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1. Kapitel.
Eine seltsame Erbschaft

»Nun, was hältst du von ihr?« fragte Dan Ricardo, während er seine schwere Gestalt nachlässig auf dem Deckstuhl räkelte. Er selbst und der Angeredete hatten ihre Stühle in den Schutz zweier mächtiger Ventilatoren gezogen, denn eine Bö nach der andern fegte daher, und die »Armentic« arbeitete schwer in der groben See.

Mister Wright warf einen prüfenden Blick nach dem jungen Mädchen hinüber: Felicia Drew lehnte etwas leichtsinnig gegen die Reling. Ihr geschmeidiger Körper paßte sich elastisch den Bewegungen des Schiffes an. Wind und Wetter schienen ihr gerade recht zu sein.

Wright antwortete nicht sogleich, denn es lohnte sich, Felicias Schönheit eingehender in Augenschein zu nehmen. Ihr kastanienrotes Haar stand in wirkungsvollem Gegensatz zu den blauen Augen, und der feingeschnittene Mund bekundete Willenskraft und Temperament.

»Gute Klasse, Dan!« sagte Wright endlich anerkennend. »Ob sie wohl Geld hat?«

»Vorläufig kaum genug, um ihre Kleider zu bezahlen.« Ricardo grinste. »Aber vielleicht hast du mal etwas von der schrulligen Honoria Drew gehört?«

»Nur, daß sie sich sozusagen im Golde wälzt.«

» Wälzte!« verbesserte Dan Ricardo. »Honoria starb zu Beginn des Jahres, und die Kleine da soll in vier Monaten Honoria Drews Vermögen von zehn Millionen Dollars erben, wenn sie genau die Bedingungen der Verstorbenen erfüllt. Zunächst aber weiß Felicia noch gar nichts von dem Inhalt des Testaments ihrer schrulligen Tante. Erst nach der Landung in England wird sie alles Nähere von den Anwälten der Verstorbenen in London erfahren, und erst von dem Augenblick an treten die Bedingungen in Kraft.«

»Was für eine verworrene Geschichte«, bemerkte Mister Wright kopfschüttelnd. »Oder sind dir die Bedingungen etwa bekannt?«

»Allerdings. – Und es ist jetzt sogar an der Zeit, sie dir mitzuteilen: Felicia soll also in vier Monaten, an ihrem zweiundzwanzigsten Geburtstag, das Erbe nur dann antreten, falls sie in der Zwischenzeit – erstens: sich nicht verheiratet – zweitens: kein Geld aufnimmt oder sich auf irgendeine Weise Vorschüsse auf das zu erwartende Vermögen beschafft – drittens: nicht mit den englischen Strafgesetzen in Konflikt gerät – viertens: nicht gegen die Prohibitionsgesetze der Vereinigten Staaten verstößt. – Bis zum Ablauf dieser Bewährungsfrist dürfen ihr die Bevollmächtigten nicht mehr als vier Pfund wöchentlich auszahlen.«

Mister Bender Wright, der früher den Beruf eines Rechtsanwaltes ausgeübt hatte, aber von den Behörden aus gewissen Gründen von der Liste gestrichen worden war, hatte den Ausführungen seines Freundes sehr aufmerksam zugehört. »Und wenn sich das junge Ding also eines Verstoßes gegen eine dieser Bedingungen schuldig macht, dann bekommt sie keinen Cent?« fragte er gespannt.

»Nein.« Ricardo lachte. »Dann fällt der ganze Segen unserem kleinen Geschäftsfreund Sinclair Brewster, dem Vetter Felicias, in den Schoß. Und du weißt, daß ich diesen Bengel derart eingewickelt habe, daß er ohne meine Erlaubnis kein Bein rühren kann.«

Bender Wright pfiff leise durch die Zähne. »Also käme es darauf an, diese junge Dame zu einer Verletzung der Bedingungen zu veranlassen, um dann mit dem nächstfolgenden Erben, mit Sinclair Brewster, zu teilen?«

»Du hast wirklich eine feine Auffassungsgabe für geschäftliche Dinge«, meinte Dan Ricardo zynisch.

»Und ist Sinclair schon ganz im Bilde?« forschte Bender Wright weiter.

Dan Ricardo wiegte den Kopf. »Wohl nicht ganz. Immerhin hege ich Verdacht, daß er mehr weiß, als er vorgibt. – Vor allem habe ich ihm befohlen, sich während der Überfahrt möglichst von uns fernzuhalten, damit das Mädel nichts von unseren Beziehungen zu ihm merkt. – Im übrigen hat er von mir den Auftrag, seiner Kusine nur ein wenig den Hof zu machen – nicht mehr. Meistens sitzt er ja an der Bar und säuft. Da ist er am ungefährlichsten. Immerhin wollen wir ihn aber in den zwei Stunden, die uns noch von der Landung trennen, gut unter Aufsicht halten, damit er nicht noch Dummheiten macht und gegen meine Instruktionen verstößt.«

In diesem Augenblick wurden die Blicke der beiden Männer wieder zu Felicia gezogen. Mister Anthony Kirkpatrick, der Dritte Offizier der »Armentic«, war vor Felicia hingetreten. Er war ein großer, gut gewachsener Mann Ende der Zwanzig; mit seinen ausdrucksvollen dunklen Augen und schwarzen Haaren, seinem gut geschnittenen braunen Gesicht hätte man ihn schön nennen können, wenn ihm das zu stark entwickelte Kinn nicht den Stempel des Draufgängers verliehen hätte.

Mister Kirkpatrick blieb also vor Felicia stehen und sagte stirnrunzelnd: »Würde lieber nicht so auf der Reling hängen, Miß Drew. Gefährlich bei solchem Seegang.«

Sofort kam ein böses Blitzen in Felicias Augen. Bisher hatte sie diesen Dritten Offizier recht nett gefunden, aber dieser Ton ging ihr gegen den Strich. Sie setzte sich nur noch wagehalsiger hin und erwiderte: »Gehen Sie Ihrer Wege, und kümmern Sie sich nicht um Dinge, die Sie …«

»Es ist meine Pflicht, als Schiffsoffizier«, fiel ihr Kirkpatrick ins Wort, »dafür zu sorgen, daß uns die Passagiere nicht zwingen, sie wieder aus der See zu fischen.«

»Es ist Ihre Pflicht, dafür zu sorgen, daß das Schiff sauber ist«, herrschte ihn Felicia an; »aber nicht, Passagiere zu belästigen, die Ihres Rates nicht …«

Aber noch ehe sie ausgesprochen hatte, holte die »Armentic« plötzlich so stark über, daß Felicia das Gleichgewicht verlor und unfehlbar über Bord gefallen wäre, wenn Kirkpatrick sie nicht noch aufgefangen hätte.

»Was fällt Ihnen ein!« rief Felicia in heller Empörung, als er sie wieder auf die Füße setzte. »Wie können Sie sich erlauben, mich anzurühren!«

Da war es aber mit der Geduld von Anthony Kirkpatrick zu Ende. Sein Gesicht färbte sich vor Zorn dunkelrot, und er fuhr die junge Dame grob an: »Ich habe es durchaus nicht zu meinem Vergnügen getan!« Dann drehte er sich auf dem Absatz um und ging mit langen Schritten davon.


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