Johann Wolfgang von Goethe
Tancred. Trauerspiel in fünf Aufzügen, nach Voltaire
Johann Wolfgang von Goethe

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Dritter Aufzug

Vorhalle des Palastes. An den Pfeilern sind Rüstungen aufgehangen.

 

Erster Auftritt

Tancred, zwei Knappen, welche seine Lanzen und übrigen Waffen tragen, Aldamon.

Tancred Wie hängt am Vaterland ein frommes Herz!
Mit welcher Wonne tret' ich hier herein!
Mein braver Aldamon, Freund meines Vaters,
Als einen Freund beweisest du dich heut.
Durch deine Posten lassest du mich durch,
Und führst mich Unerkannten in die Stadt.
Wie glücklich ist Tancred! der Tag wie froh!
Mein Schicksal ist erneut. Ich danke dir,
Mehr als ich sagen darf und als du glaubst.

Aldamon Mich Niedrigen erhebst du, Herr, so hoch;
Den kleinen Dienst, den ein gemeiner Mann,
Ein bloßer Bürger –

Tancred                         Bürger bin auch ich!
Und Freunde sollen alle Bürger sein.

Aldamon Und alle Bürger sollen dich verehren.
Zwei Jahre hab ich unter dir mit Lust
Im Orient gestritten; deiner Väter Taten
Sah ich dich übertreffen; nah bei dir
Lernt' ich bewundern deiner Tugend Glanz.
Das nur ist mein Verdienst. In deinem Hause
Bin ich erzogen, deine Väter waren
Mir väterliche Herrn, ich bin dein Knecht.
Ich muß für dich –

Tancred                       Wir müssen Freunde sein!
Das also sind die Wälle, die zu schützen
Ich hergeeilt? der Mauern heil'ger Kreis,
Der mich als Kind in seinem Schoß bewahrt,
Aus dem parteiische Verbannung mich gerissen,
Zu dem ich ehrfurchtsvoll zurück mich sehnte!
Doch sage mir: wo wohnt Arsir? – und wohnt
Mit ihm Amenaide, seine Tochter?

Aldamon In dem Palaste hier der Republik,
Wo sich der hohe Ritterrat versammelt,
Ward ihm, dem Ält'sten, Würdigsten, die Wohnung,
Nach langen Bürgerzwisten, angewiesen.
Hier leitet er die Ritter, die dem Volk
Gesetze geben, deren Tapferkeit
Die Stadt beschützt und sich die Herrschaft sichert.
Sie überwänden stets den Muselmann,
Wenn sie nicht ihren Besten, dich, verstoßen.
Sieh diese Schilde, Lanzen und Devisen!
Der kriegerische Prunk verkündet laut,
Mit welchem Glanz sie ihre Taten schmückten.
Dein Name nur fehlt diesen großen Namen.

Tancred Verschweigt ihn, da man ihn verfolgt. Vielleicht
Ist er an andern Orten g'nug berühmt.
    Zu seinen Knappen.
Ihr aber hänget meine Waffen hin.
Kein Wappen rufe den Parteigeist auf.
Ganz ohne Schmuck, als Zeugen tiefer Trauer,
Wie ich sie in der ernsten Schlacht geführt,
Den nackten Schild, den farbelosen Helm,
Befestigt ohne Pomp an diese Mauern,
Und füget meinen Wahlspruch nicht hinzu;
Er ist mir teuer, denn in Schlachten hat
Er meinen Mut erhoben, mich geleitet
Und aufrecht meine Hoffnungen gehalten,
Es sind die heil'gen Worte: Lieb' und Ehre.
Steigt nun das Ritterchor zum Platz herab,
So sagt: ein Krieger wünsche, nicht gekannt,
Gefahr und Sieg mit ihnen zu bestehen,
Und ihnen nachzueifern sei sein Stolz.
    Zu Aldamon
Arsir ist Ältester?

Aldamon                   Im dritten Jahre.
Zu lange hielt die mächtige Partei,
Die auch vom Volke nicht geliebt ist, ihn
Den Edlen selbst untätig und im Druck;
Doch nun erkennt man seinen Wert. Es gilt
Sein Rang, sein Name, seine Redlichkeit.
Doch ach! das Alter schwächte seine Kraft
Und Orbassan wird leider auf ihn folgen.

Tancred Wie, Orbassan? Tancredens ärgster Feind!
Mein Unterdrücker! Sage mir, Getreuer,
Vernahmst du das Gerücht das sich verbreitet?
Ist's wahr, daß dieser kühne, rohe Mann
Den schwachen Vater zu bestimmen wußte?
Ist's wahr, daß beide Stämme sich vertragen?
Und daß Amenaide sich zum Pfande
Des nimmer sichern Bundes weihen soll?

Aldamon Erst gestern hört' ich nur verworrne Reden.
Fern von der Stadt, in jene Burg verschlossen,
Auf meinem Posten wachsam, wo ich gern
Dich aufgenommen, sicher dich hieher
In die bewachten Grenzen eingeführt,
Dort hör' ich nichts und nichts mag ich erfahren
Aus diesen Mauern die dich ausgestoßen;
Wer dich verfolgen kann, ist mir verhaßt.

Tancred Mein Herz muß dir sich öffnen, mein Geschick
Muß ich dir anvertrauen. Eile, Freund,
Amenaiden aufzusuchen. Sprich
Von einem Unbekannten, der für sie,
Für ihres Stammes Ruf, für ihren Namen,
Für ihres Hauses Glück von Eifer brennt,
Und, ihrer Mutter schon als Kind verpflichtet,
Geheim mit ihr sich zu besprechen wünscht.

Aldamon In ihrem Hause ward ich stets gelitten,
Und jeden der noch treu an dir sich hält,
Nimm man mit Freude dort, mit Ehren auf.
Gefiel es Gott, das reine Blut der Franken
Dem edlen Blut Arsirens zu verbinden,
Dem fremden Joch entrissest du das Land
Und innre Kriege dämpfte, Herr, dein Geist.
Doch was dein Plan bei diesem Auftrag sei,
Du sendest mich und er soll mir gelingen.

 

Zweiter Auftritt

Tancred und seine Knappen im Hintergrunde.

Tancred Es wird gelingen! Ja! Ein gut Geschick,
Das mich geleitet, mich zu der Geliebten
Nach mancher schweren Prüfung wieder bringt,
Das immer seine Gunst der wahren Liebe,
Der wahren Ehre göttlich zugekehrt,
Das in der Mauren Lager mich geführt,
Das in der Griechen Städte mich gebracht;
Im Vaterlande wird's den Übermut
Der Feinde dämpfen, meine Rechte schützen.
Mich liebt Amenaide. Ja, ihr Herz
Ist mir ein zuverläss'ger Bürge, daß
Ich keine Schmach hier zu befürchten habe.
Aus kaiserlichem Lager, aus Illyrien,
Komm' ich ins Vaterland ins undankbare,
Ins vielgeliebte Land, um ihretwillen.
Ankomm' ich und ihr Vater sollte sie
An einen andern eben jetzt versagen?
Und sie verließe, sie verriete mich?
Wer ist der Orbassan? der Freche, wer?
Und welche Taten führt er für sich an?
Was konnt' er Großes leisten, daß er kühn
Den höchsten Preis der Helden fordern darf?
Den Preis, der auch des Größten würdig wäre,
Den wenigstens die Liebe mir bestimmt?
Will er ihn rauben, raub' er erst mein Leben,
Und selbst durch diese Tat gewinnt er nichts;
Denn auch im Tode blieb' sie mir getreu.
Dein Herz ist mir bekannt, ich fürchte nichts;
Es gleicht dem meinen. Wie das meine bleibt's
Von Schrecken, Furcht und Wankelmut befreit.

 

Dritter Auftritt

Tancred. Aldamon.

Tancred Beglückter Mann! du hast vor ihr gestanden.
Du siehest mein Entzücken! Führe mich!

Aldamon Entferne dich von diesem Schreckensorte!

Tancred Was sagst du? wie? du weinest, tapfrer Mann?

Aldamon O, flieh auf ewig dieses Ufer! Ich,
Ein dunkler Bürger, kann, nach den Verbrechen,
Die dieser Tag erzeugte, selbst nicht bleiben.

Tancred Wie?

Aldamon       Andern Orten zeige deinen Wert,
Im Orient erneure deinen Ruhm!
Von hier entfliehe, wende deinen Blick
Von den Verbrechen, von der Schande weg,
Die sich auf ewig dieser Stadt bemeistert!

Tancred Welch unerhörter Schrecken faßte dich?
Was sahst du? sprachst du sie? was ist geschehn?

Aldamon War sie dir wert, o Herr, vergiß sie nun!

Tancred Wie? Orbassan gewann sie? Ungetreue!
Des Vaters Feind, Tancredens Widersacher!

Aldamon Ihm hat der Vater heute sie verlobt
Und alles war zum Feste schon bereitet –

Tancred Das Ungeheure sollte mir begegnen!

Aldamon Und doppelt wurdest du, o Herr, beraubt.
Man gab der festlich schon geschmückten Braut
Zur Morgengabe deine Güter mit.

Tancred Der Feige raubte, was ein Held verschmäht.
Amenaide! Gott! Sie ist nun sein.

Aldamon Bereite dich auf einen härtern Schlag;
Das Schicksal, wenn es trifft, ist ohne Schonung.

Tancred So nimm das Leben, Unbarmherz'ger, hin!
Vollende! sprich! du zauderst?

Aldamon                                       Eben sollte
Sie deinem Feind auf ewig angehören.
Er triumphierte schon; doch nun enthüllt
Sich ihr verrät'risch Herz, aufs Neue, ganz.
Sie hatte dich verlassen, dich verraten,
Und nun verrät sie ihren Bräutigam.

Tancred Um wen?

Aldamon               Um einen Fremden, einen Feind,
Den stolzen Unterdrücker unsres Volks,
Um Solamir.

Tancred             Welch einen Namen nennst du?
Um Solamir? der schon sich in Byzanz
Um sie bemüht, den sie verschmäht, dem sie
Mich vorgezogen? Nein! Es ist unmöglich!
Nicht hat sie meiner, nicht des Eids vergessen.
Unfähig ist die schönste Frauenseele
Solch einer Tat.

Aldamon                 Ich sprach mit Widerwillen!
Dort hört' ich überall es sei geschehn.

Tancred Vernimm! ich kenne nur zu sehr des Neides
Und der Verleumdung lügnerischen Trug;
Kein edles Herz entgehet ihrer Tücke.
Von Kindheit an im Unglück auferzogen,
Verfolgt, geprüft, ich selbst mein eigen Werk,
Von Staat zu Staat bewies ich meinen Mut
Und überall umgrins'te mich der Neid.
Verleumdung überall haucht schadenfroh
In Republiken wie an Königshöfen
Aus unbestraften Lippen ihren Gift.
Wie lange hat Arsir durch sie gelitten!
Das Ungeheuer ras't in Syrakus,
Und wo ist seine Wut unbändiger,
Als da wo der Parteigeist flammend waltet.
Du auch, Amenaide! großes Herz!
Auch du wirst angeklagt! Hinein sogleich!
Ich will sie sehen, hören, mich entwirren.

Aldamon Halt ein, o Herr, soll ich das Letzte sagen?
Aus ihres Vaters Armen reißt man sie.
Sie ist in Ketten.

Tancred                   Unbegreiflich!

Aldamon                                         Bald
Auf diesem Platze selbst, den wir betreten,
Erwartet schmählich sie ein grauser Tod.

Tancred Amenaiden?

Aldamon                   Ist's Gerechtigkeit;
So ist sie doch verhaßt. Man murrt, man weint;
Doch niemand ist geneigt für sie zu handeln.

Tancred Amenaide! – Dieses Opfers Graus,
Dies Unterfangen soll man nicht vollenden!

Aldamon Zum Saal des Blutgerichtes stürzt das Volk,
Es schilt sie treulos und bejammert sie.
Unwürdige Begier, das Schreckliche
Zu sehn, bewegt die Menge, strömend wallt
Sie in sich selbst, neugierig Mitleid treibt
In Wogen sie um das Gefängnis her,
Und dieser Sturm verkündet der Gefangnen
Des höchsten Jammers nahen Augenblick.
Komm! Diese Hallen, einsam jetzt und stumm,
Durchrauschet bald ein lärmendes Gedränge.
O komm, entferne dich!

Tancred                               Der edle Greis,
Der zitternd von des Tempels Pforte steigt,
Wer ist er? Weinend kommt er und umgeben
Von Weinenden. Sie scheinen trostlos alle.

Aldamon Es ist Arsir, der jammervolle Vater.

Tancred Entferne dich, bewahre mein Geheimnis!
    Arsiren betrachtend.
Wie sehr bejammr' ich ihn!

 

Vierter Auftritt

Tancred. Arsir.

Arsir                                         Erhöre, Gott,
Mein einziges Gebet! O laß mich sterben!
Beschleunige die Stunde meines Tods.

Tancred Aus deiner Trauer wende deinen Blick,
Verehrter Greis, mir, einem Fremden, zu.
Verzeih wenn er teilnehmend sich zu dir,
In diesen Schreckens-Augenblicken, drängt.
Ich, unter jenen Rittern, die den Feinden
Des Glaubens ihre Brust entgegenstellen,
Zwar der Geringste, kam – geselle nun
Zu deinen Tränen, Edler, meine Tränen.

Arsir Du Einziger, der mich zu trösten kommt,
Mich, den man flieht, und zu vernichten strebt;
Verzeihe den verworrnen, ersten Gruß
Und sage wer du seist?

Tancred                             Ich bin ein Fremder,
Voll Ehrfurcht gegen dich, voll Schmerz wie du,
Der bebend keine Frage wagen darf,
Im Unglück dir verwandt, und so vergib!
Zu dieser Kühnheit nötigt mich mein Herz.
Ist's wahr? – ist deine Tochter –? Ist es möglich?

Arsir Es ist geschehn, zum Tode führt man sie.

Tancred Ist schuldig?

Arsir                         Ist des Vaters ew'ge Schande!

Tancred Sie? – Was ist nun im Leben noch gewiß!
Wenn ich in fernen Landen ihren Ruf,
Von tausend Zungen ihren Wert vernahm;
Da sagt' ich zu mir selbst: und wenn die Tugend
Auf Erden wohnt, so wohnet sie bei ihr.
Nun heißt sie schuldig. O verwünschtes Ufer!
Auf ewig unglücksel'ge Tage!

Arsir                                           Wenn du mich
Verzweifeln siehest, wenn mir gräßlicher
Der Tod begegnet, wenn die Gruft sich mir
Noch grauenvoller, rettungsloser zeigt,
So ist es, weil ich der Verstockung denke,
In der sie ihr Verbrechen liebt, in der
Sie ohne Reue sich dem Abgrund naht.
Kein Held zu ihrer Rettung zeigte sich,
Sie unterschrieben, seufzend, ihren Tod.
Und wenn der alte, feierliche Brauch,
Erhabnen Seelen wert und weit berühmt
Durch alle Welt, der Brauch, ein schwach Geschlecht
Durch Manneskraft im Kampfe zu entsühnen,
Gar Manche schon gerettet, fällt nun die,
Die meine Tochter war, vor meinen Augen,
Und Niemand findet sich, ihr beizustehn.
Das mehret meinen Jammer, schärft den Schmerz;
Man schaudert, schweigt und Keiner will sich zeigen.

Tancred Es wird sich Einer zeigen! Zweifle nicht.

Arsir Mit welcher Hoffnung täuschest du mein Herz?

Tancred Er wird sich zeigen! Nicht für deine Tochter,
Sie kann's nicht fordern, sie verdient es nicht.
Doch für den heil'gen Ruf des hohen Hauses,
Für dich und deinen Ruhm und deine Tugend.

Arsir Es kehret sich ein Strahl des Lebens mir,
Erquickend und erregend, wieder zu.
Wer mag für uns sich auf den Kampfplatz wagen?
Für uns, die wir dem Volk ein Greuel sind?
Wer darf mir seine Hand zur Hülfe bieten?
Vergebne Hoffnung! wer den Kampf bestehn?

Tancred Ich werd' es! Ja, ich will's! und wenn der Himmel
Für meinen Arm, für deine Sache spricht;
So bitt' ich nur, statt alles Lohns, von dir,
Sogleich mich zu entlassen; unerkannt
Und ohne sie zu sehen, will ich scheiden.

Arsir O edler Mann, dich sendet Gott hierher.
Zwar kann ich keine Freude mehr empfinden;
Doch naht mit lindern Schmerzen mir der Tod.
Ach! dürft' ich wissen wem in meinem Jammer
Ich so viel Ehrfurcht, so viel Dankbarkeit,
Auf einmal schuldig bin und gern entrichte!
Dein Ansehn bürgt mir deinen hohen Mut,
Den Vorzug edles Sinnes, edler Ahnen.
Wer bist du? sprich!

Tancred                         Laß meine Taten sprechen!

 

Fünfter Auftritt

Orbassan, Arsir, Tancred, Ritter, Gefolge.

Orbassan Der Staat ist in Gefahr und fordert nun
Vereinte Kraft und Überlegung auf.
Erst morgen wollten wir zum Angriff schreiten,
Doch scheint es daß der Feind von unsern Planen,
Auch durch Verräter, unterrichtet ist.
Es scheint, er sinnet uns zuvor zu kommen;
Und wir begegnen ihm! – Doch nun, o Herr,
Entferne dich von hier und zaudre nicht,
Ein unerträglich Schauspiel zu erwarten.

Arsir Es ist genug! mir bleibt allein die Hoffnung
Im Schlachtgewühl dem Tode mich zu weihen,
    auf Tancreden deutend.
Hier dieser edle Ritter leitet mich.
Und welches Unglück auch mein Haus betraf,
Ich diene sterbend meinem Vaterlande.

Orbassan An diesem edlen Sinn erkenn' ich dich!
Laß deinen Schmerz die Muselmannen fühlen;
Doch, bitt' ich, hier entweiche! Schrecklich ist's,
Was man der Unglücksel'gen zubereitet.
Man kommt.

Arsir                   Gerechter Gott!

Orbassan                                     Ich würde selbst
In diesem Augenblicke mich entfernen,
Wär' es nicht meines Amtes strenge Pflicht,
Dem härtesten Gesetz und seinem Ausspruch,
Vor einer, nur zu leicht beweglichen,
Verwegnen Menge, Ehrfurcht zu verschaffen.
Von dir verlangt man solche Dienste nicht.
Was kann dich halten, das dich nötigte
Dein eigen Blut zu sehn, das fließen soll?
Man kommt! Entferne dich!

Tancred                                     Mein Vater, bleib!

Orbassan Und wer bist du?

Tancred                               Dein Widersacher bin ich
Freund dieses Greises, gebe Gott! sein Rächer,
So nötig dieser Stadt vielleicht, als du.

 

Sechster Auftritt

Die Mitte öffnet sich; man sieht Amenaiden, von Wache umgeben, Ritter und Volk füllen den Platz.

Arsir Großmüt'ger Fremder, leihe deinen Arm
Dem Sinkenden, laß mich an deine Brust
Vor diesem Anblick fliehen!

Amenaide                                 Ew'ger Richter,
Der das Vergang'ne, wie das Jetzige
Und Künft'ge sieht! Du schauest in mein Herz,
Du bist allein der Billige, wenn hier
Mich eine Menge drängt, die, unbarmherzig
In blindem Eifer, leidenschaftlich richtet,
Nach blindem Zufall die Verdammung lenkt.
    Sie tritt hervor.
Euch Ritter, Bürger, die, mit raschem Spruch,
Auf diese Todespfade mich gestoßen,
Euch denk' ich mit Entschuld'gung nicht zu schmeicheln;
Der richtet zwischen mir und euch, der oben
Die einzig unbestochne Waage hält.
Ich seh' in euch verhaßtes Werkzeug nur
Unbilliger Gesetze; euch und ihnen
Hab' ich Gehorsam aufgekündigt, euch und sie
Verraten, meinen Vater selbst, der mich
In ein verhaßtes Bündnis zwang, gekränkt,
Hab' Orbassan beleidigt, der sich, kühn
Und streng, zum Herren meines Herzens aufwarf.
Wenn ich, o Bürger, so den Tod verdient,
So treff er mich; doch höret erst mich an:
Erfahret ganz mein Unglück! Wer vor Gott
Zu treten hat, spricht ohne Furcht vor Menschen.
Auch du, mein Vater, Zeuge meiner Schmach,
Der hier nicht sollte stehn und der vielleicht
Die Härte der Gesetze –
    Sie erblickt Tancreden.
                                      Großer Gott!
An seiner Seite – wen erblick' ich – ihn –
Mein Herz – ich sterbe!
    Sie fällt in Ohnmacht.

Tancred                               Meine Gegenwart
Ist ihr ein bittrer Vorwurf; doch es bleibt
Beschlossen – Haltet ein, die ihr dem Tod
Das Opfer allzurasch entgegenführt!
Ihr Bürger, haltet ein! Für sie zu sterben,
Sie zu verteidigen bin ich bereit.
Ich bin ihr Ritter! Dieser edle Vater,
Dem Tode nah, so gut verdammt als sie,
Nimmt meinen Arm, den Schutz der Unschuld, an.
Die Tapferkeit soll hier den Ausspruch geben;
Dies bleibet würd'ger Ritter schönster Teil.
Die Bahn des Kampfes öffne man der Ehre,
Dem Mut sogleich, und jeglicher Gebrauch
Sei von des Kampfes Richtern wohlbedacht.
Dich, stolzer Orbassan, dich fordr' ich auf!
Nimm mir das Leben, oder stirb durch mich!
Dein Name, deine Taten sind bekannt;
Du magst hier zu befehlen würdig sein.
Das Pfand des Kampfes werf ich vor dir nieder,
    Er wirft den Handschuh hin.
Darfst du's ergreifen?

Orbassan                         Deinen Übermut
Wär' ich vielleicht zu ehren nicht verbunden;
    Er winkt Einem der Seinen, der den Handschuh aufhebt.
Allein mich selbst und diesen edlen Greis,
Der dich hier einzuführen würdigte,
Uns ehr' ich, wenn ich vor dem Kampfgericht
Der Forderung Verwegenheit bestrafe.
Doch sag' uns deinen Namen, deinen Rang!
Der nackte Schild verkündet wenig Taten.

Tancred Ihn schmückt vielleicht der Sieg nur allzubald.
Doch meinen Namen ruf ich, wenn du fällst,
Das letzte Wort, dem Sterbenden ins Ohr.
Nun folge mir!

Orbassan               Man öffne gleich die Schranken!
Entfesselt bleibt Amenaide hier
Bis zu dem Ausgang dieses leichten Kampfes.
Dies Recht genießt sogar die Schuldige,
Sobald ein Ritter auftritt, sie zu retten.
Und wie ich von dem Kampfplatz siegend kehre,
Sieht mich an eurer Spitze gleich der Feind.
Im Zweikampf überwinden ist Gewinn;
Fürs Vaterland zu siegen ewig Ruhm.

Tancred Gesprochen ist genug, und wenn du fällst,
So bleibt noch mancher Arm, den Staat zu retten.

 

Siebenter Auftritt

Arsir, Amenaide (im Hintergrund) die wieder zu, sich kommt, nachdem man ihr die Fesseln abgenommen hat. Die Menge folgt den Rittern und verliert sich nach und nach.

Amenaide Was ist aus ihm geworden? Weiß man schon? –
Er ist verloren, wenn man ihn entdeckt.

Arsir O meine Tochter!

Amenaide                     Wendest du dich nun
Zu mir, die du verlassen und verdammt?

Arsir Wo soll ich hin vor diesem gräßlichen
Geschick mich wenden? Großer Gott, zu dir!
Du hast uns einen Retter hergesandt.
Willst du verzeihen? oder wäre sie
Unschuldig und ein Wunder soll sie retten?
Ist es Gerechtigkeit, ist's Gnade? Zitternd hoff ich.
Was hat zu solcher Handlung dich verleitet?
Darf ich dir wieder nahen? Welche Blicke
Wag' ich auf dich zu richten?

Amenaide                                   Eines Vaters
Vertrauensvolle, schonungsvolle Blicke.
Laß mich den väterlichen Arm ergreifen,
Und deine Tochter fasse wieder an.
Wer stützt uns, wenn wir uns in unserm Jammer
Nicht auf einander stützen? Immer schwebt
Das Beil, noch aufgehoben, über mir,
Und offen liegt das Grab vor meinen Schritten.
Ach! und er stürzt vielleicht vor mir hinab,
Der Edelste, der mir zu Hülfe kam.
Ich folge dir! Ich will, so stumm wie du,
Auch unerkannt wie du, dem Grab mich weihen.
Doch ach vielleicht – der immer Siegende,
Sollt' er nicht auch zu meinem Vorteil siegen?
Ach! darf ich einem Strahl der Lebenslust
Die halberstarrte Brust zu öffnen wagen?
Mein Vater – nein – Vergib! die Lippe wagt
Nicht auszusprechen, was Gefahr und Not
Auf mich und meinen Retter häufen möchte.
Wer darf in mein so sehr verkanntes Herz
Und seine liebevollen Tiefen blicken?
Wer darf ihn kennen? Mache doch sein Arm
Den wunderbar Verborgenen bekannt!
Auch Raum verschaff er mir! Ein einzig Wort
Stellt mich aufs Ehrenvollste wieder her.
Mein Vater, komm! In wenigen Momenten
Erblickst du mich entsündigt, oder tot.

 


 << zurück weiter >>