Ferdinand Gregorovius
Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter
Ferdinand Gregorovius

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Drittes Kapitel

1. Deutscher Thronstreit. Der Papst erklärt sich zum Verwalter des Reichs. Haltung der Ghibellinen in Italien. Die Schlacht bei Mühldorf und ihre Folgen. Ludwig entsetzt Mailand. Der Papst erhebt Prozeß wider ihn. Gegenerklärungen Ludwigs. Er wird in den Bann getan. Verbündete Ludwigs. Das Schisma der Minoriten. Die Doktrin von der Armut und ihr Verhältnis zur weltherrlichen Kirche.

Der Thronstreit in Deutschland, wo Ludwig der Bayer am 25. November 1314 zu Aachen und Friedrich von Österreich an demselben Tage zu Bonn gekrönt worden waren, erzeugte ähnliche Verhältnisse wie in den Tagen Innocenz' III. Johann XXII. gab beiden Prätendenten den Titel des »zum König der Römer Erwählten« und anerkannte keinen von ihnen. Dies forderte Robert, der Protektor der Kirche in Italien. Um nun die Ghibellinen niederzudrücken, erklärte Johann durch eine Bulle am 31. März 1317, daß der Papst, welchem Gott in der Person des Apostels Petrus die Gewalt auf Erden und im Himmel zugleich übertragen habe, der rechtmäßige Verwalter des Reichs während dessen Vakanz sei; er gebot deshalb unter Strafe des Banns allen denen, welche Heinrich VII. in Provinzen und Städten Italiens zu Reichsvikaren eingesetzt hatte, diesen Titel sofort abzulegen. Wenn diese päpstliche Anmaßung zum Recht wurde, so mußte notwendig daraus folgen, daß alle Reichsfürsten und Lehnsleute der Krone dem Papst den Treueid leisteten und Tribut zahlten, daß die Erteilung von Würden und Leben im Reich an den Papst fiel und überhaupt alle weltlichen Angelegenheiten vor sein Tribunal gezogen wurden. Das sichere Asyl in Frankreich und der Rückhalt an diesem Königreich, dessen Diener sie waren, machte die avignonesischen Päpste den Kaisern gegenüber herausfordernder, als ihre größten Vorgänger es gewesen waren; Johann XXII., von Frankreich und Neapel angetrieben, wagte bald mehr gegen Ludwig von Bayern, als Bonifatius VIII. gegen Philipp den Schönen gewagt hatte. Seine Bulle fand lebhaften Widerspruch, aber das größte Haupt der Ghibellinen in der Lombardei, Mattheus Visconti, legte den Titel des Vikars ab und nahm statt dessen aus Klugheit die Würde eines Generalsignor in Mailand vom Volke an, während Cangrande della Scala fortfuhr, sich für Friedrich von Österreich, dem er gehuldigt hatte, Vikar des Reichs in Verona und Vicenza zu nennen.

Der Anspruch des Papsts auf die Reichsverwaltung war eine um so größere Anmaßung, als er sie auch auf die deutschen Verhältnisse ausdehnen wollte. Ein so rechtloser Übermut mußte unfehlbar erbitterten Krieg mit dem Oberhaupt des Reichs zur Folge haben. Doch damals vermochte Ludwig noch nicht dem Papst entgegenzutreten, weil der deutsche Kronstreit erst mit den Waffen zu entscheiden war. Der schwächere Friedrich bewarb sich um die Gunst Frankreichs und Johanns; er ließ sich sogar von Robert bewegen, mit Truppenmacht in der Lombardei aufzutreten, wofür man ihm die Anerkennung als König der Römer versprach. Dort aber hielten die Ghibellinen-Führer mit bewundernswerter Klugheit und Kraft ihren Gegnern Widerstand: Matteo Visconti, Herr von Mailand, Pavia und Piacenza, von Cremona und Bergamo, von Alessandria, Lodi, Como und Tortona, ein Fürst von königlicher Macht; Cangrande della Scala, Gebieter der Städte Verona und Vicenza; Passerino de Bonacolsi, der grausame Tyrann Modenas, und die Markgrafen von Este, welche Ferrara nach Vertreibung der päpstlichen Besatzung zurückgerufen hatte. Vergebens hatten der Papst und Robert im Jahre 1320 Philipp von Valois, den Sohn jenes aus der Zeit Bonifatius' VIII. bekannten Prinzen Karl, mit dem Kardinallegaten Bertrand de Poggetto und einem Heer in die Lombardei gesandt; vergebens war ein Jahr später Raimund von Cardona gegen Mailand gezogen; auch die Bannbullen wider die Visconti, Cangrande della Scala und Passerino hatten keinen Erfolg. Diese abgenützten Waffen erschütterten nicht mehr das Herz der Italiener; man spottete ihrer, und die Ghibellinen bekriegten siegreich das päpstliche Heer. Im Mai 1322 schickte zwar Friedrich der Schöne seinen Bruder Heinrich von Steiermark mit Truppen nach Brescia, aber dieser Prinz kehrte um, nachdem ihm die mailändischen Boten deutlich gemacht hatten, daß die Niederlage der Ghibellinen nur die des Reichs überhaupt und nur die Erhöhung Roberts zum Despoten Italiens sein könne. Der greise Matteo Visconti konnte im vollen Besitz seiner Macht sterben (am 27. Juni 1322) und seine Herrschaft seinem kraftvollen Sohne Galeazzo hinterlassen. Die Ghibellinen triumphierten überall, und noch in demselben Jahre entschied die Schlacht bei Mühldorf am 28. September die Spaltung im Reich zugunsten Ludwigs des Bayern.

Wenn Johann XXII. die in Deutschland vollendete Tatsache anerkannt hätte, so würde er sich und Italien schreckliche Stürme erspart haben; doch dieser Papst war ein hochmütiger und zugleich kleinlicher Geist, ein streitsüchtiger Theologe, welcher das französisch gewordene Papsttum wieder zum Gebieter der Welt zu machen hoffte. Der Streit zwischen ihm und dem König der Römer brach sofort aus, als Ludwig in der Lombardei die Reichsrechte geltend machte. Von den bedrohten Ghibellinen zur Hilfe gerufen, forderte er vom Kardinallegaten im April 1323, die Belagerung Mailands aufzuheben. Da dies nicht geschah, schickte er 800 Reiter zum Schutze Galeazzos, und das hatte besseren Erfolg. Die befreite Stadt huldigte am 23. Juni dem römischen Könige. Als solcher trat jetzt Ludwig überhaupt in Italien auf. Er nahm die Huldigung der Este wegen Ferraras an; er ernannte den Grafen Berthold von Neuffen zum Generalvikar; er machte am 28. Juni 1323 mit Cangrande, seinem Vikar in Verona und Vicenza, mit den Este, mit Mantua und Modena einen Bundesvertrag.

Alles dies versetzte Johann XXII. in heftigen Zorn. Am 8. Oktober 1323 erklärte er, daß Ludwig von Bayern sich Titel und Rechte des Königs der Römer angemaßt habe, und forderte ihn deshalb auf, binnen drei Monaten von der Reichsverwaltung abzutreten, seine Akte zu widerrufen, die als Ketzer gebannten Visconti zu verlassen. Er gebot endlich dem ganzen Reich, ihn nicht als König der Römer anzuerkennen. Auf diese Kriegserklärung zog Ludwig die berühmtesten Doktoren, namentlich von Bologna und Paris, zu Rate und rief so den unabhängigen Geist der Wissenschaft zu seiner Unterstützung auf. Am 18. Dezember begegnete er dem päpstlichen Urteil durch eine Gegenerklärung, worin er seine Rechte im Reich behauptete und deren Anmaßung von seiten des Papsts zurückwies, da ihn schon die Wahl der Reichsfürsten und die Anerkennung Deutschlands seit Jahren zum Könige der Römer gemacht habe. Die Herausforderung Johanns XXII. war in der Tat staunenswert, denn nicht einmal in den Zeiten höchster kirchlicher Machtfülle hatte je einer seiner Vorgänger mit so großer Übereilung gehandelt. Offenbar bedurfte der Papst des Streites mit dem Reich, um sich selbst Bedeutung zu geben und die Kirche aus den engen Verhältnissen zu befreien, in welche sie zu Avignon gebannt lag. Innocenz IV. nachäffend, forderte er den genielosen Ludwig heraus, ihm als Friedrich II. entgegenzutreten; er tat am 13. Juli den König in den Bann und entsetzte ihn. Ludwig, jetzt aufs Äußerste gebracht, protestierte durch ein Manifest und berief sich von diesem Papst, dem Usurpator des Reichs, dem offenkundigen Ketzer und Frevler am Völkerrecht, auf ein allgemeines Konzil. Die Reichsfürsten aber machten die Sache des Königs zu der ihrigen; die Verkündigung der Bannbulle wurde unter Strafe der Acht verboten, und diese traf wirklich den Erzbischof von Salzburg. So mußte Ludwig der Bayer als der letzte deutsche Kaiser in die veralteten Schranken treten, um die Unabhängigkeit der weltlichen Gewalt mit dem Schwerte zu behaupten, während sein von ihm unerreichbarer Gegner in Avignon der Entwicklung dieses »Prozesses« ruhig zusehen konnte. Die geistige Unbedeutendheit sowohl Johanns XXII. als Ludwigs mindern den Anteil an ihrem Streit, und nach der langen Geschichte des Kampfs zwischen Kirche und Reich würde dieses Nachspiel als eine Karikatur der großen Vergangenheit unerträglich sein, wenn nicht mit ihm höchst bedeutende Erscheinungen sich verbunden hätten, die von dem Fortschritt des Denkens in der Menschheit ein überraschendes Zeugnis gaben.

Der Vertreter der weltlichen Rechte fand Bundesgenossen in der Kirche selbst. Hier schuf die Lehre von der evangelischen Armut den Stoff heftiger Gärung in der Gesellschaft der Franziskaner. Der grüblerische Geist der Mönche füllte die tatenlose Muße mit Spekulationen über die Zulässigkeit des Besitzes aus, die, so lächerlich sie in der Form waren, doch eine ernste Frage in sich bargen. Die berühmten Streitigkeiten über die Natur oder den Willen Christi, über den Ausgang des heiligen Geistes, die unbefleckte Empfängnis und andere Dogmen, welche einst große Bewegungen in der Christenheit erzeugten, waren für die Menschheit unfruchtbar, aber die abgeschmackte Frage, ob Christus und seine Jünger einen eigenen Rock besessen hatten, erhielt unter den reellen Verhältnissen der mit weltlicher Macht ausgerüsteten Kirche eine wichtige und durchaus praktische Bedeutung. Die Spaltung unter den Minoriten, von denen die strengen Spiritualen sich von der Ordensgemeinschaft trennten, brach unter Johann XXII. heftiger aus als zuvor. Die Sekten vom Grundsatz absoluter Armut erhoben sich mit Leidenschaft im südlichen Frankreich, in Belgien und Deutschland. Ihre Lehre fand auch in Italien ein lebhaftes Echo. Denn hier hielten die Cölestiner das Andenken des heiligen Petrus vom Morrone mit schwärmerischer Andacht fest, und kühne Sektenhäupter, die Führer des Apostelordens von der Armut, Gerhard Segarelli von Parma und der heroische Schwärmer Dolcino von Novara, hatten durch ihr Leben und ihren Tod eine tiefe Spur im Gemüt des Volks zurückgelassen. Die Armen Brüder, Fraticellen, Lollharden, Begarden, tiefsinnige Mystiker, evangelische Feinde des weltlichen Prunks einer immer tiefer in die Laster der Zeit sinkenden Kirche, predigten auf Plätzen und Straßen, daß der Papst und seine Kirche ketzerisch seien und nur diejenigen das Evangelium Christi bewahrten, welche das niedrige Leben des Heilands nachahmten. Johann XXII. verdammte diese Lehren. Die Inquisition in Marseille verbrannte Menschen, welche frohlockend den Scheiterhaufen bestiegen, um ihre Liebe zur Armut mit dem Tode zu besiegeln. Ihre Freunde feierten sie als Märtyrer. Überall erhoben sich Stimmen, welche mit der weltlichen auch die geistliche Gewalt des Papsts als unapostolisch verwarfen. Der Parteikampf der Guelfen und Ghibellinen schien sich in die Kirche selbst hineinzuziehen, wo diese Faktionen in den Dominikanern und Franziskanern, in den Scotisten oder Realisten und den Nominalen ihre Abbilder auf scholastischem Gebiete fanden. Im Jahre 1322 brach ein heftiger Zwiespalt zwischen den Dominikanern und Minoriten über jene Frage aus: ob Christus weltliches Eigentum besessen habe oder nicht. Unter dem Vorsitz des Ordensgenerals Michael von Cesena versammelten sich die Provinzialen der Minoriten zu Perugia, und hier erließen sie eine förmliche Erklärung, daß die Behauptung, Christus und die Apostel hätten nichts weder persönlich noch gemeinsam als Eigentum besessen, keineswegs häretisch, sondern ein streng katholischer Glaubenssatz sei. Dies Manifest erzeugte einen Sturm scholastischer Untersuchungen und, nachdem es von Johann XXII. durch die Bulle Cum inter verdammt worden war, ein Schisma, welches einige Jahre später die widerspenstigen Minoriten unter ihrem General Michael in das Lager des Kaisers trieb, um mit ihm gemeinsam einen für ketzerisch gehaltenen Papst zu bekämpfen.

Die Frage, ob Christus Eigentumsrecht oder nur den tatsächlichen Gebrauch von weltlichen Dingen ( usus facti) besessen habe, würde als spitzfindige Nichtigkeit die Apostel selbst in Verwunderung gesetzt haben; denn keiner der frommen Jünger des Heilands konnte ahnen, daß einst eine Zeit kommen würde, wo ihre völlige Armut oder ihr dürftiges Gut, ja wo die leiseste Spur von Eigentum beim Kauf des geringsten Bissens Brot oder wo der Umstand, daß sie eigene Kleider trugen, Stoff für leidenschaftliche Untersuchungen hergeben, und wo die seltsame Frage überhaupt als das wichtigste Symbol auf die Grundverhältnisse der gesamten Kirche bezogen werden sollte. Wenn die Ansicht durchdrang, daß die Apostel kein weltliches Eigentum besessen hatten, so wurden der römischen Kirche alle jene Grundlagen entzogen, auf denen ihre weltliche Macht in langen Jahrhunderten aufgebaut worden war; das Prinzip ihrer weltherrlichen Gerichtsbarkeit wie des Bestehens ihres Dominium Temporale wurde damit aufgehoben, und sie selbst erschien von der rein geistlichen Verfassung der apostolischen Zeit zu einer weltlichen Mißgestalt abgewichen. Einem Kaiser, der die Ansprüche des Papsts auf die Regierung des Reichs zu bekämpfen hatte, konnte in der Tat nichts erwünschter sein als dieser scholastische Streit. Ludwig der Bayer rief daher alsbald Christus, die Apostel, den heiligen Franziskus und dessen Jünger als Verbündete gegen den Papst auf. Schon in seinem Protest vom Jahre 1324 zog er das Dogma von der Armut herbei, um Johann XXII. als Ketzer darzustellen, weil er nicht allein den Kaiser, sondern auch den Heiland verleugne. Es ist gerade diese Verbindung des ghibellinischen Staatsrechts mit dem Dogma der Franziskaner, welche dem Streit Ludwigs gegen den Papst eine kulturgeschichtliche Wichtigkeit gab, da sie große Folgen für das ganze Verhältnis der Kirche zum Staate nach sich zog.


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