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Schon dunkelte es. Während man kämpfte, war der sonntagsfrohe Trost blaudurchleuchteten Himmels entschwunden; starre Gebilde der Menschen schwankten an seiner Statt über Steinschluchten: surrende Bogenlampen; und das blöde selbstvergnügte Glühgas stand höhnend in Glaskästen. Hier war Baum gewesen; zwischen den Gräben schwankten fette Gräser im Streichelwind; im Frühling schrien die Wiesen gelb von Hahnenfuß und Ranunkeln, frühsommers golden die Felder von Senf und Hederich.

Nun war's entfremdet. Lüge war's, Heimstatt zu heißen dies. Heimat war Rasenwange, Fichtenborke und Zickzackflug von Motten. Und dorthin zu pilgern tat nicht mehr not, als das Rad zu rüsten: schon schwinden die Vorstadthäuser, die Teerpappenlauben der Arbeiter ducken sich im Ansprung der Ebene, leicht vergilbt starrt fedrig das Winterkorn, von Schnee befreit; dann: die Heide! Die Heide!

Kein Strick, nein. Tiefere Ruhe ist anders, verläßt nicht so gewaltsam zappelnd das Hier. Hingebreitet ins Kraut, Himmel eingefangen ins Auge, leichter Druck dann des Fingers und die Welt birst.

»Dann bin ich frei. Ich weiß nur dies: schweben werde ich, das nächtige Geball der Bäume wird zu mir heraufgrüßen, im Frührot funkeln die Seen, tiefer drinnen im Wald ziehen Nebelschwaden dahin, wandernde Vögel schreien. Oder aber, verspült, taumele ich dann, nährende Kraft, durch das Adergeschlinge von Blumen, Zellen bauend, wandelnd gewandelt, fühle ich in ewig gedankenloser Stille Sonne auf mir ...

Spurenlos treiben diese Menschen über den Granit ihrer Wege. Ich wandle mich kaum. Nie sah ich Tat, die Welt prägte. Es ist leicht.«

Nein, schwer war schon dies. Diese Treppe war leichter gewesen, damals; nun klingelt Kai, das Gesicht des Schirmer steht da und auch in ihm kämpft Erröten mit Erbleichen, während Augurenblick beide beschmutzt.

»Hast du Zeit?«

»Komm ...!«

Dunkelnacht, liebe ... Schritt singt an Schritt, hassenswert doch, da so strupplig haariger Bekleidung des andern Kai denkt. Jenes gereizter Leib, mißfarben, von ungeeigneter Nahrung befleckt, ist Ekel. Selbst Wort wird Übelkeit, weil er's sagen muß, diesem wieder einmal. Die Fingerspitzen sind staubig. Wie Erbrechen dreht Klang um Klang sich als Finger in schlingschluckender Kehle.

»Hans ... habe eine Bitte ...«

Schweigen, zwischen den Büschen glotzt eine Lampe, Kai verhält, wühlt in der Tasche, zählt Geld, wieder im Dunkel wägt er's dem andern in die Hand. »Da ... fünfzehn Mark, mehr habe ich ...«

»Wofür!«

»Du mußt mir ... ich denke, du kannst das eher ... eine Schülermütze fällt auf ... nicht, du bist so gut, besorgst mir einen – Revolver ...«

Schwarz. Schwarz. Schwarz.

Schritt marschiert. Atem zuckt. Vor den Augen fällt es, hastig mehr und mehr.

»Nein, Kai! Nein, Kai!«

Wind weht. Keine Menschen. Man kennt sich nicht selbst. Auch Hans sich nicht.

»Du tust es. Ich bitte dich.«

»Kai ...«

»Du hast Angst? Glaube mir, kaum Wechsel ...« Mut wächst, prahlerisches Reden: »Kaum Wandlung ist das. Sicher schmerzlos. Ich ende nicht, ändre mich nur ...«

»Entdeckt?«

»Nein. Sie glauben mir. Lieben mich mehr als je. Aber Ruhe, Hans, Ruhe ...«

Weit wird's drinnen. Ruhe! Nicht mehr die Dunkelwege. Keine Angst mehr. Noch ist die Wäsche von Furcht genäßt, und das Zittern hockt wie vorher im Nacken und klirrt mit dem Rückgrat. Weg! Weg! Nicht mehr dies. Die beschmutzte Seite ausreißen, das befleckte Gesicht, Maske nur, abstreifen, neu sein! Lässiges Spreizen der Glieder, wissend, Furchtsprung wird nicht mehr sein. – Behaupten unmöglich. Schon der nächste, sicher der übernächste Angriff bricht ihn ab. So viel Reden, Kampf! Entrinne noch vorher.

»Nein, Kai ... tu das nicht! Deine Eltern, denk doch, dein Vater!«

Flüstern, eindringlich, da Hand Hand gepackt hält: »Ich tue es nicht ... Bist du auch drauf reingefallen ...? Denkst du, so dumm ...? Auch ich liebe Leben ... Nur zum Drohen, verstehst du ... Wenn sie mich strafen wollen ...«

»Sie finden dich?«

»Nein, nein. Aber versteh doch: für alle Fälle. Nein, nicht für alle Fälle. Ach, versteh doch, Hans! Nein, bist du dumm, bist du dumm!«

Eifriger dann, wie im Spiegel sah er sich nun, den Posa: »Soll ich hinfallen, flehen? Auf die Knie vor dir? Willst du das? Ich tue es. Ich küsse deine Hand. Aber ich muß ihn haben. Wohin sollte ich denn? Du bist der einzige doch!«

»Ich kann nicht ...«

»Du kannst. Keine Briefe mehr. Nichts mehr. Alles bleibt ruhig. Tu es also.«

»Keine Briefe mehr? Gar nichts mehr? So plötzlich? Nicht noch einer, wenigstens noch einer?«

»Nein, nein. Es ist genug. Das Ziel ist erreicht. Tue es nun, Hans!«

Der geht still. Ein Schatten schwankt weiter. Fort. Fort. Dann ist die Nacht wieder da, die er vergaß im brennenden Weh der Empörung. Wind in den Zweigen, die kaum beben. Herbstblätter rascheln auf Eichen.

»Er tut es! Aber ich? Ich?«


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