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Neuntes Kapitel

Jakobs Einzug in Bern und erste Stellung daselbst

Es war eine Jahreszeit, in welcher die Gesellen es haben wie in guten Jahren die Vögel, wenn der Hanf wohl gerät; wohin die Vögel fliegen, lacht ihnen reifender, duftender Hanfsame, und wohin die Gesellen kommen, stehen gesellenhungrige Meister unter den Toren. Jakob konnte also nach gehaltener konfidentieller Nachfrage unter Meistern auslesen, und das tat er denn auch. Er wolle zu einem guten Zopf, sagte er, der ordentlich zahle; die Kost habe er lieber in einem Kosthause als beim Meister. Ein Kosthaus könne man wechseln und den Meister, wenn er gut sei, behalten, die Meisterin aber, die könne man nicht wechseln einstweilen ohne Meister, und wenn sie zu fressen gebe als wie den Hunden, so müsse man es sich gefallen lassen, dürfe kaum Gesichter schneiden und mit den Tellern rasseln. Zu einem Meister von Gesinnung wolle er einstweilen nicht mehr, die solle der Teufel holen, sagte er. Wenn alles neu werde, so sei es für die Gesellen und nicht für die Meister, die Meister hätten jetzt ihre gute Zeit, und die Gesellen seien die Hunde, das sei das Ding, das umgekehrt werden müsse. Meister seien in der Sache nur Verräter, er habs erfahren. Ein Mohr ändere seine Farbe nicht, und wenn ein Meister es mit den Gesellen hielte, so bleibe er doch im Herzen ein greulicher Aristokrat und habe es mit den Gesellen nur wie Aristokraten, welche sich liberal stellen, um Stellen zu kriegen und hohe Besoldungen. Die armen Teufel von Gesellen sollten dem Meister seine gute Gesinnung mit schwerem Gelde bezahlen.

Man sieht, Jakob hatte bereits ein Stück Erfahrung gemacht, jedoch zu seinem Schaden nur ein Stück. Glauben zu fremder Erfahrung hatte er nicht, den langen Brandenburger sah er noch immer als Verleumder an und schwatzte von ihm als von einem Dieb und Mörder. Er wollte die Weltgeschichte selbst durchmachen und bedachte die Torheit des Menschen nicht, der alle Gifte am eigenen Körper versuchen und kein Kraut für giftig halten will, er habe es denn an sich selbst versucht und sei dran gestorben. Was hilft dann die Erfahrung, wenn man darüber das Leben verliert, oder was hilft sie, wenn darob die Ehre oder der Mut oder die Jahre kaputt gehen?

Jakob las sich also einen Zopf zum Meister aus, einen Mordiokerl von Philister und Spießbürger. Er trug zwar keinen wirklichen Zopf mehr, denn es ist bereits mehrere Jahre her, daß in Bern die letzten gefallen sind, entweder vom Tod ins Grab gelegt oder als freiwillige, dem Zeitgeist dargebrachte Opfer. Aber des neuen Meisters Gesichtskreis ging nicht weiter über die March der Stadt, das sogenannte Burgernziel, hinaus als östlich bis zur Papiermühle, wo man ein gut Glas Wein trank und in günstigen Monaten schöne Krebse fand, südlich bis Almedingen, wo delikater Neuenburger sich aufhält, oder Kehrsatz, wo gute Hähneli oder sonst ein wacker Stück Fleisch niemals fehlen, westlich bis Bümpliz, wo Schweinefleisch die Hauptsache ist und manchmal das Bier recht artig, nördlich bis Reichenbach, wo gebackene Fische zu haben sind, auch Küchli, namentlich Strübli ehedem in besonderer Güte fabriziert wurden. So weit ging unseres Burgers Gesichtskreis, welchen er mit bedeutsamem Fleiße von Zeit zu Zeit auffrischte und in inbrünstigen Augenschein nahm.

Je enger indessen der Kreis sich zusammenzog, innerhalb desselben sein Blut strömte, desto wärmer, heißer umfloß es den engern und weitern Mittelpunkt dieses Kreises. Wie der Schütze in der Scheibe einen weitern Mittelpunkt hat, das Schwarze, und einen engern, den Zweck, so hat auch der rechte Berner Burger einen weitern und engern Mittelpunkt: der weitere ist die Stadt, der engere die Zunft. Der Scheibe Rand geht, wie gesagt, von der Papiermühle weg nach Almedingen, Kehrsatz, Köniz, Bümpliz und Reichenbach, von wo er wieder nach der Papiermühle läuft und den Kreis schließt. Ungefähr zwei Stunden im Durchmesser mag diese Scheibe sein. Man lache darüber, aber dahinter steckt doch was Schönes: eine heiße Liebe zum engen Kreis, zur kleinen Stadt, zur lieben Zunft. In dieser Liebe zeigte sich der durch alles sich drängende konservative Charakter der Berner. Erst schossen die Burger Geld zusammen, um die Stadt frei zu machen und mächtig, dann verwandten sie die reichen Einkünfte der Stadt nicht für sich, sie verschönerten die Stadt und sammelten Schätze für die Stadt. Die Zunft dagegen machten sie reich aus den eigenen Säcken durch Schenkungen und Vermächtnisse, und was sie einmal zusammengelegt hatten, das konservierten und bewahrten sie bis auf den heutigen Tag. Die alten Zünfte verloren ihre handwerkliche Bedeutung gänzlich, aber Häuser und Vermögen blieben den Zunftgenossen, und sie verteilten es nicht, stahlen es einander nicht, sie scharten sich darum, verwalteten es nach ihrem Verstand, aber in wahrer Treue, erzogen Kinder, unterstützten herabgekommene Genossen, erhielten alte, und wo man es vermochte, hielt man zuweilen ein währschaft Zunftessen und trug sich die dabei geholten Haarbeutel nicht nach. An der Verwaltung dieser Zünfte, das heißt deren Vermögen, welches bei einigen nahe an eine Million Schweizerfranken steigt, und der Verwendung der Einkünfte teilzunehmen, Vorgesetzter, Stubenmeister, Seckelmeister oder gar Vorstand zu sein, das ist der echten Burger Höchstes und Liebstes, es ist die erste Stufe der Ehre, manchem die erste und letzte zugleich, während andere von ihr bis zur höchsten, bis zum Schultheiß hinaufstiegen und auch auf ihr die Zunft nicht vergaßen, in treuer Anhänglichkeit an sie sich ehrten. Die Treue an der Zunft machte treue Burger, für Zunft und Vaterland gingen sie in den Tod und kühner und tapferer als die heutigen Weltbürger für eine Idee, mit welchem Namen man sehr oft flüchtige Einfälle zu beehren pflegt oder eben die Mäntelchen um tierische Knochen.

Ein solcher guter Burger, welche man in Bern Zähringer, treue Anhänger des Alten, nennt, war Jakobs neuer Meister. Eine derbe Freimütigkeit, welche sich vor den vornehmsten Herren nicht verkroch und hauptsächlich auf der Zunft oder auf der Gesellschaft, wie man die Zünfte auch zu nennen pflegt, sich geltend machte, zeichnete denselben aus. Er war ein hablicher Mann, verstand sein Handwerk, ärgerte sich schrecklich, wenn seine Mitbürger bei fremden Halunken, wie er alle Meister nannte, welche nicht Burger waren, arbeiten ließen. So fremde Halunken könnten wohl den Burgern das Brot vom Maul wegstehlen, sagte er, nach einigen Jahren aber gingen sie als Schelme ins Weite und frügen nicht danach, wer ihre Schulden bezahle. Ein Meister, der bei Ehren bleiben und seinen Namen mit Ehren den Kindern hinterlassen wolle, könne nicht arbeiten wie ein Schelm. Dabei meinte er jedoch nicht, daß er alles alleine machen müsse, er verschwand des Morgens zuweilen aus der Werkstatt, fand des Nachmittags zuweilen spät sich ein, zuweilen nur auf Augenblicke oder auch gar nicht.

Er verschmähte Gespräche mit den Gesellen nicht, aber von ihren Ideen nahm er durchaus keine Notiz, sie waren ihm böhmische Dörfer, deren Dasein er überhaupt in Zweifel zog. Es schwatze einer viel während der Tag lang sei, und am Ende wisse er nicht einmal, was er gesagt habe, geschweige daß es ihm mit der Sache Ernst sei, sagte er; übrigens hüteten sich die Gesellen, in seiner Gegenwart von solchen Dingen viel zu schwatzen. Was die Gesellen nebenbei trieben, darum kümmerte er sich nicht, begehrte er doch auch nicht, daß sie sich darum kümmerten, was er mache, wenn er nicht bei ihnen war.

Jakob trat hier ein mit Selbstbewußtsein und einer kühlen Zurückhaltung, fast so, wie sie auch der alte Bursche kriegt, wenn er eine andere Universität bezieht, wie sie auch der Weltmann an Tag legt und namentlich der Diplomat, welcher das Umgekehrte vom Handlungsreisenden ist. In dieser kalten Ruhe liegt die größte Überlegenheit, liegt das beherrschende Element, sie ist aber wenigen Menschen eigen, wenn auch viele auf eine Stunde oder einen Tag sie sich aneignen können, wie ja auch der Esel in eine Löwenhaut kriechet und für einen Löwen gilt, bis ihm die Ohren zutage brechen. So ist auch vielen Naturen das Bewahren dieser Ruhe auf die Dauer rein unmöglich, hält nur so lange aus, bis sie im neuen Verhältnis erwärmet sind, dann bricht die alte Natur wieder zutage. Jakob war ein stattlicher Bursche und im Handwerk nicht der letzte, er hatte in einer tüchtigen Lehrzeit einen guten Grund gelegt, und in allen Dingen ist Grund und Fundament die Hauptsache. In der Lehrzeit entstehen die Angewöhnungen, die meist bleiben durchs Leben, und namentlich das rasche oder langsame Arbeiten. Wenn ein Lehrbursche vier Jahre bei einem Meister ist, bei dem er alle Viertelstunden nur einen Stich oder Streich zu tun braucht und nach jedem Stich oder Streich eine Viertelstunde gaffen kann, um sich zu erholen, so wird diesem Lehrburschen diese Langsamkeit zumeist sein ganzes Leben nachgehen, während hingegen der, welcher von Anbeginn vier Jahre lang rasch arbeiten muß, von der Arbeit nicht absehen darf, dran sein muß, bis die Glocke zwölfe oder Feierabend schlägt, ein guter Arbeiter wird, welcher leicht das Doppelte verdient als Geselle, und endlich zu einem Meister gerät, welcher etwas ist und zu etwas kömmt. Dazu kömmt noch, daß demjenigen, welcher rasch arbeitet, die Arbeit lieber und leichter, daß er viel weniger müde wird als derjenige, welcher heute das Bein hebt und es erst morgen wieder absetzt, heute die Nadel ins Tuch sticht und sie erst morgen wieder herauszieht.

Es fehlte also nicht, daß die unbedeutende Mannschaft, die halbwüchsigen Gesellen Jakob mit Respekt ansahen, sich zu ihm drängten und jeder in seinen Augen gerne als Held irgendeiner Sorte erschienen wäre: der eine als Held bei den schönen Bernermaitle, der andere ein Held in der Unverschämtheit gegen den Meister, ein dritter als Held in Grundsätzen und Ideen, die er ganz verflucht losgekriegt hätte, potz Himmelsapperment! Ja, es gingen einige so weit, daß sie abends einen Schoppen Kirschenwasser oder zwei kommen ließen, weil der Jakob doch auch wissen müsse, wie ganz verflucht gut der schmecke. Wenn man bei diesem Geiste saß, so kam das Schwadronieren erst recht in Fluß, es erglühte die Begeisterung in jeder Brust. Wie schön sein Mädchen sei, erzählte der eine, die Schönste unter allen; wie man es ihm abspenstig machen wolle, Gesellen es auf dem Korn hätten, Herren ihm nachstrichen, wie es reich heiraten könnte, aber ihm treu sei und er auch und dazu eine Faust führe, mit der er jedem die Knochen im Leibe entzweischlage, der nur einen Fuß dem Mädchen nachsetze. Den nächsten Sonntag müsse Jakob das Mädchen sehen, bei Weiermanns Haus werde getanzt. Dahin kämen viele Mädchen, und er wüßte Jakob e Maitle, das noch keinen Schatz hätte, e schön Mensch, aber es sei noch nicht lange in der Stadt und hätte noch keine Manieren nicht, aber wenn es die mal hätte, so sei es die erste obenaus und untenaus.

»Dummer Kerl, was du bist!«, sagte ein anderer, »was soll e Mann wie Jakob mit dem Bauernmensch, das zu allen du sagt und nicht einmal des Sonntags Handschuh anhat? Wo soll die Manieren kriegen, sie ist ja in keinem vornehmen Haus nicht. Ich hab mir sagen lassen, sie sei bei einem Schweinmetzger, wie soll da eine Jungfer zu Manieren kommen, wo im ganzen Hause keine nicht sind? Ne, der Jakob muß eine ganz andere Person haben, eine gebildete, nicht so ein grob Bauernmensch, das keine Handschuh nicht hat, allen Menschen du sagt und so ganz grob immer sagt: ›Dank heigist!‹ oder: ›Hör, la mih rüchjig, wott nit‹. So ein Mensch mag ich gar nicht ansehen, es dünkt mich immer, ich rieche den Kuhstall. Na, da ist mein Schätzel ein ganz anders, so ganz fein und niedlich, hat immer zwei Ringe an den Händen, Handschuh darüber, geht ganz wie eine Dame und ist ganz fein gebildet, sie sagt immer: › Merci bien!‹ und: › Oh, mon dieu, vous badinez!‹ und: › Oh, mon cher!‹ und hat ganz feine Manieren. Wenn sie trinkt, so nimmt sie das Glas nur mit den Fingerspitzen ganz fein und nicht so mit ganzer Faust wie ein Bauernmensch. Es ist aber auch in Kondition bei einer ganz vornehmen Herrschaft vom höchsten Adel, wo es ganz adlich zugeht. Sie haben ein Schloß auf dem Lande und reisen manchmal ins Bad, und Französisch wird geredet den ganzen Tag, da kann man was lernen und wird auch ein Mensch.«

»Meinst du«, fuhr ein bärtiger Kerl ihn an, »wir seien nicht auch Menschen; was bist du für ein Kerl, wie kommst du mir vor? Meinte, du wüßtest auch darum, daß wir von ebenso gutem Blute seien als Kaiser und Könige oder von besserm noch, dieweil das unsere nicht in Faulheit faul geworden. Du Kerl bist abgefallen, wirst zum Verräter werden wollen!«, und somit erhob sich der Sprecher drohend. Der Angefahrene aber sagte gelassen: »Bleib nur sitzen, Bruder, und versteh mich! Wir sind alle gleich, alleweil wir Menschen; aber auch Hunde, Katzen und Schweine sind uns elementarisch gleich, aus den vier Elementen sind wir ja alle; auf die Manieren kommt es an, die machen den Unterschied. Wer Manieren hat wie ein Schwein, ist ein Schwein, und wer bellen tut wie ein Hund, der ist ein Hund, und weil wir uns kleiden tun und Manieren haben, so sind wir Menschen, und wenn wir vornehme Manieren haben und gekleidet sind wie die Adlichen, die Haare fein tragen, Barte und Stegreife wenigstens am Sonntage und des Montags, wenn wir blau machen -- bei der Arbeit gehts nicht, nicht einmal bei den Schneidern -- so sind wir so vornehm und so fein als sie.«

»Donnerwetter«, sagte der Bärtige, »weißt du denn nicht, daß wir alle gleich sind, der Adel runter muß und das Vornehmsein aufhören, du Dummhut du!« »Ein Dummhut bist du selbst«, antwortete der andere gelassen. »Was willst du, wenns losgeht, mit den Schlössern machen, den schönen Landhäusern, den Palästen?« »Ja, die teilen wir untereinander«, antwortete der Bärtige. »Na, ganz recht, aber willst du so in einem Schlosse wohnen wie ein Schwein oder ein Hund oder so wie ein grober Bauer, wie ein ganz gemeiner Kerl? Wirst doch was vorstellen, nicht so ein gemeiner Esel sein wollen, nicht so ein gemeines Mensch haben wollen zur Frau?« »Frau will ich gar keine, da soll ja jeder die nehmen, welche ihm gefällt, und kann sie dann wieder laufen lassen, wenn sie ihm nicht mehr gefällt, und eine andere nehmen.« »Ganz recht«, sagte der erste, »aber man sagt zu der, welche man hat, alleweil Frau, und Manier muß sie alleweil haben; so ein dumm, grob Mensch, was soll so eine im Schlosse, einem adlichen Hause? Dann nimmt man noch ein halb Dutzend hübsche Bauernmenscher ins Schloß, damit sie Manieren lernen, und ist man der alten satt, so schickt man sie weiter und nimmt aus dem halben Dutzend die, welche die Schönste ist und die besten Manieren hat, die stellt dann die Madam vor, und Frau sagt man ihr. Sieh, Bruder, das sind Ideen und Grundsätze, und wie man sie anwenden tut. Meine Elise wird eine Dame sein, ganz fein und kein Schwein wie ein grob Bauernmensch, welches keine Manieren hat und jeden duzt, wenn er auch ganz fein gekleidet ist, ganz elegant, nach der ersten Mode. Meine Elise freut sich ungeheuer auf die Zeit, wenns eine Änderung gibt und ich dann in eine hohe Stellung komme, wo sie eine Dame wird.«

»Aber hör mal«, antwortete der Bärtige, »hast du denn der Elise gesagt, daß du sie willst laufen lassen, wenn sie alt ist und du eine Hübschere nachgebildet hast?« »I bewahre, glaubst du, ich sei ein Esel? Sie freut sich auf die Emanzipation der Weiber und denkt einstweilen gar nicht, daß sie alt werde, und freut sich auf die Gleichheit, und daß sie statt ihrer Dame selbst eine Dame werden soll, und die Freude verderbe ich ihr nicht. Sie ist ein fein Mensch, ißt und trinkt fast nichts, mit einem halben Gulden komme ich des Abends mit ihr aus, und von den Geschenken, die ich kriege, sage ich nichts, 's ist aber eine Kapitaldirne, die Elise, einstweilen. Sie hat eine Base, diese dient in einem andern vornehmen Hause, haben auch ein Schloß auf dem Lande; das wäre eine für dich, Jakob! Wenns losgeht, kriegtest du vielleicht das Schloß, es soll sehr schön sein dort, der Keller voll Wein, die Ställe voll Kühe und viele Dörfer voll Bauern.«

»Potz Türk!« erscholl es aus einer Ecke, »Bauern und Kühe zählen sich nicht zusammen. Das Eisi ist zwar meine Base, war aber ein Lumpenmensch von je; seit es in der Stadt ist, ists verrückt im Kopf und kennt die nächsten Verwandten nicht mehr. Wird ihm aber schon wieder bessern, wenns von einem Halunk ein Kind kriegt oder zwei. Und wenns ans Teilen geht, so sind noch andere Leute da, und was überbleibt, das sind die Brosamen, welche unter den Tisch fallen und unter die hergelaufenen Hunde kommen.«

»Potz Himmelsackerment, wer spricht wie ein Hund?« rief es von allen Seiten. Da fand es sich, daß es ein Schweizer war, so gleichsam einer von der alten Garde, der Fäuste hatte wie Klammern, so daß es von ihm hieß, er habe es wie der Teufel, wen er einmal im Nacken gefaßt, derselbe trage die Zeichen der fünf Finger sein Leben lang. Derselbe war ein liederlicher Kerl, aber ein guter Arbeiter, hatte in Neapel gedient, hätte gerne sein Leben in süßem Nichtstun zugebracht, denn die Arbeit war ihm verhaßt, er trieb sie nur, um leben, seine Gelüste befriedigen zu können; nur waren leider seine Gelüste immer größer als der Ertrag der Arbeit, und je mehr er zufällig die Gelüste befriedigen konnte, desto träger ward er zur Arbeit. Er war leider bösen Mächten verfallen, unter denen nie Friede wird, sondern ein immer graulichter werdender Streit, der, nicht gehemmt, zum Verderben führen muß. Die neuen Ideen oder Grundsätze hatten bei ihm vollständig Eingang gefunden, sie entsprachen der Richtung seines Geistes, wie man zu sagen pflegt, vollständig. Er fand es durchaus vernünftig, ganz im Zeitgeiste, der Kultur durchaus entsprechend, daß er nach seinen erlittenen Strapazen in einem Schlosse sich gütlich tun, sich auf das Sofa strecken, mit Schinken und Schnaps des Morgens, mit Braten und starkem Roten des Abends sich von irgendeinem Hund, ders früher gut gehabt, bedienen lassen solle. Aber eine Eigentümlichkeit besaß er. Er war also in Neapel gewesen, ein wilderer Kerl war nicht im Regiment, dabei war er ein guter Kamerad: wo ein Schweizer in der Klemme war, der konnte auf den Peter zählen. Nun waren von je viele Schweizer in Neapel in Bedrängnis, und wie lieb die Italiener und namentlich die Neapolitaner die Fremden haben, ist bekannt. Daher müssen die Schweizer in Neapel zusammenhalten, um ihr Dasein zu sichern. Es entsteht daher durch die immer obschwebende Gefahr in der Fremde ein Nationalgefühl in ihnen, welches in der Heimat bei vollkommener Sicherheit und Ruhe erloschen scheint. Namentlich bei Peter, bei seiner gutherzigen und doch so aufrichtigen Natur bildeten sich zwei Dinge, welche sehr häufig beisammen sind, Nationalgefühl und Fremdenhaß, zu ungewöhnlicher Stärke aus. Für einen Schweizer wagte er sein Leben, so oft man wollte, und wenn er einen Fremden klopfen konnte, so sparte er es nie.

Der Peter war also verteilenden Grundsätzen und Ideen durchaus zugänglich, sie leuchteten ihm so klar in seine Seele wie nie eine Frage aus dem Katechismus, aber daß so ein Halunke von Fremden an der Teilung Anteil nehmen solle, das war nicht seine Meinung. Brauchen könnte man sie wohl als Kanonenfutter, bis die Sache durchgesetzt sei, dann setze man ihnen den Schuh hintenan und jage sie zum Lande hinaus, dann könnten sie seinethalben draußen probieren, obs bei ihnen ginge, und was sie abkriegen könnten draußen. So war Peters Meinung, welche er auch äußerte sonder Hehl und Furcht, denn zu Intrigen und Verschwörungen hatte er durchaus keine Anlage, und was fürchten sei, wußte er nicht. Prügeln und Tolles treiben war einmal seine Lust; ward nun er geprügelt, oder prügelte er andere, er drehte kaum die Hand um. In solchen Fällen hatte er sich wirklich fast zur reinen Objektivität erhoben. Kommod war dieses für ihn, denn zu Prügeleien kam er oft, nicht wegen den Grundsätzen, sondern eben wegen ihrer Anwendung. Er meinte, die deutschen und welschen Lumpe sollten ihre Teile draußen in ihren Ländern abkriegen, kurioserweise aber wollten die nichts davon hören, sondern wollten in der Schweiz probieren, wie es gehe, und einstweilen die besten Teile für sich behalten. Sei es einmal hier angefangen, so gehe es draußen bei ihnen auch, dann lasse sich auch für die Schweizer sorgen, meinten sie, aber gerade so meinte es Peter nicht. Sie prügelten sich daher zuweilen um das Fell des Bären, dieweilen er noch nicht geschossen war, sondern einstweilen noch ganz unverteilt das Leben munter sich behagen ließ.

In ihrem Eifer, Jakob aufzuklären, hatten sie den Peter vergessen, der in einem Winkel lag und verächtlich dem Gerede zuhörte, bis es ihn in die alte Wunde traf. Da zuckte er auf und schlug nach allen Seiten aus. Er hatte in ein Wespennest geschlagen, und die vom Kirschwasser feuchten Wespen waren kitzlich, absonderlich empörte sie der Punkt wegen den Mädchen, das Feuer schlug an Peter auf, da fand sich Jakob bewogen, die Respektperson zu machen, seine Kameraden zurückzuhalten, an Peter zu steigen und ihm zu sagen, daß er unziemlich geredet habe, er solle sagen, es sei ihm leid, dann solle ihm verziehen sein, und er könne ungeschoren sich entfernen, jedoch alsobald.

Da blitzten dem Peter seine Augen auf, seinen Pfeifenstummel klopfte er aus, steckte ihn in die Tasche, trat mit verschränkten Armen vor Jakob und sagte: »Hör du, blähe dich nicht auf! Ich bin weiter in die Welt hinaus gewesen, als du herkömmst, und so weit ich kam, hieß ein dummer Junge, wer sich in fremde Händel mischt. Vor wenig Tagen bist du eingewandert, kennst mich nicht und die andern nicht, verstehst von allem nichts. Willst du nach vierzehn Tagen noch mit Peter Händel, dann komm, wenn dich das Fell juckt, das Jucken soll dir vertrieben werden.« Peter hatte nicht getrunken, darum behielt das Gefühl des Veteranen die Oberhand über seine angeborne Natur. Wahrscheinlich jedoch wäre es nicht friedlich abgelaufen, denn Jakob stach der dumme Junge, die andern fühlten, daß sie Jakob zeigen sollten, wie sie so mit einer Schweizer Kuh umspringen täten, die Stimmen schwollen an, die bekannten Donnerwetter krachten an den hölzernen Wänden. Da ward die Türe aufgerissen, die Wirtin schrie hinein: »Herrjeses, Herrjeses, es brennt!« »Wo, wo?« frug alles, die Wirtin antwortete nichts, sondern schrie in einem fort: »Herrjeses, Herrjeses, was fangen wir an? Es brennt, es brennt!« und verschwand. Die Gesellen glaubten das Feuer sich auf dem Leibe, stürzten zur Türe hinaus, rumpelten die Treppe nieder. »Wo brennts, wo brennts?« schrien sie drunten in der Arkade, stürzten auf die Straße hinaus, suchten das Feuer am Himmel, doch vergeblich, schrien aber immerzu: »Wo brennts, wo brennts?« Da trat ein Polizeidiener unter sie und sagte, in ihren Köpfen werde es brennen, und wenn sie nicht auf der Stelle schwiegen, so werde er sie an einen Ort führen, wo das Feuer werde gelöscht werden. Da sie keinen Funken Mutwillen im Leibe hatten, so wollten sie sich mit den Polizeidienern verständigen, was aber nicht möglich war, da die gar nichts hören wollten, und die Kameraden, da sie nach der von den Polizeidienern vorgeschlagenen Operation nicht lüstern waren, mußten sich von dannen machen. Einer von den Landjägern stieg in aller Liebe zur Wirtin hinan und frug: »Was haben Eure Gesellen gehabt?« Die konnte vor Lachen lange nicht antworten, endlich sagte sie, sie hätten sich prügeln wollen, in welchen Fällen sie sonst Wasser über sie schütte. Nun sei das Teufels Mädchen mit dem Kessel beim Brunnen gewesen, da hätte sie gedacht, sie wolle schreien, es brenne, das täte vielleicht den gleichen Dienst, und richtig, kaum hätten die Bursche das Geschrei gehört, so seien sie auseinandergefahren und die Treppe hinab, es sei ihr angst geworden, sie hätte geglaubt, sie müßte unten reichlich ein halb Dutzend ganz oder halb tot auflesen. Nur der Peter sei geblieben, er sei der Witzigste von allen gewesen, wahrscheinlich werde er den Spaß gemerkt haben.

Bei dem Auseinanderstäuben war nur ein ganz junges Gesellchen bei Jakob geblieben, dieser schmiegte sich recht warm und traulich an ihn und sagte: »Hört mal, Jakob, das Leben ist hier nicht schlecht, aber für unsere Ideen ist der Boden nicht. Der Wein ist gut und nicht teuer, Küchle sind delikat, und wer mal gestoßene Nidle kriegt, der kann sich vorstellen, womit der Erzvater Abraham den Engeln aufgewartet hat, auch die Mädchen passieren und lieben die Deutschen, besonders mit Schnäuzen, ganz fürchterlich, aber Ideen haben sie nicht, und die Bauern teilen unser Lebtag nicht. Sie sind reich wie die Juden und sparsam ganz schrecklich, 's ist all eins hier, Herren und Bauern sind alle reich, halten schrecklich zusammen, brauchen nicht mehr Geld als sie müssen, und das Volk, welches nichts hat, ist schrecklich dumm; wenn die Pfaffen sagen: ›Du sollst nicht stehlen!‹ so glauben sie es noch. Drum glaub ich nicht, daß hier was zu machen sei als Küchle essen und die Maitle zum besten haben. Unsere Gelehrten, welche unter uns herumlaufen, sagen es zwar anders und machen uns Hoffnung auf die nächste Zeit, glaubs aber nicht. Wenn am Dienstag die Bauern hereinkommen mit Rücken wie Stadttore und Fäusten wie zwölfpfündige Kugeln, da muß ich allemal denken, wer von uns eigentlich hinausmöchte, so mit einem verfluchten Goliath zu teilen, bis er nichts mehr hätte. So muß ich allemal denken, wenn ich einen sehe, Jakob, und daß die Küchle doch besser seien, welche man zahle, als die, welche man bei einem solchen Kerl und Moloch holen solle. Oder ists nicht so, und was meinen sie in Zürich?« frug gutmütig der Junge, »'s wird all eins sein, hier und in Zürich«, sagte Jakob. »Die einen haben Stroh im Kopf und Geld im Sack, die andern haben den Verstand und das Licht, aber keine Courage haben sie nicht, haben Kraut im Herz, kein Blut nicht und kein Fleisch. Da fehlts; käme das, so wäre in drei Tagen alles gemacht in der Schweiz, in drei Wochen in Europa, die Ketten wären zerschlagen, die Emanzipation des Volkes wäre vollbracht, und ein Hurra donnerte durch die Welt, vor welchem die Gesetze zerstieben würden wie Spreu, die eine Hälfte der Menschen erblassen, die andere aber erglänzen würde im Morgenrot eines neuen Tages.« Das war eine Phrase, welche Jakob noch von Zürich her hatte. Staunend und bewundernd hörte sie der Junge, verließ Jakob an dessen Türe mit einem innigen Händedruck, ging tief sinnend heim, und als der folgende Tag anbrach, sann der gute Junge noch über das Morgenrot, von welchem der Jakob ihm gesagt hatte.


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