Gustaf af Geijerstam
Alte Briefe
Gustaf af Geijerstam

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Frau Gerdas Geheimnis

1

Paris.

Er wird einmal vorbei sein so wie alle anderen, dieser Sommer, den ich erwarte, und es wird wieder Herbst werden. So unglaublich es jetzt klingt, wird dies doch einmal geschehen, und dann werde ich wieder das Gefühl haben können, daß in mir Frühling ist. Alles wird dann wieder anders werden. Alles. Ja, kann das wirklich möglich sein? Ist nicht jede derartige Hoffnung nur eine leere Illusion? Wer kann es mir sagen? Wer? Es heißt ja, die Zeit heile alle Wunden. Ach, wie leer, wie armselig erscheinen uns nicht eigentlich alle derartigen Weisheitsworte, wenn wir versuchen wollen, sie auf uns selbst anzuwenden, an den Wunden blutend, die die Zeit heilen soll! Ein solches Wort sagt mir jetzt gar nichts. Es klingt für mich lächerlich und hohnvoll, und ich begreife nicht, wie es mir eigentlich einfallen konnte.

Ich hörte einmal die Geschichte einer Frau, über deren Schicksal ich oft nachgegrübelt habe. Ich erinnere mich, daß ich einmal mit meinem Manne darüber sprach, und er sagte, daß er es sehr wohl verstehen könne. Er sah ernst, beinahe träumerisch aus, als er dies sagte, und er blieb dann sitzen und streichelte gedankenvoll meine Hand. Ein Glücksgefühl durchzuckte mich. Es war beinahe, als hätte ich ihm alles anvertraut und er hätte mich in seine Arme geschlossen und gesagt, er verstehe auch mich. Ich schlang meinen Arm um seinen Hals und küßte ihn so innig, daß ich meinte, er müsse es fühlen, daß ich ihm beichtete. Im selben Augenblick erschrak ich, und es war mir, als ob mein Herz bis hinauf zum Stehkragen klopfte. Aber er saß nur ruhig und glücklich an meiner Seite, und seine Augen feuchteten sich vor Glück, weil er nur daran dachte, wie innig ich ihn liebte.

Die Geschichte war diese:

Es war ein junges Weib, das weder reich noch schön war, und nie in seinem Leben geliebt worden, nie Gegenstand jener Huldigung gewesen war, die die Männer den Frauen darbringen, welche sie zu Gattinnen oder Geliebten begehren. Es fehlte ihr wohl das Bedürfnis selbst zu lieben und sich von einem Manne geliebt zu wissen. Sie war gleichgültig gegen die Liebe, sie hatte nie von einem Manne geträumt, nie sich von jenem Glücke berauscht geträumt, das heißt, sich hinzugeben. Aber in ihrem tiefsten Inneren barg sie eine andere Leidenschaft. Sie träumte Tag und Nacht von einem Kinde, das sie auf ihren Knieen wiegen konnte, das sie mütterlich und warm lieben durfte, das sie aufwachsen sehen würde und dem sie all die Zärtlichkeit widmen konnte, die sie sich sehnte zu schenken. Sie war so wunderlich, dieses Mädchen, daß sie Mutter sein wollte, ohne zu lieben, und sie pflegte Tage damit zu verbringen, in den öffentlichen Anlagen die Kinder zu betrachten, die, von der Mutter oder der Kinderfrau geführt, dort herumgingen. Aber sie spielte niemals mit anderer Leute Kinder, sie sprach sie nicht einmal an. Sie hatte eine Scheu vor ihnen, so wie eine gute Frau sich davor scheuen wird, einer anderen Frau den Geliebten zu stehlen. Sie ging an ihnen vorbei mit ihren Träumen.

Ach, was muß sie geträumt haben, diese Frau, und wie tief muß sie gelitten haben. Denn so sehr Weib war sie, daß sie nicht ein fremdes Kind annehmen wollte, bevor sie wußte, daß die Natur ihr die Möglichkeit versagt hatte, ein eigenes zu bekommen. Sie hatte wohl daran gedacht, ein fremdes Kind anzunehmen und es zu ihrem eigenen zu machen, aber immer hatte sie den Gedanken zurückgestoßen, als enthielte er etwas Widerwärtiges, etwas so Geringes und Armseliges, daß es ihren Traum zu einem eitlen Spiel mit leeren Gefühlen machte. Es war für sie, glaube ich, beinahe so wie etwas Unnatürliches zu begehen.

Und nun wurde diese Frau plötzlich reich. Sie beerbte eine entfernte Verwandte, und ihr ganzes Leben wechselte die Farbe, wie es wohl immer der Fall ist, wenn der Reichtum plötzlich einen armen Menschen zu Freiheit und Unabhängigkeit emporhebt. Sogleich wurde sie gefeiert und gesucht. Ihre Verwandten begannen sich zu erinnern, daß sie sie immer gerne gehabt hätten, und die Männer entdeckten, daß sie weibliche Reize besaß und gewiß eine ausgezeichnete Gattin sein würde.

Da packte sie ein Haß gegen ihre Umgebung, ein Haß gegen ihr eigenes Leben, und es wurde ihr natürlich, jedes Gefühl zu verachten, das einen Mann zu einem Weibe zog. Sie haßte all das so heftig, daß sie es los werden wollte, um jeden Preis. Sie wollte eine Tat begehen, die sie außerhalb jener falschen Zärtlichkeit stellte, die ihr Judasküsse bot. Sie wollte ihrer Familie entgehen und sich die Männer ferne halten. Sie reiste nach Paris, um Ruhe zu finden, und da reifte ihr Plan.

Was nützte ihr dieser Reichtum, der doch nur ein Mittel sein sollte, um sie glücklich zu machen? Sie war nicht genußsüchtig, nicht prunkliebend, sie hatte keine Begabung, die sie zwang, ihren eigenen Weg zu gehen. Sie war nicht eigensüchtig, und sie wußte, daß sie nur das einzige vom Leben verlangte, ihre volle mütterliche Zärtlichkeit einem Wesen zu opfern, das sie lieben, ihr treu sein und ihr alles zu danken haben würde. Ich glaube, dieses Gefühl muß in ihr mit einer Stärke aufgeflammt sein, wie sie einen Mann veranlaßt, welche Tat immer zu begehen, um jene Befriedigung zu erringen, die er in der Vollbringung eines Meisterwerkes sucht. Sie griff nach dem einzigen Mittel, das sie finden konnte. Sie sah nicht, daß es unschön und häßlich war, nur, daß es ihren Traum erfüllen konnte.

Darum ging sie in den Fabriken und den Arbeitervierteln von Paris herum, ging dort einher ruhig und beherrscht von diesem Traume, den sie nicht lassen konnte – und wählte. Sie ersah einen jungen schönen Arbeiter aus, der für sie nichts anderes war als ein gesunder, kräftiger Mann. Sie sprach mit ihm, und nachdem sie ihm die Augen verbunden hatte, führte sie ihn in einem Wagen zu sich nach Hause. Sie behielt ihn bei sich, bis der Morgen graute. Dann verband sie ihm wieder die Augen und ließ ihn fortfahren.

Nie sah sie ihn wieder. Nichts anderes wollte sie von ihm, als daß er ihr ein Kind schenken sollte. Sie freute sich allein an diesem Traume, den sie zur Wirklichkeit gemacht; und ohne der Welt ihr Geheimnis zu verraten, zeigte sie sich eines Tages offen vor allen mit ihrem Kinde an der Hand. Sie war nun befreit von jenen, die ihren Reichtum und ihre Gunst gesucht hatten. Sie war befreit von den Männern, die in ihr eine zweideutige Person sahen. Sie war befreit von den Frauen, die sich ihrer Gesellschaft schämten. Ihr ganzes Leben gehörte nur ihr und ihrem Kinde. Und sie war glücklicher, sagt man, als Menschen es sonst sind.

Pierre lächelte, als ich ihm die Geschichte erzählte, und sagte, daß diese Frau in ihrer Weise ein Genie war.

»Ein Genie?« fragte ich.

»Ja,« sagte er lächelnd, »als Weib.«

Er hatte recht, und ich empfand seine Worte als einen schneidenden Vorwurf gegen mich selbst. Ich wurde in diesem Augenblick in meinen eigenen Augen so klein und unbedeutend, daß ich fühlte, wie die Tränen mir in der Kehle aufstiegen, und ich mußte mich abwenden, um es ihn nicht merken zu lassen. Aber er merkte es doch, wandte meinen Kopf herum und zog mich an sich. Er war erstaunt und fragte mich »ob er mich böse gemacht habe«. Ich konnte nichts antworten, schüttelte nur den Kopf. Aber ich fühlte, wie die Tränen aus meinen Augen tropften, ohne daß ich sie aufhalten konnte, und ich glaubte gleichsam den Schatten eines Verdachtes über sein Gesicht huschen zu sehen. Aber er verschwand sogleich, und anstatt dessen sagte er:

»Wie wunderlich ihr Frauen seid! Man kann aus euch nie klug werden.«

Ach, ich hätte alles in der Welt hingegeben, um mich ihm erklären zu können, und es gab auch keinen Winkel, den ich verbarg, außer gerade dies einzige, das ich nicht mehr offenbaren konnte.

Und ich vermochte die Worte nicht zurückzuhalten, die über meine Lippen glitten:

»Du sagst, daß du sie verstehst. Ich finde, es ist verabscheuungswürdig.«

Er lächelte und nahm sie in Schutz, in einem eigentümlichen ruhigen Tone, der in mir immer ein wunderliches Gefühl des Zorns und zugleich der Bewunderung erregt. Es ist, als wenn er alles durchschaute und niemanden verurteilen wollte. Und das reizt mich, weil ich selbst gerade das nie kann.

»Wolltest du, daß ich dasselbe getan hätte, wie sie?« sagte ich.

»Du?« antwortete er in demselben Tone. »Es handelt sich ja nicht um dich, sondern um sie.«

Was dachte er, als er mir so antwortete? Ich weiß es ja nicht. Glaubte er, ich hätte so etwas tun können, oder meinte er nicht mehr damit, als direkt in seinen Worten lag?

Ich verstand es nicht. Aber ich wußte, daß ich log, als ich das Betragen dieser Frau verabscheuungswürdig nannte. Ich bewunderte sie im Gegenteil, und ich beneidete sie um ihren Mut. Wenn ich an sie denke – und sie kommt mir oft in den Sinn – schrumpfe ich in meinen eigenen Augen zu etwas Geringerem als nichts zusammen.

Sie war hundertmal besser als ich.

 


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