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IX.

Helenens heimliche Fahrt nach Papeiti. Sie befindet sich als Spion im Bauche des Götzen. Mattheo der Priester. Helene rettet die Christen vom Untergange. Das Kreuz läßt sie ihren Vater erkennen.


Rascher, als der König gehofft hatte, war die ganze Insel Eimeo zum Christenthume übergetreten. Die rastlosen Bemühungen des Vater Eustach und die stets wachsende Begeisterung des weißen Mädchens, unserer Helene, hatten am meisten zu diesem Erfolge beigetragen.

Pati, der ehemalige Oro-Priester hing mit felsenfestem Glauben an dem neuen Evangelium und harrte mit Ungeduld dem Tage entgegen, wo er die Weihe erhalten konnte; aber alle Gedanken des Eigennutzes und der Selbstsucht lagen ihm jetzt fern. Er wollte Gutes wirken, der Geist des Christenthums hatte ihn vollständig umgewandelt.

Auch Omana's Vater hatte die Religion seiner Tochter nach langem Widerstreben mit einem wahren Feuereifer ergriffen. Bexore und Baptas, welche mit Feuer und Schwert gegen das Evangelium der Christen gewüthet, hatten sich ebenfalls aus Saulus in Paulus umgewandelt. Was die Insulaner selbst anging, so sahen sie recht bald ein, wie wenig ihr alter Oro jemals berechtigt gewesen war, die Opfer eines armen, mißleiteten Volkes zu empfangen. Sie fühlten sich glücklich in den neuen Verhältnissen und hatten nur den einzigen Wunsch, Vater Eustach möge sie wenigstens nicht eher verlassen, bis Alles in fester Ordnung liege und Pati zum Priester geweiht sei.

Das war freilich nicht nach Eustach's Kopfe, denn er hatte sich's vorgesetzt, von Insel zu Insel zu reisen, überall das Wort des Herrn zu predigen und in dieser Arbeit nicht nachzulassen, bis ihm der Tod ein zwingendes Halt zurief.

Als aber auch Pomare sich dem Wunsche der Insulaner anschloß und ihm nachdrücklich vorstellte, daß mit seiner allzuschnellen Abreise das mühsam vollbrachte Werk leicht in ernste Gefahr gerathen könne, da ließ er sich bereden und nahm Jane's Anerbieten, in ihrer Hütte zu wohnen, dankbar an.

Helene hatte seit dem allgemeinen Tauftage eine merkwürdige Unruhe gezeigt. Häufig sah man sie auf den Spitzen der Berge stehen, wo sie, die Augen mit der Hand beschattend, nach Tahiti hinausspähte.

Hier auf Eimeo ist nichts mehr zu thun, pflegte sie zu sagen; wir müssen jetzt dorthin, wo das Unkraut am stärksten wuchert. Sobald Tahiti die Ohnmacht Oro's eingesehen und das Evangelium Christo angenommen hat, dann wird sich das Wort Gottes rasch auf die rings umher liegenden Inseln verbreiten und das weite Südmeer wird ein christlicher See werden.

Dem Könige aber schien es je länger, je besser auf Eimeo zu gefallen und er machte nicht die mindesten Anstalten zum Aufbruche.

Da verlor Helene die Geduld vollends und sie beschloß, heimlich eine Fahrt nach Tahiti zu machen, um mit eigenen Augen zu sehen, wie die dortigen Verhältnisse ständen. Mit Einbruch der Nacht warf sie sich in ein leichtes Cannot und begann das kleine Fahrzeug mächtig durch die Fluthen zu zwängen. Wie vom Winde gepeitscht, schoß es über die glatten Wogen und bald hatte sie Eimeo aus den Blicken verloren.

Gegen Morgen erreichte sie Papeiti. Vorsichtig ihr Cannot zwischen einer Felsspalte verbergend, war sie im Begriffe, sich mitten zwischen die Bewohner zu begeben, als ihr einfiel, daß ihre weiße Hautfarbe sie sofort verrathen würde. Das aber mußte sie um jeden Preis verhindern, denn sie war unter Umständen von Papeiti geflohen, welche ihr keinen freundlichen Empfang versprachen.

Doch Helene hatte mit der Zeit alle Sitten der Tahitier kennen gelernt und sie war klug und besonnen genug, aus allem Vortheil zu ziehen.

Auf Händen und Füßen arbeitete sie sich durch die Ananas-Felder in den Wald; dort stand eine Staude, deren Beeren einen tiefbraunen Saft enthielten, welcher getrocknet der Fleischfarbe der Tahitier ganz ähnlich war.

Ohne viel Zeit zu verlieren, preßte sie den Saft der Beeren aus und färbte Gesicht, Hals und Hände braun; dann schlenderte sie hinab zwischen die Wohnungen und lauschte auf die Unterredungen der Leute. Sie brauchte nicht lange zu forschen, bis sie wußte, daß sich die Sache des Königs seit seiner Flucht besser gestaltet habe. Aber auch die götzendienerische Gegenparthei hatte noch viele Anhänger, und täglich fielen zwischen den beiden Partheien auf der ganzen Insel blutige Kämpfe vor.

Wäre es ihr nur darum zu thun gewesen, den allgemeinen Zustand der Insel zu erkunden, so wußte sie genug und konnte heimkehren; aber sie wollte gleichzeitig ihrem Könige und dem Glauben dienen; deßhalb ging sie noch nicht, sondern suchte die beste Gelegenheit, sich von den Plänen des Feindes zu erfüllen.

In des Königs Palais hatte sich Upafara, der Anführer der Götzendiener niedergelassen; dort gingen die feindlichen Häuptlinge aus und ein, dort hielten die Anhänger des Oro ihre Versammlungen.

Helene, rasch und muthig in allen ihren Entschlüssen, faßte den Plan, sich mitten unter die Feinde zu drängen und aus ihrem eigenen Munde die heimlichen Beschlüsse entgegenzunehmen, die sie auf einem andern Wege kaum erfahren konnte. Wie aber war das anzufangen und auszuführen?

Sie rechnete vorerst auf ihre Unkenntlichkeit, das Ändere überließ sie dem Finger Gottes und ging geradezu auf den Palast los. Mit der innern Einrichtung desselben bekannt, gelangte sie unangefochten in denjenigen Raum, wo Pomare früher seine Häuptlinge zu versammeln pflegte, um sich mit ihnen über wichtige Angelegenheiten zu berathen.

Auf einer Erhöhung stand das hohle Götzenbild des Oro und rings um dasselbe die niedrigen Schemel, auf welchen der König und seine Häuptlinge zu sitzen pflegten.

Während sie noch unschlüssig war, was sie beginnen sollte, hörte sie draußen Geräusch und laute Männerstimmen, unter denen sie diejenige des Upafara deutlich unterschied. Rasch schaute sie umher, wo sie sich verbergen könnte, aber der Raum war kahl, nirgends ein Winkel oder ein Möbel.

In das Götzenbild! kam ihr da plötzlich der Gedanke. Hastig öffnete sie die Thüre desselben und schlüpfte hinein. Kaum hatte sie dieselbe hinter sich geschlossen, so trat Upafara mit großem Gepolter ein und ihm folgten ein Dutzend kleiner Häuptlinge und Anführer im Kriege. Durch die Augen des Oro konnte sie deutlich Alles gewahren, was im Gemache vorging.

Die Häuptlinge ließen sich auf den Schemeln nieder und richteten ihre Blicke erwartungsvoll auf Upafara. Der Häuptling schien bei sehr schlechter Laune zu sein, denn fast jedes seiner Worte war ein Fluch. Wem seine Wuth galt, darüber konnte man nicht lange im Zweifel bleiben, denn seine rollenden Augen richteten sich drohend auf einen Mann, welcher gefesselt und mit vorgebeugtem Kopfe in der Mitte des Raumes stand.

Erst jetzt gewahrte Helene denselben. Fast hätte sie vor Freuden aufgejauchzt, denn er war ebenfalls ein Weißer.

Wahrscheinlich ein Priester des Herrn, dachte sie, welcher über den weiten Ocean gekommen ist, um diese armen Götzendiener aus der Finsterniß des Unglaubens zu erretten.

In dieser Vermuthung hatte sie sich nicht getäuscht, denn der Fremde war wirklich ein Priester. Zugleich mit Vater Eustach auf Tahiti angekommen, hatte er bald nach seiner Ankunft begonnen, die Insel zu durchstreifen und auf seinen Wanderungen das Evangelium mit einer solchen Wärme und Eindringlichkeit zu predigen, daß ihm überall die Herzen zufielen. Die heidnischen Priester aber, die Häuptlinge und alle diejenigen, welche durch den Sturz Oro's Verluste zu erwarten hatten, waren ihm entgegen, und da er, trotz aller Warnungen nicht nachließ, zu predigen und zu lehren, so hatten sie ihn endlich aufgegriffen und gefesselt hinweg geführt.

Matheo, sprach Upafara mit donnernder Stimme zu ihm, lange genug hast du diese verwerfliche Lehre verbreitet und dadurch zwischen Fürst und Volk den Apfel der Zwietracht geworfen; endlich muß die Sache ein Ende nehmen. Es ist unabänderlich in meinem Rathe beschlossen, daß alle Christen sterben sollen. Die Treuen von Tahiti haben mir nach des Königs Flucht die Gewalt übertragen, und ich will sie zur Reinigung von dem falschen Glauben gebrauchen. Die Christen von Papeiti sind mir bekannt; keiner von ihnen wird dem Tode entrinnen. Aber es leben deiner Jünger und Anhänger noch viele zerstreut auf der Insel, deren Namen ich von dir wissen will. Nur um diesen Preis kannst du dich selbst vom sichern Tode retten.

Da erhob Matheo sein edles Antlitz und sprach: Und wenn ich dir diese Namen sagte, würdest du auch sie tödten?

Beim Oro, schrie Upafara, keiner von ihnen soll jemals wieder die Sonne über Tahiti aufgehen sehen.

In diesem Falle antwortete Matheo, wäre es ein furchtbares Verbrechen, dir die Unschuldigen zu verrathen, welche, seit sie Christen geworden, niemals etwas Böses gethan haben, sondern ohne Unterlaß für dich und ihre andern Verfolger beten.

Matheo, sprach Upafara drohend, es steht in meiner Hand, dich zu tödten, aber ich will dein Leben schonen, wenn du sprichst.

Ich weiß, daß du die Macht hast, antwortete Matheo, aber wenn ich zehn Leben hätte, so würde ich sie alle hingeben und zwar mit Freuden hingeben, um die unbekannten Christen zu retten.

Ein Gemurmel des Unwillens erhob sich rings umher, und Upafara riß seine Streitaxt aus dem Gürtel, um sie nach Matheo's Haupte zu schleudern. Doch er hielt inne und sprach: Eine Schuld der Dankbarkeit hält mich ab, dich mit eigener Hand zu tödten, denn du rettetest mein Kind aus der Fluth, als der hungrige Hai schon seinen Rachen aufriß, um es zu verschlingen; aber Oro will keine Nachsicht aus Dankbarkeit und Freundschaft. Zweimal schon habe ich dich den furchtbarsten Martern entrissen; zum drittenmal möchte selbst mein mächtiger Arm zu schwach sein. Ueberdieß glaube ich auch reichlich zurückgezahlt zu haben, was ich dir verschulde.

Wenn du meiner schonst, antwortete Matheo, so wird es dir der Gott der Christen lohnen; und wahrlich, der Tag wird kommen, wo du seiner Gnade bedarfst. Je länger du mich leben lässest, desto mehr Jünger werde ich Christus zuführen, die für dein Heil beten.

Upafara wandte sich zornig von dem Priester ab. Lassen wir ihn heute, sagte er; wenn er erst die Gräuel gesehen, welche alle diejenigen treffen sollen, die sich zu seiner Lehre bekennen, dann wird er mit Reue gewahr werden, daß er den Tahitiern nur Unglück gebracht hat. Kehrt er aber auch dann noch nicht um, so sei er in eure Hand gegeben und ihr mögt mit ihm verfahren nach Gutdünken.

Der morgige Tag soll zu einem großen Opfertage für Papeiti werden, kein Christ soll dem Blutbade entrinnen, welches ich über sie verhängt habe.

Gehet alle heim in euere Dörfer und kehret morgen mit Aufgang der Sonne wohlbewaffnet und in Begleitung aller streitbaren Männer, welche dem Oro treu geblieben sind, zurück. Wenn ihr die Trommeln und Pfeifen hört, so umstellt ihr rasch die Häuser der Christen und werft den Brand auf die Dächer.

Wer in den Flammen umkommt, hat seine gerechte Strafe; alle Uebrigen aber werden gebunden und an den Hafen gebracht, wo euere Beile Alles tödten sollen, was dem Kreuze geschworen hat.

Matheo näherte sich dem Schemel Upafara's, warf sich vor ihm nieder und flehte: Begehe nicht ein so furchtbares Verbrechen! Laß sie leben um Christi willen! Oder, wenn dieser Name keine Gewalt über dich hat, so schone ihrer um deines Kindes willen!

Upafara wehrte ihm ab und befahl einem der Häuptlinge, ihn fester zu binden, damit er während ihrer Abwesenheit den Christen nicht verriethe, was ihrer harrte.

Sein Befehl war bald ausgeführt; an Händen und Füßen gefesselt lag er am Boden und betete laut zu Gott, den Bedrängten Rettung und Hülfe zu senden, während die Männer mit rohen Scherzen das Gemach verließen.

Helene, welche von dem ganzen Auftritte kein Wort verloren hatte, betete leise mit ihm, denn im Geiste sah sie schon das Blut der Unglücklichen die blauen Wellen des Hafens von Papeiti färben. Matheo's würdiges Antlitz machte einen tiefen Eindruck auf ihre Seele, seine Worte klangen ihr wie ein Ruf aus fernster Vergangenheit und sie glaubte, diesen Streiter Christi irgendwo schon gesehen zu haben. Aber in dieser furchtbaren Stunde war keine Zeit zum Nachgrübeln, es mußte gehandelt werden.

Rasch öffnete sie die Thüre ihres heimlichen Asyls und stand plötzlich vor dem erstaunten Matheo.

Ehrwürdiger Vater, sprach sie, ich bin Zeuge dieses Vorganges gewesen, und Gott hat mich in seiner Hand zum Werkzeuge seiner Gnade gemacht. Verzweifle nicht, ich werde unsere Brüder retten, denn auch ich bin eine Christin. Gib mir ein Zeichen an die Brüder von Papeiti, daß sie mir glauben und entfliehen, ehe die Schergen nahen.

Meine Tochter, wer du auch seiest, sprach Matheo, sicher hat dich der Himmel zu gelegener Stunde gesandt und er wird dir für deine That mit seinem besten Segen lohnen. Nimm das Kreuz von meiner Brust, alle Papeitier kennen es, und sie werden dir um dieses Zeichens willen glauben.

Helene löste das Kreuz von seiner Brust und verbarg es in ihren Kleidern. Schon wollte sie sich entfernen, da wandte sie sich wieder um und sprach: Ich will deine Stricke lösen, daß du in die Gebirge entfliehst.

Nein, meine Tochter, antwortete Matheo; ich würde nicht fliehen, wenn selbst Upafara mich dazu drängte. So lange ein Athem in mir ist, gehöre ich an seine Seite, denn eine innerliche Stimme sagt mir, daß die Stunde kommen wird, wo ich sein Herz erweiche. Upafara dem Christenthume gewinnen aber heißt soviel als die ganze Insel bekehren. Gehe mit Gott und fange dein Werk klug an, damit es gelinge.

Das Mädchen verließ zögernd das Gemach; einige braunen Weiber, welche sie heraustreten sahen, schauten ihr neugierig nach, aber keine von ihnen erkannte sie.

Jetzt fiel ihr ein, daß sie die Familien nicht wüßte, welche sie retten sollte. Unschlüssig blieb sie stehen, als eine junge Papeitierin an ihr vorüberschritt, welche leise ein christliches Lied murmelte.

Du bist eine Christin, sprach sie.

Erschrocken blieb das Mädchen stehen, denn sie fürchtete, von Upafara zur Rechenschaft gezogen zu werden.

Fürchte dich nicht, sagte Helene leise, sondern führe mich in das Haus deines Vaters, dem ich bei diesem Zeichen eine wichtige Mittheilung zu machen habe.

Als die Jungfrau das Kreuz sah, ließ sie alle Bangigkeit fahren und schritt vor Helene her. In der Hütte des Papeitiers angekommen, forderte Helene Wasser und reinigte ihr Gesicht von dem braunen Safte, der sie unkenntlich machte.

Da ging das Verwundern von Seiten der Familie an, denn sie alle kannten das weiße Mädchen aus frühern Tagen und sie liebten es noch wie damals; aber sie konnten nicht begreifen, warum sie sich an einen Ort gewagt hatte, wo so viele Feinde ihre Anwesenheit zu ihrem Verderben benützen konnten.

Fragt nicht, warum ich gekommen, sprach sie, ich weiß es selbst nicht; es war eben ein unwiderstehlicher Drang, dem ich mich fügen mußte; doch jetzt handelt es sich weniger um mich, als vielmehr um euch selbst und eure Brüder. Noch in der heutigen Nacht müßt ihr aufbrechen und mit nach Eimeo hinüberfliehen, denn morgen sollt ihr alle sterben; nicht einmal die Greise und Kinder will man schonen.

Die Papeitier erschracken bei dieser Nachricht, aber die Mittheilung der Weißen erschien ihnen doch auch ganz unwahrscheinlich, denn nicht das geringste Anzeichen deutete auf ein so schreckliches Ereigniß hin.

Helene zeigte Matheo's Kreuz, beschwor sie auf den Knien, ihr zu glauben und wiederholte ihnen die Worte, welche der fromme Priester gesprochen hatte.

Da konnten sie am Ende wohl nicht mehr zweifeln. Die Söhne des Hauses, die Tochter und die Mutter vertheilten sich in die verschiedenen Hütten, damit die Nachricht schnell verbreitet würde und die bedrohten Familien sich ohne Aufschub am Hafen sammelten. Der Hausvater und Helene aber eilten, die Boote zu bereiten und harrten am Strande der Kommenden.

Papeiti's Bewohner lagen bereits in tiefer Ruhe, als leise und eilig aus vielen Hütten vermummte Gestalten traten, welche ihre geringen Schätze und ihre Kinder auf den Armen trugen und dem Hafen zueilten. Ehe Mitternacht kam, lagen mehr als hundert Pirogen dicht beieinander, angefüllt mit Menschen und Nahrungsmitteln. Helene aber stand noch am Ufer, um die Unschlüssigen zu überzeugen und sie zur Eile zu treiben.

Endlich, endlich war die letzte Familie am Bord und auch das weiße Mädchen stieg in eine der Pirogen. Leise und vorsichtig tauchten jetzt die langen Ruder in die Fluth und die Pirogen schossen pfeilschnell über das Wasser.

Die zurückgebliebenen Einwohner von Papeiti hatten keine Ahnung davon, daß ihre Opfer bereits auf dem hohen Meere schwammen; aber diese lebten gleichwohl in einer fiebernden Angst und gewannen erst Ruhe und Zuversicht, als die ersten Strahlen der Morgensonne aus den Fluthen emporstiegen und ihnen die Ueberzeugung gewährten, daß sie nicht verfolgt wurden. Ein lautes Freudenjauchzen erscholl über das Meer; Kinder und Eltern umarmten sich in Lust und Wonne.

Helene saß auf dem Hintertheile ihrer Piroge, den Kopf in die Hand gesenkt; ihre Gedanken schweiften nach dem Palaste des Königs zurück, und unaufhörlich traten ihr die edle Gestalt und die würdigen Züge des Priesters Matheo entgegen. Wieder und wieder sagte sie sich: Du hast diesen Priester gesehen und gesprochen; der Ton seiner wohltönenden Stimme ist schon irgendwo in deinen Ohren erklungen. Aber wo, wann? Das war eine Frage, die sie sich nicht beantworten konnte. Im Anfänge hatte sie diese Grübeleien von sich abgewehrt, weil sie dieselben für grundlose Grillen hielt, aber sie mußte wieder ihren Willen stets von Neuem an den guten Priester denken.

Als die Sonne ihre vollen Strahlen in die Wellentäler des Meeres ergoß und die zerklüfteten Gebirgskämme von Eimeo wie ein ferner Schatten am Horizonte erschienen, da fiel ihr Auge auf das Kreuz, das sie noch immer in den Händen trug.

Plötzlich that sie einen lauten Aufschrei, denn wie ein Schleier fiel es von ihren Augen; das Kreuz hatte ihr plötzlich alle Zweifel gelöst; sie erkannte es wieder. Als kleines Kind hatte sie es hundertmal am Halse eines Muttergottesbildes gesehen: Die kleine hübsche Kammer, das Haus, die Umgebung, wo sie als Kind gelebt, alles stand wie ein wunderbares Zauberbild vor ihrer Seele. Noch mehr – in den stillen, traulichen Gemächern ging ein Mann auf und nieder, den sie liebte, und dieser Mann war Matheo, der Priester.

Die Papeitier hatten bei ihrem Aufschrei die Köpfe nach ihr gewandt; da sie aber nirgends etwas sahen, was sie beunruhigen konnte, so fuhren sie fort zu rudern und verminderten mit jedem Schlage die Entfernung, welche noch zwischen ihren Pirogen und Eimeo lag.

Dieser Priester, sagte Helene im Innern ihres Herzens, dieser Priester ist mein Vater. Die Hand Gottes hat ihn damals aus dem Schiffbruche gerettet und ich werde ihn wiederfinden.


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