist das für ein Land? Alte Sagen berichten: ›Als der Herr aller Welten die Erde schuf, verteilte er gerecht unter alle Länder Stein, Wasser, Wiese und Tal. Jedes Land bekam etwas von diesen Schätzen des Allmächtigen, und auch Arabien erhielt seinen Anteil. Dann beschloß der Herr der Welten, jedem Lande auch ein wenig Sand zu geben; denn ein wenig Sand kann der Mensch gebrauchen. Er nahm den Sand, packte ihn in einen Sack und schickte den Erzengel Gabriel aus, den Sand gerecht zu verteilen. Satan aber, der Böse, beneidete die Menschen. Als Gabriel über Arabien schwebte, schlich sich der Satan heimlich heran, schnitt den Sack auf, und der ganze Sand ergoß sich über Arabien, trocknete seine Seen aus und vertrieb das Wasser aus seinen Flüssen.‹ So entstand die Wüste.

Da ergrimmte der Herrscher der Welten und sprach: ›Arm ist mein Arabien geworden, ich aber will es mit Gold überdecken.‹ Und er schuf in seiner Gnade eine Riesenkuppel aus leuchtendem Gold. Diese sollte in der Nacht die Wüste erleuchten. Aber auch das wollte der Böse den Menschen der Wüste nicht gönnen. Er schickte seine Dschinnen, und sie bedeckten das leuchtende Himmelsgold mit dicken schwarzen Schleiern. Der Herr der Welten wollte jedoch nicht unterliegen. Er schickte seine Engel, die stießen mit ihren Lanzen kleine Löcher in die dichten schwarzen Satansschleier. So entstanden die arabischen Sterne, das göttliche Gold, das dem Menschen zulächelt, wenn er schlaflos am Eingang seines Zeltes liegt. Am Tag aber ist das Land dem Bösen rettungslos preisgegeben.

Der Himmel steht monatelang stahlblau über der Erde, in den Zeiten der großen Hitze aber wird er glanzlos und aschgrau. Der Himmel erstickt das Land, er entsendet unaufhörlich Glut auf den ausgedörrten Boden. Glühendheiß liegt das Land unter der Sonne, gelb, eintönig, unveränderlich. Bergwände und Felsblöcke zerplatzen krachend in ewiger Glut. Sie werden langsam zu Staub zermahlen, wie alles, was unter arabischer Sonne lebt. Zwischen Himmel und Erde ist nichts als Staub; in großen Wolken, vom Wind getragen, bedeckt er die Horizonte, verdunkelt die Sonne, sammelt ihre Glut und überfällt mit sengenden Körnern die Menschen. Sonne und Öde beherrschen Arabien.

In Ḥaḍramaut, Nafūd, Dahnā und Rubʿ al-ḫāli wird die graue, fruchtlose Ebene zum fürchterlichen rötlichen Sandmeer. Zwei Drittel des arabischen Landes beherrscht der Tod. Zwischen den rötlichen Hügeln liegen die Sandsümpfe. Sie saugen Menschen und Tiere in sich ein. Langsam versinkt man in den Tiefen des weichen Sandes. So manche Streitmacht mächtiger Nachbarn endete, von listigen Beduinen mißleitet, im Schreckenslande Rubʿ al-ḫāli.

Neun Zehntel Arabiens sind fruchtlose Wüste. Und wo die gelbe Wüste endet, erheben sich die steilen Felsen der arabischen Berge. In diesen Bergen nisten Dämonen. Des Nachts erklingt aus ihren Höhlen, die angefüllt sind mit kühler Luft, ein Heulen und Wimmern. Das ist die Stimme der Hölle, die dort aus dem Berge Ǧabal Salab hervordringt.

Kein einziger größerer Fluß fließt durch dieses Land. Nur an wenigen Stellen, in Naǧd, in dem abseits gelegenen Jemen, in dem Knotenpunkt des Handels, in Ḥiǧāz, und am Rande der Berge können menschliche Siedlungen entstehen und zur Blüte gelangen. Dort erwachsen Städte und Dörfer, dort beackert der Bauer sein kärgliches Feld. Am breiten Tale entlang – oder ist es ein Flußbett? – ziehen sich menschliche Behausungen. Dort wohnt ein arbeitsames, ärmliches Volk, das sich vor der Wüste fürchtet. Denn all diese Städte, Dörfer und Felder sind für das Land nur Glückszufälle, feierliche Zwischenstationen im grauen Einerlei des Wüstenalltags. In ihnen entstanden die wenigen staatsähnlichen Bildungen, zu ihnen sickerte der bescheidene Einfluß der Nachbarkulturen durch. Doch waren das Zufallskulturen, Zufallsbildungen. Ein Dammbruch genügte, um eine Kultur zu vernichten, ein nächtlicher Überfall, um einen Staat zu zerstören.

Dann kommt wieder der Sand. Kanäle trocknen aus, Gebäude zerfallen. Die Wüste breitet sich aus; entscheidend, wichtig für dieses Land ist nur die Wüste. Sie gibt dem Land das Gepräge. Ihr ist der beste Teil des Volkes untertan. Sie ist bestimmend für das Schicksal des Landes. Am Anfang und Ende der arabischen Welt steht die Wüste. Sie war da, bevor die Städte Arabiens errichtet wurden, sie wird da sein, wenn das letzte arabische Feld vom Sand begraben ist. Die Wüste ist Wiege und Grab alles Arabischen.

Zwei Elemente ringen in Arabien miteinander, und mit beiden ringt der arabische Mensch. Erbittert kämpfen die Macht des Sandes und die Macht des Wassers. Was Sand ist, weiß jeder, selbst wer nie eine Wüste gesehen hat. Wer jedoch weiß in der Welt des Westens, was Wasser bedeutet? Im Westen ist das Wasser einfach da wie die Luft, wie die Erde. Es fließt in den Flußbetten, es füllt die Seen, es befruchtet die Erde. Im Orient gibt es Luft und Land. Wasser gibt es auch. Aber nicht in den Flußbetten, denn die Flüsse sind ausgetrocknet, und nicht in den Seen, denn Seen gab es nie. Das Wasser wird sorgsam in kleinen Ledersäcken gehütet oder im Bauche des Kamels aufbewahrt. Um einen winzigen Brunnen entstehen lange Kämpfe. Ein Bach begründet Gedeihen und Reichtum ganzer Stämme.

Im Sommer zieht der Nomade hundert Kilometer durch Sand und Staub, um eine Wasserquelle zu erreichen. Wasser ist die Kostbarkeit der Wüste; denn Wasser speien die Engel auf die Erde, wenn sie den Menschen ihre Gunst erweisen wollen. Darum schmeckt auch jedes Wasser anders, stets nach dem Engel, dessen Mund es entstammt. Wer das Glück hat, eine Wasserquelle zu entdecken, verschweigt diesen Fund; ängstlich hütet er sein Geheimnis für seinen Stamm. Arabien ist die Welt ohne Wasser.

Monatelang ist der Himmel aschgrau, wie mit einer Sandkruste überzogen. Samūms durchziehen das Land, heißer Wind durchweht die Wüste. Der Wüstenmensch hockt dann beim Zelt und blickt müde zum Horizont, wo aus dem Sande traumhafte Visionen entstehen – immer dieselben: Wasser, Wasser, Wasser. Sehr selten, einmal in vielen Monaten, zeigt sich am Horizont eine Wolke. Der Himmel bezieht sich, und der arabische Wolkenbruch beginnt. Sand und Wasser vereinigen sich zu einer Naturgewalt. Das Wasser kommt vom Himmel, fällt auf den heißen Sand, vermischt sich mit ihm und wird zum Verhängnis.

Die Wüstentäler, in denen der Beduine haust, füllen sich mit Wasser. Sie werden plötzlich zu Flüssen. Alte, tote Flußbetten bekommen Leben. Die Zelte werden zerstört, Kamele vom Strom davongerissen. Der Wüstenstamm rettet sich auf die Sandhügel, die plötzlich zu Stromufern werden. Dann hört der Regen auf, die Wüste wird ein einziger Schlammteich. Niemand kann sie betreten, nicht Mensch, nicht Tier. Zwei, drei Stunden vergehen, und auf dem schlammigen Sand zeigt sich das Wüstenmoos. Und wieder brennt die Sonne hernieder und saugt unbarmherzig das vom Himmel gespendete Wasser auf.

Rasch hat die Wüste ihr altes Gesicht wieder, ist öde, trocken, kahl und leblos. Langsam sammelt der Beduine sein gerettetes Gut, langsam zieht der Stamm weiter durch Stille, Wildnis und Barbarei. Wieder wirbelt der Wind den Wüstensand auf; einsam, endlos und dürr liegt die Sandsteppe da. Tagelang zieht der Nomade durch den Sand. Zehn bis fünfzehn Kilometer pro Stunde legt sein Kamel zurück. Langsam stumpfen die Sinne ab. Man sieht nichts als die blaue Welt von Sand und Himmel, bald weiß man nicht mehr, wo der Himmel endet, wo der Sand beginnt. Man zieht durch die Wüste, halb schlafend, halb wachend, und an der Grenze von Traum und Wirklichkeit steht immer dasselbe: die graue, endlose, eintönige Wüste – der Sand.

Nichts regt in der Wüste die Phantasie an. Nichts zwingt sich dem Menschen auf. Die Trägheit des Ostens ist in der Wüste entstanden, auf den unendlichen Karawanenritten durch Öde und Einsamkeit. Aber auch die Wutausbrüche, die plötzlichen Wolkenbrüche der Beduinenenergie, stammen aus dem weichen Sand der großen Ebene. Das Hirn des Wüstenmenschen wird durch wenige Erscheinungen gereizt, es hat Zeit zum Ruhen, Grübeln und Denken. Das Gehirn des Wüstenmenschen ist trocken und klar wie die Wüstenluft, wie der Wüstensand. Nur wenige Gedanken finden in ihm Platz. Diese Gedanken aber sind fest und tief in seiner einfachen Seele verankert.

Ein Gedanke aber ist von Anbeginn aller Zeiten im Wüstenmenschen verwurzelt: der Gedanke von der Unberechenbarkeit. Die Wüste ist unberechenbar. Heute schenkt sie dem Menschen einen Feigenbaum und etwas Wasser. Morgen kommt der Samūm und tötet das letzte Kamel.

Niemand weiß, was die Wüste bringen wird. Denn die Wüste ist das Nichts, und das Nichts ist sehr mächtig, mächtiger als der Nomade. Gehorsam unterwirft sich der Mensch der Unberechenbarkeit der Wüste. Hilflos erträgt er ihre Gewalt. Ihre Schrecken halten ihn fest in Bann, sie ist für ihn ein unbezwingbares Rätsel, ein übermächtiges Schicksal. Er fügt sich willenlos in die Ereignisse, die über ihn verhängt sind.

Neun Zehntel Arabiens sind Wüste. Das restliche Zehntel kann jeden Tag Wüste werden. Der Mensch Arabiens muß wüstenfromm sein – er ist Fatalist.

Was ist das für ein Mensch? Er lebt im Sand und ist selbst wie der Sand, unwichtig für die große Welt, unwandelbar, unvergänglich durch Jahrtausende. Seit Anbeginn der Zeiten hat sich das Volk der Araber nicht verändert. Es blieb starr in seiner Art, wie die Wüste, der es entstammt, in der es lebt, von der es sich nicht trennen kann.

Was ist das aber für ein Volk?


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