Friedrich Gerstäcker
Sträflinge
Friedrich Gerstäcker

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26

Mac Donald setzte, als er den früheren Kameraden stehen ließ, seinen Weg anscheinend ruhig fort; er durfte den Burschen nicht merken lassen, wie unangenehm ihm die Begegnung gewesen war.

Nun mußte er mehr als je auf seiner Hut sein. Er bedauerte jetzt, Doktor Spiegel den Besuch für diesen Abend zugesagt zu haben. Dem konnte er aber nicht mehr ausweichen. Außerdem war er ziemlich sicher, den deutschen Kapitän dort wiederzutreffen, und wurde er mit diesem näher bekannt, so ließ sich doch am Ende ein Weg finden, auf seinem Schiffe zu entweichen.

Susanna Lischke war schon in vollem Staate, und der alte Lischke saß schmunzelnd auf seinem Schemel und betrachtete seine Tochter, an der er, seit sie sich so rasch dem väterlichen Willen gefügt, seine ganz absonderliche Freude hatte. Mit den sogenannten »Gesellschaften« war er sonst gar nicht einverstanden, und es fiel ihm nicht ein, daran teilzunehmen. Übrigens hatte er keine Ahnung, daß Herr von Pick in Spiegels Hause bekannt war, keine Überredungskunst würde ihn sonst vermocht haben, seine Tochter wieder mit dem »Musjö«, wie er ihn nannte, zusammenzubringen. Dem Doktor Schreiber hingegen konnte er sein Kind anvertrauen; das war ein ruhiger, gesetzter Mann und ein tüchtiger Arzt. Morgen fand dann, wie es schon heute bestimmt worden war, die Verlobung mit Christian Helling statt.

Mac Donald und Susanna schritten, miteinander plaudernd, die Straße entlang. Noch hatten sie nicht die Hälfte des Weges zurückgelegt und eben eine Stelle erreicht, wo an einer Fenzecke ein kleines Gebüsch von Wattel- und Gumbäumen stehen geblieben war, als Mac Donald die Gestalt eines Mannes bemerkte, der, als er die Schritte hörte, aus dem Schatten vortrat, aber auch gleich wieder dahinter verschwand.

Bald darauf erreichten sie Spiegels Haus. Hier empfing sie der Doktor, strahlend vor Vergnügen, und führte seine Gäste in das untere Zimmer, in dem schon ein großer Teil der Gesellschaft versammelt war.

So hatten sich schon unsere beiden Bekannten, der junge Doktor Anastasius Fiedel und der Apotheker Schelling eingefunden; Kapitän Helger lehnte neben der alten Frau Spiegel, mit der er sich gemütlich unterhielt und dabei sorgfältig seinen etwas dünnen Tee in einen »steifen Grog« verwandelte, und selbst Breyfeld, der Ornithologe, saß schüchtern auf einer Stuhlecke und hielt seine Tasse in der einen und ein Stück Kuchen in der anderen Hand.

Außer denen, die wir schon früher getroffen haben, war noch ein Herr Tegel, Mitarbeiter an der Adelaide-Zeitung, und dann ein Engländer, ein Mr. Smith, mit seiner Frau anwesend. Er schien sich entsetzlich zu langweilen und saß neben seiner Frau steif in einer Ecke, bis eine andere Familie, zu Kapitän Helgers unbegrenztem Erstaunen wieder ein Doktor, mit seiner Frau und Tochter, das Zimmer betrat. Es war ein deutscher Missionar, der Doktor und Pastor Meier, der sich seit einer langen Reihe von Jahren schon mit der höchst trostlosen Arbeit beschäftigte, die schwarzen Stämme dem Christentum und der Zivilisation zu gewinnen.

Susannas Erscheinen brachte neues Leben in den kleinen Kreis. Ihr lebhaftes, munteres Wesen, und ihre musikalischen Talente hatten ihr die Herzen schon lange gewonnen. Sie schloß sich übrigens augenblicklich an Marie Meier, die Tochter des Missionars, an, während sich Mac Donald nach den ersten Begrüßungen zu Kapitän Helger in die eine Ecke des Zimmers zurückzog. Dann erschien Herr von Pick. Doktor Spiegel, der ihn schon mit Schmerzen erwartet hatte, führte ihn in das Nebenzimmer und sagte leise:

»Hören Sie einmal, mein guter Herr von Pick, was um Gottes willen ist denn das für eine Geschichte mit dem Johnson? Ein dunkles Gerücht läuft durch die Stadt, daß es mit seiner Kohlengeschichte Schwindel gewesen sei und er selber sich aus dem Staube gemacht habe.«

Pick war es höchst fatal, daß Spiegel schon davon gehört hatte, den heutigen Abend durfte er sich aber keinesfalls stören lassen.

»Unsinn, bester Doktor!« lachte er deshalb; »Kriegslist – verstehen Sie denn nicht? Eine Menge Aufpasser haben ihn die letzten Tage umlagert, und er hat sich unterdessen nur aus dem Grunde heimlich gedrückt, damit ihm niemand folgen solle. Ein Platz, wo wir uns finden, ist schon bestimmt.«

»Sie nehmen mir eine Zentnerlast vom Herzen«, sagte Spiegel – »aber ich habe es mir auch gleich gedacht.«

»Aber nun, mein lieber Herr von Pick«, setzte er laut hinzu, indem er ihn wieder zurück zur Gesellschaft führte, »sorgen Sie auch etwas für Musik. Sie sind mit wahrer Sehnsucht erwartet worden.«

Von Pick spielte mit ziemlicher Fertigkeit Klavier, hatte auch eine recht hübsche Stimme, und unterzog sich gern dem Auftrag.

Er hatte bald Fräulein Lischke dazu gebracht, eins ihrer kleinen Lieder, die sie allerliebst sang und die er begleitete, vorzutragen.

Doktor Spiegel hatte aber noch etwas anderes für seine Gäste auf Vorrat. Nach dem Gesange, den er für eine würdige Vorbereitung hielt, wollte er zu der ernsten Unterhaltung des Vorlesens übergehen, brachte einen kleinen Tisch herbei, den er in die Mitte der Stube rückte, schob einen Stuhl dazu und setzte zwei Lichter darauf.

Glücklicherweise hatte er sein Manuskript verlegt, und seine Gäste gewannen dadurch wenigstens etwas Zeit, sich miteinander unterhalten zu können.

Schließlich hatte Spiegel aber doch das Manuskript aufgefunden, und jetzt konnte ihn nichts mehr abhalten, seine schon lange vorbereitete Drohung auszuführen. Die Lichter auf dem kleinen Tisch wurden entzündet, ein Glas Wasser stand bereit, und Doktor Spiegel, die erste Seite des etwa zwei Daumen starken Manuskriptes vor sich, begann – nicht etwa schon zu lesen – sondern erst auseinanderzusetzen, was ihn dazu getrieben hatte, einen Roman zu schreiben.

Es wäre mehr als grausam, dem Leser selbst auch nur etwas von dem Vorgelesenen mitzuteilen. Nur soviel muß er wissen, daß der erste Abschnitt etwa dreiviertel Stunden dauerte, während deren auch nicht eine Silbe geflüstert, mit keinem Löffel geklappert und mit keinem Stuhl gerückt wurde.

Spiegel machte eine Pause – weniger deshalb, seinen Zuhörern eine kurze Ruhe zu gönnen, als vielmehr ihnen nur den bis jetzt vorgetragenen Plan – über den er keineswegs schon selber im klaren war – auseinanderzusetzen und ihre Meinung zu hören. Dadurch aber gewann Herr von Pick die schon lange sehnlichst herbeigewünschte Gelegenheit, sich ungestört mit Susanna unterhalten zu können.

Beide jungen Leute hatten sich in eine Fensternische zurückgezogen, wo sie durch Mr. Smith und den sich eifrig mit ihm unterhaltenden Pastor Meier gedeckt waren.

»Mein liebes Herz«, flüsterte von Pick der Geliebten zu, »du hast mich gestern durch deinen Brief unendlich glücklich gemacht – du glaubst gar nicht –«

»Und ich habe schon tausendmal bereut, ihn geschrieben zu haben«, seufzte Susanna – »und – werde jetzt dafür büßen müssen.«

»Büßen? wieso?«

»Mein Vater hat natürlich den Brief gelesen«, sagte Susanna, »war, da er den versteckten Sinn nicht herausfand, ganz damit einverstanden, und hat jetzt beschlossen, daß morgen abend, wenn Helling zu uns kommt, nicht allein gleich unsere Verlobung gefeiert, sondern auch übermorgen in der Adelaide-Zeitung bekannt gemacht werden soll.«

»Nein – nein und tausendmal nein!« rief von Pick, durch den nahen Verlust seiner letzten Hoffnung zur Verzweiflung getrieben. »Wenn uns denn dein Vater zum äußersten zwingt, mag er sich auch selber die Folgen zuschreiben.«

»Aber was können wir tun?«

»Nachher, Susanna«, flüsterte von Pick rasch, – »Doktor Spiegel beginnt seinen Vortrag wieder und dieser verwünschte Doktor Fiedel hat mich im Auge. Vor Tische muß ich dich noch einen Augenblick allein sehen. Und du versprichst mir zu folgen?«

»Ich kann diesen Christian nicht heiraten«, stöhnte das Mädchen.

»Das sollst du auch nicht; folge nur mir, und es wird noch alles gut werden.«

Wieder begann die Vorlesung – die Zuhörer hatten ihre Plätze eingenommen, und eine volle Stunde lang dauerte die neue Qual; kein Wunder, daß einige Zuhörer einnickten.


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