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II.
Im grünen Taunus


Hatzichenstein

Der Sängelberg lag in der tiefen Sommerruhe wie das mit grüner Kappe bedeckte Haupt eines Riesen, der – den gewaltigen Leib und die müden Glieder dem Feldberg zu gereckt, das Gesicht in den Armen vergraben – sich zu einem tiefen Tagesschlaf auf den Boden geworfen. Und wo die grüne Kappe über die Stirn gezogen war, um dem grellen Sonnenlicht zu wehren – wo Buchen aus dem Boden ragten, gleichsam die um Arme und Haupt des Riesen noch aufrechten Gräser bedeutend, lag auf felsiger Schrunde die Burg Hattstein.

Der Hatzichenstein …

Nicht auf wilder Höhe war er erbaut, anmutig und fast idyllisch stieg der schlimmste Trutz der Reichsstadt Frankfurt am Main und des Landfriedens am Rheine von seinem Felsenuntergrund wie ein verzaubertes Schloß auf. Mit Rotziegeln gedeckte Zinnen, auf denen Kupferknäufe wie lauteres Gold in der Sommersonne blinkten – ein phantasievoll aussehendes und dennoch wohlberechnetes Gehäufe von Türmen – gewaltige Mauern, fast unersteigbar erscheinend – das alles auf einen verhältnismäßig engen Raum zusammengedrängt, aneinander und ineinander gebaut … so sah der Hatzichenstein wie das frech am Straßenrand errichtete Raubvogelnest eines grimmen Sperbers drein.

Der runde »Daressenturm« barg in seinem tief in der Erde steckenden Fuß das Burgverlies.

Und nun saß einer in der stinkenden, fauligen Tiefe und hatte mit seinem Leben abgeschlossen … das war Henchen Hanauwe, der Stadtbote Frankfurts.

Als er am Abend vorher die Burg erreicht und den Ratsbrief abgegeben hatte, ließ ihn Philipp von Hattstein greifen und durch das viereckige Deckenloch an einem Seil ins Verlies hinab befördern. Das war geschehen, kaum daß Herr Hatzicho Wolf von Hattstein den Rücken gewendet hatte und in den Palas gegangen war, um sich mit seinen beiden Brüdern über das Schreiben der Reichsstadt an ihn und die Hattsteiner Ganerben zu besprechen. Da er sich jedoch mit den beiden nicht einigen konnte, nur ein unschlüssig Hin und Her, Für und Wider über den Inhalt des Pergamentes entstanden war, so war von dem bequem veranlagten Dietrich vorgeschlagen worden, man möchte für den nächsten Tag eine neue Beratung anberaumen. Philipp hatte sich murrend, Hatzicho zögernd gefügt. Und so waren die drei nun abermals beisammen. In der großen, von nach dem Burghof gehenden Fenstern erhellten Halle fand die neue Beratung statt. Auch der Schloßhauptmann Henerig war dazu gerufen worden; bescheiden seinen Platz wählend, war er neben dem Eingang stehengeblieben. Philipp und Dietrich stritten eifrig über des Frankfurter Rates Vorschläge, während sich Herr Hatzicho schweigsam verhielt, nachdem er als der geschulteste der Brüder den Ratsbrief nochmals laut vorgelesen hatte.

»Ich meinesteils halte dafür: wir kommen den Krämern am Maine ein weniges entgegen, indem wir antworten«, schlug Dietrich vor. Er war ein sommersprossiger Herr mit dünnen, blonden Haaren über seinem gutmütigen und bartlosen Gesicht. Seinem bedächtigen Naturhang entsprechend, saß er behäbig am Tisch in der Mitte der Halle, die Faust am Henkel eines Zinnkrugs, aus dem er von Zeit zu Zeit einen tüchtigen Schluck nahm. – Der Ratsbrief wäre maßvoll gehalten, sprach er weiter; was läge schließlich daran, dem Schäfer Geckir ein paar Gulden zu schenken – ein Vermögen für so einen armen Schlucker, dem sicherlich das Gesicht durch den Schwertschlag arg entstellt sei. Von Gilbrecht Weißes Wein könne man schreiben, daß er den Weg alles Weines gegangen wäre, und so wolle man ihn ob seiner Süffigkeit gelegentlich dem Ratsherrn vergüten.

»Du denkst immer nur ans Saufen!« warf ihm der hagere Philipp vor, der mit einem bösartigen Hustenanfall zu kämpfen gehabt hatte. »Die Gulden für den Schäfer und das Geld für den Wein – aus deinem Säckel allein geht's ja nicht.« Er warf den Oberkörper ärgerlich in den Stuhl zurück, in dem er auf der andern Tischseite saß, reckte die krummen Reiterbeine von sich und kreuzte die Arme über der Brust. Das gallig und finster aussehende, fahl und ungesund gefärbte Gesicht senkend, zwirbelte er an seinem langen schwarzen Schnurrbart herum. Düster zu Boden sehend, brummelte er mehr für sich als zu den Brüdern: das Haus in Bonames hätte er mit Fug und Recht anzünden lassen, weil der dumme Bauer zur Verteidigung nach einer Mistgabel gegriffen und ihm einen Stoß gegen den Gaul zu bieten gewagt hätte … mit dem Viehforttreiben wäre solchem Schalk also nicht genug angetan gewesen. Den Frankfurter Rat solle samt und sonders eher der Henker holen, als daß er – der Älteste auf Hattstein – es billige, wenn dem Bonameser Lümmel auch nur ein einziger Heller bezahlt oder dem Klaus Keseler auch nur ein einziger Hammel vergütet würde. Schad' sei's, daß bei der Gelegenheit auf der Ginnheimer Höhe der Hirt nicht wie der Hund krepierte.

»Deine Seele ist nicht nur grausam, sie hängt auch allzusehr irdischen Gütern an«, entgegnete Dietrich; doch meinte er es, verschmitzt lächelnd, im Scherz und führte damit nur eine Redensart an, die Herr Hatzicho öfter gegen Philipp gebrauchte. Er griff den Zinnkrug fester und hob ihn zum Sommersprossengesicht.

»Und deine Seele ist dumm und weiß nichts Besseres, als in den Krug zu riechen!« fauchte Philipp zurück. »Dereinst wird sie durch ein Spundloch in den Himmel fahren wollen.«

»Wie die deine durch einen Geldsack in die Hölle«, gab Dietrich ein wenig erzürnt wider, da er seinem Spaß mit Ernst begegnet sah. Gleich darauf tat ihm jedoch der Vorwurf gegen den Kränkelnden leid, mildsinnig wie er war. Er setzte den Weinkrug an, schlürfte einen bedächtigen Zug und wischte mit behaglichem Schmatzen den Handrücken übern Mund. Gutmütig schob er dem Bruder das Gefäß hinüber. Er solle trinken, forderte er ihn auf, denn die Hitze plage sichtlich den Philipp und schaffe ihm Galle; von der Galle wohl käme auch der Husten … wie er denn überhaupt seit ein paar Jahren gar nicht mehr zu erkennen wäre. »Es ist doch rein, als hätte man dir in Frankfurt das Blut damals bitter gehext!« beteuerte er. »Nie gestandest du, was dir dort eigentlich widerfahren – außer der Tatsache, daß dir die Verhandlungen um den Bündnisvertrag mit der Reichsstadt kläglich mißglückten.«

Diesen anschuldigenden Vorwurf hatte Philipp daheim schon öfter hören müssen; nun schoß er einen wütenden Blick über den Tisch. Sein verwüstetes, von der Krankheit übel zugerichtetes Gesicht, immer noch Spuren einstiger Schönheit aufweisend, wurde um noch einen Hauch fahler. Der schlimme Husten begann ihn wieder zu quälen. Rasch griff er nach Dietrichs Weinkrug und suchte dem Anfall durch einen kühlenden Schluck Einhalt zu tun. Schwer und keuchend atmend, saß er dann da. Auf seiner Stirn perlte der Schweiß der Schwäche. Die magere Hand zerrte eifriger am Schnurrbart. Der Mann versank in tiefes Nachdenken und blieb verstummt.

Der Jüngste von den dreien war Herr Hatzicho – ein edel gewachsener Mensch in der letzten Hälfte der zwanziger Jahre. Er war der überlegenste und tatkräftigste der Hattsteiner, von nicht unvornehmer Gesinnung und adligen Herzens, trotzdem er wie die Brüder von Sattel und Stegreif lebte. Sein aufrichtig und vornehm wirkendes Gesicht trug das Gepräge kühnen Mutes, wie auch des Mannes ganze Haltung von innerlichem Adel zeugte. Das von langen, dunkeln Locken umkrauste Haupt trug er aufrecht. Die blaugrauen Augen blitzten feurig und fest und dennoch in einem gewissen Schein von Güte. Der schön geschwungene, bartlos gehaltene Mund lag frisch über dem straffen Kinn. Ein zurückhaltendes Spottlächeln hatte ihm die Lippen ein wenig geöffnet, während er – ganz in Erz gerüstet auf und ab schreitend – der Zwiesprache seiner Brüder gefolgt war. Als Philipp zu husten begann, betrachtete er ihn mitleidig, zuckte dann aber die Achseln und wendete seine Aufmerksamkeit einer stattlichen Reihe von Armbrusten zu. Die hingen nebeneinander an der längsten Wand der Halle; darunter standen eisenbeschlagene Kasten mit einem gehörigen Vorrat stahlspitziger Bolze, deren Schaften mit abwechselnd weißen und roten Federchen gefiedert waren. Als Philipps keuchender und röchelnder Atem sich beruhigt, ging Herr Hatzicho zum Schloßhauptmann Henerig hinüber. Mit breit gestellten Beinen, freundlichen Gesichtes und die Hände auf die erzgeschützten Hüften gestützt, blieb er vor dem Manne stehen.

»Nun? … was würdest du sagen, Hene?« fragte er, den Namen Henerig nach seiner Gewohnheit vertraulich abkürzend.

»Ich …?« Der Schloßvogt fuhr sich über den grauen Langbart und sah den jüngsten seiner Herren gedankenvoll an. Dann lehnte sich der bärenmäßig stark aussehende Alte an die Holztäfelung der Saalwand und begann an der borstigen rechtsseitigen Augenbraue wie an einem Schnurrbart zu drehen. Man merkte den Haaren diese Angewöhnung an, denn sie waren weit länger als über dem linken Auge und machten die rechte Gesichtshälfte mürrisch und finster.

»Weiter weißt du nichts?« meinte Herr Hatzicho, nachdem er ihm lächelnd eine Weile zugesehen.

»Meine Stimme hat doch wohl bei dieser Beratung keine Gült«, hob Henerig an. »Wird den Frankfurtern – wie auf dem Hattstein stets des Brauches war – ihr Verlangen abgeschlagen, und fällt ihnen dann bei, uns wider die Mauern zu ziehen, so wird alles in Ordnung sein, um eine Belagerung zu überdauern. Ja, nicht nur das … wir können ihnen einen gehörigen Denkzettel anhängen, wie das im Herbstanfang vor einigen dreißig Jahren geschah, damals, als ich noch als ein bescheidener Söldner Herrn Kunrad diente. – Auf dem runden Daressenturm stehen unsere vier guten Stücke und freuen sich längst darauf, kräftig Feuer und Kugeln zu spucken. Die beiden Rohre bei der Ostmauer sind nicht minder gierig. Na, und Geschoßvorrat wie Pulvermengen sind mehr als reichlich.«

»Wenn du nur für deine Arckaley sorgen kannst, alter Pulverteufel!« scherzte Herr Hatzicho.

»Barbara beschütz' uns!« bat Henerig fromm und bekreuzte sich. Dann zählte er weiter auf. »In den Kellern lagern Fässer voll Bucheckern und Dürrobst. Unter den luftigen Dächern des Palas sind die Säcke voll Mehl aufgestapelt. Vieh steht genug in den Ställen; und ist das aufgezehrt, so bleiben uns noch dreißig Gäule – nein, zweiunddreißig mit dem Weinfuhrmann seinen Rössern!« unterbrach er sich und fuhr dann fort: »Alle Winkel in Türmen, Mannen- und Gesindehäusern, alle Treppenecken im Schloß und im Hartenfelshaus sind mit Scheiterholz vollgepfropft, das erstlich zum Kochen der Nahrung und dann zum Siedendmachen des Schüttwassers für die Spängelbergseite der Burg dienen wird. Hafer, Gerste und Heu für die Tiere – Stroh für die Ställe – unter den Dächern auf dem Hofe strotzt es davon. Ich habe drum eine Feuerwache eingerichtet, denn wenn bei der greulichen Hitze dieses Sommers ein einzig Fünkchen in den Vorrat flöge, gäb's ein Unglück – gar nicht auszudenken.«

»Feuer im Hattstein? … das wäre das erstemal! Und dennoch lobe ich deine weise Fürsicht«, sagte der Ritter. »Und nun weiter – da dir das Aufzählen Freude zu machen scheint?« setzte er freundlich hinzu.

Der Schloßvogt begann wieder. »Der Wasservorrat in den beiden Zisternen wird tagtäglich aufgefrischt und stets bei gleichem Maß gehalten, weil doch der Brunnen außerhalb der Mauern liegt. So wie ich streng verbot, daß nach der Dunkelheit jemand mit Licht unter die Hofdächer gehe, so verbot ich auch streng, vom Wasser in den Zisternen zu nehmen, solange die Burg offen ist. Der Trinkwassertrog auf dem Hofe wird dreimal am Tage nachgefüllt …«

»Und Leibriemen, den Magen einzuschnüren, falls bei langer Belagerung der Hunger arg wird, hast du für Herren und Mannen auch vorgesehen!« schloß Herr Hatzicho gutgelaunt die Aufzählung. »Ja, ja – du bist fürwahr meine rechte Hand und der wackerste Vogt, den jemals der Taunus sah, wie du auch der wackerste Büchsenmeister bist, der je auf einer Raubveste ein Feuerrohr richtete. Allein – du hast recht mit aller deiner Sorg'. Wir fehden allerwege und alle Welt … wie's Hattsteinscher Brauch – – und wie es gute Absichten bei mir wollen«, fügte er nachdenklich hinzu. »Da kann man nie wissen, wie einem auf ja und nein der Feind vor den Mauern liegt. Mein Verlaß bist du, Hene.«

Der Langbart in dem finstern Gesicht Henerigs zitterte unter einem geschmeichelten Lächeln. »Also sollen die Frankfurter nur kommen!« drohte der Alte und ließ endlich die Augenbraue in Frieden; sie stand nun zugespitzt, grimmig gesträubt, und machte das ohnehin mürrische Gesicht Henerigs um noch einen Grad verbissener.

»Holla!« machte der Ritter. »Du tust ja, als hielten wir hier Kriegsrat? Nein, so weit sind wir noch nicht, Hene, und vermutlich wird's auch so weit nicht kommen. Der Brief Frankfurts ist wohl teils eine Art Hohn, teils aber nichts Besseres denn ein demütig Gebettel: Lieben Hattsteiner, haltet doch um Himmels willen Frieden, damit wir uns in Muße die feisten Bäuche mästen können, und auf daß uns die Sorge nicht den Appetit verdirbt!« Herr Hatzicho begann sich zu erregen. Er trat vom Vogt fort und nahm das Umherwandern wieder auf. Es war, wie wenn etwas Quälendes in ihm wäre, irgendeine Vorstellung, irgendein Wille, denen er vergeblich nachjagte oder die er sich zu einem Ziele gesetzt hatte. Das Blaugrau seiner Augen verdüsterte sich, weil sich die Pupillen weiteten … wie bei einem Menschen, der die Erfüllung seiner Vorsätze zwar in der Ferne noch, aber durchaus nicht als ein Unmögliches sieht. Dann glomm der Schein seines Blickes in ein feuriges Leuchten über, fast fanatisch sah es aus. Und langsam verging dieser feierliche Ausdruck zu hellem Zürnen. »Niemand kennt Frankfurts patrizischen Rat besser als ich – jene untereinander verschwägerte und versippte Kumpanei, die eifersüchtig darüber wacht, daß ja kein Fremder in ihre Reihe dringe und die Eintracht störe. Die wenigen ihnen nicht Verwandten sind ihnen verhaßt, denn diese sind es, die gegen die Rechtlosmachung der Bürgerschaft kämpfen. Nicht von ihm geleitete Bürger will der Rat unter den Frankfurtern verstehen, sondern regierte Untertanen. Mit offenen Augen sah ich das, früh begreifend und viel vernehmend, als ich bis über mein achtzehntes Lebensjahr hinaus in Frankfurt weltlich vornehme Erziehung genoß, frei werdend erst dann, wie unser Vater Herr Kunrad die Augen für immer schloß. Segen seinem guten Willen, der mehr als nur den Burggesessenen, nein, einen Edelmann höfischer Art aus mir machen wollte. Dieser gute Wille aber ist ein Gift in meinem Leben geworden; er weckte ein Streben in mir, das ein Ziel hat und dennoch ziellos ist, weil mir wohl die Kraft verliehen ward, jenem Ziele zu folgen, während mir die Macht ermangelt, das von mir gewollte Gute zu verwirklichen. Ich versuch's mit Raub und Stegreif, und das macht mich zum Mißverstandenen und Verfemten … und just die, um derentwillen ich so handle, mißverstehen mich am ärgsten: die Bürger! Sie wollen sich über mein Wohlmeinen nicht belehren lassen, weil der Frankfurter Rat die stärkere Stimme hat, in der die meine verhallt. Wer denkt am Maine noch an den jungen Adligen, der sich mit dem gemeinen Manne gemein machte, weil er durch seines Gewissens Zwang gelehrt worden war: es gibt Bürgerrechte, die im Wuchern der Ratsrechte ersticken sollen. Man kam im ›Römer‹ hinter meine Anschauungen, und so hassen mich die Ratsmannen – wenigstens jene, die in ihrem aufgeblasenen Dünkel meinen, der gesamte Taunusadel wäre nur ein Gelump burggesessener Bauern – wie sie denn vom Throne ihrer Kramsäcke aus jeden ererbten Adel verpönen, sie, die da meinen, nur das Geklimper eines goldgefüllten Geldbeutels mache den Menschen vornehm. – Nicht nur aus Aberwitz und Stegreiflust, nicht nur aus Freude an Raubritt und Überfall wurde ich ›der Hattsteiner‹ … ich bin's vielmehr um den sorglosen, großmächtigen Schlemmern vor Augen zu führen, daß sie ein faul Gesindel sind, ohnmächtig allem Kraftbewußtsein gegenüber, blutsaugerisch sich von der Lammesgeduld der gemeinen Bürgerlichen die Truhe füllen lassend. Mit meinem Willen ward nie ein achtbarer Frankfurter Bürger überfallen. Freilich, wir Ganerben auf dem Hattstein sind nicht mit unschätzbaren Gütern gesegnet und müssen vom Sattel leben – doch tun desgleichen Größere als wir in deutschen Landen … es ist einmal das Vorrecht unseres Standes … und ist mir dies Vorrecht auch unbequem nach dem Mahnen der Stimme in mir – einer Stimme, die ich noch nicht ganz verstehen lernte –, so ist es mir doch durch Überlieferungen zur Pflicht gemacht. Und die Zeit ist noch nicht da, in der ein Mensch mit Überlieferungen brechen darf.«

»Diese Überlieferungen haben auch ihr Gutes!« warf Dietrich ein. Er schmunzelte und trank aus seinem Krug – so meinte er's: ansonst käme er nicht dazu, Gilbrecht Weißes köstlichen Wein zu schlemmen.

»Das sind die Gründe, aus denen her ich meine Faust so schwer auf dem lasten lasse, das ich meinesteils Frankfurt nenne. Was wagte bislang der Rat gegen diese Faust? Nicht mehr, als hier und da einen Vergleich mit uns – einmal ein Lagern vor den Mauern und ein betrüblich Davonziehen vor drei Jahren – und diesmal einen Fetzen Pergament, den der Wind zum Spott über den ganzen Taunus wirbelt, sobald ich das widerliche Geschreibsel zum Fenster hinausschleuder'. Zorn der Stadt! … Acht des Reiches! … leere, hohle, erbärmliche Drohungen, die daherhallen und schon verklungen sind – weniger meinem Ohr, als wenn der Specht auf den Buchen des Sängelbergs hämmert. Und wenn auch! … du sagtest wahr, Hene: mit meinem festen Hattstein trutz ich dem Kaiser, und der Stadt Frankfurt erst recht!« Während dieses Ausbruchs, dessen Worte er laut mehr zu sich, als an die andern gerichtet, gesprochen, war er an den Tisch gelangt. »Und deshalb: keine Antwort ist auch eine!« trotzte er und blieb stehen, den wieder kühl gewordenen Blick fest in der Brüder Augen bohrend.

Philipp richtete sich ein wenig aus seinem Zusammengesunkensein auf. Neidisch musterte er Herrn Hatzicho. »Du sprichst, als hättest du ganz allein auf dem Hattstein zu gebieten!«

Hatzichos Widerhalt diesem Vorwurf klang scharf: er wäre zwar der jüngste der Brüder, antwortete er, aber der dreißigjährige Dietrich bequeme sich bei Kann, Wein und Mägden – die zwanzigjährige Schwester Eberte wisse nichts von Kampf und Fehde und streife nur froh und frisch, sorglos singend, im Taunus – und Philipp wäre mit seinen fünfunddreißig Jahren krank und abgelebt durch zu früh vergeudete Kraft. Hierbei wollte der Leidende auffahren, doch der Bruder schnitt ihm das Wort ab und sprach weiter: wer anders als er, der Gesündeste und Kraftvollste, dürfe sich demnach wohl anmaßen, in der Burg der Mann der Tat zu sein? Mit Suff und Becherfüllen, wie Dietrich täte, mache man keine Mauern fest und bringe an der Heerstraße keinen Krämer auf. Auch mit der Grausamkeit gegen Mensch und Vieh, wie dem Philipp beliebe, könne man keine Burg verteidigen – Herr Hatzicho erhob die Stimme zu schneidendem Vorwurf –, sondern mit Klugheit und Vorerwägen. Auch derselben Grausamkeit werde beim Reiten nie Gut und Gewinst verdankt, sondern dem Mute und dem Vorbedacht. Unnütze Grausamkeit aber sei Philipps Hang, so oft er selbständig reite und ohne den Bruder Hatzicho befragt zu haben, ob sich der Ritt auch verlohne. Und im Widerwillen vor dieser Grausamkeit wäre er auch dagegen, daß man den Henchen Hanauwe ins Verlies geworfen hätte. Gut, man solle dem Läufer den Ratsbrief um die Ohren schlagen, und ihm sagen: das wäre die an des Rates Adresse zu bestellende Antwort. Den friedlichen Mann aber zu quälen mit Hunger und Gefängnis, der nichts Schlimmeres getan, als für seinen Sold die Schuldigkeit erfüllt – nein, solche Unbarmherzigkeit wäre nicht nach seinem Geschmack, und sie wäre auch kein gegen Frankfurt geführter Faustschlag, sondern nur eine läppische Beleidigung. Daher verüble er Philipp diese Eigenmächtigkeit – sie sähe just nicht besser aus, als ob er es wäre, der auf dem Hattstein allein befehligen wolle.

Auf einen gereizten Ausruf Philipps hin, klapperte Dietrich mit dem Deckel seines Zinnkruges dazwischen und verbat sich einen Streit.

»Hängt nicht dein Herz am Besitz?« ermahnte er den wieder Hustenden. »Fehden aber kosten allerweile Geld, und wir haben davon weniger als das reiche Frankfurt!« ergriff er nun das Wort. »Die Stadt nennt in ihrem Brief den Henchen Hanauwe ihren ›unantastbaren Boten‹ … dahinter steckt bei aller Frömmigkeit des Schreibens sicherlich eine hinterlistige Drohung. Vielleicht will man uns damit reizen, daß wir uns erst recht an dem Menschen vergehen sollen? Auch mir gefiel es keineswegs, daß er gestern abend in den Turm hinab mußte, kaum daß er nach Fug und Recht den Ratsbrief abgegeben. Wir wollen ihn heraufseilen lassen und ihn nach Hatzichos Vorschlag heimschicken. Das wird den Rat ärgern, aber er wird nichts daraufhin unternehmen können. Was wir dadurch an den Ausgaben einer Belagerung ersparen, dazugerechnet, was wir des weiteren bei einer Belagerung verlieren, wenn Sättel und Rosse rasten müssen, das könnten wir – ohne den tausendsten Teil anzutasten – dem geizigen Keseler für seine Hämmel und dem Gilbrecht Weiße für seinen guten Wein anbieten. Und der Wein ist wirklich sogar ganz außerordentlich gut!« Er hob den Krug und trank mit verklärtem Gesicht. »Die Stadt nennt ja nur zwei Beträge bei sichern Summen!« sprach er weiter. »Zwanzig Gulden für den Bonameser Bauern … der ist mit der Hälfte auch zufrieden, da ihm nur der Dachstuhl zum Teufel lohte. Das Haus neu aufzurichten, weigern wir uns mit Fuge, da ein Gaul einen Stich mit der Mistgabel empfing – also Blut auf unserer Seite floß. Den sehr törichten Schlag nach dem waffenledigen Schäfer führtest du gleichfalls, Philipp, drum wende dein Herz einmal von der Besitzgier und laß drei Gulden springen. Sei froh dazu, wenn man dir den armen Hund nicht anrechnet, den du so tapfer mit dem Schwerte gespalten.«

»Dietrich …!« fuhr Philipp auf.

Aber der Bruder winkte ab und redete fort. »Was zum Beschluß noch einmal Wein und Hämmel anbetrifft, so könnten wir uns erbieten, mit Weiße und Keseler um die Gült verhandeln zu wollen. Das läßt uns Zeit gewinnen, und mit allerlei Handeln und Kautelen können wir's in den Winter hinein dehnen. So bringt sich's zuletzt in Vergessenheit, wenn erst der Taunus einschneite. Danach bleibt dann alles still, ist anzunehmen. – Klosser und Bolzen braucht der Grund um den Hattstein nicht zu fressen, und läßt dennoch die Bäume wachsen. Das Pulver braucht kein Rauch zu werden, den der Wind dem Feldberg zutreibt, denn der trägt wie der Altkönig dennoch Wolken. Schließlich, wenn sie uns bezwingen, müssen wir uns mit ihnen wegen der Fehde vertragen, und es läuft auf langweilige, langwierige Vergleiche hinaus. Dann haben wir unsere Mauern zu flicken, nicht aber Frankfurt die seinen. Hol's der Teufel – ich mag die ›Kathrine‹ nicht vor dem Hattstein brummen hören!«

Als würde ihm heiß bei solchen Vorstellungen, nahm er den Zinnkrug und leerte ihn, daß nicht einmal das Feucht des Weines an den Wänden des Gefäßes blieb.

Zufrieden hatte Hatzicho zugehört. Was Dietrich gesprochen, war ganz nach seinem Sinne gewesen, soweit es nicht von einem listigen Ausweichen vor einer Fehde mit Frankfurt handelte. Er scheute den Unfried mit der Reichsstadt nicht und vertraute dem guten Hattstein, wie der Tapferkeit seiner Mannen und der Umsicht des Schloßvogtes Henerig. Aber er wußte: kam's erst zu einem Kriegsrat, dann hatte er nicht mehr allein zu bestimmen und würde wohl nicht nur den einen, sondern beide Brüder gegen sich haben. Kampflust war in ihm rege, und daß er, wie weiland Herr Kunrad in seinen jungen Jahren, die Belagerer mit schlappen Ohren heimschicken könnte, dessen war er überzeugt. Doch – sandte Frankfurt den Absagebrief, so sollte es um einer kraftvollen Tat willen geschehen, nicht einer feigen Erbärmlichkeit halber, wie des Mißgriffs mit dem Henchen Hanauwe. Er sah nach Philipp; der saß wieder in sich versunken da – finster und wie Rache brütend.

»So will ich den Stadtboten aus dem Verlies seilen lassen und mit ihm reden«, erklärte Herr Hatzicho nach kurzem Schweigen. Fragend blickte er noch einmal die Brüder an.

»Tu's!« stimmte Dietrich bei und klappte den Krugdeckel zu. »Und da du einmal auf dem Wege bist, schick' mir den Küper mit einer frischen Kanne Weines!« rief er dem hinausgehenden Hatzicho nach, der den Vogt Henerig zum Mitkommen aufgefordert hatte.

»Ich bin nicht mehr, der ich war – sonst wehrte ich dem Unsinn mit Faust und Eisen«, murmelte Philipp und erhob sich. Er nahm nach kurzem Bedenken eine Armbrust von der Wand und griff eine Faustvoll Bolze aus der einen Lade. Die Wehr über die Schulter gehängt, prüfte er die rotweißgefiederten Geschosse.

»Was hast du damit vor?« frug Dietrich verwundert.

»Ich muß mich vom Grimm befreien, daß alles über meinen Kopf und Willen hinweg beschlossen ist«, antwortete Philipp. »Auf etwas zielen muß ich – und wär's auch nur auf einen Raben oder einen Tannenwipfel.« Er steckte die Bolze in seine Gürteltasche, nahm die Armbrust vor und spannte sie, worauf er die leere Sehne schnurren ließ. Nachdem er dies einigemal getan und von der Sicherheit der Waffe überzeugt zu sein schien, verließ er mit kurzem Gruß die Halle.

Herr Dietrich faltete beschaulich die Hände überm Bauch. Die Lider begannen ihm schwer zu werden. Ein paarmal noch blinzelte er, ob denn der Küper nicht bald mit der Kanne käme. Dann knurrte er seufzend in sich hinein … sicher hatte Hatzicho den Auftrag absichtlich vergessen. Ja, ja, der Hatzicho! … Aber ein Mann war er doch … und die Seele von der Hattsteiner Ganerben Wohlfahrt und Wohlergehen … es war doch so behaglich, daß man sich rein um nichts zu kümmern brauchte … wenn der kranke Philipp nicht wäre, der selbst des Nachts den Palas mit seinem Husten aufweckte, des Tags übelgelaunt und brummig umherging und mit den Knechten haderte oder mit den Mägden schalt – ach, die lieben Mägde! … Es waren doch so nette Dinger drunter …

Einschlummernd schmatzte Dietrich mit dem trockenen Munde. Daß auch der Küper nicht kam! … Und bald lag auf seinem gutmütigen, sommersprossigen Genießergesicht der Abglanz tiefen Friedens, wie der der Zufriedenheit über die Güte von Gilbrecht Weißes ausgezeichnetem Wein. –


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