Ludwig Fulda
Melodien
Ludwig Fulda

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Das erste Mal

        Ein starker Eindruck, ein groß Erlebnis,
Ein tiefeinschneidendes Begebnis
Läßt, ob sich langsam auch dazwischen
Die Jahre gedrängt, sich nie verwischen.
Wie wenn sich's gestern zugetragen,
Klingt in mir nach, was ich empfand,
Als ich in meinen jungen Tagen
Zum erstenmal in der Zeitung stand.

Doch weil man sonst vermuten müßte,
Daß mich der Ruhm voreilig küßte,
Und daß verfrühte Lorbeerlasten
Gegrünt dem grünen Gymnasiasten
Im langen lyrischen Lockenhaar,
So will ich gleich vorweg bemerken,
Daß weder von meinen herrlichen Werken
Noch meinen Taten die Rede war.
Die mich erwähnende Rubrik
Betraf weder Handel noch Politik;
Auch nicht im Traumland unter dem Strich
»Aus Kunst und Leben« erwähnte man mich.
Von mir zu künden wußten nicht
Theaternotizen noch Miszellen;
Ich stand nur im Lokalbericht,
Will sagen, unter den Unglücksfällen.
Dort war es zu lesen inhaltschwer,
Mit knappesten Worten ausgesprochen;
»Ein Knabe hat gestern den Arm gebrochen.«
Ein Knabe – nicht weniger und nicht mehr.
Ein Knabe; doch unter dem Pseudonyme
Erriet man mühelos den Rest;
Denn ob ich auch ungern mich selber rühme,
Der Knabe war ich, so viel steht fest.

Ich war es! Und wer es bezweifelt hätte,
Dem konnt' ich's beweisen, daß Gott erbarm!
Denn stöhnend und ächzend lag ich im Bette
Mit meinem gestern gebrochenen Arm.
Mutwillig hatt' ich mir's eingebrockt,
Durch die dämonische Gewalt
Der Jugendeselei verlockt
Zwar nicht aufs Eis, doch auf den Asphalt.
Ja, das verdammte Rollschuhlaufen
War damals grade recht im Schwang;
Ich rollte mit, jedoch nicht lang;
Pardauz, da fiel ich übern Haufen.
Ein Krach, ein unterdrückter Schrei –
Und richtig war mein Arm entzwei.

Nun lag ich in meiner stillen Kammer
Auf schlicht bescheidenem Schmerzenspfühl,
Verbunden, verschnürt, ein wahrer Jammer,
Ja, mußte, rechnend auf Mitgefühl,
Für mein leichtsinniges Verschulden
Noch manchen bitteren Vorwurf dulden,
Und meinem inn- und äußeren Harm
Schien trostlos mein gebrochener Arm
Sich zum Symbol emporzuheben
Für ein durchaus verfehltes Leben.

Da plötzlich brachte man mir das Blatt,
Die große, mystisch verehrte Zeitung,
Die sich der weitesten Verbreitung
Erfreute in meiner Vaterstadt,
Und mitten in meiner herben Qual
Erschien, dank dem Lokalberichte,
Mein ganzer Fall mit einem Mal
Mir in vollständig neuem Lichte.
Hier konnt' ich erkennen mit stolzem Blick,
Daß keineswegs mein Mißgeschick
Im Dunkel sich unbemerkt verkrochen;
Hier war es verkündet mit lautem Schall
Als öffentlich bedeutsamer Fall:
»Ein Knabe hat gestern den Arm gebrochen.«
So las man es jetzt in jedem Haus
Der ganzen Stadt und drüber hinaus,
Und folglich, selbstverständlicherweise,
War nun im riesigen Leserkreise
Das Forschen und Fragen allgemein:
Wer mag wohl jener Knabe sein?
Mein Name, genannt von Eingeweihten,
Er mußte bereits in dieser Stunde
Auf Schwingen des Windes getragen gleiten
Von Straße zu Straße, von Mund zu Munde.
Ich, der im einsamen Bette lag,
Kein Zweifel, ich beherrschte den Tag;
Ich war sein Löwe, ich war sein Held
Als aktuellster Knabe der Welt.

Vermochten einem solchen Knaben
Noch Körpergebresten was anzuhaben?
Ein Zauber hatte sie vertrieben.
Ich war gehoben, ich war berauscht;
Ich hätte mit keinem König getauscht,
Mit keinem, des Arme ganz geblieben.
Mich hatte geheilt von allem Schmerze
Die Wunderarznei der Druckerschwärze,
Und mit des Leidens Überwindung
Stellte sich ein zu gleicher Zeit
Die wonnig erhabene Ich-Empfindung
Der offiziellen Persönlichkeit. – –

Verschweigen lasse man mich die Zahl
Der Jahre, die seitdem entschwanden!
Ich habe seit jenem ersten Mal
Noch häufig in der Zeitung gestanden.
Mit vollem Namen prangt' ich oft
An fraglos weit vornehmeren Stellen,
Manchmal auch unter den Unglücksfällen,
Wenn einen Glücksfall ich erhofft.
Doch – klang das Lob auch voll und kräftig,
Traf auch der Tadel bis ins Mark,
Der Eindruck war nicht mehr so heftig,
Die Wirkung nicht mehr halb so stark.
Wir können, was die Götter geben,
Selbst des papierenen Ruhmes Glück,
Nur einmal zum erstenmal erleben;
Dies Hochgefühl kehrt nie zurück.
Und seit mich die Erfahrung duckte,
Wie schnell verweht selbst das Gedruckte,
Bekenn' ich ohne falsche Scham
Als meinen innigsten Wunsch auf Erden.
Ich möchte wieder der Knabe werden,
Der sich und die Welt so wichtig nahm.

 

 


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