Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Zweiter Teil. Wanderjahre
Max Eyth

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155.

An Bord des »Hesperus« zwischen Korfu und Alexandrien, den 22. Dezember 1880.

Es geht gewöhnlich schlecht, wenn man eine Sache mit Freuden und Vertrauen anpackt. Ist's einem umgekehrt zumut, so geht's noch umgekehrter. Man sollte sich nie über den morgigen Tag grämen. Es ist doch lauter verlorene Mühe und verlorenes Seufzen. Ich selbst habe diese Wahrheiten schon längst erkannt und bemühe mich, ihnen entsprechend zu leben.

Die Seefahrt Mitte Dezember, während in der halben Welt Winterstürme heulen und die letzte Zeitung, die ich in Wien kaufte, berichtet, daß in Ischl Kamine einstürzen, war die allerbeste, die ich je erlebt habe. Eine klare Mondnacht über dem Semmering, eine bleierne, spiegelglatte See in Triest, kaum eine Wellenbewegung bis Korfu, und jetzt ein sanftes, gemächliches Schaukeln im sonnigen Meer südlich von Kandia. Keiner der vier – sage vier – Mitreisenden war auch nur auf Augenblicke seekrank. Die Fahrt war so gut, daß sie fast langweilig geworden ist. Auch werdet Ihr mir nicht zumuten, zum fünftenmal morgen früh die jugendliche Begeisterung zu fühlen, welche der Anblick des Alexandriner Leuchtturms vor achtzehn Jahren in mir erregte. Das menschliche Herz ist keine Repetieruhr, was im allgemeinen zu bedauern.

So habe ich auch an Ithaka wieder vorbeigeschlafen, und habe das reizende Zante zum erstenmal, und die Bucht von Navarin, und das Räubernest von Modon, und den schneebedeckten Olymp von Kreta zum drittenmal betrachtet, mit Wohlbehagen, aber ohne mich zu erhitzen.

Von der kleinsten Schiffsgesellschaft, die je ein Deck belebte, war nur der Schiffsdoktor bemerkenswert, der, streng genommen, nicht dazugehört. Ein kranker österreichischer Journalist, der sich auf dem Weg zur erhofften Besserung das Leben aushustet, ein Wiener Arzt, der unter Mumien Zerstreuung sucht, und ein Mecklenburger Dragoner, das naivste Muttersöhnchen, das je die Grenzen seines väterlichen Ritterguts überschritt und sich und uns vergeblich fragt, wie er bis hierher gekommen, wo er hingehe, und wann er wieder heimkommen werde? – diese und ich unterhalten uns seit fünf Tagen mit Essen und Trinken und friedlichen schlechten Witzchen von allgemein menschlicher Bedeutung.

Der Doktor dagegen ist ein Mann, den ich füglich zu den Reisemerkwürdigkeiten meines Lebens rechnen kann. »Schriftsteller und Schiffarzt«, heißt sich mein Freund, und die Aufgabe, der er sich widmet, ist, den Haschischgenuß im Abendland zu verbreiten. Zu diesem Zweck bietet er der Welt eine Broschüre an, die seine Erfahrungen in dieser Richtung schildert, sowie eine von ihm dargestellte Haschischtinktur, welche »einen drei bis fünf Stunden langen beseligenden Rausch ohne alle unangenehmen Folgen« hervorbringt. – Nebenbei hat er ein paar sozialphilosophische Schriften geschrieben, in denen er die Menschheit mittels eines idealen »Freistaats« glücklich macht, und die samt dem Haschischbuch um zwei Gulden österreichischer Währung zu haben sind.

All das ist nur insofern interessant, als der Mann in sonstiger Beziehung so ruhig und vernünftig ist wie jeder andre und keinen Begriff davon zu haben scheint, daß er die Legion der wunderlichen Käuze um einen vermehrt.

Mit meinem Knie geht's – für einen Afrikareisenden – vortrefflich. Wie kann es auch anders sein? Auf der einen Seite habe ich den Entzücken verbreitenden Haschischdoktor, auf der andern einen staatlich geprüften Wiener Arzt, die beide die größte Teilnahme für mich an den Tag legen. Zu Haus und im Bett könnte ich nicht besser aufgehoben sein.


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