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7. Heimgang

Frau Grete hatte heute nach der Begrüßung der lieben Ihrigen ihr Töchterlein Anna auf den Schoß ihrer Mutter gesetzt, die der lieben kleinen Enkelin geduldig ihre Halskrause zum Zausen überließ. Die größeren Kinder veranlaßte sie, schön artig mitsammen zu spielen, und bald ließ sich von der Ferne her das alte Verschen vernehmen:

»Ringel, ringel, reihe,
Sind wir unser Dreie,« etc.

wobei der junge Nachwuchs: Christoph, Notburg, Hans und Klaus sich einträchtig einander die Patschhändchen reichten und sogar das kleine dicke Mariele, Bennos Jüngste mitwatscheln durfte, und darüber in helles Entzücken geriet.

Vater Schlicht und die drei jungen Männer gingen indes in geschäftliche Gespräche vertieft, die Hände auf dem Rücken, langsam auf und ab und blieben nur zuweilen stehen, um nach kurzer Pause den unterbrochenen Gang neuerdings fortzusetzen.

So oft sie ihr Weg an der Großmutter vorüberführte, dämpften sie unwillkürlich ihre Stimme, denn die alte Frau war mit der Puppe der kleinen Notburga auf den Armen in ihrem Lehnsessel eingenickt und glich jetzt mit dem friedlichen Ausdrucke ihrer Züge selbst einem schlafenden Kinde, dessen Hand noch im Schlummer sein Lieblingsspielzeug festhält.

Die fromme Greisin hatte heute früh den Besuch ihres Heilandes empfangen, wie das öfters geschah, seitdem ihre Gebrechlichkeit ihr nicht mehr gestattete, selbst nach der Kirche zu kommen.

Bennos ältester Sohn, der 6 jährige Christoph, nach Vater Schlicht so genannt, glich seinem Onkel Joseph, als sei er ihm aus dem Gesichte geschnitten und Frau Notburga fand einen schmerzlichen Trost darin, daß der Knabe sie täglich mehr an den verlorenen Liebling erinnerte. Christoph verband mit der hervorragenden Anmut seiner äußeren Erscheinung auch das sinnige, denkende Gemüt, das den kleinen Sepperl einst ausgezeichnet hatte, – er lernte mit Leichtigkeit und kannte jetzt schon keinen höheren Wunsch, als auch einmal zu studieren. In diesem Wunsch begegnete übrigens das Kind seltsamerweise auch dem seines Vaters, es wurde jedoch vorläufig nichts darüber beschlossen. Das abschreckende Beispiel Josephs wirkte noch beängstigend nach, so daß man nur mißtrauisch an eine Wiederholung der Ereignisse denken mochte. Eins tröstete Vater Benno mehr und mehr und stimmte ihn auch dem kindlichen Verlangen geneigter, daß nämlich der kleine Christoph gegen Schmeicheln völlig gleichgültig blieb und schon in seinem zarten Alter eine so rührende Demut und Bescheidenheit an den Tag legte, daß jedermann seine Freude daran hatte. Ob wohl diese Tugend die heißerrungene Frucht jenes Opfers war, das sein frommer Vater einst der Bruderliebe gebracht hatte?

Das kleine Annerle war auf dem Schoße Frau Notburgas eingeschlummert, und die Frauen plauderten jetzt halblaut miteinander; Grete aber zog eine Zeitung aus der Tasche, und reichte sie mit weichem Blicke der Mutter hin: »Hier bringe ich dir eine Freude, liebe Mutter!« Hastig griff diese nach dem Blatte. »Von ihm?«

Grete nickte. Ja, ja, die Frauen hier unter dem Holunder hatten auch ihre kleinen Geheimnisse und wiederholtemale flogen die forschenden Augen hinüber zu den auf und ab wandelnden Männern, ob keiner ihr Tun bemerke. Dies hatte aber seinen wohlberechtigten Grund darin, daß Vater Schlicht jedesmal in heftige Erregung geriet, wenn Josephs Name in seiner Gegenwart genannt wurde, weshalb man es zu vermeiden suchte, so gut es ging.

»Lies vor, meine Liebe,« bat Notburga; »ich höre«; und sie rückte gespannt näher.

Die junge Frau las. Die Mitteilung behandelte einen ganz außerordentlichen Fall der modernen Chirurgie: »Der Privatdozent Dr. Schlicht in B.«, so erzählte die vielverbreitete Zeitschrift, »hat unlängst eine schwierige Operation, die bisher in unseren Krankenhause noch nicht gemacht worden ist, mutig unternommen, und zu einem so glücklichen Ende gebracht, daß er sich damit die Bewunderung all seiner Kollegen sowohl, als auch der übrigen Fachmänner im höchsten Grade errungen hat.«

Der Artikel besagte des weiteren: »Gesegnet sei die Stunde, da diese geniale junge Lehrkraft der hiesigen Universität hoffentlich für immer gewonnen wurde; wir haben mit Dr. Schlicht eine wahre Zierde unseres Spitales erworben und können dem ebenso fleißigen, als hochbegabten, menschenfreundlichen Arzte eine glänzende ruhmvolle Laufbahn prophezeien. Möge diese Prognose sich ihm in ihrem ganzen Umfange erfüllen.«

Grete schwieg; eine warme Röte glühte auf ihren Wangen, während ihre lebhaften Augen in erhöhtem Feuer erglänzten. War es nicht ihr Bruder, der unzertrennliche geliebte Gefährte ihrer kindlichen Spiele, dessen Lobpreis hier gedruckt stand, und hatte nicht auch sie, wenngleich nur indirekt, Anteil an seinen Erfolgen und Triumphen? Was mochte aber erst das Mutterherz empfinden bei dieser Nachricht? Mußte es nicht höher schlagen im wohlverzeihlichen Stolze? Ihr Joseph, das Kind ihrer Sorgen und Tränen, aber auch der Liebling ihres Herzens, zu dem Tag um Tag ihre Gedanken auf dem Flügel der Sehnsucht hineilten – ihr Joseph war ein großer, bedeutender Mann geworden, ein berühmter Arzt, ein Wohltäter der leidenden Menschheit, von Tausenden gesegnet für sein Erbarmen und seine Hilfe.

Mit zitternder Hand nahm jetzt Frau Notburga selbst das Zeitungsblatt in Empfang und las den ganzen langen Artikel nochmals aufmerksam durch; ihre Blicke schienen das Papier zu verschlingen, während Träne auf Träne langsam über die bleichen Wangen niederrieselte und das Gefühl stolzer Beseligung ihre Brust schwellte. Aber nicht allzulange währte dieses frohe Bewußtsein; schon nach wenigen Augenblicken zog eine Wolke der Schwermut über ihre Züge und ungleich langsamer als sie vorhin den gedruckten Bericht an sich genommen hatte, gab sie ihn jetzt sauber zusammengefaltet wieder an Grete zurück, indem sie sprach: »Ja, ja, das wäre ja alles wunderschön und gut, wenn nur diese Berühmtheit nicht gar so teuer erkauft worden wäre,« und sie seufzte bei diesen Worten tief auf.

Klara aber, Bennos Gattin, wagte schüchtern einzuwenden: »es ist aber doch gar wunderschön und herrlich, in seinem Berufe so zu glänzen, wie dies bei meinem lieben Schwager Joseph der Fall ist.«

»Vom menschlichen Standpunkte aus betrachtet, magst Du ja recht haben, meine liebe Tochter«, entgegnete die Mutter traurig, »nun und nimmer aber kann ich die Worte des Herrn vergessen, »was nützt es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, an seiner Seele aber Schaden leidet? Unser Joseph hat das Elternhaus, hat Geschwister und Heimat verlassen und ist hinausgezogen in die fremde Welt, um dort den eigenen Herd zu gründen. Nun macht er viel von sich reden, von seinem Wissen und Wirken und seiner Gelehrsamkeit, aber mein Gott, wie hohl, wie leer ist's vielleicht in seinem Inneren bestellt? Um welchen Preis hat er den gleißenden Firnis erkauft, um all die Schäden seiner Seele zu verbergen und zu übertünchen?«

»Liebe Mutter«, flehte Greti, »ich bitte dich, nimm doch die Sache nicht gar so traurig auf, ich habe gemeint, dir eine Freude zu machen und muß nun sehen, wie sehr Dich meine Botschaft betrübt hat; ich kann mich des Gedankens nicht erwehren, daß Josephs Herz in unveränderter Liebe doch an den Seinigen hängt; weiß Gott, welche Verhältnisse ihn ferne von uns halten, und ob er sich nicht oftmals schon recht innig nach uns, besonders nach Dir sehnte! Er hat ja selber Weib und Kinder.«

»Allerdings, doch fürchte ich, daß er bei der Wahl seiner Lebensgefährtin nur allein auf Äußerliches, nicht aber auf den eigentlichen inneren Wert gesehen hat. Wie hätte er es sonst über sich vermocht, uns, die wir ihn alle so heiß geliebt, nur eine Vermählungsanzeige zu schicken, und seitdem nie, gar nie wieder, auch nur ein einziges gutes Wort! O meine Lieben! Ihr werdet es später noch erkennen, daß es auf der ganzen Welt keine selbstlosere, aber auch keine größere Liebe gibt, als die Liebe einer treuen Mutter. Solch eine Mutter gibt, ohne entgegen zu verlangen, sie opfert, ohne nur eine Silbe davon zu sprechen, gleichwohl wartet ihr zärtliches Herz voll heißer Sehnsucht eines kleinen Liebeszeichens. Wochen und Monate, ja selbst Jahre lang kann sie also warten auf ein gutes Wort, auf einen Gruß des fernen Kindes, und wäre unaussprechlich glücklich, ihr Hoffen endlich einmal erfüllt zu sehen, und müßte sie auch bis an ihr Lebensende harren, den Gedanken aber, vergessen zu sein, und einsam sterben zu müssen, ertrüge sie wohl kaum; es wäre entsetzlich – ich wüßte nicht, was ich –« leise schluchzend brach Frau Notburga plötzlich ihre Rede ab und barg ihr Gesicht in beiden Händen.

Die jungen Frauen verhielten sich schweigsam, nur ihre Augen hingen voll wehmütigen Mitleids an der so hochgeschätzten Mutter und Schwiegermutter.

Es gibt ein Weh, das still nach innen blutet, und daher auch am besten unberührt bleibt, jeder Griff nach der Wunde läßt sie noch heftiger schmerzen, denn heilen kann sie nur Gott und die Zeit.

Nachdem die Meisterin eine geraume Weile, ganz in ihr Weh versunken, unbeweglich dagesessen hatte, begann sie plötzlich zum Befremden ihrer Töchter abermals von Joseph zu reden. Schien es doch beinahe, als wollte sich die Ärmste die Last, die ihr so drückend, nahezu nicht mehr erträglich wurde, vom Gemüte sprechen.

»Ohne Zweifel« fuhr sie fort, »entstammt Josephs Gemahlin, wie ja auch die gedruckte Anzeige meldete, einer adeligen, vornehmen Familie, die mit gemeinen Schreinersleuten nichts zu schaffen haben will.«

»Deshalb dürfen wir doch den Mut nicht sinken lassen,« versetzte Grete, »die junge Dame ist in solchem Vorurteile aufgewachsen und erzogen worden, kann aber durch den Umgang mit Joseph gar wohl eines Besseren belehrt werden und uns eines Tages ihre Zuneigung entgegenbringen, die sie zuerst versagen zu müssen glaubte.«

»Könnte sie nur ein einzigesmal unser Herzensmutterle sehen,« meinte Frau Klara, »ich bin gewiß, sie müßte dich lieb gewinnen, wie wir alle es tun!«

»Ei ei, die kleine Schmeichlerin!« sagte Frau Notburg, indem sie schmerzlich lächelnd mit dem Finger drohte, »ich will ja nicht töricht sein und mich beklagen, weil ich das Herz des Sohnes mir entfremdet weiß, indes so viele andere, liebe, brave Kinder mir reichen Ersatz dafür gewähren.

Könnte ich mich nur der bangen Sorge um Josephs Zukunft erwehren! Welchen Segen darf denn wohl ein Kind erwarten, das seine Eltern in übermütigem Stolz verleugnet, das ihnen heiße Tränen erpreßt, und sich ihrer einfachen Abkunft und Bildung schämt. Haben denn nicht eben diese wenig gebildeten Leute den Sohn erzogen, und mit schweren Opfern zum tüchtigen, brauchbaren Manne gemacht? Ich glaube, Joseph bedarf recht sehr unseres Gebetes! Er trinkt das Gift des Hochmuts ein wie Wasser, und hat den Glauben seiner Kindheit umgetauscht gegen schnöden Mammon. Wie soll das enden? Wohin wird er noch treiben?

Lieschen, die der Mutter am nächsten saß, legte einschmeichelnd den Arm um ihren Nacken: »Mutter,« bat sie leise, »hoffe und vertraue doch; wir beten ja alle schon so lange für den verirrten Bruder, daß ich fest glaube, es werde nicht umsonst sein; gewiß kommt noch einmal die Stunde, wo Gott anklopft an seinem Herzen, und dann wirst auch du endlich getröstet werden.« Indes die Mutter mit Töchtern und Schwiegertöchtern sich also ernstlich unterhielt und die Kleinsten der Familie in harmloser Freude ihr fröhliches Spiel trieben, wandelten die Männer scheinbar in wichtiger Unterredung immer noch hin und wieder, nicht ohne so oft sie in die Nähe der alten Frau kamen, einen aufmerksamen Blick nach ihr zu werfen, um in einem Bedürfnisfalle ihr sofort dienstbar zu sein; eben schritten sie an ihr wieder vorüber; sie war jetzt erwacht und sah wirr und unklar um sich, ihr Gesicht war erblaßt, die Züge verändert; sogleich rief Vater Schlicht seine Tochter Lieschen herbei, die sich schon in den letzten Jahren fast ausschließend der Pflege seiner Mutter gewidmet hatte. Sie kam auch auf seinen Ruf eilends gesprungen. »Schau nur Liese, die Großmutter!« sagte er bang, und erschrocken gewahrte jetzt auch das junge Mädchen die merkwürdige Veränderung, die hier vorgegangen war. »Vater,« flüsterte sie erbleichend, »was ist das?«

»Ich fürchte, es ist das Ende, mein Kind,« war die traurige Antwort.

Bald hatten sich alle um die geliebte Frau versammelt; die Männer hoben den Lehnsessel, in dem sie lag, sachte in die Höhe, und trugen ihn langsam ins Haus zurück; hier hatten die Frauen indes das Bett zurechtgemacht und legten die teuere Kranke mit viel Vorsicht auf dasselbe nieder; in jeder ihrer Bewegungen erkannte man die zarte Liebe und kindliche Sorge, die sie hiebei erfüllte.

Schüchtern waren auch die armen Kleinen, deren munteres Spiel eine so plötzliche Unterbrechung erlitten hatte, in die Stube nachgekommen und schauten jetzt still und verwundert nach der kranken Großmutter. Wenn sie auch die schwere Bedeutung dieser Stunde nur annähernd kannten, fühlten sie doch instinktmäßig, daß sich hier Außerordentliches ereigne und mit der guten Großmutter, an der sie alle in so heißer Liebe hingen, etwas vorgehe. Die Sterbende, denn eine solche konnte man sie jetzt nennen, war eine geraume Weile wie in großer Erschöpfung gelegen, jetzt erhob sie sich plötzlich wie mit letzter Kraft, sah verklärten Blickes rings um sich und begann mit wohlvernehmlicher Stimme:

»Kniet nieder, meine Kinder! Der liebe Gott weilt in unserer Mitte!« und nach einer weiteren Pause, wobei ihr schon überirdischer Blick sich zu erweitern und in die Ferne zu dringen schien, nahmen ihre Züge einen feierlichen Ernst an. Der langgehegte Lieblingsgedanke ihres Lebens mochte in diesem Moment feste Gestalt gewinnend, ihrem Innern vorüberziehen; die ehrwürdige Matrone glich jetzt einer der heiligen Seherinnen der Vorzeit: »Seht Ihr den Priester dort am Altar?« begann sie auf's neue, »er trägt weiß und goldgestickte Gewänder. O ich kenne ihn, es ist Christoph, unseres lieben Bennos Erstgeborner. Segnend erhebt er die Hände, die Engel im Himmel fingen das Te Deum – aber nein, nein, nicht Christoph ist's; er trägt wohlbekannte Züge, Josephs Züge. Da ist er wieder! Joseph!« schrie sie schmerzbewegt auf, wie von geheimnisvollem Schauer erfaßt – »Joseph der verirrte, der verlorne Sohn. Er kommt nach langen, langen Jahren, zwei schöne kleine Engel gehen ihm zur Seite; goldlockig im weißschimmernden Flügelkleide. Wer sie wohl sind?« – Erschöpft hielt sie inne; dann legte sie sich tieferblassend zurück in Vater Christophs Arme, indes noch leise ihre Lippen flüsterten »Gott hat alles wohl gemacht – Er sei gelobt!« – Mit diesen Worten schlossen sich die treuen Augen zum letzten Schlummer. Die reife Seele kehrte zurück in die ewige Heimat und weinend umstanden Kinder und Enkel die starre Hülle der geliebten Großmutter.

Im ersten Augenblicke nach dem Verscheiden waren alle Anwesenden noch unter dem Eindrucke der letzten Worte befangen geblieben; hatten sie doch wie eine frohe glückliche Prophezeihung geklungen, die Frau Notburgas Mutterherz im tiefsten Innern aufjubeln ließ; da war wieder ein Hoffnungsstrahl, wie, wenn Großmütterchen recht gesehen hätte und wenn Joseph doch wieder käme? Leisen Schrittes trat sie jetzt zum Bette hin, neigte sich über diejenige, die sie so viele Jahre als ihre zweite Mutter verehrt hatte und drückte einen langen innigen Kuß auf die marmorbleiche Stirne; »Gott lohne dir tausendfach deine Liebe und Aufopferung du gute, du allerbeste Mutter!« sagte sie schluchzend »und schenke dir seinen schönen ewigen Himmel.«

Und »Amen, Amen« erscholl es aus dem Munde aller übrigen, während die Kleinen, als sie die Betrübnis der Männer und die Tränen der Frauen sahen, erschrockenen Herzens in die Arme ihrer Mutter flüchteten, oder doch die Lockenköpfchen in deren Rockfalten bargen. Alle, ohne Ausnahme waren sich's in dieser Stunde bewußt geworden, daß Gottes Ratschluß eine große Stütze aus ihre Mitte genommen und dieser Todesfall eine Lücke in ihre Familie gerissen hatte, die nie wieder ausgefüllt und wohl auch nie wieder vergessen werden würde.

Drei Tage später trug man die gute alte Frau zu Grabe; viele Arme weinten der Entseelten heiße Dankestränen nach und die ganze Vorstadt nahm Teil an ihrem Hinscheiden.

Bei einer Trauerversammlung, wie sie eine solche Beerdigung mit sich bringt, war es natürlich unvermeidlich, daß man auch auf Josephs merkwürdigen Lebenslauf zu sprechen kam und sein Bild als das eines Musterschülers der Vorstadtschule in der Erinnerung Vieler auftauchte; wer immer der alten Frau näher gestanden, wußte was sie um ihn gelitten hatte. Einige Tage lang wurde wahr und unwahr, liebevoll und unbarmherzig von dem verschollenen Erstgebornen der Schreinersleute gesprochen, dann war's abgetan, wie das so oft zu geschehen pflegt, neue Ereignisse beschäftigten die Zungen und Gemüter und Joseph war wieder vergessen.

Im engen Kreise der braven Arbeiterfamilie aber lebte Großmütterchen unvergessen fort; täglich beteten Groß und Klein für ihre liebe Seele und suchten die edlen Tugenden, mit denen sie vorangeleuchtet, als segenwirkendes Beispiel nachzuahmen und in Ausübung zu bringen.


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