Heinrich Heine
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Struensee

Trauerspiel in fünf Aufzügen

von Michael Beer

(Geschrieben zu München, anfangs April 1828.)

Den 27. März wurde im hiesigen Nationaltheater aufgeführt: »Struensee«, Trauerspiel in fünf Aufzügen, von Michael Beer. Sollen wir über dieses Stück ein beurteilendes Wort aussprechen, so muß es uns erlaubt sein, zuvor auf Beer's frühere dramatische Erzeugnisse kurzen Rückblick zu werfen. Nur hierdurch, indem wir den im Zusammenhang mit sich selbst betrachten, und dann die Stelle, die er in der dramatischen Literatur einnimmt, besonders bezeichnen, gewinnen wir einen festen Maßstab, womit Lob und Tadel zu ermessen ist und seine relative Bedeutung erhält.

Jugendlich unreif wie das Alter ihres Verfassers, war »Klytämnestra«; ihre Bewunderer gehörten zu jenen Auserlesenen, die Grillparzer's »Sappho« als das höchste Muster dieser griechischen Gattung anstaunen, ihre Tadler gehörten teils zu solchen, die nur tadeln wollten, teils zu solchen, die wirklich recht hatten. Es ist nicht zu leugnen, in den Gestalten dieser Tragödie war nur ein äußeres Scheinleben, und ihre Reden waren ebenfalls nichts als eitel Schein. Da war kein echtes Gefühl, sondern nur ein herkömmlich theatralisches Aufblähen, kein begeistertes Wort, sondern nur stelzenhafte Komödiantenhofsprache, und bis auf einige echte Veilchen war alles nur ausgeschnitzeltes Papierblumenwerk. Das einzige, was sich nicht verkennen ließ, war ein dramatisches Talent, das sich unabweisbar kund gab, trotz aller angelernten Unnatur und bedauernswürdigen Mißleitung.

Daß der Verfasser dergleichen selbst ahnte, bewies sein zweites Trauerspiel: »Die Bräute von Arragonien«. Hie und da glänzt darin schon eine echte Flamme, echte Leidenschaft bricht hie und da hervor, etwas Poesie ließ sich nicht abweisen, aber, obgleich schon die papiernen Putzmacherblumen befestigt sind und echte, organische Blumen zum Vorschein kommen, so verraten diese doch immer noch ihren Boden, nämlich das Theater, man sieht es ihnen an, daß sie an keinem freien Sonnenlichte, sondern an fahlen Orchesterlampen gereift sind, und Farbe und Duft sind zweifelhaft. Dramatisches Talent läßt sich aber hier noch viel weniger verkennen.

Wie erfreulich war daher das weitere Fortschreiten des Verfassers! War es das Begreifen des eignen Irrtums, oder war es unbewußter Naturtrieb, oder war es gar eine äußere, überwältigende Macht, was den Verfasser plötzlich in die bravste und richtigste Bahn versetzte? Sein »Paria« erschien. Dieser Gestalt hatte kein Theatersouffleur seinen kümmerlichen Atem eingehaucht. Die Glut dieser Seele war kein gewöhnliches Kolophoniumfeuer, und keine auswendig gelernte Schmerzen zuckten durch diese Glut. Da gab es Stichworte, die jedes Herz trafen, Flammen, die jedes Herz entzündeten.

Herr Beer wird lächeln, wenn er liest, daß wir der Wahl des Stoffes dieser Tragödie die außerordentliche Aufnahme, die sie beim Publikum gefunden, zuschreiben möchten. Wir wollen ihm gerne zugestehen, daß er in diesem Stücke wahre, unbezweifelbare Poesie hervortreten ließ, ja daß wir eben durch dieses Erzeugnis bestimmt wurden, ihm die echte Dichterwürde zuzusprechen und ihn nicht mehr zu jenen homöopathischen Dichtern zu zählen, die nur ein Zehntausendteil Poesie in ihre Wassertragödien schütten, aber wir müssen doch den Stoff des »Paria« als die Hauptursache seines Gelingens bezeichnen. Ist es doch nie die Poesie an und für sich, was den Produkten eines Dichters Zelebrität verschafft. Betrachten wir nur den Goethe'schen »Werther«. Sein erstes Publikum fühlte nimmermehr seine eigentliche Bedeutung, und es war nur das Erschütternde, das Interessante des Faktums, was die große Menge anzog und abstieß. Man las das Buch wegen des Totschießens, und Nicolaiten schrieben dagegen wegen des Totschießens. Es liegt aber noch ein Element im »Werther«, welches nur die kleinere Menge angezogen hat, ich meine nämlich die Erzählung, wie der junge Werther aus der hochadligen Gesellschaft höflichst hinausgewiesen wird. Wäre der »Werther« in unseren Tagen erschienen, so hätte diese Partie des Buches weit bedeutsamer die Gemüter aufgeregt als der ganze Pistolenknalleffekt.

Mit der Ausbildung der Gesellschaftlichkeit, der neueuropäischen Sozietät, erblühte in Unzähligen ein edler Unmut über die Ungleichheit der Stände, mit Unwillen betrachtete man jede Bevorrechtung, wodurch ganze Menschenklassen gekränkt werden. Abscheu erregten jene Vorurteile, die, gleich zurückgebliebenen häßlichen Götzenbildern aus den Zeiten der Roheit und Unwissenheit, noch immer ihre Menschenopfer verlangen, und denen noch immer viele schöne und gute Menschen hingeschlachtet werden. Die Idee der Menschengleichheit durchschwärmt unsere Zeit, und die Dichter, die als Hohepriester dieser göttlichen Sonne huldigen, können sicher sein, daß Tausende mit ihnen niederknien, und Tausende mit ihnen weinen und jauchzen.

Daher wird rauschender Beifall allen solchen Werken gezollt, worin jene Idee hervortritt. Nach Goethe's »Werther« war Ludwig Robert der erste, der jene Idee auf die Bühne brachte, und uns in der »Nacht der Verhältnisse« ein wahrhaft bürgerliches Trauerspiel zum besten gab, als er mit kundiger Hand die prosaischen, kalten Umschläge von der brennenden Herzwunde der modernen Menschheit plötzlich abriß. Mit gleichem Erfolge haben spätere Autoren dasselbe Thema, wir möchten fast sagen dieselbe Wunde, behandelt. Dieselbe Macht der Verhältnisse erschüttert uns in »Urika« und »Eduard«, der »Herzogin von Duras«, und in »Isidor und Olga« von Raupach. Frankreich und Deutschland fanden sogar dasselbe Gewand für denselben Schmerz, und Delavigne und Beer gaben uns beide einen »Paria«.

Wir wollen nicht untersuchen, welcher von den beiden Dichtern den besten Lorbeer verdiente; genug, wir wissen, daß beider Lorbeer von den edelsten Tränen benetzt worden. Nur sei es uns erlaubt, anzudeuten, daß die Sprache im Beer'schen »Paria«, obgleich getränkt in Poesie, doch immer noch etwas Theatermäßiges an sich trägt und hie und da merken läßt, daß der »Paria« mehr unter Berlinischen Kulissenbäumen als unter irdischen Banianen aufgewachsen, und in direkter Linie mit der guten »Klytämnestra« und den bessern »Bräuten von Arragonien« verwandt ist.

Wir haben diese Ansichten über M. Beer's frühere Dichtungen voranschicken müssen, um uns desto kürzer und faßlicher über sein neuestes Trauerspiel, »Struensee«, aussprechen zu können.

Zuvörderst bekennen wir, daß der Tadel, womit wir noch eben den »Paria« nicht verschonen konnten, nimmermehr den »Struensee« treffen wird, dessen Sprache rein und klar dahin fließt und als ein Muster guter Diktion gelten kann. Hier müssen wir die Segel des Lebens mit vollem Atem anschwellen, hier erscheint uns Michael Beer am meisten hervorragend aus dem Trosse unserer sogenannten Theaterdichter, jener Schwulstlinge, deren bildreiche Jamben sich wie Blumenkränze oder wie Bandwürmer um dumme Gedanken herumringeln. Es war uns unendlich erquickend, in jener dürren Sandwüste, die wir deutsches Theater nennen, wieder einen reinen, frischen Labequell hervorspringen zu sehen.

Was den Stoff betrifft, so ist Herr Beer wieder von einem glücklichen Sterne, fast möchten wir sagen, glücklichen Instinkte, geleitet worden. Die Geschichte Struensee's ist ein zu moderndes Ereignis, als daß wir sie herzuerzählen und in gewohnter Weise die Fabel des Stückes zu entwickeln brauchten. Wie man leicht erraten mag, der Stoff desselben besteht einesteils in dem Kampfe eines bürgerlichen Ministers mit einer hochmütigen Aristokratie, andernteils in Struensee's Liebe zur Königin Karoline Mathilde von Dänemark.

Über dieses zweite Hauptthema der Beer'schen Tragödie wollen wir keine weitläufigen Betrachtungen anstellen, obgleich dasselbe dem Dichter so wichtig dünkte, daß er im vierten und fünften Akte fast das erste Hauptthema darüber vergaß, und vielleicht dieses zweite Hauptthema auch andern Leuten so wichtig erscheinen mag, daß deshalb der Darstellung dieses Trauerspiels an manchen Orten die allerhöchsten Schwierigkeiten entgegengesetzt werden dürften. Ob es überhaupt einer liberalen Regierung nicht unwürdig ist, den dramatischen Darstellungen beurkundeter Wahrheiten sich entgegen zu setzen, ist eine Frage, die wir seiner Zeit erörtern wollen. Unser Volksschauspiel, über dessen Verfall so trübselig geklagt wird, müßte ganz untergehen ohne jene Bühnenfreiheit, die noch älter ist als die Preßfreiheit, und die immer in vollem Maße vorhanden war, wo die dramatische Kunst geblüht hat, z. B. in Athen zur Zeit des Aristophanes, in England während der Regierung der Königin Elisabeth, die es erlaubt hatte, sogar die Greuelgeschichten ihrer eigenen Familie, selbst die Schrecknisse ihrer eigenen Eltern auf der Bühne darzustellen. Hier in Bayern, wo wir ein freies Volk und, was noch seltener ist, einen freien König finden, treffen wir auch eine ebenso großartige Gesinnung und dürfen daher auch schöne Kunstfrüchte erwarten.

Wir kehren zurück zu dem ersten Hauptthema des »Struensee«, dem Kampfe der Bürgerlichen mit der Aristokratie. Daß dieses Thema mit dem des »Paria« verwandt ist, soll nicht geleugnet werden. Es mußte naturgemäß aus demselben hervorgehen, und wir rühmen um so mehr die innere Entwicklung des Dichters und sein feines Gefühl, das ihn immer auf das Prinzip der Hauptstreitfragen unserer Zeit hinleitet. Im »Paria« sahen wir den Unterdrückten zu Tode gestampft unter dem eisernen Fußtritte des übermütigen Unterdrückers, und die Stimme, die seelenzerreißend zu unseren Herzen drang, war der Notschrei der beleidigten Menschheit. Im »Struensee« hingegen sehen wir den ehemals Unterdrückten im Kampfe mit seinen Unterdrückern. Diese sind sogar im Erliegen, und was wir hören, ist würdiger Protest, womit die menschliche Gesellschaft ihre alten Rechte vindiziert und die bürgerliche Gleichstellung aller ihrer Mitglieder verlangt. In einem Gespräche mit Graf Ranzau, dem Repräsentanten der Aristokratie, spricht Struensee die kräftigsten Worte über jene Bevorrechteten, jene Karyatiden des Thrones, die wie dessen notwendige Stützen aussehen möchten, und treffend schildert er jene noble Zeit, wo er noch nicht das Staatsruder ergriffen hatte:

                                      – – – Es teilten
Die höchsten Stellen Übermut und Dünkel.
Käuflicher Diener ließ man alle Mühen
Der niedern Ämter. Schimpflich nährte damals
Das Mark des Landes manch bebrämten Kuppler,
Dem man des Vorgemachs geheime Sorgen
Und schändliche Verschwiegenheit vergalt;
Voreilig flog der Edlen junge Schar
Der Ehrenstellen vielgestufte Leiter
Mit raschen Sätzen an, und flücht'gen Fußes
Die niedern Sprossen überspringend, drängten
Sie keck sich zu des Staates schmalem Gipfel,
Der Raum nur hat für wenige Geprüfte.
So sah das Land mit wachsendem Entsetzen
Von edlen Knaben seine besten Männer
Zurückgedrängt in Nacht und in Verachtung.

Ranzau (lächelnd)
Wohl möglich, daß die Brut des Adlers sich
Mit kühnern Schwingen auf zum Lichte wagt
Als der gemeinen Spatzen niedrer Flug.

Struensee
Ich aber habe mich erkühnt, Herr Graf,
Die Flügel dieser Adlerbrut zu stutzen,
Mit kräftigem Gesetz unbärt'ger Kühnheit
Gewehrt, daß uns kein neuer Phaeton
Das Flammenroß der Staatenherrschaft lenke. –

Wie sich von selbst versteht, hat es einer Tragödie, deren Held solche Verse deklamiert, nicht an gehöriger Mißdeutung gefehlt; man war nicht damit zufrieden, daß der Sünder, der sich solchermaßen zu äußern gewagt, am Ende geköpft wird, sondern man hat den Unmut sogar durch Kunsturteile kundgegeben, man hat ästhetische Grundsätze aufgestellt, wonach man die Fehler des Stücks haarklein demonstriert. Man will unter anderm dem Dichter vorwerfen, in seinen Tragödien seien keine tiefen und prächtigen Reflexionen, und er gebe nichts als Handlung und Gestalten. Diese Kritiker kennen gewiß nicht die obenerwähnte »Klytämnestra« und »Die Bräute von Arragonien«, die es wahrlich nicht an Reflexionen fehlen ließen. Ein anderer Vorwurf war die Wahl des Stoffes, der, wie man sagte, noch nicht ganz der Geschichte anheimgefallen sei, und dessen Behandlung es nötig mache, noch lebende Personen auf die Bühne zu bringen. Dann auch fand man es unstatthaft, dabei noch gar die Interessen der heutigsten Parteien auszusprechen, die Leidenschaften des Tages aufzuwiegeln, uns im Rahmen der Tragödie die Gegenwart darzustellen, und zwar zu einer Zeit, wo diese Gegenwart am gefährlichsten und wildesten bewegt ist. Wir aber sind anderer Meinung. Die Greuelgeschichten der Höfe können nicht schnell genug auf die Bühne gebracht werden, und hier soll man, wie einst in Ägypten, ein Totengericht halten über die Könige und Großen der Erde. Was gar jene Nützlichkeitstheorie betrifft, wonach man die Aufführung einer Tragödie nach dem Schaden oder Nutzen, den sie etwa stiften könnte, beurteilt, so sind wir gewiß sehr weit entfernt, uns dazu zu bekennen. Doch auch bei einer solchen Theorie würde die Beer'sche Tragödie vielmehr Lob als Tadel verdienen, und wenn sie das Bild jener Kastenbevorrechtung in all seiner grausamen Leibhaftigkeit uns vor Augen bringt, so ist das vielleicht heilsamer, als man glaubt.

Es geht eine Sage im Volke, der Basilisk sei das furchtbarste und festeste Tier, weder Feuer noch Schwert vermöchten es zu verwunden, und das einzige Mittel, es zu töten, bestände darin, daß jemand die Kühnheit habe, ihm einen Spiegel vorzuhalten; indem alsdann das Tier sich selbst erblickt, erschrickt es so sehr ob seiner eigenen Häßlichkeit, daß es zusammenstürzt und stirbt. Der »Struensee«, ebenso wie »Der Paria«, war ein solcher Spiegel, den der kühne Dichter dem schlimmsten Basilisken unserer Zeit entgegenhielt, und wir danken ihm für diesen Liebesdienst.

Die Kunstgesetze, die ästhetischen Plebiskita, die der große Haufe bei Gelegenheit der Beer'schen Tragödie zutage förderte, wollen wir nicht beleuchten. Es sei genug, wenn wir sagen, daß Herr Beer vor diesem Richterstuhle gut bestanden hat. Wir wollen dieses nicht lobend gefragt haben, sondern es versteckt sich vielmehr in diese Worte der geheime Tadel, daß der Dichter durch Mittel, die vielleicht eben eines Dichters nicht ganz würdig waren, das große Publikum zu gewinnen wußte. Wir deuten hier auf das theatralische Reizmittel einer aufs höchste gespannten Erwartung, wodurch es möglich war, ein so gedrängt volles Haus, wie wir bei der Aufführung des »Struensee« sahen, fast fünftehalb Stunden, sage vier und eine halbe Stunde lang, ausdauern zu machen, so daß am Ende doch noch der ungeschwächte Enthusiasmus übrig bleiben und allgemeiner Beifall ausbrechen konnte, ja daß der größte Teil des Publikums noch Lust hatte, lange zu warten, ob nicht Herr Beer, den man stürmisch hervorrief, erscheinen würde.

Wir haben vielleicht jenen Kritikern Unrecht getan, die Herrn Beer einen Mangel an schönen Reflexionen vorwarfen; dergleichen war vielleicht nur ein ironischer Tadel, der hinter sich das feinste Lob verstecken wollte. War es indessen ernstlich gemeint (wir sind alle schwache Menschen), so bedauern wir, daß jene Kritiker vor lauter Bäumen den Wald nicht gesehn haben. Sie sahen, wie sie sagen, nichts als Handlung und Gestalten und merkten nicht, daß solche die allerschönsten Reflexionen repräsentierten, ja daß das Ganze nichts als eine einzige große Reflexion aussprach. Wir bewundern die dramatische Weisheit und die Bühnenkenntnis des Dichters, wodurch er so Großes bewirkt. Er hat nicht bloß jede Szene genau motiviert, vorbereitet und ausgeführt, sondern jede Szene ist auch an und für sich aus organischer Notwendigkeit und aus der Hauptidee des Stücks hervorgegangen; z. B. jene Volksszene, die den vierten Akt eröffnet und die einem kurzsichtigen Zuschauer als überflüssiges Füllwerk erscheinen möchte und manchem wirklich so erschienen ist, bedingt dermaßen die ganze Katastrophe, daß sie ohne dieselbe nur zur Hälfte motiviert wäre. Wir wollen gar nicht einmal in Betrachtung ziehen, daß das Gemüt des Zuschauers von den Schmerzen der drei ersten Akte so tief bewegt ist, daß es durchaus zu seiner Erholung einer komischen Szene bedurfte. Ihre eigentliche Bedeutung ist dennoch tragischer Natur, aus der lachenden Komödienmaske schauen Melpomene's geisterhafte, tiefleidende Augen, und eben durch diese Szene erkennen wir, wie »Struensee«, der schon allein durch seine majestätsverbrecherische Liebe untergehen konnte, noch obendrein dadurch seinem Untergange entgegeneilte, daß seine neuen Institutionen auch antinational waren, daß das Volk sie haßte, daß das Volk noch nicht reif war für die großen Ideen seines liberalen Herzens. Es sei uns erlaubt, einige Reden aus jener Volksszene anzuführen, wodurch uns Herr Beer gezeigt, daß er auch Talent für das Lustspiel hat. Die Bauern sitzen in der Schenke und politisieren.

Schulmeister. Meinetwegen, der Struensee ist's nicht wert, daß wir uns um ihn zanken. Der ist zu unserer aller Unglück ins Land gekommen. Er bringt überall Hader und Zwistigkeit. Mischt er sich nicht auch in die Angelegenheiten des edlen Lehrfachs? fordert er jetzt nicht von den wohlbestallten Schulmeistern, daß sie lehren sollen, was durchaus nicht für die Köpfe eurer lieben Jugend paßt? Wenn's geschieht, wie er's haben will, so werden eure Buben und Mädchen bald klüger sein als ihr. Aber dazu soll es nicht kommen, dafür will ich sorgen.

Hooge (ein Bauer). Ja, er will überall Licht anzünden, wo man's auslöschen sollte; darf nicht jetzt jeder drucken lassen, was er will! Ihr dürft jetzt als ein ehrlicher Schulmeister nicht mehr einen Schluck über den Durst trinken, so kann morgen der Küster drucken lassen: »Gestern war der Schulmeister betrunken.«

Schulmeister. Das sollt' er sich unterstehen! Ich möchte doch sehen –

Hooge. Das würdet ihr sehen und könntet's nicht hindern, sie nennen's Preßfreiheit, aber wahrhaftig, wer nicht immer nach dem Schnürchen lebt, kann dabei gewaltig in die Presse kommen.

Babe (Chirurgus). Lebt nach dem Schnürchen, so schadet's keinem was. Dürft ihr doch auf diese Weise eure Herzensmeinung dem andern sagen, und dürft euch, wenn's euch beliebt, gegen den Struensee und die Regierung aussprechen.

Hooge. Ei was, aussprechen! ich will mich nicht aussprechen, ich will das Maul halten, aber die andern sollen's auch. Jeder kümmre sich um die Töpfe auf seinem Herd.

Schulmeister. Führt nicht so freventliche Redensarten, Gevatter Babe! Wozu werden wir regiert, wenn wir uns gegen die Regierung aussprechen wollen? Eine gute Regierung soll alles regieren, Herz und Geldbeutel und Mund und Feder. In einem guten Staate ist ein Hauptgrundsatz, daß man, wie Hooge sich auf seine herzliche, einfache Weise ausdrückt, das Maul halte, denn wer redet und druckt, der muß auch zuweilen denken, und getreuen Untertanen ist nichts gefährlicher als die Gedanken.

Babe. Die Gedanken könnt' ihr aber nicht hindern.

Flyns (Bauer). Nein, die kann keiner hindern, und ich denke mir vieles.

Schulmeister. Nun, laßt doch hören Flynschen, was denkt ihr denn?
    (Zu Swenne leise.)
Das ist der größte Einfaltspinsel im Dorfe.

Flyns. Ich denke, das mir alles recht ist, wenn's nur nicht zur Ausführung des Planes kommt, den sich der Struensee, wie sie sagen, vorgenommen habe.

Babe. Das wäre?

Flyns. Daß er sich vorgenommen, uns Bauern in Dänemark und in den Herzogtümern zu freien Leuten zu machen. Ich will nicht frei und unabhängig sein. Was ist's denn Großes, daß ich für den Edelmann meinen Acker bestellen muß? dafür ernährt er mich und sorgt für mich, und eine Tracht Prügel nehme ich so mit. Wenn wir frei wären, müßten wir uns plagen und quälen, wären unsere eignen Herrn und müßten Abgaben geben.

Babe. Und für dein Eigentum, für die Freude, das, was du besitzest, dein nennen zu können, möchtest du nicht sorgen?

Flyns. Ei was! wenn ein anderer für mich sorgt, ist mir's bequemer.

Schulmeister. Das ist der erste vernünftige Gedanke, Flyns, auf dem ich dich ertappe. Mit der Freiheit käm' auch zugleich die Aufklärung, das moderne Gift – euer Tod.

Außer den trefflichen Andeutungen, daß die Preßfreiheit ebenso große Gegner hat unter den niedern wie unter den hohen Ständen, und daß die Abschaffung der Leibeigenschaft den Leibeigenen selbst am meisten verhaßt ist, außer dergleichen wahren Zügen, deren in jener Szene noch manche andere vorkommen, sehen wir deutlich, wie Struensee auf den hohen Isolierschemeln seiner Ideen tragisch allein stand, und im Kampfe des einzelnen mit der Masse rettungslos untergehen mußte. Der feine Sinn unseres Dichters hat indessen die Notwendigkeit gefühlt, den allzu großen Schmerz des Helden bei einem solchen Untergang einigermaßen zu mäßigen; er läßt ihm im Geist die Zeit voraussehen, wo die Wohltäter des Volkes mit dem Volke selbst einig sein werden; sterbend sieht er das Morgenrot dieser Zeit und spricht die schönen Worte:

»Der Tag geht auf! demütig leg' ich ihm
Mein Leben nieder vor dem ew'gen Thron.
Verborgner Wille tritt ans Licht und glänzt,
Und Taten werden bleich, wie ird'scher Kummer.
Doch ein beglückter Lohn steigt blühend auf;
Hier, wo ich wirkte, reift manch' edle Saat.
So hab' ich nicht umsonst gelebt, so hab' ich
Mit falschen Lehren nicht das Reich geblendet!
Es kommt der Tag, die Zeiten machen's wahr,
Was ich gewollt; die Tyrannei erkennt,
Daß sich das Ende ihrer Schrecken naht.
Ich seh' ein Blustgerüst sich nach dem andern
Erbaun, ein rasend Volk entfesselt sich,
Trifft seinen König in verruchter Wut,
Und dann sich selbst mit immer neuen Schlägen.
Geschäftig mäht das Beil die Leben nieder,
Wie ems'ge Schnitter ihre Ernte – plötzlich
Hemmt eine starke Hand die ehrne Wut.
Der Henker ruht, doch die gewalt'ge Hand
Kommt nicht zu segnen mit dem Zweig des Friedens.
Mit ihrem Schwert vergeudet sie die Völker,
Bis auch der Kampf erlischt, ein brausend Meer
Schlägt an ein einsam Grab, und alles ruht.
Und hellre Tage kommen, und die Völker
Und Könige schließen einen ew'gen Bund.
Notwendig ist die Zeit, sie muß erscheinen,
Sie ist gewiß, wie die allmächt'ge Weisheit.
Nur durch die Kön'ge sind die Völker mächtig,
Nur durch die Völker sind die Kön'ge groß.«

Nachdem wir uns über Grundidee, Diktion und Handlung der neuen Beer'schen Tragödie geäußert, bleibt uns noch übrig, die Gestalten, die wir darin handeln sehen, näher zu beleuchten. Doch die Ökonomie dieser Blätter gestattet uns kein so kritisches Geschäft und erlaubt uns kaum über die Hauptpersonen einige kurze Bemerkungen vorzubringen. Wir gebrauchen vorsätzlich das Wort »Gestalten«, statt Charaktere, mit dem ersten Ausdruck das Äußere, mit dem andern das Innerliche der Erscheinung bezeichnend. Struensee, möge uns der Dichter den harten Tadel verzeihen, ist keine Gestalt. Das Verschwimmende, Verseufzende, Überweiche, was wir an ihm erblicken, soll vielleicht sein Charakter sein, wir wollen es sogar als einen Charakter gelten lassen, aber es raubt ihm alle äußere Gestaltlichkeit. Dasselbe ist der Fall bei Graf Ranzau, der, mehr edel als adlig, ebenso wie Struensee vor lauter Sentimentalität, dem Erbgebrechen der Beer'schen Helden, auseinander fließt; nur wenn wir ihm ins Herz leuchten, sehen wir, daß er dennoch ein Charakter ist, wenn auch schwach gezeichnet, doch immer ein Charakter. Sein Haß gegen die Königin Juliane, womit er dennoch ein Bündnis gegen Struensee abschließt; und dergleichen Züge mehrere geben ihm Innerlichkeit, Individualität, kurz einen Charakter. Das Gesagte gilt einigermaßen auch vom Pfarrer Struensee; dieser den einer unserer Freunde, gewiß mit Unrecht, für ein Nachbild des Vaters im Delavigne'schen »Paria« halten wollte, gewann seine äußere Gestalt vielleicht weniger durch den Dichter selbst als durch die Persönlichkeit des Darstellers. Die hohe Gestalt Eßlair's in einer solchen Rolle, nämlich als reformierter Pfarrer, erschien uns wie ein kolossaler altkatholischer Dom, der zum protestantischen Gottesdienste eingerichtet worden; an den Wänden sind die hübschen Bilder teils abgebrochen, teils mit frischem Kalk überstrichen, die Pfeiler stehen nackt und kalt, und die Worte, die so öde und nüchtern von der neugezimmerten Kanzel erschallen, sind dennoch das Wort Gottes. So erschien uns Eßlair besonders in der Szene, wo der Pfarrer Struensee fast im liturgischen Tone seinen Sohn segnet.

Der Charakter der Königin Karoline Mathilde ist, wie sich von selbst versteht, holde Weiblichkeit, und wenn wir nicht irren, hat dem Dichter das Bild der unglücklichen Marie Antoinette vorgeschwebt, wie denn auch die Bedrängnisszene, wo die rebellierenden Truppen gegen das königliche Schloß marschieren, uns bedeutungsvoll den Tuileriensturm ins Gedächtnis rief. An Gestalt gewann die Königin ebenfalls durch ihre Darstellerin, Demoiselle Hagen, die am Anfang des zweiten Aktes, auf dem roten, goldumränderten Sessel sitzend, ganz so freundlich aussah wie auf dem Gemälde von Stieler, das wir jüngst im Ausstellungssaale des hiesigen Kunstvereins so sehr bewundert haben.

Wir besitzen nicht das Talent, schönen Damen etwas Bitteres zu sagen, es sei denn, daß wir sie liebten, und wir enthalten uns unseres Urteils über das Spiel der Demoiselle Hagen als Königin Karoline Mathilde um so mehr, da man der Meinung ist, sie habe in dieser Rolle besser als jemals gespielt, und da überhaupt unser etwaiger Tadel jene ganze Unnaturschule betrifft, woraus so viele Meisterinnen hervorgegangen. Mit Ausnahme der Wolf, der Stich, der Schröder, der Peche, der Müller und noch einiger andern Damen haben sich unsere Schauspielerinnen immer jenes gespreizten, singenden, gleißenden, heuchlerischen Tones befleißigt, der seinesgleichen nur auf lutherischen Kanzeln findet, und der jedes reine Gefühl parodiert. Die natürlichsten, unverwöhntesten Mädchen glauben, sobald sie die Bretter betreten, diesen Ton anstimmen zu müssen, und sobald sie sich diese traditionelle Unnatur zu eigen gemacht haben, nennen sie sich Künstlerinnen. Wenn wir in dieser Hinsicht unsere Königin Karoline Mathilde noch keine vollendete Künstlerin nennen, haben wir das größte Lob ausgesprochen, welches sie von uns erwarten kann. Da sie noch jung ist und hoffentlich auf wohlgemeinten Wink achtet, vermag sie vielleicht einst dem Streben nach jenem fatalen Künstlertume zu entsagen, und sie soll uns freundlich geneigt finden, sie dafür vollauf zu loben. Heute aber müssen wir die Krone einer bessern Königin zusprechen, und trotz unserer antiartistokratischen Gesinnung huldigen wir der Königin Juliane Marie. Diese ist eine Gestalt, diese ist ein Charakter, hier ist nichts auszusetzen an Zeichnung und Farbe, hier ist etwas Neues, etwas ganz Eigentümliches, und hier bekundet der Dichter seine höchste, göttlichste Vollmacht, seine Vollmacht, Menschen zu schaffen. Hier scheint uns Herr Beer ein Können zu offenbaren, das mehr ist, als was wir gewöhnlich Talent nennen, und das wir fast Genie nennen möchten, wenn wir mit diesem allzu kostbaren Worte minder geizig wären.

Die alte, schleichend kräftige, entzückend schauderhafte Königin ist eine eigentümliche Schöpfung des Dichters, die sich mit keinem vorhandenen Bilde vergleichen läßt. Madame Frieß hat diese Rolle gespielt, wie sie gespielt werden muß, sie hat den rauschenden Beifall, der ihr zuteil wurde, rechtmäßig verdient, und seit jenem Abende zählen wir sie zu dem Häuflein besserer Schauspielerinnen, die wir oben genannt haben. Ihre seltsame, unruhige Händebewegung erinnerte uns lebhaft an die Semiramis der Madame Georges. Ihre Kostümierung, ihre Stimme, ihr Gang, ihr ganzes Wesen erfüllte uns mit geheimem Grauen; absonderlich in der Szene, wo sie den Verschworenen die Nachtbefehle austeilt, ward uns so tief unheimlich zumute wie damals in unserer Kindheit, als eines Abends die blinde Magd uns die schaurige Geschichte erzählte von dem nächtlichen Schlosse, wo die verwünschte Katzenkönigin, abenteuerlich geputzt, im Kreise ihrer Hofkater und Hofkatzen sitzt und, halb mit menschlicher Stimme und halb miauend, Unheil beratet.

Wir schließen diese Betrachtungen mit dem Bedauern, daß der Raum dieser Blätter uns nicht vergönnt, uns weitläufiger über Herrn Beer's neue Tragödie zu verbreiten. Wir fühlen selbst, daß wir zumeist nur eine Seite derselben, die politische, beleuchtet haben. Wir denken, daß andere Berichterstatter, wie gewöhnlich, einseitig die andere Seite, die romantische, die verliebte, besprechen werden. Indem wir solche Ergänzung erwarten, wollen wir nur noch unsern Dank aussprechen für den hohen Genuß, den uns der Dichter bereitet. An der freimütigen Beurteilung, die sein Werk bei uns gefunden, möge er unsere neidlose, liebreiche Gesinnung erkennen, und es sollte uns freuen, wenn unser Wort vielleicht dazu beiträgt, ihn auf der schönen Bahn, die er so ruhmvoll betreten, noch lange zu erhalten. Die Dichter sind ein unstetes Volk, man kann sich nicht auf sie verlassen, und die besten haben oft ihre besseren Meinungen gewechselt aus eitel Veränderungssucht. In dieser Hinsicht sind die Philosophen weit sicherer, weit mehr als die Dichter lieben sie die Wahrheiten, die sie einmal ausgesprochen, man sieht sie weit ausdauernder dafür kämpfen, denn sie haben selbst mühsam diese Wahrheiten aus der Tiefe des Denkens hervorgedacht, während sie den müßigen Dichtern gewöhnlich wie ein leichtes Geschenk zugekommen sind. Mögen die künftigen Tragödien des Herrn Beer, ebenso wie der »Paria« und der »Struensee«, tief durchdrungen werden von dem Hauche jenes Gottes, der noch größer ist als der große Apollo und all' die andern mediatisierten Götter des Olymps; wir sprechen vom Gotte der Freiheit.

 


 


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