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Die Schauspielerin Beverley Bancroft


Beverley Bancroft war Balzacs »Frau von dreißig Jahren« in einer New-Yorker Kulisse. Schlank und braunäugig, mit glänzendem schwarzen Haar, war sie seit zwölf Jahren eine bekannte Erscheinung im amerikanischen Theaterleben. Zwölf Jahre, die sie gelehrt hatten, daß im Leben mehr Kulissendunkel als Rampenglanz herrscht; zwölf Jahre, die leicht zynisch und überlegen illusionslos gemacht hatten.

Als Chorgirl hatte sie angefangen. Im Varieté. Das Mädchen ganz links außen war sie gewesen, und langsam, fast unmerklich, aber stetig war sie in die Mitte der Bühne gerückt. Die sie jetzt hielt, unbestritten und unanfechtbar. Diese Karriere, die mehr ein zäher unbeirrter Kampf als eine Serie rauschender Erfolge war, hatte sie zu einer starken Persönlichkeit gestempelt. Hartnäckig bei Gelegenheit, heftig, wenn angefeindet, aber auch gleichzeitig erfahren, reif und fähig wie ein großer Geschäftsmann. Auf der Bühne konnte sie weich sein, entflammend, mitreißend, aber wer jemals mit ihr zu tun hatte, wußte, daß sie ebensogut mit kühler Rücksichtslosigkeit Geschäfte tätigen konnte.

Vor fünf Jahren hatte sie James Porcell geheiratet, eine bekannte Persönlichkeit im Geschäftsleben, ein Großspekulant und verkappter Politiker. Porcell, zehn Jahre älter als sie und trotz starker Individualität von abgeklärter Unauffälligkeit in seinem Wesen, hatte nach und nach gelernt, sie so zu nehmen, wie sie war. So lebten sie in voller Harmonie, bis es plötzlich, ganz plötzlich anders wurde. Nach außen hin waren sie zwar noch die besten Freunde, aber seit kurzem wohnten sie sogar getrennt.

»Beverley braucht die Illusion der Freiheit«, erklärte er seinen Freunden leichthin. Aber wenn er abends allein saß, redeten seine Augen eine andere Sprache. Er wußte, daß er Beverley liebte, daß er es immer getan hatte, aber dieser Gesichtspunkt schien für seine Frau nicht maßgeblich zu sein. Er war nicht ganz sicher darüber – aber das konnte man bei Beverley niemals sein.

Während er die Entwicklung der Dinge abwartete, bewohnte er eine kleine Junggesellenwohnung, hoch über dem Broadway an der 81. Straße. Sie wirkte fast schäbig, wenn man sie mit dem Luxus des alten Sandsteinhauses verglich, in dem Beverley lebte.

Das massige vierstöckige Gebäude gehörte zu den wenigen Überbleibseln aus der Gründerzeit. Mit zwei anderen Häusern seiner Art, auf jeder Seite eines, leistete es der Invasion der Wolkenkratzer in der oberen West End Avenue einen rührenden Widerstand. Von diesen dreien war es das einzig bewohnte.

Während die ungeheuren Zimmer der anderen mit nichts angefüllt waren als mit Staub und Erinnerungen, war das Haus zwischen ihnen vollgepfropft mit Leben und Luxus. Der schimmernde Salon im ersten Stock schien direkt aus Versailles oder Fontainebleau hergeholt worden zu sein. Ein riesiger Kronleuchter aus Kristall und Silber hing von der hohen Decke herab. Vor dem marmornen Kamin stand eine vergoldete Gondel und zwei Bergeres in verblichenem Damast. Kunstvoll geschnitzte Tische, wurmstichige Fauteuils, ein zierlicher Schreibtisch, messingbeschlagene Kommoden standen umher. An den Wänden hingen kostbare Gobelins aus Beauvais und Brüssel, alte Ölgemälde und Kupferstiche.

Eine Szenerie erlesenster Eleganz, in die nicht jeder hineinpaßte. Bestimmt nicht alle jene fünf Menschen, die sich heute abend hier versammelt hatten. Für Beverley in einem kühlen, lang fließenden Chiffonkleid war es der selbstverständliche Hintergrund. Aber Beverley paßte fast in jede Kulisse. Auch die große, blonde Schauspielerin im weißen Abendkleid, die Ruth Raynor hieß. Porcell andererseits gehörte auf keinen Fall hierher, obwohl dieses Haus jahrelang sein Heim gewesen war. Gegen diesen Hintergrund wirkte sein düsteres Gesicht über dem Schwarz-Weiß des Abendanzuges seltsam deplaciert. Das gleiche galt für Ben Redstone, Beverleys Direktor, und Carl von Oefele, den deutschen Pianisten, der vor dem großen Konzertflügel saß, Chopin spielte und Whisky trank.

Es war kurz nach Mitternacht, und Beverley war gerade in Begleitung Redstones aus dem Theater gekommen. Von Oefele, der stets voreilige Junggeselle, war schon dagewesen und hatte Beverley mit einem vollen Glas in der Hand, Porcell und Ruth Raynor mit dem halbgeleerten begrüßt.

Den korpulenten Redstone – ursprünglich hieß er Rothstein – kannte man am unteren Broadway als einen reichlich kühnen Baissespekulanten; am oberen war er der großzügige und begeisterte Theaterdirektor. Er war der einzige Anwesende in diesem Raum, den Porcell, wäre er noch Hausherr hier, nicht gern begrüßt hätte. Porcell sah in Redstone die Ursache seiner Entfremdung mit Beverley. Es war offenes Geheimnis, daß Redstone eine starke Zuneigung zu der Künstlerin fühlte, und wie es mit Beverley stand, war schwer zu sagen.

Immerhin, Porcell ließ sich nichts anmerken. Er grüßte seinen Rivalen mit einem herzlichen Lächeln, und dann setzten sich die beiden neben den Flügel und plauderten wie die besten Freunde.

Ruth Raynor, obwohl Schauspielerin von Beruf und Neigung, konnte weitaus weniger erfolgreich ihre Gefühle verbergen. Sie vernachlässigte Redstone auffällig und beschäftigte sich übertrieben angeregt mit von Oefele.

»Ich hab' eine Schwäche für Virtuosen«, erklärte sie Beverley. »Als Jimmy mir sagte, daß Herr von Oefele heute auch hier sein werde, konnte ich einfach nicht widerstehen.«

Sie saß neben ihm auf einem Hocker und beobachtete mit angespanntem Interesse seine unwahrscheinlich geschmeidigen Finger. Ihre Gedanken aber waren ganz woanders. Bis vor kurzem war sie Redstones Star gewesen, und er hatte sein Geld für sie verschwendet. Sollte sie ihn jetzt verlieren? Oder war Beverley nur ein vorübergehender Flirt? Redstone bezahlte zwar noch die Miete für Ruths Wohnung, aber seit Wochen hatte er sich nicht bei ihr sehen lassen.

In von Oefeles berühmte Interpretation des Scherzos schrillte die Flurglocke. Das zierliche französische Stubenmädchen erschien im Eingang zum Empfangsraum, einen Giganten im Schlepptau, gegen den sie liliputanerhaft wirkte. 1,93 groß, mit massigen Schultern, rotbärtig, mit saloppem grauem Anzug und einem riesigen Sombrero, schien der Neuankömmling entweder ein Wildwestler oder ein Künstler zu sein. Tatsächlich war er beides.

»Mr. Berenson«, stellte Beverley ihn Ruth Raynor vor, die allein von allen Anwesenden ihn nicht kannte, »ein Maler aus Santafé. Er hat hier seine erste Ausstellung und«, ein ganz klein wenig hob sie den Kopf, »malt mein Porträt.«

Wieder schrillte die Flurglocke. Diesmal führte das Mädchen eine schüchterne junge Dame und als ihren Begleiter einen kleinen schwarzhaarigen Burschen herein, augenscheinlich spanischer Nationalität. Doris Nielan, Beverleys Partnerin, und ihr Freund Vincent Armando, der bei den einen als Komponist und bei den anderen als Geiger galt. Seine besten Freunde allerdings wußten von ihm, daß er malte.

Von Oefele, der gerade bei Chopins Walzer in d-Moll und bei seinem dritten Whisky war, als Ballinger und Sanders ankamen, beklagte sich laut bei Ruth Raynor: »Daß die Leute immer bei den schönsten Stellen ankommen müssen.« Er fing von neuem an und warf sich wütend ins Krescendo.

Beverley hatte ihren Bruder und Ballinger mit dem hinreißenden Lächeln der großen Dame empfangen.

Durch halbgeschlossene Augen beobachtete Ballinger die Menschengruppe vor sich. Von Oefele raste, über die Klaviatur gebeugt, durch das F-Dur-Impromptu. Ruth Raynor an seiner Seite sah aus müden Augen vor sich hin. Doris Nielan rauchte eine Zigarette aus einer langen Ebenholzspitze, lachte und plapperte. Redstone erging sich, an die Wand gelehnt, in Lobeshymnen über eine neue Verbandsbestimmung. Sanders war mit seinem Glas beschäftigt und gab im übrigen vor, gut zuzuhören. In einer Ecke bog sich Beverley vor Lachen über die verzweifelten Anstrengungen Armandos, nach Chopin zu tanzen. Berenson an ihrer Seite rauchte eine unwahrscheinlich schwarze Zigarre.

Dieses ganze Bild eines anscheinend sorglosen Luxus erschien Ballinger restlos unwirklich. Die Stühle mit ihrem verblaßten Damast, die alten Gobelins an den Wänden, die eingelegten Kommoden und Tische redeten eine so klare und eindeutige Sprache von einer glanzvollen Vergangenheit, daß sie die erregten Stimmen Beverleys und ihrer geräuschvollen Gäste übertönten. Ballingers Hand liebkoste die Handlehnen der Bergeres; tief beugte er sich herunter, um die Rosenholzeinlage des kleinen Tischchens an seiner Seite zu untersuchen.

Wie hatte es Beverley fertiggebracht, so klug und geschmackvoll zu sammeln? Oder hatte jemand anders Stück für Stück für sie zusammengetragen? Vermutlich war dies der Fall, überlegte er. Die hauptsächlichsten Stücke des Salons – die Stühle, die Schränkchen und Tische – waren erstklassig, jedes einzelne echt. Ebenso die Seidenbespannung der Wände, der vergilbte Kupferstich neben dem Flügel und die kleine Uhr auf dem Kamin. Aber die anderen Dinge neben ihr – die drei goldenen Schnupftabaksdosen, das Porzellanservice, die silbernen Leuchter – alles minderwertiger Kram. Und das Aquarell eines Mädchens im Tänzerinnenkostüm, die kleine Bronzestatue auf dem Tischchen, das protzige Damenporträt über dem Kamin ... Also, das war geradezu unmöglich.

Vollkommen einleuchtend. Irgend jemand hatte die wirklich wichtigen Stücke gesammelt; der Rest war von Beverley selbst. Es war ja auch kaum zu erwarten, daß eine so eitle und selbstbewußte Frau wie Beverley ihre Zeit trockenem Studium und mühseligem Sammeln von Antiquitäten widmete.

Er unterdrückte ein leises Lächeln, als er sich eingehender im Raum umsah und ihm die vielen kleinen Zeichen weiblicher Eitelkeit in das Auge fielen. Gerahmte Programme an den Wänden, vergrößerte Fotografien Beverleys in jeder Rolle und jeder Pose, Widmungen und Kritiken, Lobbriefe und noch einmal Kritiken ...

Du lieber Gott, warum sollte sie eigentlich nicht eitel sein?

Sanders kam auf ihn zugeschlendert.

»Das hätte ich mir denken können«, knurrte er verärgert, »daß hier heute Abend wieder einmal alles gedrängt voll ist. Immer geht das so, wenn ich mal ein ruhiges Wort mit ihr sprechen möchte. Na, wir bleiben nicht lange.«

Ballinger zündete sich eine Zigarette an.

»Was sind denn das alles für Menschen?« erkundigte er sich.

Sanders erklärte mit knappen Worten. »Und Redstone«, schloß er, »ist Beverleys letzter Trick. Porcell, der arme Kerl, ist bloß ihr Gatte.«

Plötzlich hörte die Musik auf. Ballinger sah, wie von Oefele sich unsicher vom Flügel erhob und über das Parkett auf Beverley zuschwankte.

»Edler Toreador«, rief der Pianist dabei zu Armando herüber, »jetzt werden Sie einen Tango spielen. Die Señorita und ich wollen tanzen. Bitte!« Er verbeugte sich und griff nach ihrer Hand.

Beverley zog sie zurück.

»Nein«, protestierte sie, »es ist viel zu heiß, und außerdem sind Sie ein schrecklicher Tänzer.«

Oefele sah sie aus verschwommenen Augen an.

»Schlechter Tänzer? Ich, der ich den Walzer in Wien erfunden habe? Aber Beverley ...«

Die Hand, die einundeinehalbe Oktave greifen konnte, faßte nach der ihren.

Beverley riß sich los.

»Aber jetzt machen Sie, daß Sie fortkommen!« Schon schwang ein leichter Unterton von Ärger mit. »Ich mag nicht tanzen.«

Aber Oefele war nicht so leicht aus dem Feld zu schlagen. Er drehte sich zu Armando um.

»Spanier, spielen!«

Beverley benutzte die Gelegenheit, zu entschlüpfen. Oefele, der sie plötzlich verschwunden sah, machte eine hastige Bewegung zur Seite und verlor die Balance.

Beverley ging auf Ballinger und Sanders zu. »Ich habe es mir zur Aufgabe gemacht«, lächelte sie den beiden zu, »dafür Sorge zu tragen, daß meine Gäste weich fallen.« Sie deutete mit dem Kopf zu dem Pianisten herüber, der in eine Bergere gesunken war. Dann wandte sie sich direkt an Ballinger. »Avery hat mir viel von Ihnen erzählt, Gott, was habe ich für eine Furcht vor Ihnen. Ich weiß ganz genau, Sie werden jetzt gleich entdecken, daß meine schönsten Stücke Fälschungen sind. Aber bitte, bitte, seien Sie lieb und verschweigen Sie es mir.«

Ballinger schüttelte den Kopf.

»Zu dieser Sorge haben Sie wenig Anlaß.« Er zeigte auf einen Sessel. »Der da hat die Merkmale eines echten Roentgen, stimmt's?«

Beverley hob die Achseln.

»Der Name kommt mir bekannt vor, aber ich weiß es nicht. Die meisten von diesen Sachen hat ein alter Freund in Paris für mich gekauft; aus dem Nachlaß der Marquise du Ressand. Eine schrecklich alte Familie, und, glaube ich, irgendwo von Ludwig XVI. abstammend. Das ist noch der Originaldamast dort auf der Bergere, und der kleine Tisch neben Ihnen ist sogar von irgend jemand signiert.«

Ballinger untersuchte ihn.

»Claude Saunier!« rief er aus. »Donnerwetter!« Er betastete die delikaten Einlagen. »Eines seiner Frühwerke, möchte ich sagen. Der Modewahnsinn der Pariser nach aufgewärmter Klassizität hat wie viele andere auch ihn ruiniert. Seine späteren Arbeiten sind fürchterlich.«

Beverley stand auf und nahm eine der kleinen goldenen Tabatieren vom Kaminsims.

»Wie gefällt Ihnen die hier? Sie soll Marie Antoinette gehört haben.«

Ballinger lächelte verstohlen. Marie Antoinette mußte für jedes Korn Schnupftabak zwei oder drei Dosen gehabt haben, überlegte er sich, wenn alle die echt sind, die in der Welt herumsegeln. Wohlweislich aber sagte er nichts, sondern setzte sie nur stillschweigend auf das Sims zurück und examinierte dafür eingehend die Bronzeuhr, die zwischen drei Miniaturen stand.

»Eine schöne alte Uhr.« Liebkosend strich seine Hand über ihre polierte Oberfläche. »Und die Miniaturen da. Von Vallée, nicht wahr?«

Beverley nickte stolz.

»Die eine da in der Mitte soll mir ähnlich sehen. Finden Sie das auch?«

Sanders kicherte unmotiviert.

»Deshalb hat sie auch den Ehrenplatz. Also Beverley ...«

Oefeles heiserer Baß knurrte dazwischen.

»Bev'ley, Sie haben unseren Tango vergessen.«

»Aber ich habe Ihnen doch gesagt, daß ich nicht tanzen möchte. Lassen Sie mich doch in Ruh.« Dann einschmeichelnd. »Gehen Sie, spielen Sie etwas, Carl, seien Sie ein braver Junge. Die Polonaise in As-Dur oder diese wunderschöne, traurige Sache, die so ist, als ob Regentropfen auf das Fenstersims fallen. Das ist so schön.«

Aber von Oefele verteidigte seinen Boden. Breitbeinig stand er vor ihr.

»Warum nicht tanzen?« krächzte er. Sie ignorierte ihn und wandte sich mit einem ungeduldigen Achselzucken zu Sanders.

»Verzeih die Unterbrechung, Lieber. Du wolltest gerade etwas sagen?«

»Also«, begann Oefele wieder, »jetzt wird getanzt.« Schwankend trat er an den Kamin und sah zwinkernd auf das Porträt an der Wand. »Beverley, stellen Sie mich dieser ... stolzen Dame ... vor.«

Ballinger sah auf den protzigen Kopf in Öl und mußte lächeln. Oefele schien wirklich zu schwer geladen zu haben.

»Prächtiges ... Mädchen«, wiederholte der Pianist mit schwerer Zunge. »Wer ... ist das?«

Beverley nahm ihre ganze Geduld zusammen.

»Aber Carl, Sie haben das Bild unzählige Male gesehen. Olive Landson ist das, eine Chorsängerin und frühere Bekanntschaft von mir. Sind Sie jetzt zufrieden?«

Oefele war es offensichtlich nicht.

»Stellen Sie mich vor«, verlangte er.

Beverley lachte.

»Da verlangen Sie wirklich zuviel. Sie ist seit zehn Jahren tot.«

Der Musiker zog die Stirne kraus.

»Wer«, wollte er wissen, »hat sie totgemacht?«

Jetzt war Beverley wirklich verstimmt.

»Der Mann, der das Bild gemalt hat. Aber bitte, Carl, stören Sie uns jetzt nicht länger. Ich werde Sie sonst nie wieder einladen.«

Er seufzte tief auf und machte wirklich Anstalten, zu gehen. Da entdeckte er die Schnupftabaksdosen. Beverley hatte eine von der Kommode genommen und Ballinger hingehalten: »Mögen Sie die?«

Ballinger nickte: »Sie ist nett.«

»Hervorragend!« bekräftigte Oefele neben ihnen. »Ausgezeichnet!«

Beverley tippte auf eine ihrer unzähligen Fotografien an der Wand.

»Ich spielte gerade die Roxane in Paris, als die Ressand-Versteigerung war. Die ganze Zeit war ich zwischen Bühne und Auktionsraum hin und her. Ich glaube, während dieser zwei Monate habe ich drei Jahre Schlaf verloren.«

Oefele stierte auf das Bild.

»Schreckliche Frau«, murmelte er vor sich hin, »will mich nicht mehr einladen. Niemals wieder!«.

»Und das hier sind Aufnahmen aus der Tambourine«, plauderte Beverley weiter. »Die hier war letzten Sonntag in der Tribüne.«

»Muß 'ne Kopie davon kriegen«, verkündete Oefele geräuschvoll.

Dann schlingerte er zur Staffelei in der Ecke und examinierte schwankend das halbvollendete Bild Beverleys, von dem Berenson behauptete, daß es sein Meisterwerk werden sollte.

»Gräßlich!« schmetterte Oefele heraus.

Ballinger kam herangeschlendert und besah sich eingehend das Bild. Es war kühn in Linienführung und Farbe und zeigte schon in der bloßen Anlage eine hervorspringende, lebendige Ähnlichkeit.

»Berenson?« fragte er.

Beverley nickte.

»Er will es sehr schnell fertigmachen, damit er es noch mit ausstellen kann«, seufzte sie. »Ich komme mir so vor, als ob ich seit zwei Wochen nichts tue, als in dieser Pose zu erstarren. Der Gedanke ist von Redstone. Wie Sie wissen, hat sich Berenson in letzter Zeit durch seine mexikanischen Arbeiten einen ziemlichen Namen gemacht, und Ben meinte, wenn Berenson mich im mexikanischen Kostüm malte, dann wäre das eine herrliche Reklame. Ich selbst ...«

Sie unterbrach sich, als Berenson zu ihnen trat.

»Nun, was halten Sie davon?« fragte er Ballinger.

»Es gefallt mir. Sogar sehr. Sie haben einen unerhört sicheren Strich.«

Berenson war sichtlich erfreut.

»Natürlich«, meinte er fast entschuldigend, »muß noch viel daran gearbeitet werden. Und gefeilt. Da ist die linke Schulterlinie ... und auch die Stirn gefällt mir noch nicht ganz. Aber es wird schon werden.«

Oefele klopfte ihm auf die Schulter.

»Wo ist der Pinsel?« schnaufte er. »Ich will's gleich in Ordnung bringen.«

Berenson beachtete ihn nicht. Er sah auf die Uhr und wandte sich zu Beverley.

»Ich glaube, es ist Zeit für mich«, meinte er.

Schon im Gehen fragte er noch einmal: »Könnten Sie mir morgen statt um drei schon um zwei Uhr sitzen?«

Sie nickte.

»Ausgezeichnet.«

»Wir gehen auch«, sagte Sanders. »Ich habe meinen Wagen draußen, und wenn Sie wollen, nehmen wir Sie mit. Wo sollen wir Sie absetzen?«

»An der 72. Straße, direkt neben dem Park.«

Im Vestibül küßte Sanders Beverley und hielt einen Augenblick ihre Hand.

»Ich kam eigentlich, um mit dir zu sprechen, Sis, aber du hast ja wieder Gesellschaft gehabt.«

Sie sah kurz zu ihm auf, und für den Bruchteil einer Sekunde lag ein seltsamer Schimmer in ihren Augen. Sie sah plötzlich bleich und ernst aus, aber gleich darauf entspannte sich ihr Gesicht wieder.

»Morgen, Avery, vielleicht morgen. Ruf mich an ...«

Den Maler Berenson setzten Ballinger und Sanders bald ab, dann fuhren sie schweigend weiter. Jeder war mit seinen Gedanken beschäftigt. Ballinger war es, der schließlich das Schweigen brach.

»Ich habe jetzt eben hin und her überlegt, aber ich bin überzeugt, daß es der Haß ist und nicht die Liebe, der alles in Bewegung hält.«

Sanders sah ihn fragend von der Seite an.

»Übrigens ist das die wahre Kultur«, beharrte Ballinger, »mit einem Lächeln zu hassen. Je verhüllender das Lächeln, desto höher die Kultur.«

Sanders zuckte die Achseln und sog gleichgültig an seiner Zigarre: »Wozu erzählst du das?«

»Weil in diesem Salon heute so viel Haß aufgestapelt war, daß man ein paar kriegführende Armeen damit hätte versorgen können. Und doch war einer zum anderen von einer geradezu mustergültigen Höflichkeit. Jeder lachte über die Scherze des anderen, jeder hörte voll Interesse dem anderen zu. Wie die besten Freunde.«

»Was du so alles merkst!«

»Na, nimm zum Beispiel einmal deinen Schwager. Es besteht gar kein Zweifel, daß er Beverley aufrichtig liebt. Wenn er in ihrer Nähe ist, kannst du es an jeder Geste sehen. Er weiß, wie sich Redstone um sie bemüht, und fürchtet, sie zu verlieren. Er kann nichts tun – und ist zu intelligent, um das nicht zu wissen. Glaubst du nicht, daß er Redstone hassen muß? Also ich sage dir, er würde viel darum geben, wenn er ihm das Genick umdrehen könnte ... Und Redstone andererseits ist seiner Sache noch ganz und gar nicht sicher. Er wähnt immer noch in Porcell ein Hindernis, und ich bin sicher, daß all die Freundlichkeit, die er Porcell heute gegenüber zeigte, Theater war, nichts als Theater.«

Ein wenig überhastet zündete er sich eine Zigarette an.

»Na, und dann dieser spanische Musiker, der Armando. Seine Leidenschaft für Beverley sprüht ihm doch aus den Augen. Ich habe ihn heute abend eine ganze Weile beobachtet.« – Sanders lachte.

»Da irrst du dich aber gewaltig, mein Guter. Er liebt Doris Nielan.«

»So?« lächelte Ballinger. »Das hat er vielleicht einmal getan. Aber sein Verhältnis zu ihr hält er jetzt nur noch aus einem einzigen Grunde aufrecht; nämlich, um durch sie mit Beverley in Kontakt zu bleiben ...

Aber um auf das Haßmotiv zurückzukommen. Er würde es sicher mit großer Freude begrüßen, wenn Porcell und Redstone durch irgendeine Ursache aus dem Wege geräumt würden.

Und dann ist da noch Ruth Raynor. Sie sieht, wie Redstone ihr entgleitet, und weiß, daß deine Schwester der Grund ist. Hast du nicht gesehen, wie krampfhaft sie heute deine Schwester anlächelte? Und die Nielan wiederum schwebte in der dauernden Furcht, Armando zu verlieren.«

Mit einer schnellen Kurve bog der Wagen in die 87. Straße ein.

»Da bleiben nur noch von Oefele und Berenson übrig«, ging Sanders auf Ballingers absonderlichem Gedankenwege weiter.

»Von Oefele«, meinte Ballinger nachdenklich, »steht allerdings einigermaßen isoliert. Jedenfalls soweit ich sehen kann. Seine einzigen zutage liegenden Leidenschaften scheinen Chopin und Whisky zu sein. Aber Berenson ... Porcell und Redstone haben sicherlich das Interesse bemerkt, das deine Schwester für ihn hat, seit er ihr Porträt malt. Und sie dürften keine Männer sein, wenn sie nicht dauernd mit dem leisen Verdacht umgingen, sie könnte sich in ihn verlieben.«

Sie verfielen wieder jeder seinen eigenen Gedanken, bis sie in Sanders Wohnung vor der Vitrine standen. Sanders warf Hut und Stock in einen Sessel und zog mit dem Eifer eines Kindes seinen Freund heran.

»Ist das nicht Wirklichkeit gewordene Schönheit, John?«

Ballinger nickte fast feierlich. »Tatsächlich, du scheinst zum erstenmal nicht übers Ohr gehauen worden zu sein.« Er ging zur Tür und schaltete die Deckenbeleuchtung ein. »Das muß ich mir gründlich ansehen!«

Eine Stunde verging, und sie waren immer noch mit dem Prachtstück von Gewerbekunst beschäftigt. Ballinger war gerade bei einem längeren Vortrag über den Unterschied zwischen San-Domingo-Mahagoni und der moderneren Honduras-Abart, als das Telefon schrillte.

Sanders ging in das Vorzimmer und griff zum Hörer. Eine Sekunde Schweigen, dann ...

»O Gott!«

Ballinger warf sich herum und sah den Freund schwanken. Er hörte ihn tonlos fragen: »Wann?«

Dann kam er gerade noch zurecht, um Sanders zu stützen. Der Hörer fiel polternd zur Erde.

Sekunden vergingen, bis Sanders abwesend mit schreckensstarren Augen flüsterte: »Meine Schwester! Sie ... sie ist ermordet worden!«

* * *


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