Alfred von Hedenstjerna
Allerlei Leute – Erster Band
Alfred von Hedenstjerna

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Der Quislinger Pastor.

I.

Ein kleines, eigenes Heim.

»Hier ist es, Mutter!«

»Nein, Herr Gott, sind wir nun da, Arvid!«

»Ja, Mutter.«

Es lag ein triumphirender Klang in seiner weichen, liebevollen Stimme, als er die Zügel anzog, sich zu dem alten Weibchen an seiner Seite niederbeugte und mit dem Peitschenstiel auf einige rothe, puppenhafte Häuschen deutete, die rechts vom Wege auf einer kleinen, sonnenbeglänzten Insel lagen. Das größte der Häuser hatte weißgetünchte Balken und eine richtige Veranda.

Im Kalender war es April, und ungewöhnlicher Weise auch in der Natur. Die Frühlingsstürme hatten den Birkenhainen übel mitgespielt; die weißen Stämme schimmerten in demselben Grau wie die Erdhügel zu ihren Füßen. Der kleine, gewundene Weg war bodenlos durch die überströmenden Quellen und zeigte tiefe Furchen, welche die Wagenräder gepflügt hatten. Der Hain zur Linken des Weges sah kahl, trostlos und abgestorben aus. Aber auf dem Felde lag die Frühlingssonne, zur Rechten leuchteten die Wogen des Sees hinter den rothen Häuschen und in den Büschen sangen kleine, unsichtbare Vogelchöre: »April! April!«

Es war auch Frühling in ihm, der dort aufrecht in dem einfachen Stuhlwagen saß und sich mit liebeglänzenden Augen zu dem alten Mütterchen niederbeugte und ihr die rothen Häuschen am See zeigte, als seien sie der ganze Reichthum und die ganze Herrlichkeit der Welt. Der Wintersturm hatte in der breiten Brust getobt; die Winternoth der Armuth hatte während langer, langer Jahre bei den Beiden gewohnt, als die letzten Reste des bescheidenen Bauernwohlstandes draufgegangen waren, und sie in einer Mansarde studirten, darbten und hungerten in der Hoffnung auf einen Tag wie den heutigen. Dann kamen Conditions- und Universitätsjahre, Reisen, um Stipendien zu erbitten und Platzwechsel im Domstifte als Vertreter; lange, kalte Jahre, in denen man nicht einmal das Glück hatte, zusammen hungern, hoffen und frieren zu dürfen.

Doch nun war das alles vorüber. Dort unten am See lag Quislinges Pfarrhof, der ihm durch die freie Wahl der Gemeinde zugefallen war; die Welle sang: »April, April!« und mit Frühling im Herzen und Sonnenschein im Gemüthe fuhr Pastor Arvid Magnusson im abgetragenen Ueberrock durch grundlose Wege nach seinem eigenen Heim. Das zottige Pferdchen arbeitete sich mühsam durch die Weidenkoppel zum Pfarrhofe hinauf, so daß uns Zeit genug bleibt, Pastor Magnusson in Augenschein zu nehmen. Der Mund ist ein wenig grob geschnitten, das Kinn mit dem dunklen, bläulichen Bartschimmer springt mehr als nöthig vor und die Nase ist nichts weniger als griechisch. Aber der kecke Kopf ist schön geformt, die hohe, breite, grade Stirn bedeckt dunkles, reiches Haar und darunter liegen ein Paar große, schwarze, warme Augen, die man nicht gut übersehen kann und die alle ungleichen Gefühlsstimmungen des Besitzers getreu abspiegeln. Im Ganzen ist es ein gesundes, männliches Antlitz, und keine Runzel, kein graues Haar, verräth, daß die vierunddreißig Jahre, die Pastor Magnusson zählt, so schwer und so reich an Kämpfen und Entbehrungen waren. Die Gestalt ist schlank, aber breitschulterig; das Ganze macht einen bedeutenden Eindruck, den Eindruck eines über das Durchschnittsmaß hinausgehenden Menschen, der vielleicht viel zu gut für Quislinge war.

Die Blicke des alten Mütterchens an seiner Seite strahlen auch, als sie, die Bescheidene, Zusammengeschrumpfte ihn, den Großen und Starken betrachtet. Ihr kleines Gesicht ist von weißen Locken umgeben, noch ist es voll und röthlich, aber voller Runzeln wie ein guter, alter Apfel im December, und aus den Furchen glänzen ein Paar kleine, graue, gutherzige Augen, wie die Sonne über einer alten Burgruine. Ein gutes Porträt der Mutter in feinen Kleidern hätte wohl den Eindruck einer feinen, alten Dame gemacht, aber der einfache Anzug, die große Demuth und die Art, in der die Alte sich in unserer lieben Muttersprache ausdrückt, verrathen bald das frühere Bauernmütterchen in Hültåkra.

Und Pastor Magnusson hätte gewiß nicht versucht, dies zu verheimlichen. Ihm ist seine Mutter, so wie sie ist, das Beste, Liebste und Höchste auf der Welt.

Das Pferdchen zieht den Wagen mit dem Muthe der Verzweiflung und Aufwendung der letzten Kräfte.

Da liegt die neue Heimath.

Zwei klare Perlen träufeln die Wangen der Mutter hinab, als sie ihren zwanzigjährigen Traum in Gestalt rother Wände und weißer Balken vor sich sieht. Ein kleiner, schwarzer Fausthandschuh kriecht aus dem Mantel und berührt leise den abgetragenen Ueberrocksärmel.

»Arvidchen ...«

»Mutter«, flüsterte er tief in das rothe, verfrorene Ohr, und dann hob er sie vom Wagen und setzte sie auf der Veranda nieder, wo das neue Dienstmädchen, Schusters Luise, die Beiden knixend empfing.

»Der Herr segne Deinen Eingang! Möchtest Du hier den Lohn für alle Deine Liebe noch lange genießen!«

Und halb trug, halb führte er die Alte in das Eckzimmerchen, das auf den See hinausging.

Die Tagelöhnerfrau, die beim Scheuern geholfen hatte, stieß Luise in die Seite und sagte:

»Das muß ein ordentlicher Priester sein! Der betrinkt sich gewiß nicht auf den Weihnachtsgesellschaften wie der alte Pastor.«

Drinnen war es rein, fein und luftig. Freilich waren die Fußbodendielen abgenutzt und zeigten Astknoten und Risse – der Pastor mußte die Gebäude selbst in Stand halten – aber Luise und die Tagelöhner-Grete hatten sie blendend weiß gerieben. Freilich sah man es an den Wänden, wo die Bilder des alten Pastors gehangen hatten, bis die Wittwe vor ein paar Jahren ausgezogen war; doch die Decke war weiß, und im Ganzen waren die Wände auch nicht so mitgenommen. Die Fensterscheiben glänzten, und die Speisekammerborten rochen nach Scheuerdunst. Auf der mittelsten standen zwei volle Blechschüsseln.

»Nein, sieh, Milch, unsere eigene Milch, Mutter!« sagte der Pastor so voller Jubel wie ein Kind.

»Ja, die Kühe kamen heute Morgen, und die mit den großen Hörnern giebt reichlich Milch«, erklärte Luise.

Die Möbel waren auch vorausgeschickt worden. Die Gemeinde hatte sie holen lassen, und das war nicht zu viel verlangt, da es nur wenige waren; aber man mußte die Fuhrleute doch einmal für die Beschwerde tractiren, meinte Luise.

Nun war es ein Leben, ehe man die paar Stühle und Tische richtig placirt hatte, gar nicht zu reden von dem »Salonsopha«, das man für dreiundzwanzig Kronen und fünfzig Oere aus dem Nachlasse des Kämmerers Lundeberg auf der Auction in der Stadt erstanden hatte. Doch plötzlich fuhr der Pastor zusammen.

»Bewahre mich, ich habe Polle vergessen!«

»Beruhigen Sie sich, Pastorchen! Die Kreaturen besorge ich bis Sonnabend, wo der Knecht kommt, und das Pferd ist im Stall und hat sein Futter«, erklärte Tagelöhner-Grete mit überlegener Miene. »Aber, Luise, was in aller Welt soll das heißen?« rief der Pastor aus, als er die Thür zum Speisezimmer öffnete und einen großen, aufgeklappten Tisch mit Pfannkuchen, Grütze, Rahmkäsen, Eierkränzen, Butterkringeln und Kuchenschüsseln bedeckt erblickte.

»Kreuz, lieber Herr Pastor, die Quislinger sind allzeit hier gewesen, um ihren Pastoren etwas zu bringen; aber ich habe aufgepaßt, wer hier etwas hingelegt hat, denn die muß man auch wieder tractiren, wenn sie zur Kirche kommen.«

»Arvid!«

»Ja, Mutter.«

»Wenn Du nicht zu müde bist, so möchte ich gern einmal die Ställe sehen.«

»Gern, liebes Mütterchen!«

Und so gingen sie über den schmutzigen Hof, er mit langen vorsichtigen Schlendertritten, sie trippelnd mit aufgerafftem Rocke. Drinnen in dem kleinen, niedrigen, dunklen Stall standen die neugekauften Stuten und drei kleine, blanke, hübsche Kühe. Die Bankanleihe hatte nicht zu mehreren gereicht, sonst konnte der Hof neun nähren.

Mutter in Hültåkra hatte ohne Groll Haus und Hof verlassen, für ihren Arvid gedarbt und entbehrt; nur ein Opfer konnte sie schwer vergessen, nur ein Scheiden von der Vergangenheit kam ihr bitter vor. Sie konnte ihre Kühe »Bläß, Bunte und Stern« nicht vergessen; sie waren ihr Stolz gewesen und hatten im ganzen Dorfe nicht ihres Gleichen gehabt. Zwanzig Jahre hatte sie sie im innersten Herzen betrauert und beweint; ja, Gott helfe uns! ich glaube, sie hat über die Thiere mehr Thränen vergossen, als über ihren seligen Magnus. Aber, Herr Gott, das war wohl auch ein Unterschied. Der Herr hatte Magnus zu sich gerufen, aber die Kühe waren auf der Auction verkauft worden. Doch nun standen da wieder drei kleine glänzende Kühe, und Mutter hatte keinen Wunsch mehr auf dieser Erde. Sie faltete ganz andächtig die Hände und sagte mit strahlenden Augen: »Arvid!«

»Was denn, Mütterchen?«

»Darf ich den Kühen Namen geben?«

»Ja, natürlich, liebe Mutter.«

»Dann sollen sie »Bläß, Bunte und Stern« heißen, gerade so wie meine eigenen«, rief die Alte aus. »Sie sind hübsch gezeichnet, Arvid, der Kirchenvorsteher hat Dich nicht angeführt.«

Als sie zurückkamen, hatte Luise die Kiste mit dem blaurandigen Porzellan, den Messern und Gabeln vor sich. Im Saale war gedeckt, und die von den Quislingern gebrachte Grütze schmeckte gut zu der eigenen Kuhmilch. So hatten die Zwei oft an einem weniger reichbesetzten Tische zusammengesessen, drinnen in der Stadt in einer Dachkammer. Die Gefühle stürmten auf den Pastor ein. Nun war ihm Manches klar, was er damals nicht geahnt hatte. Er erinnerte sich zweier Strömlinge auf einem kleinen gesprungenen Teller, die auf dem Tische standen, als er eines Tages warm und hungrig vom Schneeballwerfen aus der Schule kam. Den einen aß er gleich, und mit blitzenden Augen betrachtete er den andern. »Nimm ihn Dir, Arvid, ich habe schon zwei gegessen und kann nicht mehr«, hatte die Mutter gesagt, und leichten Herzens nahm er auch den andern. Großer Gott, es war ja klar, daß sie gelogen hatte, daß sie selbst hungerte, um ihm mehr zuzuwenden. Es war nicht werth nun davon zu sprechen. Die Liebe seiner Mutter gab sich nur in Handlungen kund, seine gerührten Worte würde sie gar nicht verstehen. Aber seine großen, dunklen Augen wurden feucht, er klopfte sie leise auf die gebeugte Schulter und bat:

»Iß noch etwas Käse, Mutter!«

»Lieber Arvid, ich kann nicht mehr. Ich bin, Gott helfe mir, so satt, daß ich sterben könnte!«


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