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Buchschmuck

XXVII. Kapitel.
Schluß

Selbstverständlich sollte es vor der Öffentlichkeit geheim gehalten werden. Der Bürger sollte nicht erfahren, daß der Staat so lange von einem Automaten ministriert war. Das war natürlich. Eher läßt sich der Bürger einen wahnsinnigen König gefallen, denn der ist ja von Gottes Gnaden. Ja man hat sich sogar wahnsinnige Richter gefallen lassen. Denn Wahnsinn ist undurchsichtig. Aber einen Minister von durchsichtigem Mechanismus läßt sich niemand gefallen.

Trotzdem war es nicht lange zu verheimlichen. Bald ging Raunen und Staunen durch die Öffentlichkeit. Bald wußte alle Welt davon und alle Welt erzählte es sich. In den Salons wurde darüber geistreich geklügelt, am Dorfherd und in den Kinderstuben Märchen gesponnen. … Märchen! Du wunderbarer Schatz der Menschenseele! Du himmlisches Geschenk für hoffende Kinderherzen, für die arme, entbehrende, leidende Menschheit. Du stillst Schmerzen, linderst Not, gibst den Hungernden Kuchen. Kuchen mit großen, süßen Rosinen! süße Rosinen, köstliche Rosinchen! Der Bürger freut sich, wenn er sieht, wie man sie unter die Menge streut, wie Dichter, Lehrer, Beamte, Priester sie, mit mildtätigen Händen, weichen und harten, verschenken! Verteilen, anschmeicheln, zudrohen! Überlegen weise, ammenmild, engelsgütig! Wenn der gemästete Bürger satt an seinem Frühstückstische sitzt, bei Schinken und Eiern und Aprikosenjam, und in den Zeitungen von Armut und Elend liest, dann, wunderbare Rosinen, hat er euch alle im Kopfe, und er findet, die Welt sei vorzüglich eingerichtet, und nur Schwarzseher, Nörgler, und Stänker wollen alles durcheinander rühren! – er findet, daß, wenn man euch, ihr lieben Rosinen, im Kopfe hat, man nicht mehr zu denken braucht, weil ja die Behörden alle, die Minister und Ministerialbeamten, die Magistrate und Militärkommandos, Staatsanwälte und Richter, Polizisten und Nachtwächter, weil die alle, alle für uns denken! – Alles ist aufs Beste eingerichtet in dieser besten aller Welten! Und die am besten mundende aller Rosinen ist: Daß es, ach, leider eben nichts Vollkommenes auf Erden gebe und daß man zufrieden sein müsse. … Müsse!

Sattheit, die philosophiert, ist Weisheit; Impotenz, die handelt, ist Tugend! Nein, es gibt nichts Vollkommenes! Das Ministerium Lars Andersen endete mit einem großen Skandal. Denn man hatte dem Könige verschwiegen, daß es eine Puppe war. Und der König hatte ihm offiziell eine Träne nachgeweint, ihm, seinem treuesten Diener. Hatte der Puppe seinen höchsten Orden an einem Band von einer Farbe höchster Distinktion auf den Leichnam legen lassen. Mit Recht! Obwohl Lars von vielen früheren und späteren ergebensten Hofministern übertroffen wurde, die noch automatischer amtsgehandelt und geliebdienert hatten als der Automat. Nachdem der Herrscher im spontanen und impetuosen Bedürfnisse dem Gefühle Ausdruck verliehen, konnte man seinen Gnadenakt nicht mehr lächerlich machen. Seine Majestät hatte gesprochen, hatte geruht, das »Ritterkreuz von den Sieben Tapferen« auf den Sarg legen zu lassen. Nun war es nicht mehr möglich, in irgend einer offiziellen Veröffentlichung der Wahrheit die Ehre zu geben, denn im Staate gebührt die Ehre einem Höheren als der Wahrheit. Der Skandal war zwar, wie gesagt, trotzdem sehr groß. Im Lande kicherte es hinter allen Zäunen … Aber in den Bureaus der Behörden, Staatsanwälte und in den Sitzungssälen der Richter hielt alles, mit strengster Amtmiene im steifen Goldkragen oder im Talar an der Fiktion fest; besonders die Herren Richter behaupteten, daß sie sich nur an die Publikationen des Amtsblattes zu halten hätten. Sie traten mit drakonischer Strenge dafür ein, daß sie nur den Fiktionen der Paragraphen zu dienen hätten und nicht dem lebendigen Rechte des Bürgers … Erst zehn Jahre später wurde es behördlich erlaubt, von dem offenen Geheimnis zu sprechen. Darnach gelangte auch Frithjof endlich, nach langwierigen Prozessen, wieder in den Besitz seines Automaten. Der Android, vielen akademischen und gelehrten Körperschaften vorgeführt, erregte überall Staunen und Bewunderung. Professoren und Fachblätter detaillierten seine geheimen physikalischen Gesetze, die Physiologen nannten ihn »Die Natur in der Kunst und die Kunst in der Natur,« die Nationalökonomen bezeichneten ihn als die Summe der Kultur des 20. Jahrhunderts und machten ihn zur Grundlage sozialer Systeme. Die Dichter besangen ihn als den Ausfluß unserer Schöpferkraft, den Homunkulus, den ersten Werderuf menschlicher Göttlichkeit!«

Mit diesem Androiden ging auch das tausendjährige Reich der Technik großartig zur Neige, denn bald darauf versiegte der wundertätige Geist der Entdeckungen und Erfindungen: Die Götterdämmerung der Technik! Unter kleinlichen Gesetzen, Einschränkungen und Staatsmonopolen, die nachgeahmt waren jenen der Post, des Telegraphen- und Telephonwesens, siechte es ganz dahin. Es folgte eine Art Zeitalter technischer Sophistik, die nichts Neues zu schaffen mehr fähig war. Die Hirnzellen hatten sich nach dieser Richtung hin vorläufig völlig ausgegeben. Die Menschheit wandte sich wieder den Problemen der Ethik zu. Die Psychologie bereitete ein neues Zeitalter vor.

Die Seele! Welch ein herrliches Problem! Die Leute begannen auf das materiell-bornierte Jahrhundert der Technik zu schimpfen, wie sie früher auf das finstere Mittelalter geschimpft hatten. Sie vergaßen, daß die Maschine zur Lösung des Seelenproblems geführt hatte, sie vergaßen, daß vor dem Schlaraffenland immer ein Pflaumenmusberg liegt, durch den man sich durchessen muß. Sie hatten sich satt gegessen und nun schimpften sie. – –

Ethel und Andersen waren sehr glücklich, und das war ihnen die Hauptsache. Die Flitterwochen mit ihrem seltenen Glück wiederholten die treuen Gemüter, die eine unendliche Sympathie verband, allsommerlich von neuem. Sie verbrachten die heißen Monate oft wieder im Gebirge, auf einsamen Höhen, zwischen Gletschern, unter einem Himmel, der mit seltener Klarheit und Reinheit in ihre Herzen leuchtete.

Sie hatten da oben nichts und alles: den unvergleichlichen Sonnenaufgang mit seiner herben sanften Pracht, die wunderbare Gebirgswelt, die heraufdämmert zwischen Wolkenschleiern, – sie hatten sich und ihre Liebe.

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