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Einleitung

Im Jahre 1881 war ich als Botschaftssekretär der Deutschen Botschaft in Paris zugeteilt.

Deutscher Botschafter war dort Fürst Clodwig Hohenlohe- Schillingsfürst (später Reichskanzler), Botschaftsrat: Freiherr von Thielmann (später Staatsminister und Staatssekretär des Reichsschatzamtes), zweiter Sekretär: Bernhard von Bülow (später Fürst und Reichskanzler), dritter Sekretär: ich, Attaché: Prinz Max Ratibor (später Botschafter), Militär-Attaché: von Bülow (später Kommandierender General des III. Armeekorps).

Ein seltsames Häuflein von Menschen, die Karriere gemacht haben.

Ich schloß damals eine enge Freundschaft mit Bernhard von Bülow, die für moderne Zeiten immerhin die bemerkenswerte Dauer von mehr als 25 Jahren hatte.

Aber es verband mich damals auch eine feste Freundschaft mit Graf Herbert Bismarck, der in jener Zeit der Kanzlei seines Vaters zugeteilt war.

Dieser Beziehung verdankte ich die Annehmlichkeit, daß meine Wünsche in dienstlicher Hinsicht leicht erfüllt werden konnten. So wurde mir auch, als ich den großen Schmerz erlitt, 1881 in Paris mein geliebtes ältestes Töchterchen, die kleine Astrid, ein Kind von 2 Jahren, zu verlieren, der Wunsch erfüllt, Paris zu verlassen, das mir in meinem Kummer unerträglich geworden war.

Mein Freund Herbert schlug mir den Posten des einzigen Sekretärs bei der Preußischen Gesandtschaft in München vor, den ich mit Freuden annahm.

So siedelte ich schon im Sommer desselben Jahres nach München über, wo ich bald in die besten Beziehungen zu meinem Chef, dem Grafen Georg von Werthern, trat. Er war der Herr der Grafschaft Beichlingen in Thüringen, vermählt mit Gertrud von Bülow und leitete schon eine ganze Reihe von Jahren die Münchener Gesandtschaft.

Er war im Jahre 1816 geboren, also ein Herr von 65 Jahren. Ich meldete mich, den 31 Lebensjahre von ihm trennten, bei diesem liebenswürdigen Vorgesetzten, und der Altersunterschied hinderte uns nicht, bald gute Freundschaft miteinander zu schließen, die wir nicht nur während der Dauer eines sechsjährigen dienstlichen Zusammenlebens, sondern darüber hinaus uns treu bewahrten.

Werthern war ein Original. Körperlich und geistig beweglich wie ein Jüngling, trug Kleider von seltsamem Schnitt und Hüte von merkwürdiger Form. Er war ein Mann von liberalen Anschauungen und hatte seinen Verkehr fast ausschließlich in der Gesellschaft der Münchener Gelehrten- und Künstlerwelt, zu der auch ich mich mit meinen Anschauungen, Neigungen und Anlagen gezogen fühlte.

Die sogenannte bayrische »erste« oder Hofgesellschaft war dem Grafen Werthern ein Greuel. Stark antikatholisch (sogar antikirchlich), stand er diesen Kreisen, denen er durch seine vornehme Geburt zugehörte, fast gegensätzlich gegenüber, was bei mir allerdings nicht der Fall war. Ich hatte auch in diesen Kreisen meinen Anhang, wenngleich in jenen Jahren immer noch eine innerliche Verbissenheit die aristokratischen Kreise von der preußischen Gesandtschaft trennte.

Das Gefühl einer festen Zugehörigkeit zu dem neuen Deutschen Reich war damals nur in jenen Kreisen der Kunst und Wissenschaft zu finden, denen sich Graf Werthern angeschlossen hatte, und zwar so fest, daß er von der Hofgesellschaft kaum mehr als ein Mitglied betrachtet wurde.

Daran war sehr wesentlich aber die Haltung schuld, die er, bald nach dem Kriege von 1866 in München zum Gesandten ernannt, dort eingenommen hatte. Seine Politik in den schwierigen Jahren nach 1866 war in Bayern so erfolgreich gewesen, daß bei dem Ausbruch des deutsch-französischen Krieges Schwierigkeiten in politischer Hinsicht in Bayern kaum noch zu überwinden waren mit Ausnahme des Königs, den zu gewinnen andere Kräfte mit Erfolg tätig waren.

Die Münchener altbayrische Aristokratie verzieh dem Grafen Werthern dieses Wirken von 1866 bis 1870 nicht, und auch um mich bewegten sich diese Kreise noch nur wie Katzen um einen heißen Brei.

Immerhin muß ich sagen, daß man mich und meine Gattin gern sah – während dieses von meinem geistvollen und gütigen Freunde Werthern nicht behauptet werden konnte.

Als der Schwiegersohn Bismarcks, Graf Kuno Rantzau, durchaus den Münchener Gesandtenposten erhalten sollte, setzte ich mich so energisch für Wertherns Verbleiben in München ein, daß die Regierung Bayerns und der Prinz-Regent für die vorläufige Erhaltung Wertherns einen Schritt in Berlin taten.

Das hat mir mein alter Freund niemals vergessen.

Noch nach seinem Rücktritt 1888 suchte er mich gern in Liebenberg auf und bewahrte mir bis zu seinem Tode 1895 seine treue Freundschaft, die mir stets wertvoll geblieben ist.

Graf Werthern nahm alljährlich zu Anfang des Monats Juni einen Sommerurlaub nach seinem schönen Beichlingen, um dort den privaten Interessen und Geschäften seines Hauses nachzugehen. Erst Anfang Oktober kehrte er nach München zurück. In der Zwischenzeit hatte ich selbständig die Geschäfte der Gesandtschaft zu führen.

Um meiner Familie die Sommerzeit in der Stadt zu ersparen, mietete ich stets in dem nahen Starnberg ein Quartier, wo wir am Ufer des herrlichen Sees glückliche Zeiten verlebten.

Der sehr tüchtige und vortreffliche Vorstand der Gesandtschafts- Kanzlei in München, Hofrat Schacht, brachte mir eilige Sachen zur Unterschrift nach Starnberg oder rief mich telegraphisch nach München, wenn meine Anwesenheit dort erforderlich war.

Das Jahr 1886 sollte jedoch in dieser Hinsicht eine bemerkenswerte Störung erfahren.

Welcher Art diese war, habe ich in den nachfolgenden Mitteilungen als eines der seltsamsten Erlebnisse meines an merkwürdigen Erlebnissen reichen Lebens aufgezeichnet.


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