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O du Gesandter, verkünde alles, was dir herabgesandt

ward von deinem Herrn. Und so du es nicht tust, hast du nicht erfüllt seine Botschaft.

Koran, V, 17.

Was seid ihr in die Wüste hinausgegangen zu sehen? Ein Rohr, das vom Winde hin und her bewegt wird? Oder was seid ihr hinausgegangen zu sehen? Einen Menschen mit weichlichen Kleidern angetan? Oder was seid ihr gegangen zu sehen? – Einen Propheten? – Ja. ich sage euch, einen, der mehr ist als ein Prophet …

Matthäus, XI, 7-9

 

Da nahe der untergehenden Sonne die geliebten Minarette der endlich wiedererreichten Stadt erscheinen; da das erschöpfte Volk sich sehnsuchtsvoll darauf losstürzt … ist nun, o Allah, meine Aufgabe vollbracht? Meine Stimme führt sie nicht mehr.

Ach, sie mögen heute abend an der Schwelle ihrer Häuser vor Liebesfreude jubeln, da sie hier ihre Ruhe wiederfinden. – Ich will in der Wüste zurückbleiben. Ich habe mein Geheimnis verschwiegen, all die Tage und Nächte hindurch. Ich habe ohne Beistand die Last meiner schrecklichen Lüge getragen und mich bis zum Schlusse verstellt; aus Furcht, sie möchten, wenn sie vergeblich ein Ziel für unsere lange Irrfahrt suchten und keines fanden, sich ihrem Schmerze hingeben und nicht mehr weiter können.

Nun laßt mich sprechen, ich bin allein. Aber was soll ich vor Verzweiflung hinausschreien?

Denn jetzt weiß ich, daß es Propheten gibt, die tagsüber den Völkern, die sie führen, die Unruhe und ach, die Verwirrung ihrer Seele verbergen, einen Eifer vortäuschend, der dahin ist, da sie nicht zeigen dürfen, daß er erstorben ist; die schluchzen, wenn die Nacht kommt, wenn sie wieder ganz allein sind und wenn ihnen kaum mehr das Licht der zahllosen Sterne leuchtet und vielleicht die allzuferne Idee – an die sie doch nicht mehr glauben.

Doch du, Fürst, du bist ja tot! Ich selbst habe dich in den Flugsand gebettet; der Wind wehte, der Sand floß dahin, wie die Wogen der großen Ströme; und wer wüßte noch den Ort deines wandernden Grabes? – Warst du es, der dein Volk in der Wüste führte? Oder wurdest du selbst durch einen anderen geführt? Was hast du in der Ebene gefunden? – Es ist ja dort nichts! Nicht wahr, du hast in der Ebene nichts gesehen? Und doch wärest du weitergegangen, hätte dich nicht der Tod ereilt. – Fürst, ich habe das Volk aus der Ebene zurückgeführt.

Gewiß, ich hielt mich anfangs nicht für einen Propheten; ich fühlte mich nicht dazu geboren. Ich war nur ein Märchenerzähler auf den öffentlichen Plätzen, El Hadj, und, da ich Gesänge wußte, nahm man mich mit. Man hat mir gesagt, ich weise auf dem Rücken jenes Mal auf, durch das Gott seine Apostel kennzeichnet; doch ließ ich mich hiedurch nicht warnen, sonst hätte ich die Stadt nicht verlassen; die Furcht vor Gott hätte mir verboten, ihnen zu folgen. Aber konnte ich meine Geschichte ahnen? Prophet! Nur den anderen hatte ich ja geweissagt.

Man brach in eiligem Trupp auf, ohne zu wissen, warum, noch wohin. Sie bezahlten mich, damit ich sie unterhalte. Und so gesellte ich mich zu ihnen. Ich sang ihnen in der Langeweile des weiten Weges Liebeslieder und weinte mit ihnen um die Frauen, die daheim bleiben mußten: so gewann ich ihre Liebe.

Wir rückten in der Richtung auf die Wüste vor. Uns voran zog der Fürst, der in seiner geschlossenen Sänfte getragen wurde; keiner von uns konnte ihn sehen. Des Nachts schlief er allein in seinem Zelt und niemand kam in seine Nähe. Stumme Sklaven schützten seine Einsamkeit. Wie kam es, daß er uns nach sich zog? Es war eine daß sein Entschluß sich unmittelbar auf uns alle übertrug, denn niemand überbrachte uns jemals einen Befehl von ihm. Wir hatten keinen anderen Führer als ihn, der noch immer Schweigen bewahrte. Oder vielleicht sprach er mit seinen Trägern; doch drang seine Stimme nie bis zu uns. Es schienen ihm also alle zu folgen, ohne daß er sie führte. Doch war es eine seltsame Sache, über die ich mich wunderte, daß unser Marsch vorhergesehen und der Weg festgesetzt zu sein schien, als ob andere, die vor uns gezogen waren, ihn schon bezeichnet hätten. Niemand verwunderte sich über unser Erscheinen auf der Straße, und in den Städten, denen wir nahe kamen, fanden sich so leicht Lebensmittel für uns und man bestaunte uns so wenig, daß es schien, man habe uns erwartet. Doch sah man wohl, daß wir nicht zu den Handelskarawanen gehörten, die von Stadt zu Stadt ziehen und die man schon zu empfangen gewohnt ist. Man hätte uns eher für eine kriegerische Truppe halten können, wenn wir mehr Waffen getragen hätten – aber noch ehe man unsere friedliche Absicht erkannte, noch von ferne, ängstigte sich niemand vor uns.

Sobald wir das Reich des Fürsten verlassen hatten, lagerten wir nicht mehr in den Städten, sondern am Fuße ihrer Mauern und auf der nach Osten gerichteten Seite. War die Stadt von Oasen umgeben, so traten wir, wenn es Nacht wurde, nicht mehr unter die Bäume; es herrschte dort eine verderbliche Kühle. Wir lagerten am Rande der Gärten und unsere Seelen gewöhnten sich daran, vor sich nichts als eine endlose Ebene zu sehen.

Manchmal begleitete ich unsere Leute in diese Gärten, wenn sie Lebensmittel einkaufen gingen. Die Händler auf den Plätzen richteten kaum Fragen an uns. Übrigens verstanden wir ihre Sprache immer schwerer. Es war noch die unsrige, aber mit sehr abweichender Aussprache. Und was hätten wir ihnen antworten können? Höchstens, daß wir aus einer Hauptstadt des Südens kamen und daß wir auf unserem langen Marsch nach Norden das Land täglich wüster werden sahen. Bisweilen sang ich; jedoch mehr für die Unsrigen als für diese Fremden, die mich schlecht verstanden, und die kleinen Kinder, die – wenn unser Lager nicht zu weit von ihrer Stadt entfernt war – uns dahin folgten und bis zum Abend blieben, schweigend oder flüsternd um unser von Gestrüpp unterhaltenes Feuer sitzend, die aber weder unsere Reiserüstung noch die reich gestickten Stoffe, die vom Halse der Dromedare herabhingen, mehr in Erstaunen zu versetzen schienen, als daß sie dieselben mit den Fingerspitzen befühlten. Ich sang lange bis in die Nacht hinein, bis mich der Schlaf übermannte:

Die Stadt, die wir verlassen haben,
War reich und groß und schön.
Wenn wir sie nicht verlassen hätten,
Hätten wir nie sie genannt,
Denn wir kannten keine andern.
Nun wollen Bab-el-Khur wir sie heißen,
Damit unter uns von ihr wir sprechen
Und ihren Ruhm könnten tragen
Mit uns durch die Welt.
Unsre Stadt ist schöner
Als jene, durch die wir zogen.
Dort weiß ich Cafés, wo am Abend man plaudert
Und tanzen die schönsten Frauen.
Die Frauen daheim, sie klagen,
Im Liebeskummer unser harrend.
Jeder von uns hat ihrer mehr als eine,
Und die geringste ist wohl noch sehr schön.
Außer der Stadt gibt es Mais und Weizen,
Der Boden ist reich an Getreide.
Unser Fürst ist mächtig unter allen Fürsten;
Niemand kann sich ihm nahen;
Noch keiner sah je sein Gesicht.
Ach, glücklich zu preisen die Gattin,
Die einst sein Antlitz darf schauen!
Hat Schätze sie, die seiner würdig?
Mit welchem Duft salbt sie ihr Haar?
Wo wird die ihn zum Fest erwarten?
Dorthin führt unser Weg.
Nach ihm sie schmachtet voller Ungeduld
Am Ufer der Wasser in weiten Gärten.
Und außer dem Fürsten wird keiner sie schauen;
Doch am Abend der Hochzeit wird reichlich
Fließen für uns Milch der Palmen
Und süßer Wein.
Also sangen wir vor den anderen aus Eitelkeit das

Loblied unserer Stadt und prophezeiten uns selbst eine üppige Zukunft, um nicht mit Geringschätzung angesehen zu werden. Aber des Nachts, wenn alle anderen uns verlassen hatten, zeigten wir nicht mehr diese Zuversicht und sagten uns: »Gewiß, es ist wahr, daß unsere Stadt groß und schön ist, sie, die wir verlassen haben; doch seither ist der Weg lang gewesen und was noch bleibt, was wissen wir davon? Wir müssen dem Fürsten folgen, kein Zweifel; aber wie lange noch? Und bis wohin? Zu welchem Tun führt er uns? Sicherlich, der Fürst weiß es; doch zu wem wohl spräche er?«

Und obgleich sie keine Antwort auf ihre traurige Frage erwarteten, sagte ich zu ihnen: »Zu mir wird er sprechen.«

»Wie würdest du das anstellen?« fragten sie; »man läßt niemanden an ihn herankommen.«

»Gedulden wir uns«, antwortete ich. »Wer in der Nacht wandert, der kann am Tage des Schattens genießen.«

Und ich selbst, als ich dies sagte, begann zu hoffen.

Am nächsten Tage dachte ich, während wir in der Ebene weiter vorrückten und die letzten Schatten verschwanden: »Was nützt es mir, zu singen, wenn mein Lied nicht an das Ohr des Fürsten dringt? Heute nacht werde ich in der Nähe seines Zeltes sein. Die anderen alle, müde wie sie sind, werden schlafen; weniger der Fürst, der sich nicht angestrengt hat; er wird mich hören und ich will so lieblich singen, daß er mich neuerlich wird hören wollen.« Den ganzen Tag dachte ich daran. Eifer beschwingte meinen Schritt und die Sehnsucht nach dieser Nacht, die ich mit meinen Gesängen zu erfüllen gedachte und die allzulange auf sich warten ließ.

Und als die Nacht da war, begann ich, während im Lager alles schwieg, also zu singen: »O Nacht!«

Das Zelt des Fürsten, das außerhalb des Lagers aufgeschlagen war, bildete gleichsam ein Vorgebirge gegen die Ebene, die sich dahinter weit in die Ferne dehnte …

»O Nacht!« Und ich unterbrach meinen Sang durch Pausen, als trüge ihn der Wind davon: ich dachte, der Fürst würde bedauern, ihn nicht ganz hören zu können.

Ein Zelt in der Wüste.
Ein Boot auf den Wogen!

»Was aber, El Hadj, soll ich vom Sande sagen?« Und ich nannte meinen Pilgernamen, da ich vermutete – und meine Annahme bestätigte sich – der Fürst werde sich seiner erinnern und mich dann rufen lassen. Und da nun das Antlitz des Vollmondes sich zu verzerren schien, senkte ich, von seinem Anblick geängstigt, meinen Blick zur Erde. Voll Bewunderung, daß nach der Tageshitze die Sandmassen noch Licht bewahrten, das sie himmelblau erscheinen ließ, sang ich:

Sie sind blauer als die Wogen des Meeres.
Sie waren leuchtender als der Himmel …

Und plötzlich brach ich in lautes Jammern aus: »Seit wieviel Tagen hast du gesagt, daß nun die Hügel des Landes entschwinden und uns zur Stütze unseres Glaubens nichts mehr bleibe als allzuferne Erinnerungen? Was haben wir seither in der Ebene gesehen? Die Ebene! El Hadj! Was wirst du von der Ebene erzählen? Nichts! Nicht wahr, du hast nichts gesehen in der Ebene?

Ich habe Ströme, große Ströme ganz im Sande verschwinden sehen. Ich meine, sie stürzten sich nicht hinein; sie ergossen sich langsam in den Sand und versickerten darin wie Hoffnungen. Manchmal kamen sie in einiger Entfernung wieder zum Vorschein; ich will nicht sagen, daß sie ungestüm emporsprangen; sie entquollen dem Sande ganz einfach in klarem, geseihtem Wasser – gleich Hoffnungen, die wiedererstehen. Weiterhin gab es nur noch Sand; man wußte nicht einmal, was aus den Strömen geworden war. – Ströme, große Ströme, nicht euch zu sehen sind wir gekommen!

Sagt an, was in der Ebene ihr gesehn?
Die mächtige Karawane zog vorbei.
Was, meint ihr, sah sie auf dem Sand?
Gebleicht Gebein und leeres Muschelwerk.
Und Spuren, Spuren, nichts als Spuren,
Verweht, ach, durch den Wüstenwind.
Der Wüste Riesenwind durchbraust das Land.
Sagt, was zu sehen kamt ihr in die Ebene?
War es ein Rohr, vom Sturm gebeugt?
So sagt doch, was ihr kamt zu sehen in der Ebene?
Um nichts zu sehen kamt ihr denn?
Als es wieder Tag wurde, fürchtete ich, daß mich

die anderen meines Sanges wegen bedrängen würden; allein sie hatten ihn nicht einmal gehört.

Und immer tiefer drangen wir in die Wüste ein.

Als es wieder Nacht wurde, näherte ich mich neuerdings dem Zelte, und als aus der Wüste der Mond purpurn emportauchte, rief ich aus:

»O Nacht, große Nacht!«

Dann fuhr ich leiser fort:

»Wie eine Barke auf den Wogen, Fürst, führt dich ein Zelt dahin. Es führt dich bis – wohin?« Und da ich diese Nacht meine Bratsche mitgenommen hatte, tat ich so, als ob sie von Zeit zu Zeit auf meine Fragen antwortete.

»Liegst du nicht leblos genug vor uns in der Sonne, trübselige Ebene?

Wüste, wenn es Nacht wird, nimmst du immer noch kein Ende?

O, trüge mich der Wind auf seinen Flügeln ans andere Ende dieses flammenden Meeres;

O, dann möge es dorthin sein, wo der blutrote Mond, der Schäfer des Himmels, sich wäscht, bevor er auf die Weide geht. Am Rande der Gewässer, in weiten Gärten schmückt er sich, wie ein liebendes Weib am Hochzeitsabend; er besieht sich im Wasser.

Der Geliebte erwartet den Hochzeitsabend, Fürst, am Ufer der verborgenen Quellen.«

So wurden meine Worte kühner und kühner, fast bis zur Bejahung. Und doch, doch, was wußte ich davon? War das ein Prophezeien? … Und mit immer zärtlicherem oder müderem Ausdruck sang ich:

»Fürst, wo wird diese Reise enden?
In der Ruhe des Todes?
Ohne Zweifel gibt es andere Gärten im Norden,
Unter dem milden Himmel, wo die Palmen bleichen.
Wovon träumst du, Fürst, schläfst du?

O Fürst, wann werde ich dich je sehen? Damit ich kleinen Kindern an so manchen Abenden antworten könne: Ja, so war es, wenn sie mich fragen werden: El Hadj! El Hadj! Was zu sehen, hat man dich in die Ebene geführt? Einen Fürsten in prächtigen Gewändern?

Fürst! Meine ganze Seele seufzt; meine Seele schmachtet nach dir …«

Und ich fühle, daß ich, von meinen eigenen Worten hingerissen, allmählich für ihn in Verehrung entbrannte. Und in der dritten Nacht, sah ich ihn, als mein Gesang begonnen hatte, aus seinem Zelte treten, sah ihn im klaren Licht des Himmels, in prächtige Gewänder gekleidet, doch das Antlitz mit einem Schleier verhüllt – und als ich ihn wieder fragte und vergeblich zu fragen glaubte: »Fürst, was bist du in die Wüste gegangen zu sehen?« – hörte ich ihn mit herrlicherer Stimme, als je ein Gesang mir ertönte, hörte ich ihn unverhofft antworten:

»Einen Propheten, und mehr als einen Propheten, El Hadj! Guter Pilger, du bist es! Morgen wirst du in mein Zelt kommen.«

Ich schwieg und schluchzte vor Liebe in die Nacht hinaus bis zum Morgengrauen.

Aber am nächsten Tag ward die Wüste von Luftspiegelungen erfüllt. Längst hatten die Oasen aufgehört. Kaum sproß dort, wo dem Boden ein wenig Wasser entquoll, ein mageres Palmenwäldchen empor, das, durch die Luftspiegelung vergrößert, von ferne einer prächtigen Oase glich. Und nichts, o Allah, nicht hohe Städte, Palmen oder Gewässer, nichts war für uns eine größere Enttäuschung als solche Fata Morgana. Manchesmal marschierten wir vom Morgengrauen bis zum Abend auf sie los, um betrübt zu sehen, wie sie immer mehr zurückwichen, bis sie, vom Sonnenlichte aufgelöst, entschwanden.

So werden wir, El Hadj, von Tugend zu Tugend wandern, bis zum Tode hoffend und bis zum Ende durch die täuschende Vision einer unbestimmten Glückseligkeit gestützt, wie einer, der beharrlich einen Traum für seinen unausbleiblichen Schlaf ersinnt. – O toter Fürst! In deinem visionslosen Schlaf dürstest du noch immer nach dem Wasser der Quellen? – O Visionen des Paradieses! Glücklich der, bei dem euch einzig der schwarze Tod auslöschen kann. Allah, du allein bist wahrhaft. – Ich weiß wohl, daß es Leute gibt, die sagen, das seien keine Unwirklichkeiten und die Dinge seien anderswo und man werde sie schon endlich finden – hier sei nur ihr schwebender Schein, der von ihnen durch die große Hitze getrennt ist und sich, da er uns näher liegt, trügerisch unserem Fassungsvermögen bietet. Aber warum, Allah, bieten sie sich, wenn wir sie nicht fassen können?

Und wir waren bestürzt, wenn am Morgen der Horizont mit Fransen eingesäumt schien, und selbst die Vergangenheit deuchte uns keine unbestreitbare Gewißheit mehr, solange alles zu schmelzen und sich fast zu verflüchtigen schien, wenn man sich nach der Sonne umwandte.

Doch, was ich jetzt bewundere, was mich mit Geduld erfüllt, ist der Gedanke, wie groß, ach, du armes Volk, dein Vertrauen war, das mein Mitleid erweckte … Denn, was kannte es von dem, was man von ihm erwartete? Und was erwartete es selbst von sich? Es genügte ihm, um weiterzuziehen, der Glaube, daß es einem Ziele galt und daß der Fürst wenigstens es kannte und sie mit Zuversicht führte. Wie gefügig folgten sie ihm, ohne zu wissen; denn von dem, was der Fürst mir sagte, glaubte ich ihnen nichts mitteilen zu können; übrigens hätten sie nichts davon verstanden. Und welche Gewißheit hatte er übrigens selbst über die Zukunft, von der er sprach? Wenn er nun an seine Hochzeit glaubte, war dies nicht erst, seit er mich davon hatte singen hören? Doch sprach er damals in so milder Art, so gläubig und so überzeugt von dem Kinde, das aus ihr entsprießen würde und das seinen verjüngten Namen tragen sollte, diesen Namen, den niemand kennen durfte und durch den das ganze Volk gewonnen worden wäre; er sprach mit so ernster Zuversicht davon, daß ich trotz der Vergangenheit und gerade wegen meines Nichtbegreifens selbst daran glaubte.

»El Hadj«, sagte er mir damals, »du mußt, verstehst du, an mich mit allen deinen Kräften glauben; die Zukunft fordert es.« »Fürst, durch die Kraft der Liebe habe ich geglaubt.«

»Singe, El Hadj, singe jetzt von den Gärten, wo mich die Geliebte erwartet – doch von ihr sprich mir nicht!«

Indem ich an die Einförmigkeit der Palmen dachte, sagte ich mir, daß ich zu dem Bewohner der Wüste, um ihn träumen zu lassen, von dem vielfältigen Geäst des Nordens und der Mannigfaltigkeit der Bäume sprechen müsse; und ich sang von den tiefen Wäldern, den Schluchten, dem Duft des Laubes und der Moose, dem Morgen- und Abendnebel, der Kühle der Nacht, der Anmut der Frühe und von dem köstlichen Tau der Wiesen. Der Fürst hörte mir zu. Ich sagte, die Arbeiten seien dort leichter, die Wonne lachender, das Himmelsblau heller, die Luft milder, die Nacht weniger blendend.

»Werden wir bald dort sein?« fragte er.

»Wir werden bald dort sein«, antwortete ich.

»Singe weiter, vielgeliebter El Hadj!«

»Dort«, sang ich, »fließen die Gewässer, die nicht salzig sind. Ah, wie köstlich werden unseren Füßen die eisigen Kiesel der Flüsse erscheinen …« Im Singen verging die halbe Nacht.

Ich weiß nicht, ob mein Gesang dem Fürsten Zuversicht gab, aber ich wurde durch ihn außerordentlich gestärkt. Was ich sang, wurde; nachdem ich es gesungen, glaubte ich daran. Vor dem Volke hüllte ich mich gewöhnlich in Schweigen; es genügte, daß es glaubte, der Fürst führe es an. Und wenn ich sprach, sagte ich folgendes:

»Der Fürst führt euch; er weiß, wohin es ihm beliebt, euch zu führen. Aber was soll ich euch davon sagen? Was bin ich selbst vor ihm? Vor euch, allerdings, bin ich ein Prophet; vor dem Fürsten ein Diener.« Und ich warf mich vor dem Zelte zur Erde, als Beispiel der Unterwürfigkeit.

Indessen wurde jeder Nachmittag ein wenig drückender. Wenn es keine Fata Morgana gab, sah man vor sich nichts als die roten Sandmassen der Ebene, die sich zeitweilig zu Dünen auftürmten. Um die Leute zu beschäftigen, ersann ich strengere Übungen und besondere Kasteiungen. Wir hatten ins Lager einige wenige Frauen mitgenommen, aber ich setzte die Stunden fest, da man ihnen nahekommen durfte. Sie hatten jedoch nicht wie ich den Fürsten ins Herz geschlossen. Vor ihnen zeigte ich Eigendünkel und sprach, um nicht gefragt zu werden, nur unzusammenhängende Dinge. Den Unterwürfigen versprach ich Belohnungen, den Rebellischen drohte ich mit Züchtigung. Dann kehrte ich zum Zelt zurück, in das mich der Fürst erst am Abend eintreten ließ; – und bis zum Abend fühlte ich, wie meine Zuversicht schwand, die wiederkehrte, sobald ich beim Fürsten war. Aber, ich weiß nicht wieso, wenn ich während des Tages schwankend geworden war, wußte es der Fürst am Abend.

»El Hadj«, sagte er dann mit immer schwächerer Stimme, »ich stütze mich auf deinen Glauben; aus deinem Glauben an mich schöpfe ich die Gewißheit meines Daseins.«

Ich verstand es damals nicht, aber nach jedem Tage des Zweifels fand ich ihn am Abend ein wenig schwächer. Ach, und deshalb war jeden Morgen beim Erwachen mein Glaube schwächer; wenn ich dann die ganze Nacht bei ihm mein Vertrauen wiedererlangte, zeigte er sich dadurch nicht gekräftigt.

»El Hadj«, sagte er dann, »zweifelnder Prophet! Wie klein ist deine Liebe! Ist sie es wert, daß ich von ihr lebe?«

»O«, erwiderte ich, »ich liebe dich, mein Fürst, so sehr ich dich nur zu lieben vermag. Aber zu Mittag schwankt alles; des Nachts setze ich mich zu dir und verzehre mich in inbrünstiger Hingabe. Warum bin ich nicht den ganzen Tag unter deinem Zelt? Wir hätten so lange Zeit, uns zu trösten. Auch am Tage liebe ich dich; ich erwarte die Nacht und weine, wenn du mir nicht erscheinst. Warum läßt du dich nicht besser erkennen? Ich wünsche nur, dich zu erkennen. Könnte ich doch dein Antlitz schauen! O, Fürst, sein Anblick würde mich stärken«.

Da ergriff der Fürst meine Hand, was mich in arge Verwirrung versetzte. Meine Zärtlichkeit nahm zu, doch mein Vertrauen ward betrübt – so fieberheiß war diese Hand.

Am nächsten Tage sang ich während des Marsches, an der Seite des entfalteten Zeltes schreitend, in der Hoffnung, daß er mich hören würde:

Mein Zelt schwimmt auf der Wüste
Wie auf einem brennenden Meer.
Türen aus Leinwand, der Wind hebe euch auf!
Türen meines Zeltes, ihr seid vom Lichte durchtränkt.
Hebt euch, linnene Türen
Und gebt Einlaß meinem Sehnen.

Doch der Wind ließ die Leinwand nur leicht klatschen, wie das Segel eines Schiffes. Der Fürst schlief den ganzen Tag und hörte mich nicht singen. Nun fuhr ich mehr im Flüstertone fort:

Mein milder Freund schläft im Zelt,
Ich wache, daß er schlafen könne.
Bin ich allein, so harre ich des Freundes.
Ich komme abends erst zu ihm.
Jetzt ist die Stunde heißen Mittagsbrandes;
Die ganze Erde welkt vor Durst; Furcht und Erwartung;
Das ist die Stunde, wo der tapferen Männer Wille schwankt,
Und wo der Weisen Denken mutlos wird,
Wo selbst der Reinen Tugend wankt –
So sehr ist Durst jetzt Liebeswunsch
Und Liebe Sehnen nach Berührung –
Wo alles, was nicht Feuer ist,
Die Farbe läßt in dieser Glut.
So manchen gibt's, der, wenn es Abend wird, nicht wiederfindet seinen Mut,
Und den so starke Hitze hat erschöpft;
So mancher hat, so lang die Wüste währt, die ganze Nacht darauf
Vergeblich Klarheit des verwirrten Sinns, gesucht;
Des Freundes wegen
Erwarte ohne Zagen ich die milde Nacht.
Und wenn der Abend kommt, erwacht mein Freund.
Ich geh zu ihm und lange sprechen wir uns Trost.
Er führt mein Auge in den Sternengärten,
Und ich erzähl' ihm von des Nordens großen Bäumen
Und von den kühlen Becken, wo der Mond,
Des Himmels Hirt, wie eine Braut sich wäscht;
Er deutet mir, daß nur, was sterblich ist,
Allein die Worte hat erfunden
Und daß die, die nicht sterben müssen,
Stets schweigen, da sie Zeit zu sprechen haben
Und ihre Ewigkeit von ihnen spricht.

Ich wußte kaum, weshalb ich, als ich gerade wegen der Stille der Wüste also sang, über diese seltsamen Worte des Fürsten erschrak, die ich in meinem Gesang berichtete.

Als ich ihn diese Nacht in dem schwach erleuchteten Zelte wiedersah, war er müde.

»Fürst«, sagte ich zu ihm, »ich brauche ein Bündnispfand, ein Unterpfand deines Bündnisses mit mir, das ich, wenn du mir fehlst, in Händen habe und das ich während des Tages betrachten kann.«

»Wie«, antwortete er, »El« Hadj, begreifst du nicht, daß du selbst Pfand des Bündnisses zwischen mir und dem Volke bist? Und daß es zwischen uns beiden keines Pfandes bedarf, da ich mich vor dir nicht verstecke? Was willst du mehr als mich selbst? Du beschäftigst dich mit mir – ich weiß es – doch nicht genug mit deinem Volke; und doch kennt dieses von mir nichts als dich selbst; durch dein Angesicht erscheine ich vor ihm und durch deine Stimme spreche ich zu ihm. Du sprichst nicht genug mit ihm; wie willst du dann, daß es mich liebe?« – Dann fügte er, wie mir schien, fast traurig und mit etwas veränderter Stimme hinzu: »Gewiß, ich werde dir mein Antlitz zeigen; aber dadurch, daß du es siehst, wird deine Liebe nicht gesättigt sein.«

Und sein Bett verlassend und schwankend wie ein vom Krankenlager sehr geschwächter Mensch, trat er zur Türe des Zeltes und enthüllte vor dem bleichen Himmel sein blasses Angesicht. Er war schön, von einer übernatürlichen Schönheit, und schien einer anderen Rasse anzugehören als wir; aber er war unsagbar bleich und von so müdem Ausdruck, daß nun, siehe, mein Glaube dahinschwand, während ich statt dessen mich von einer ganz menschlichen Liebe durchdrungen fühlte. Und ich blieb vor ihm stehen, ohne Bewegung und ohne Worte, bis ich, mich vor ihm niederwerfend, mit meinen Armen seine gebrechlichen Knie umschlang, dann vor Liebe, Zweifel und Betrübnis fast ohnmächtig zu werden glaubte, als ich auf meiner heißen Stirne seine linden Hände ruhen fühlte.

Am Abend des nächsten Tages schien nach langem Marsche, nachdem eine letzte Düne überschritten war, vor unserem atemlosen Sehnen die Ebene tiefblau zu schimmern, wie ein See oder Meer. Da wurde, als die jubelnden Schreie der Vordersten alle anderen zur Eile antrieben, das ganze Volk von einer namenlosen Bewegung ergriffen; als ob die Aussicht auf nahe Kühlung, ihre hoffenden Seelen stillend, schon genügte, für einen Abend ihren Durst zu löschen. Wie zum Gebet sich niederwerfend, schrieen sie gegen das Gewässer und ihr Durst wurde wollüstig, da er die Labung nahe fühlte. Es waren Gesänge, ein Aufschrei dankbarer und befreiter Sinne; einige tanzten vor Freude. Keiner dachte mehr daran, weiterzugehen; als ob Verheißungen statt Erfüllungen genügten; als ob jemals der Durst mit salzigem Wasser hätte gelöscht werden können, die Liebe und Hoffnung mit Visionen.

Kaum eine Meile trennte uns noch von dem Ufer, doch brachen sie nach der ungeheuren Anstrengung unter der übergroßen Freude zusammen. Gewiß hörte der Fürst von seinem geschlossenen Bette aus, das immer an der Spitze des Zuges getragen wurde, den rasenden Jubel seines Volkes. Die Träger hielten am Hange der Düne und das königliche Zelt wurde aufgestellt. Die Sonne versank in einem Schleier von Nebel oder Staub, den ihre schrägen Strahlen röteten. Gegen das Meer hin zerrann der Horizont in wunderbarer Vergoldung. Einen Augenblick lang erschienen die Wasser vom Widerschein des Himmels wie mit Glut übergossen; dann, als das Gestirn verschwunden war, ward es plötzlich tiefste Nacht.

Ich wußte, daß die Flut sich manchesmal über den ebenen Boden ergießen kann und daß der Strand unbekannter Meere oft gefährlich ist; ich war also glücklich darüber, daß wir hier haltmachten, noch fern von diesem und hoch auf dem Hügel. Das Lager wurde aufgeschlagen, die abendlichen Feuer erglänzten. Das Zelt des Prinzen stand unbeleuchtet gleich einem isolierten Vorgebirge vor dem Lager; das Meer schien die Nacht erfüllt zu haben.

Ich näherte mich dem Zelte des Fürsten. Er war aufgestanden, hob den leinernen Vorhang und neigte sich aus dem Zelte; sein Gesicht war unverschleiert und seine Augen erforschten die Nacht. Als er mich sah, sagte er:

»Ich sehe das Meer nicht, El Hadj!«

Er sprach geheimnisvoll; als ich ihn meinen Namen aussprechen hörte, fand ich, daß er ihn mit fast liebevoller Milde nannte.

»Das kommt daher, daß es völlig Nacht ist«, antwortete ich.

»Ich höre das Meer nicht, El Hadj!«

»Ach, Herr, das Meer ist sehr ruhig und wir sind zu weit davon entfernt.«

»El Hadj«, fuhr er langsam fort, »am anderen Ufer dieses Gewässers ist mein Hochzeitsfest bereitet und dort erwartet man uns. El Hadj! Du mußt trotz der Nacht, ja, gerade weil es Nacht ist und dich niemand sehen kann, zum Meer hinabsteigen. Der Mond wird aufgehen, wenn du ans Ufer gelangst. Schau, ob man das andere Ufer sieht und was dort zu sehen ist; ob man dort endlich die Bäume wahrnimmt, die hohen Bäume, die mir deine Gesänge versprechen. Geh, mein El Hadj! Geliebter El Hadj, geh schnell hin und laufe dann sogleich zu mir zurück.«

Ich brach auf und ging, trotz meiner Müdigkeit. Ich stieg den Abhang der Düne hinab und fühlte bald, wie die Nacht gleich einer schweren Hülle mich umfing. Als ich mich nach dem Lager zurückwandte, sah ich dort keine Flamme mehr; ein fast undurchdringlicher Nebel verbarg es mir und in diesem Nebel schritt ich vorwärts, dem Strande zu. Ich verließ mich darauf, daß der Mond mich auf dem Rückwege leiten würde. Ich war müde; so müde, daß ich darüber meine Hoffnung vergaß. Ich erinnere mich, daß ich mich über den allzu faden Geruch der Luft wunderte. Die Feuchtigkeit, mit der sie beladen war, war nicht, wie ich erwartet hatte, scharf vom Salzgehalt des Meeres, sondern erinnerte mehr an die Ausdünstungen der Sümpfe. Und plötzlich, als ich so dahinschritt, erzitterte und schwankte dieser Dunst, färbte sich silbern, öffnete sich vor mir, und der Mond erschien, wie ein Hirte bei seinen Schafen.

Er schwebte über einer Ebene von seltener Stille. Ich stand am Rande einer geheimnisvollen Fläche, in der sich keine Woge bewegte, über der aber das schöne, unendlich verbreiterte Bild des Mondes lachte und leuchtete. Das Gelände hörte unmerklich auf; der flache Sand ging einfach in etwas anderes über, das die Öde widerspiegelte und das ich als ein etwas erkannte, das kein Wasser war. Ich ging weiter, betrat es; es war eine seltsame Masse, weder ganz fest, noch ganz flüssig; sie gab unter meinem Fuß nach, wie ein unvollkommen erstarrter Brei. Zu meiner Linken lief eine sandige Erhebung hin, eine schmale Landzunge, von schütteren Binsen bewachsen. Ich ging darauf zu … nun war es, nein, weder Erde, noch Wasser … eine Art Kot oder Schlamm, den eine dünne Salzschicht bedeckte, der der Mond einen schwachen Silberglanz verlieh. Ich wollte noch weitergehen, da zerbarst diese morsche Rinde; ich versank in einem abscheulichen, weichen Morast. Ich klammerte mich an die Binsen, und es gelang mir, auf den Knien und auf dem Bauche kriechend, den Sand zu erreichen. Ich setzte mich nieder, blickte umher. Meine Betroffenheit war so groß, vor diesem öden Meer von unter dem Salz verstecktem Kot, in den mein Körper ein Loch gemacht hatte, daß ich nichts, nicht einmal mehr meine Verzweiflung fühlte. Von Müdigkeit und Bestürzung übermannt, betrachtete ich den heiteren Mond über der hellen Fläche, der zu lachen schien und über dieser unergründlichen, traurigen Ebene leuchtete, die noch öder war als die Wüste.

Doch sieh, als der Mond nun höher stand und den Horizont stärker beleuchtete, ließ sich jenseits des Meeres in nicht großer Entfernung ein anderes Ufer erkennen, und es schien, als neigten hohe Bäume sich darüber … Doch der Sand, auf dem ich saß, gab nach; ich mußte die Landzunge verlassen, auf den Strand zurückgehen, wo dieses Meer endete. Da warf ich mich auf den Boden und empfand nun so ganz meine Verlassenheit und die mich umgebende Unermeßlichkeit … Und dieses Meer war – so sagte ich mir – wenn auch schmal, deshalb doch nicht übersetzbar … Und plötzlich verließ mich all mein Mut; er verschwand vollständig, wie Wasser, das im Sande verläuft. Mit dem Mute hatte mich auch mein Glaube verlassen. Es war mir, als durchdränge mich eine tränenlose Verzweiflung, die noch trübseliger war als die Wüste.

Ich war zu erschöpft, um sofort zu den Zelten zurückzukehren – und was hätte ich dem Fürsten sagen können? Und trotz allem war das Leuchten dieser Nacht so rein, so köstlich, daß mein verstörter Geist daran Gefallen fand. Doch mußte ich daran denken, vor dem Morgengrauen den Rückweg anzutreten. Denn ich hätte einem aus dem Lager begegnen können, der zum Meere hinabstieg und, wenn er sah, daß es falsch war, mich in meinem Schmerze mit armseligen Klagen belästigen konnte; und so brach ich auf, sobald ich endlich die Nacht kläglich auf der Düne scheitern sah, auf der es wieder licht wurde.

Ringsum am Firmament neues Licht! Oh! Wankende Knie, ausgestreckte Hände, beklemmender Druck des Dunkels! … Prophet, ich bin es. – Fürst, zu deinem Volke habe ich sprechen können, seitdem du nichts mehr sagen konntest. Ach, lange Märsche in der Wüste? Erwartung eines Etwas … man weiß nicht mehr, wessen; schmerzende Knie, quälender Durst, Flucht der Stunden ohne Überraschungen, Liebessehnen der Nächte, endlose Tage, Oasen, die abends verschwinden. – Unbestimmtes Sehnen nach Bäumen und Gezweig des Nordens. Ah, Vorgebirge! Vorgebirge, die gegen Himmel ragen, denen man zustrebt und die man nicht erreichen kann …

Weißes Mondlicht auf den Zelten? Die Nacht weicht. Der Himmel ringsum wird heller … Nun hebe ich den Vorhang des Zeltes; geheimnisvolles Zelt, in das ich eintrat! Die Leinwandtüre fällt wieder herab, wie über ein Geheimnis Schweigen sich senkt; ich beuge mich über die Liegestatt, die eine ersterbende Flamme beleuchtet; ein schrecklich aufgewühltes Lager, das leer scheint und in dem der Fürst leblos liegt – – – – –

Fürst, du hast dich getäuscht; ich hasse dich. Denn ich war nicht als Prophet geboren; durch deinen Tod bin ich es geworden; weil du nicht mehr sprachst, weil ich zum Volke sprechen mußte … Du in der Wüste verlassenes Volk, über dich allein weine ich. Du, dahingegangener Fürst, ob ich dich hasse – weiß ich es? … Aber ich vergehe vor Kummer, vor Hunger, vor Müdigkeit, weil ich dich so sehr geliebt habe; und die Erinnerung an deine Nächte läßt mich meine Verlassenheit noch trostloser empfinden.

Bisher liebte ich das Volk nicht, aber von nun an hatte ich Mitleid mit ihm. Liebtest du es? Welches Vorteils wegen führtest du es so weit weg von den Städten? Denn der Lärm deines Hochzeitsfestes ist nicht bis zu uns gedrungen. Wir haben nicht den Klang der Flöten und Zimbeln vernommen. Mein Ohr ist voller Erwartung. Wo hat die Feier stattgefunden, daß ihr Rauschen schon verklungen ist? Fürst, ich werde es nicht sagen … niemand weiß, daß sie so stille ist, weil sie im Tode stattfand.

Fürst, ich habe das Volk täuschen müssen, weil du es schon getäuscht hattest, und weil ich deine Lüge schon kannte und Mitleid mit ihr hatte. Fürst, ich habe dein Elend über deinen Tod hinaus verlängert. Ich habe deinen ganzen Weg noch einmal gemacht. Du führtest das Volk in die Wüste, ich habe es in die Stadt zurückgebracht; ich habe es der Sättigung zugeführt, als Entschädigung für die Hungerkost, die wir längs der dürren Sandhügel fanden, auf denen du, gleichgültiger Hirte, uns weiden ließest …

Der junge Tag erschauerte; es war die Stunde, wo ich sonst den Fürsten zu verlassen pflegte. Ich trat aus dem Zelt, mit trockenem Auge und einer Miene, die ich mir zurecht gelegt hatte. Noch war niemand zum Strand hinabgestiegen. Ich wollte sie auf die Verzweiflung, die ihrer harrte, vorbereiten; ihre schreckliche Enttäuschung als Züchtigung ausgeben, wenn sie sich dem Meere nähern würden, also gewissermaßen ein Vergehen erfinden; ich wollte dem Volke Gelegenheit geben, eine Sünde zu begehen, die diese Züchtigung berechtigt erscheinen ließe; ich dachte, sie würden dann ihr Geschick als einigermaßen verdient ansehen und dadurch, wenn auch nicht weniger betrübt, doch geneigt sein, mir zu gehorchen und mich zu fürchten. Ich, der nun durch die Liebe geführt worden war, konnte sie nur durch die Furcht heimführen. So sagte ich ihnen also trotz oder vielmehr gerade wegen ihres quälenden Durstes:

»Der Fürst stellt eure Treue auf die Probe. Er will nicht nach euch zu dem so sehnlich erwarteten Strande hinabsteigen. Bin ich nicht der erste? hat er gesagt. – Soll ich nicht als erster dort mich waschen, ein Bad nehmen und meinen Durst löschen? Wehe dem, der vor mir hinabsteigt; er würde diesen Frevel teuer bezahlen und nicht er allein würde gezüchtigt; wenn auch nur einer sündigte, würdet ihr alle die Strafe für seine Schuld erleiden. Denn mein Zorn überstiege jede Erwartung. Das Volk muß mich fürchten, Und ich erwarte von ihm vollständige Ergebenheit. Daher wäre dieses Vergehen – selbst von einem einzigen begangen – für mich ein Zeichen allgemeinen Ungehorsams, Aber höret: Meine Absicht ist nicht, schon heute zum Strande hinabzusteigen, auch morgen nicht, sondern erst in der Frühe des dritten Tages. Und darin besteht die Prüfung, daß ihr trotz eures Durstes warten sollt! – Ihr sollt, bevor ihr euch dem Wasser nähert, Gott einen Altar errichten, als Danksagung und um darauf zu opfern. Dazu sollt ihr diese beiden Tage verwenden. Ihr werdet den Altar unweit vom Strande erbauen, ohne Rücksicht darauf, daß es auf Flugsand geschieht. Ihr werdet Gips finden und am Fuße der Düne Blöcke zusammengeballten Sandes. Geht! Ich will, daß alle an der Arbeit teilnehmen. Es drängt mich, das Dankopfer darbringen zu können.«

In der Langeweile der beiden Tage und trotz des Zwanges schritt die Arbeit rasch vorwärts. Ich weiß nicht, ob nicht vielleicht schon einer von ihnen insgeheim mein Verbot übertrat. Daran lag wenig. Wenn auch alle gehorsam waren, blieb das Meer doch so, wie es war. Man konnte immer einen Sünder annehmen, für den die anderen leiden mußten, da nicht alle wissen konnten, was einer von ihnen getan.

Die Langeweile dieser beiden Tage wurde durch den Anblick des Meeres aufgeheitert, das sich azurblau färbte. Das andere Ufer war nur undeutlich erkennbar und es zeigten sich darauf Luftspiegelungen, die mit dem Laufe der Stunden wechselten. Ich blieb beim Zelte des Fürsten, um ihnen die Sünde zu erleichtern. Des Nachts stieg ich bis zum Strande hinab, dessen Tücke ich kannte. Nicht weit vom Ufer setzte ich mich nieder und versank in entzückte Betrachtung. Der Mond ging auf, seine Scheibe war voller als tags zuvor; da ich weniger bestürzt war, konnte ich ihn ruhiger betrachten. Es schien mir, die Stille sei ein wirklich vorhandenes Etwas, dem meine Anbetung galt. Denn ich hatte vorher nicht gewußt, daß eine Nacht so schön sein konnte. Und ich entdeckte in mir ein tiefes Gefühl, eine andere Liebe, tausendmal inbrünstiger, milder und abgeklärter als jene, die ich für den Fürsten empfunden hatte, eine Liebe, die von der ungeheuren Stille erwidert zu werden schien.

So trug ich nun noch friedvoller in der dritten Nacht, als der Mond mir auf meinem Wege zum Strand leuchtete, als müder Pilger, wie ein Dieb in der Nacht, den Fürsten hinunter, schleppte ihn an einem Zipfel seines Mantels, der sein Antlitz verhüllte, ihn, dessen Nacktheit ich jetzt hätte sehen können, der aber ein Kadaver war, der es nicht mehr verlohnte, daß man seiner gedachte. Als ich ihn unter dem Altar niederlegte, auf dem am nächsten Tage als lächerliche Buße das ganze Volk opfern sollte – als ich ihn in dieser engen Gruft, die ich zu diesem Ende hatte ausheben lassen, ausstreckte, – da konnte ich, von der trübseligen Liebe meiner Seele endlich befreit, allein in der Nacht, meine Freude hinausschreien und, die tote Vergangenheit von mir stoßend, meine Hoffnung im Gesange ausströmen lassen. Ich hatte vorher nicht geahnt, wie müde ich dieser Pilgerfahrt war; aber als ich in dieser Nacht zum letztenmale an den Strand trat, betrachtete ich dieses Meer jetzt ohne Schrecken, das wohl nur für jenen schrecklich war, der es überschreiten zu müssen glaubte. Und ich sah es jetzt so schön, daß ich fühlte, wie mein Glaube vom Vortage sich langsam umstellte, daß meine Anbetung, die immer lebhaft, doch seit dem Tode des Fürsten aufs äußerste gesteigert war, sich mächtig bis zu den Grenzen der weiten Wüste ausbreitete; und da meine ernster gewordene Seele von Majestät durchdrungen ward, glaubte ich, das sei das Glück …

Jetzt, da ich weiß, daß es unmöglich ist, zweifle ich daran, jemals wirklich zum Glücke gelangen zu können. Ich erinnere mich, daß ich singen wollte, daß ich es nicht konnte, da es niemandem mehr galt, so daß ich mir immer wieder sagte: Fürst, wer ist denn tot? Woher kommt es, daß ich so lebendig bin?

Freude? Vielleicht. Ich begriff damals nicht, wie sehr – im selben Augenblick – er triumphierte. Denn er war nur für mich tot, der ich eben allein ihn geliebt hatte. Seine leere Sänfte mußte immer dem Volke vorangetragen werden, wie wenn er noch darin läge. Ich mußte immerfort bezeugen, daß ich ihn gesehen hatte, und wenn ich sprach, geschah es nur mehr, um seine Worte zu berichten. Anfangs wußte ich nicht, mit welcher Last die Tatsache dieser Lüge mich beschwerte, und daß der tote Fürst durch meine Lüge weiterlebte. Denn dadurch, daß ich ihn unaufhörlich erfand, wurde die Flamme meiner Liebe geschürt Ich wußte ihn nur tot, ich konnte ihn nur lebend darstellen. Manchesmal schlief ich – nun ganz allein – des Nachts in seinem Zelt; und mein traumloser Schlaf gestaltete sich für mich zu einer Vorstellung seines Todes. Doch tat ich zuweilen der anderen wegen so, als sänge ich neben seinem Zelt für ihn; dann erinnerte ich mich unserer Nächte und ward traurig darüber, daß ich sein Gesicht gesehen hatte. Mein Schmerz war eifrig darauf erpicht, seine Gegenwart bis zum Ende zu simulieren. Wie den Lebenden, brachte man ihm täglich seine Nahrung. Alles was ich tat, um ihn den anderen als gegenwärtig vorzustellen, half mir, seine Abwesenheit für mich als eine Tatsache erscheinen zu lassen. Je mehr ich empfand, daß er sein sollte, desto besser wußte ich, daß er nicht war.

Und von da an beseelte mich ein Gedanke, ermüdend und doch mächtig wie ein sehnsüchtiger Wunsch: Gewiß, ich werde das Glück meiner Seele genießen, das meiner schon harrt; aber erst, wenn sie vom Volke und von der Liebe vollständig befreit sein wird.

Jetzt hat mich das Volk verlassen; es ist endlich in die Stadt zurückgekehrt. Ich habe es aus der Wüste heimgeführt. Es hat mich nicht geliebt, denn ich prophezeite ohne Milde, da ich befürchtete, vom Mitleid übermannt zu werden. Es hat den Fürsten nicht geliebt, denn ich schrieb ihm nur rauhe Worte zu. Ich konnte nicht von Liebe sprechen, denn ich sprach einer Lüge wegen. Ich mußte sie bis zum Schlusse aufrechterhalten, durfte meine Ohnmacht nicht rechtfertigen. Da ich keine Gewalt hatte, mußte ich mich nicht verstellen? … Aber ich weiß jetzt: Wenn es Propheten gibt, sind sie es, weil sie ihren Gott verloren haben. Denn wenn Er nicht schwiege, wozu dienten dann unsere Worte?

Gewiß, ich habe falsche Wunder getan; ich habe Wasser aus dem Felsen springen lassen; ich habe bittere Quellen in süße verwandelt; und als der Schwarm von Wachteln einfiel, sagte ich, mein Gebet habe es bewirkt. Als Boubaker sich empörte, hatte ich den Aufruhr nicht anders meistern können, als daß ich als Verzweifelter handelte. Ich habe sie durch Drohungen eingeschüchtert. Dann hat keiner mehr an meiner Macht gezweifelt; nur ich allein war nicht von ihr überzeugt.

Meine Aufgabe als Hirte. ist vollbracht, meine Seele ist endlich befreit. Wie soll ich jetzt meine Freude verkünden? Es ist mir unmöglich, nur mehr Lieder zu singen. Ich kann nicht mehr, von Liebe umgeben, abends auf den Plätzen Verse sprechen, noch den Kindern zum Tanze aufspielen. Es genügt mir nicht mehr, die Stadt zu kennen, nachdem ich die Wüste durchwandert habe. – Was soll ich, El Hadj, nun anfangen? Daß der Fürst tot ist – weiß ich es? Ich erinnere mich der Hochzeit, die seiner harrte, als wäre nichts von ihm tot … Nun weiß ich, im Inneren des Palastes der Stadt wächst ein junger Bruder des Fürsten heran. Wartet er darauf, daß meine Stimme ihn leite? Und soll ich mit ihm, mit einem neuen Volke ein neues Abenteuer beginnen, das ich Schritt für Schritt erleben würde … Oder soll ich, gleich jenen trauervollen, von bitterer Asche genährten Geistern, ganz allein von dannen gehen, wie jene, die, ein Geheimnis verbergend, um die Friedhöfe schleichen und ihre Ruhe an einsamen Orten suchen, ohne sie jemals finden zu können? …

 


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