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VII. Lehre von den Affecten

– – – Si quid novisti rectius istis.
Candidus imperii, si non, his utere mecum.
Horat.

Die Meisten, welche von den Affecten geschrieben haben, scheinen nicht von natürlichen Dingen, die dem Gesetze des Alls unterworfen sind, sondern von Dingen, die außerhalb der Natur sind, zu sprechen. Sie beweinen, belachen, bestaunen und verachten den Menschen, statt ihn zu studiren. Ich aber denke so: Nichts geschieht in der Natur, was man ihr vorwerfen dürfte; denn sie ist immer und überall die Eine, und folgt einem unwandelbaren Gesetze. Haß, Zorn, Neid u.s.w., an sich betrachtet, folgen also aus derselben Notwendigkeit, als alles Uebrige; sie erkennen mithin bestimmte Ursachen an, durch welche sie verstanden werden können, und haben bestimmte Eigenschaften, welche unserer Wißbegierde eben so würdig sind, als die Eigenschaften aller anderen Dinge, an deren Betrachtung wir uns ergötzen.

Wir wirken, wenn etwas in oder außer uns geschieht, dessen wahre Ursache wir sind, das heißt: wenn aus unserem Wesen etwas folgt, was aus diesem Wesen begriffen werden kann. Wir leiden, wenn sich in uns etwas ereignet, wovon wir nur zum Theile die wahre Ursache sind. Affect ist, was unsern Körper dergestalt afficirt, daß seine Kraft zu wirken dadurch erweitert oder beschränkt wird. Wenn wir also von solchen Affecten die wahre Ursache sind, so wird der Affect zur Handlung, wo nicht, zum Leiden. So wirkt denn unser Geist Manches, und Manches leitet er: so lange er nämlich wahr und er selbst ist, d.h. klare Ideen hat, wirkt er; sobald er irrt, leidet er. Daraus folgt, daß unser Geist um so mehr den Leidenschaften unterworfen sein wird, je mehr er dem Irrthum verfällt; je mehr er sich zur Wahrheit bildet, desto activer wird er sein.

Freude ist der Affect, welcher den Geist zu höherer Vollkommenheit erhebt, was ihn seiner Thatkraft beraubt, ist Traurigkeit. Liebe ist nichts Anderes, als Freude, von der Vorstellung einer äußern Ursache begleitet, – Haß nichts Anderes, als Traurigkeit, von einer solchen Vorstellung veranlaßt. Die Aehnlichkeit eines Gegenstandes mit einem, der uns einst Freude oder Trauer erregte, erregt nun Liebe oder Haß in uns, deren Gründe uns nicht gleich klar sind, – was wir dann Sympathie und Antipathie nennen.

Die Ohnmacht des Menschen, seine Affecte zu mäßigen, zu beherrschen, nenne ich Knechtschaft. Der Geist hat sein Recht den äußeren Dingen abgetreten, so daß er nun gezwungen wird: das Bessere zu billigen und dem Schlimmen zu folgen. Und wie Geist und Körper innig verbunden zu betrachten sind, so wird nun auch dieser der Gewalt der äußern Natur, deren er ein Theil ist, dahingegeben. Darum habe ich meinen Geist zur Freudigkeit gestimmt, weil Thränen, Seufzer, Furcht und dergleichen Zeichen einer ohnmächtigen Seele, zugleich Hindernisse der Tugend und Gesundheit sind. Je gesünder aber der Körper ist, desto geneigter ist er, den Geist mit Stoffen zu versorgen, woraus dieser sich bildet und seine Macht erweitert. Welche Freudigkeit ich aber meine, will ich bald erklären.

Nach der Vernunft handeln, heißt nichts Anderes, als dasjenige thun, was aus der Nothwendigkeit unserer Natur, an sich betrachtet, folgt. Die Natur aber jedes Wesens strebt, sich in ihrem Dasein zu erhalten. Ein freier Mensch wird an keine Sache weniger denken, als an den Tod, und seine Weisheit wird keine Betrachtung des Todes, sondern des Lebens sein. Denn ein freier Mensch, das ist ein Mensch, der nach Vernunft lebt, wird nicht von der Furcht beherrscht, sondern strebt, durch Wirksamkeit sich in seinem Dasein zu erhalten. Er sucht die Dinge, wie sie an sich sind, zu begreifen, und die Hindernisse der wahren Erkenntniß zu beseitigen, als da sind: Haß, Zorn, Neid, Stolz, Dünkel, – damit er handeln und sich freuen könne.

Alle unsere Bemühungen und Triebe folgen aus der Nothwendigkeit unserer Natur, dergestalt, daß sie entweder durch diese allein, als durch ihren nächsten Grund, zu begreifen sind, oder insofern wir uns als Theile der Natur betrachten, welche an sich, ohne Bezug auf andere Individuen, nicht begriffen werden können. Jene Triebe, welche so aus unserm Wesen folgen, daß sie aus diesem allein zu verstehen sind, beziehen sich auf den Geist, insofern dieser in klaren Ideen lebt; die übrigen Triebe beziehen sich nicht auf den Geist, außer insofern er unklar ist. Ihre Gewalt darf man keine menschliche nennen, weil sie von den Dingen außer uns abhängt. Daher heißt man billig jene: Tätigkeiten, und diese: Leidenschaften. Denn jene zeigen unsere Kraft, diese unsere Schwäche und Unwissenheit. Jene sind immer gut, diese bald gut, bald übel. Für's Leben ist es also zuvörderst nützlich, die Vernunft nach Kräften zu bilden, und in diesem Einen ruht alle Glückseligkeit des Menschen, welche ja nichts Anderes ist, als jener Friede des Gemüthes, welcher der Anschauung Gottes entquillt. Die Vernunft bilden ist aber wieder nichts Anderes, als die Gottheit in den notwendigen Gesetzen der Natur erkennen zu lernen. Das also ist der höchste Zweck, das der lebhafteste Affect des in der Vernunft lebenden Menschen, durch den er alle übrigen Affecte zu beherrschen strebt: sich und alle Dinge, die in seinem Kreise liegen, klar begreifen zu lernen.

Ein Affect, der zur Leidenschaft geworden ist, hört auf Leidenschaft zu sein, sobald wir uns von ihm einen klaren Begriff gemacht haben. Denn alle Leidenschaft ist ein verworrener Begriff. Es gibt aber keinen Affect, von dem wir nicht einen klaren Begriff erlangen könnten. Klar begreifen wir, was wir im Zusammenhange mit den Gesetzen des Weltalls begreifen, im Sinne der ewigen Gerechtigkeit. Man lernt hieraus zweierlei: erstens, wie viel der Mensch vermöge, sein Leiden, insofern es Affecten entspringt, zu mindern; zweitens, daß Thätigkeit und Leiden dem Menschen aus Einem Triebe kommen. Die Natur des Sterblichen ist z.B. so geartet, daß Jeder wünscht, die Uebrigen möchten nach seinem Sinne leben. Dieser Wunsch wird in Jenem, der nicht nach der Vernunft lebt, zum Leiden, welches Dünkel heißt; in Jenem, der im Geiste lebt, zur Tugend, welche sich in thätigem Streben äußert. So sind alle Triebe Leidenschaft, so lange sie verworrenen Begriffen entspringen, – Handlungen, sobald sie der Erkenntniß angehören. –

Es gibt also kein wirksameres und herrlicheres Mittel, die Affecte zu zähmen, als: ihr Verständniß. Wenigstens läßt sich innerhalb der Grenzen unserer Macht kein anderes erdenken; denn darin einzig besteht die Gewalt unseres Geistes: klare Ideen zu bilden.

Je mehr die Vernunft alle Dinge unter dem Begriffe der Nothwendigkeit auffaßt, desto mehr erlangt sie Gewalt über die Leidenschaften, desto weniger leiden wir also. Je deutlicher diese Einsicht in uns jedes einzelne Verhältniß beleuchtet, desto mehr wächst die Gewalt. Die Erfahrung bestätigt das. Denn wir sehen, daß die Trauer über einen Verlust sich mildert, wenn wir einsehen, daß das Verlorne auf keine Weise zu retten war. Wir sehen, daß Niemand ein Kind bedauert, weil es nicht sprechen, gehen oder conversiren kann, oder weil es so viele Jahre seiner unbewußt hinlebt. Aber wenn die meisten Menschen im Zustande Erwachsener und nur Ein und der Andere als Kind zur Welt kämen, dann würde Jeder die Kinder beklagen, weil dann die Kindheit nicht als Naturnothwendigkeit, sondern als eine traurige Ausnahme von den Gesetzen der Natur erschiene.

Das Beste also, was wir thun können, so lange wir noch zu keiner klaren Erkenntniß unserer Neigungen gelangt sind, ist: daß wir eine rechte Art zu handeln, gewisse Dogmen des Lebens festsetzen und unserm Innern eindrücken, die wir den einzelnen Zuständen des Daseins anpassen, damit unser Wesen allmählich von ihnen durchdrungen und geläutert werde. Unter die Dogmen des Lebens gehört es z.B., daß durch Liebe der Haß zu bezwingen sei. Um dieses Gesetz stets bereit zu halten, mögen wir die Seligkeiten bedenken, die unserem Geschlechte aus der Liebe zufließen, und daß die Menschen nach unabänderlichen Impulsen der Natur handeln, dann wird das Unrecht, das sie thun und das unsern Zorn erregen möchte, nur einen kleinen Winkel unserer Einbildungskraft einnehmen. Aber das ermahne ich, daß wir bei diesem Ordnen der Gedanken immer das vor Augen haben sollen, was an jeder Sache Gutes ist, damit uns immer das Gefühl der Freudigkeit zum Handeln bewege. Wenn Jemand einsieht, daß ihn der Ruhm anreize, so denke er dem nach, was am Ruhme Aechtes und Gutes ist, und wie der wahre Ruhm zu erlangen sei, nicht aber über seinen Mißbrauch, seine Vergänglichkeit und dergleichen, worüber sich nur ein krankes Denken quält. Solche Vorstellungen peinigen den Ehrsüchtigen, dessen Pläne gescheitert sind, und der, indem er seine Galle ausschüttet, weise scheinen will. Gewiß ist es, glaubt mir, daß Jene den Ruhm am heftigsten begehren, die ewig von seiner Nichtigkeit declamiren. Der verarmte Geizhals hört nicht auf, vom Mißbrauch des Geldes, von den Lastern des Reichen zu schwatzen; der unglücklich Verliebte klagt unaufhörlich über die Unbeständigkeit des weiblichen Geschlechtes, und Beide erreichen nichts, als daß sie ihr Elend vermehren, und beweisen, wie sie nicht nur es nicht zu ertragen wissen, sondern das Glück Anderer mit scheelem Auge ansehen.

Ein Affect kann durch nichts besiegt werden, als durch einen stärkeren. Die stärkeren sind die thätigen, die sich auf den Geist der Menschen beziehen. Je mehr der Geist umfaßt, je mehr er alles Einzelne auf Eines zu beziehen fähig wird, desto lebhafter werden die Affecte, die ihm angehören. Nun aber kann es der menschliche Geist so weit bringen, daß sich in ihm die Gestalten aller einzelnen Dinge auf die Idee der Gottheit beziehen, die höchste, die ihm erreichbar ist. Hieraus entquillt die Liebe zu Gott, der reinste, beste und stärkste aller Affecte. In ihr verschwindet alles Andere; wer sie ergreift, wandelt thätig im klaren Lichte, und mit ihr ist Alles ausgesprochen, was sich über die Besiegung der Leidenschaften überhaupt sagen läßt.

Aber auch dieser Affect hat seine Wurzel in der Erkenntniß, wie alle thätigen, aus ihm entspringenden. Je mehr wir alle einzelnen Dinge verstehen lernen, desto mehr nähern wir uns der Erkenntniß des Höchsten. Aus dieser Erkenntniß fließt dann die innigste Befriedigung des Geistes, die sich erdenken läßt. Das ist die Freudigkeit, von welcher ich oben geredet habe. Liebe – sagte ich – ist nichts Anderes als Freude, von der Vorstellung ihrer Ursache begleitet. Die Freude aber, womit wir Alles umfassen, weil wir in Gott die Ursache von Allem erkennen, muß eine ewige Liebe in uns gebären. Sie überwindet Alles, weil sie selbst unüberwindlich ist.

Wir sehen also hieraus klar ein, worauf unser ganzes Heil, unser Glück, unsere Freiheit, unsere Gesundheit beruht: nämlich auf der beharrlichen und unwandelbaren Liebe zu Gott. Die Ueberzeugung der Menge freilich ist eine andere. Frei glauben sie zu sein, wenn sie ihren Gelüsten gehorchen dürfen; ihren Rechten glauben sie etwas zu vergeben, wenn sie sich ewigen Gesetzen unterwerfen sollen. Sie wissen nicht, daß Seligkeit nicht der Lohn der Liebe, sondern die Liebe selbst ist, und daß wir ihrer nicht theilhaft werden, weil wir unsere Leidenschaften bezwingen, sondern daß wir diese bezwingen, weil wir selig sind.

Hiermit habe ich Alles, was ich von der Gewalt des Geistes über die Leidenschaften, von der Freiheit des Geistes zu sagen gedachte, gesagt. Es geht daraus hervor, um wie viel mehr der Weise vermöge, als der Thörichte. Denn dieser wird von den äußeren Dingen im Kreise herumgejagt, kommt nie zur Befriedigung in sich selbst, lebt Gottes, der Welt und seiner selbst unbewußt, und hört in demselben Augenblicke auf da zu sein, in welchem er aufhört zu leiden. Der Weise aber als solcher, wird im Innern von keinem Sturme bewegt, sondern Gottes und der ewigen Nothwendigkeit eingedenk, hört er niemals auf, zu sein, zu wirken. Und wenn auch der Weg, den ich hiezu vorbezeichnet habe, gar schwierig scheint, – glaubt mir, zu finden ist er doch. Und wahrlich schwierig muß es ja wol sein, was so selten gefunden wird. Denn wie könnte es geschehen, wenn das Heil bereit läge und ohne Mühe zu gewinnen wäre, daß es fast von Allen versäumt würde? Aber alles Herrliche ist schwierig und ist selten.


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