Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

II.
Das Testament.

Seit jenem Tage ging Wolfgang allabendlich zu dem alten Helferich hinüber und plauderte mit ihm. Von dem Testamente war ferner nicht die Rede, auch fiel kein Wort mehr über den Baum, denn die geringste Rückerinnerung stimmte den Greis wehmütig. »Wolfgang,« fragte Helferich eines Abends, »wie ist es gekommen, daß Du die Universität verließest? An der Stelle einer Feder die Art zu gebrauchen, ist Dir doch sicherlich schwer geworden.« Wolfgang konnte es nicht leugnen. »Allein,« so fuhr er wie in einem Zwiegespräche mit seiner seligen Mutter fort, »Du, mein gutes Mütterchen, konntest die Kosten nicht mehr aufbringen. Deine Hütte mochtest Du nicht verlassen, und ich wollte kein neues Opfer von Dir annehmen. So kehrte ich denn heim und verdiente unseren Unterhalt mit der Arbeit meiner Hände. Im Anfange wollte mir die saure Arbeit zwar wenig munden. Als ich aber sah, wie glücklich die alte Frau war, da wäre ich um keinen Preis zur Stadt zurückgekehrt.«

»Und jetzt?« fragte Helferich gespannt.

»Jetzt werde ich die Buche hüten. So habe ich's versprochen, und so will ich's halten.«

Da leuchteten die Augen des alten Helferich gar freudig auf. Aber er sagte nichts. Er schien auch die stille Wehmut nicht zu bemerken, mit der Wolfgang an die schöne Studienzeit zurückdachte.

Der Winter kam und mit ihm Schnee und Eis und ein schneidender Wind. Der alte Helferich ging nicht mehr aus. Seine Glieder wollten nicht mehr gehorchen. »Wenn es nicht so empfindlich kalt wäre,« sagte er eines Abends, »so möchte ich das Wägelchen anspannen und mich noch einmal in den Buchenwald hinausfahren lassen. Willst Du mir einen Wunsch erfüllen, Wolfgang? So höre: Unter dem bewußten Baume sind im Laufe der Zeit junge Buchen aufgewachsen, wovon der alte der Mutterstamm ist. Wenn ich gestorben bin, dann grabe einen der jungen Bäume mit den Wurzeln aus und pflanze ihn mir zu Häupten, damit meine Gebeine unter dem Schatten meiner Buchen ruhen. Ich weiß wohl, daß der abgestorbene Leib nichts davon empfindet, aber es deucht mir doch so schön, wenn sich die Zweige über mein Grab strecken und die Nachtigallen ihre Lieder zwischen den grünen Blättern singen.«

Wolfgang versprach das. Er meinte aber, das werde wohl in den ersten Jahren noch nicht geschehen. Mit dem Frühlinge werde Helferich wieder frisch und gesund werden. Da lächelte der Greis und schüttelte den Kopf. »Es wäre schade, wenn du recht hättest,« sagte er.

Seit Helferich so hinfällig geworden war, sprach er mit dem Pfarrer gern über das Jenseits und konnte dem geistlichen Herrn lange zuhören, ohne müde zu werden.

Der Besuch des Pfarrers wurde von jedermann natürlich gefunden. Es kam jedoch noch ein anderer, von dem man es nicht hätte vermuten sollen: Graf Wallram von Cedernstein. Alle Tage sah man sein Roß vor dem Hause Helferichs angebunden, und der Herr Graf blieb manchmal eine ganze Stunde in der dumpfen Krankenstube. Es freute den alten Helferich, daß ihm Gelegenheit gegeben war, freundlich mit dem Manne zu sprechen, den er so oft durch seinen Starrsinn beleidigt hatte. Es schien auch wirklich ein gutes Einvernehmen zwischen den Männern zu herrschen. Der Graf war in bester Laune. Die griesgrämigen Falten waren aus seinem Gesichte verschwunden, und wenn eines von den Bäuerlein sein Käppchen zog, nickte der Graf herablassend und sagte wohl gar: »Guten Tag, Mathes, oder guten Morgen Marieliese!«

Eines war nur sonderbar dabei. Wenn Helferich recht jämmerlich daran war und seiner Auflösung entgegensah, dann strahlte des Grafen Gesicht, und wenn Helferichs Befinden sich besserte, dann kamen auf Cedernsteins Gesicht die Falten wieder zum Vorscheine.

Im Dorfe verbreitete sich nach und nach das Gerücht, der Graf habe endlich seinen Zweck erreicht, der Wald gehöre ihm. Auch zu Wolfgangs Ohren kam das Gespräch, aber er schüttelte lachend den Kopf und dachte: »Sie werden's schon anders finden, wenn das Testament eröffnet wird.« Dem alten Helferich ein Wort darüber zu sagen, hielt er für unnötig, denn es verstand sich ja von selbst, daß das Gerücht nur eine Erfindung war.

Einige Tage vor Weihnachten nahm Helferichs Hinfälligkeit so sehr zu, daß man sein Ende erwartete. Wolfgang blieb deshalb an seinem Bette. Er wollte den Wohltäter nicht sterben lassen, ohne ihm die letzten Stunden zu erleichtern. Der Kranke stand große Schmerzen aus, er klagte aber nicht. In einer schmerzfreien Stunde flüsterte er Wolfgang zu: »Nach meinem Tode wird der Graf alle möglichen Anstrengungen machen, um Dir den Wald abzukaufen. Es vergeht kein Tag, an dem er mir nicht in den Ohren liegt. Er bietet Summen über Summen. Vergiß nicht, was Du mir versprochen hast. Ich weiß zwar, daß Du treu und ehrlich bist, aber das Gold hat einen verführerischen Klang und viele, die fest zu stehen glaubten, haben sich zur Untreue verleiten lassen.«

»Was ich Euch versprochen habe,« gab der Jüngling zur Antwort, »das halte ich. Mag er mir die ganze Grafschaft Cedernstein bieten, es soll ihm nichts nützen. Das Andenken meiner Mutter steht mir höher, als Reichtum und Ehre.«

Der Kranke lächelte beruhigt und drückte ihm die Hand. Von jetzt an wurde über die Angelegenheit nicht mehr gesprochen. Am Weihnachtsvorabende richtete der alte Helferich sich plötzlich empor und sprach: »Wolfgang, ist morgen nicht Christtag?«

Wolfgang nickte.

»Das wäre ein schöner Tag zum Sterben! Aber, mein Junge, ich hätte bald etwas Wichtiges vergessen. Unten am Brunnen wohnt der alte Jakob Feldenberg. Er hat eine große Kinderschar und weiß nicht von einem Tage auf den anderen zu kommen. Bisher ist in jeder Heiligen Nacht das Christkind zu ihm gekommen und hat für Kleider gesorgt. Es darf auch in diesem Jahre nicht ausbleiben. Dort liegt ein Bündel, das nimm mit und hole oben einen jungen Tannenbaum. Lege alles zusammen vor Feldenbergs Türe und klopfe an das Fensterchen. Laß Dich aber nicht erwischen. Er soll nicht wissen, woher die Gaben kommen.«

Wolfgang nahm das Bündel und trug es in seine Hütte. Als er es auseinanderschlug, fand er Röcke, Hosen, Westen, Strümpfe, Mützen und Hemde. Alles war nagelneu und das eine immer größer als das andere. Die Schuhe waren in ein besonderes Bündel zusammengepackt, und in jedem steckte ein harter Taler. Sogar für die Lichter war gesorgt. Der Jüngling lächelte stillvergnügt, denn er malte sich in Gedanken die Freude aus, die in dem Häuschen herrsche würde, wenn der Baum mit den wertvollen Dinge käme.

Die Axt aus dem Winkel nehmend, schritt Wolfgang eilends den Berg hinan und zwischen die Buchen. An der äußersten Grenze erhob sich ein Kranz von jungen Tannen. Die krauseste davon schlug er nieder und war eben im Begriffe, sie auf die Schulter zu laden, als Pferdegetrappel durch die Waldesstille klang. Verwundert, wer in der Heiligen Nacht über den Berg reiten möge, trat Wolfgang hinter eine der dicken Buchen und schaute dem Fahrwege nach, der von unten herauf über die Höhe des Berges führte.

Ein Reiter kam im Galopp den Berg hinan und setzte dem schnaubenden Rappen die Sporen in die Weichen, daß er sich hoch aufbäumte. »Das ist wahrhaftig der Cedernsteiner!« flüsterte Wolfgang.

Oben angekommen, hob sich Graf Cedernstein hoch im Sattel und schaute zwischen den Buchen hindurch. »In dieser Nacht werdet ihr mein!« rief er mit heiserer Kehle. »Morgen liegt kein fremdes Gut mehr inmitten des meinigen. Dieser Trotzkopf geht hinüber, und ich bleibe da. Dann ist das Hindernis hinweggeräumt, das mich von meinen Jugendjahren bis heute gequält hat!«

Diese abgebrochen hervorgestoßenen Worte deuteten offenbar auf den Tod des alten Helferich. »Ah,« flüsterte Wolfgang, »der Graf denkt mit dem neuen Besitzer leichter fertig zu werden. Wenn er wüßte, wer der Erbe ist und wie fest der an dem heiligen Walde halten wird, so würde seine Zuversicht geringer sein.«

Der Graf umritt einige der stattlichsten Bäume, legte seine Hand an die glatte Rinde und sprach in sich hinein. Dann wendete er sein Roß und sprengte von dannen. Gedankenvoll nahm Wolfgang die Tanne auf seine Schultern und eilte dem Dorfe zu. In der Hütte nahm er das Bündel und begab sich zum Brunnen. Neben demselben stand ein einsames Häuschen, in dem der arme Jakob Feldenberg wohnte. Durch das kleine Fensterchen schimmerte noch Licht. Die Strahlen fielen auf den Schnee, der den Brunnenstein bedeckte. Leise schlich Wolfgang vor die Türe und legte den Baum und das Bündel geräuschlos nieder. Dann trat er an das Fensterchen und schaute in die kleine Küche, wo Feldenberg und seine Frau beim Feuer saßen. Sie sahen beide ganz niedergeschlagen aus. Schwere Seufzer entfuhren ihrer Brust.

»Es ist das erste Jahr, in dem die Kinder leer ausgehen,« klagte die Frau. »Das Herz tut mir weh, wenn ich daran denke, welche traurigen Gesichter sie morgen machen werden.«

»Der alte Helferich, der uns so manches Jahr aus der Not geholfen hat,« sprach Jakob, »liegt schwer krank darnieder, und die Leute sagen, er werde es nicht lange mehr machen. Möge das Christkind ihm eine selige Sterbestunde bescheren!« In diesem Augenblicke klopfte Wolfgang an das Fenster und huschte schnell um die Ecke, wo er sich hinter einem Karren verbarg. In der Küche entstand ein Getöse, ein Stuhl fiel um und gleich nachher ging die Türe auf. Feldenberg und sein Weib kamen heraus und stürzten über den Baum und das Bündel her. »Gott sei Dank,« sprach die Frau, »unser alter Wohltäter ist noch gesund!«

Feldenberg ließ seine Augen rundgehen. Vielleicht spähte er nach dem Geber. Seine Frau ließ ihm jedoch nicht lange Ruhe, sondern bat ihn, den Baum hereinzutragen. Als die Türe wieder geschlossen war, kam Wolfgang aus seinem Verstecke hervor und schaute durch das Fenster. Die Leutchen waren eben daran, das Bündel auszupacken. Frau Feldenberg legte für jedes Kind die Kleidungsstücke zurecht, wischte die Freudentränen aus den Augen und rief ein über das andere Mal: »Wenn der alte Helferich nicht in den Himmel kommt, dann müssen wir allesamt daneben bleiben!«

Feldenberg hatte unterdessen die Schuhe ausgepackt. Er wendete sie hin und her, bog die Sohlen und pries das Leder. Da klingelte das Geld auf den Boden. »Auch Geld, auch Geld!« rief Feldenberg. »Nun ist uns für den ganzen Winter geholfen. Schau', eins, zwei, drei – zwölf blanke Taler! Da können wir Setzkartoffel kaufen und unseren Bedarf ziehen. Gott, mein Gott, wie gut der alte Helferich ist! Wenn man ihm nur danken dürfte! Es schneidet mir ordentlich ins Herz hinein, daß ich das alles so annehmen und mich noch stellen muß, als ob es vom Himmel gefallen wäre.«

In dieser Nacht holte das Christkind den stillen Urheber solcher Freuden zum ewigen Christfest. Als die Kirchenglocken zur Mette läuteten, tat der alte Helferich den letzten Atemzug. Wolfgang drückte ihm die Augen zu. Er war nicht der einzige in der Gemeinde, der den guten Alten aufrichtig betrauerte.

Einen gab es, den sein Tod hoffnungsfreudig stimmte: der Graf von Cedernstein. Siegessicher sah er der Eröffnung des Testamentes seines verstorbenen Gegners entgegen.

Es war in der dritten Woche nach der Beisetzung des alten Helferich. Wolfgang Feilenhauer hatte eine junge Buche zu Häupten des Grabes gepflanzt. Dann war er unablässig seiner gewohnten Beschäftigung nachgegangen. Da erhielt er vom Notar die Weisung, sich in dem Hause des verstorbenen Helferich einzufinden. Mit pochendem Herzen begab er sich dahin, und er fand nicht allein den entfernten Verwandten des Verstorbenen aus Holland da, sondern auch den Jakob Feldenberg und den Grafen Wallram von Cedernstein.

Gespannt horchten die Anwesenden auf, als der Notar begann: »Ich werde jetzt zur Eröffnung des Testamentes schreiten, dessen Urschrift sich in meinem Geschäftslokale befindet. Zum Grafen Cedernstein gewandt, fuhr der Notar alsdann fort: »Der Erblasser hat Ihrer nicht gedacht, und ich muß Sie deshalb bitten, Herr Graf, uns zu verlassen.«

Cedernstein entfärbte sich und sprach: »Ich habe mit dem Verstorbenen einen Kaufvertrag abgeschlossen und bin gekommen, meine Rechte zu wahren.«

»Sie können Ihre Ansprüche später bei den Erben geltend machen,« antwortete der Notar.

Der Graf erhob sich und warf einen forschenden Blick auf seinen Holzhauer. »Bist Du denn auch Erbe?« fragte er.

»Ich bin auf den Ruf des Herrn Notar erschienen,« gab Wolfgang zur Antwort.

Der Graf legte ein Papier auf den Tisch und ging hinaus. Der Notar entfaltete dasselbe und lispelte vor sich hin: »Das ist seltsam, Helferich hat mir keine Silbe davon anvertraut.«

Dann erbrach der Notar die Siegel des Testaments und las:

 

»Im Namen der allerheiligsten Dreifaltigkeit, des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, Amen!

Dies ist mein letzter Wille.

Der liebe Gott hat mich reichlich mit Gütern gesegnet, wofür ich ihm großen Dank schuldig bin. Mein Haus und die dazugehörigen Gärten vermache ich an unsere Pfarrkirche, in der ich getauft worden bin und an die sich die heiligsten Erinnerungen meines Lebens knüpfen. Die Einkünfte sollen alljährlich zur Ausbesserung und Verschönerung des Gotteshauses verwendet werden. Da es schon lange in der Absicht liegt, bei der hiesigen Pfarre eine Vikarie einzurichten, so setze ich ein Kapital von fünftausend Talern aus, dessen Zinsen der künftige Vikar erhalten soll und die einen Teil seiner Einkünfte ausmachen werden.

Dem Wolfgang Feilenhauer, den ich seiner guten Eigenschaften wegen sehr liebgewonnen habe, vermache ich erstens allen Grund und Boden, der innerhalb des Baches und seiner Hütte liegt, zweitens in barem Gelde ein Kapital von zehntausend Talern und endlich meinen Buchenwald. Ich lege Wert darauf, daß er diesen Wald nicht in fremde Hände übergehen läßt.«

 

Hier machte der Notar eine Pause und durchlas noch einmal das Papier, das ihm der Graf übergeben hatte.

Wolfgang war tief gerührt. Dem holländischen Halbvetter jedoch schob vor Zorn das Blut ins Gesicht, und er fragte, ob der Verstorbene auch das Recht gehabt habe, wildfremde Personen zu bedenken.

»Freilich hatte er das Recht dazu,« antwortete der Notar. »Es lag ihm nichts im Wege, seine gesamte Nachlassenschaft an irgendeine beliebige Person zu vergeben.« Dann fuhr der Notar fort:

 

»Das Haus am Brunnen mit der Wiese nebst dem Garten und den eingezäunten Feldern vermache ich dem Jakob Feldenberg, jedoch mit der Einschränkung, daß er ohne Einwilligung des vorgenannten Wolfgang Feilenhauer nichts davon verkaufen darf. Ich wünsche, daß das Haus und die Aecker später unverschuldet auf seine Kinder übergehen.«

 

»Der gute, gute Mann,« schluchzte Feldenberg. »Womit habe ich soviel Edelmut verdient?«

Der Holländer war im Begriffe von neuem aufzufahren. Allein ein strenger Blick des Notars zwang ihn zur Ruhe.

Der letzte Wille des alten Helferich bestimmte weiter:

 

»Nach Abzug dieser Vermächtnisse bleibt noch eine Summe von zehntausend Talern und ungefähr dreißig Morgen Wald, Acker und Wiese. Alles das vermache ich meinem Vetter, Jan van Zeelen, jedoch unter folgenden Bedingungen: Erstens soll das bare Geld erst nach zehn Jahren in seinen oder seiner Erben Besitz übergehen. Bis dahin sollen die Zinsen aufgesammelt und zum Bau einer Schule verwendet werden. Die alte ist baufällig und wird kaum noch zehn Jahre zusammenhalten. Zweitens dürfen die Pachtsummen in diesen zehn Jahren nicht in die Höhe geschraubt werden. Wenn mein Vetter Jan van Zeelen unter diesen Bedingungen die Erbschaft antreten will, so soll er das bei der Eröffnung des Testamentes ausdrücklich erklären. Will er nicht darauf eingehen, so ernenne ich unter denselben Bedingungen den Wolfgang Feilenhauer zum Erben seines Anteiles.«

 

»Herr van Zeelen,« sagte der Notar, »Sie hören, daß Sie sich jetzt erklären müssen. Ich bitte also, mir Ihren Entschluß mitzuteilen.«

Blaß und blau vor Aerger erwiderte der Holländer: »Mein Oheim hat mir also eigentlich nur den geringen Ertrag der Äcker überlassen. Ob ich nach zehn Jahren noch lebe, ist ungewiß. Ich begreife nicht, wie er dazugekommen ist, seine Sachen an Fremde zu verschenken. Ich erlaube mir die Frage, ob hier nicht eine Erbschleicherei vorliegt oder dieser junge Herr und der Mensch da einen unerlaubten Einfluß auf ihn ausgeübt haben.«

»In dieser Hinsicht können Sie vollständig beruhigt sein,« sprach der Notar. »Ihre beiden Miterben sind vor der Abfassung der letztwilligen Verfügungen gar nicht mit Helferich in Berührung gekommen. Was er tat, geschah aus freiem Entschluß und ohne jede Beeinflussung.«

»Besser etwas als gar nichts,« entgegnete van Zeelen auf die an ihn gerichtete Frage. »Ich nehme die Erbschaft unter den mir auferlegten Bedingungen an. Jetzt aber habe ich wohl nichts mehr hier zu tun und kann mich entfernen?«

»Sie sind vollkommen Herr Ihrer Zeit,« erwiderte der Notar, und der Holländer begab sich hinweg, ohne einen von den Anwesenden zu grüßen. Auch Feldenberg entfernte sich. Es drängte ihn, seiner Frau die Nachricht von dem unerwarteten Glücke zu bringen.

»Mit Ihnen habe ich noch zu reden,« sprach der Notar zu Wolfgang. »Schauen Sie einmal das Papier an, das Graf Cedernstein mir übergeben hat.«

Wolfgang las es und fand zu seinem größten Erstaunen, daß es ein Kaufbrief ohne amtliche Beglaubigung über den Buchenwald war. Es hieß in demselben: »Heute habe ich an den Herrn Grafen von Cedernstein meinen Buchenwald für den Preis von zwölftausend Talern verkauft. Diese Summe soll Ankäufer nach meinem Tode der Gemeinde Kesselsheim auszahlen.«

Der Jüngling erbleichte. »Mein Gott,« rief er, »wie ist es möglich, daß er erst den Wald mir vermacht und dann an einen anderen verkauft?«

»Wie das zusammenhängt, begreife ich selbst noch nicht,« antwortete der Notar. »Jeder Sachverständige wird zugeben, daß Helferichs Unterschrift echt ist.«

»Seine Unterschrift? Das kann nicht sein, denn Helferich hatte seine ganz bestimmten Gründe, gerade mir und keinem anderen den Wald zu vermachen. Er hat mir diese Gründe aufgedeckt und an das Vermächtnis eine mündliche Verpflichtung geknüpft, die er aus bestimmten Gründen nur mir auferlegen wollte.«

»Auch mir kommt diese Angelegenheit rätselhaft vor. Ohne Zweifel wird Graf von Cedernstein seine Hand auf den Wald legen und die Gemeinde den Kaufpreis verlangen. Ein langer Rechtsstreit wird die unausbleibliche Folge sein.«

»Herr Notar,« sprach Wolfgang ganz entschieden, »ich danke zunächst Gott, daß mir Herr Helferich ein Kapital vermacht hat. Ich denke, es wird ausreichen, um den Rechtsstreit mit dem Grafen und der Gemeinde zu führen. Ich bin fest entschlossen, den letzten Pfennig daranzugeben, um den Wald zu retten. Der Verstorbene hat nun und nimmer die Absicht gehabt, seine Buchen an den Grafen kommen zu lassen.«

»Meines Beistandes sind Sie auf alle Fälle sicher!« sprach der Notar und reichte Wolfgang zum Abschiede die Hand. Dieser aber ging geradeswegs hinüber nach Cedernstein, um den Grafen über den Zusammenhang zu befragen. Von der überraschenden Entdeckung heftig erregt, ging er aufrechten Hauptes durch den Park und schritt die steinerne Treppe des Schlosses hinauf.

Graf Cedernstein sah den ungewohnten Besucher mit nicht geringer Verwunderung herannahen, und rief ihm entgegen: »Was willst du hier? Der Verwalter ist da, um wegen der Arbeit mit den Leuten zu sprechen.«

»Heute komme ich in einer Angelegenheit, worüber mir der Verwalter keine Auskunft geben kann, Herr Graf. Ich muß mit Ihnen persönlich sprechen.«

Diese Worte waren vielleicht etwas keck hingeworfen. Der Graf beschaute ihn von oben bis unten und sagte geringschätzend: »Ich kann mir zwar nicht denken, was ein Holzhauer mit mir zu sprechen hätte, aber ich will Dich anhören. Tritt ein!«

Das Arbeitszimmer des Grafen hätte durch seine verschwenderische Pracht einen schlichten Mann leicht aus der Fassung bringen können. Wolfgang sah von der ihn umgebenden Pracht nichts. »Herr Graf,« sprach er, »ich komme ohne Umschweife zur Sache. Sie haben dem Notar einen Kaufbrief übergeben, nach dem Sie zum Eigentümer des Helferichschen Buchenwaldes geworden sind.«

»Allerdings, was hast Du damit zu tun?«

»Sehr viel, Herr Graf. Jener Wald, den Sie beanspruchen, ist mir vermacht, und ich halte mich auch noch aus anderen Gründen für den rechtmäßigen Eigentümer.«

Cedernstein wurde bei diesen Worten blaß vor Bestürzung. »Deine Erbschaft?« fragte er. »Wie kommst Du zu einem solchen Einfalle? Du träumst wohl?«

»Das Testament wird Ihnen Auskunft geben, daß ich nicht träume. Ich sage Ihnen noch einmal, daß ich mich für den rechtmäßigen Eigentümer halte.«

Cedernsteins Gesicht wurde noch bleicher, und seine Verlegenheit wuchs. Nach einer Weile sprach er mit unsicherer Stimme: »Es mag sein, daß Helferich Dir den Wald vermacht hat, aber er änderte später seinen Sinn und verkaufte ihn mir. Solche Sinnesänderungen kommen oft vor.«

»Mag sein, aber in diesem Falle nicht, Herr Graf.«

»Du hast doch nicht in das Herz des Verstorbenen gesehen?«

»Allerdings habe ich das. Helferich wollte gerade verhüten, daß der Buchenwald in Ihren Besitz käme. Deshalb nahm er mir das Versprechen ab, ihn niemals zu veräußern. Er blieb klar bis zu seinem letzten Augenblicke und wiederholte mir noch am Sterbetage seinen Wunsch.

»Du willst doch nicht seine Unterschrift leugnen?«

»Nein, die Unterschrift ist die seinige. Ich wiederhole nichtsdestoweniger, daß er den Wald nicht verkauft hat. Er kann es nicht getan haben. Ich kenne den Grund so genau, daß ich selbst einem Engel aus dem Himmel nicht glauben würde.«

»Es käme also auf eine gerichtliche Entscheidung an,« sagte Cedernstein lauernd.

»Wenn Sie nicht von ihren Ansprüchen abstehen, ja. Ich bin fest entschlossen, alles zu versuchen. Ich muß es sogar tun, um dem Verstorbenen gerecht zu werden.«

Der Graf ging einigemal durch das Zimmer auf und ab. Dann kehrte er zu Feilenhauer zurück und sprach: »Tot ist tot! Was kann dem Helferich daranliegen, wer jetzt den Wald hat? Wenn Du wirklich der Erbe bist, dann ist die Sache leicht geregelt. Ich zahle Dir den Kaufpreis und damit hollah.«

»Damit noch lange nicht hollah! Ich will keinen Kaufpreis, sondern den Wald. Böten Sie mir die zehnfache Summe, dann würde ich ebenfalls »nein« sagen.«

»Also,« sprach der Graf in verbissener Wut, »an die Stelle des einen Hartkopfes ist ein anderer getreten. Ich denke doch, wenn Du den Kaufpreis in Händen hast, könntest Du zufrieden sein. Daß der Wald die Summe nicht wert ist, kann ja jeder einsehen.«

»Sie vergessen, Herr Graf, daß Sie nicht einmal in ihrem Rechte wären, wenn Sie mir das Geld einhändigten. In dem Testamente ist ja die Gemeinde Kesselsheim als Gläubigerin aufgeführt.«

Der Graf stutzte. »Nun, was das angeht,« sagte er endlich, »so kann die Gemeinde keinen rechtlichen Anspruch erheben. – – Weiß die Gemeinde übrigens von dem eingeräumten Vorrechte?

»Ah, stehen die Sachen so, Herr Graf? Sie würden also kein Bedenken tragen, – erlauben Sie mir das Wort – zu betrügen? Was soll ich von einem Vorgehen denken, das auf solchen Grundlagen ruht?«

Cedernstein war bei diesen Worten nach der Wand gesprungen, hatte eine Reitpeitsche ergriffen und holte aus, um die Beleidigung zu rächen. »Hund,« zischte er, »ich will Dich lehren, wie man mit einem Edelmanne spricht!«

Bleich aber ruhig trat Wolfgang auf den Grafen zu, wand ihm die Peitsche aus der Hand und sprach: »Herr Graf, ich will mir eine körperliche Züchtigung Ihrer Person ersparen. Hätte mich die Peitsche berührt, so würde ich mich nicht besonnen haben, den Edelmann wie einen gemeinen Stallknecht zu behandeln. Ich wahre Ihre Ehre, wenn ich Sie bitte, nicht zum zweitenmal so an mich heranzutreten.«

Cedernstein schäumte vor Wut und trat mit dem Absatze nieder, daß der Boden dröhnte, aber er rührte den Holzhauer nicht an. »Mensch,« schrie er, »so stelle eine Forderung für Deinen verfluchten Wald!«

»Herr Graf,« antwortete Wolfgang, »glauben Sie nicht, daß Sie mich wie einen Knaben oder einen Ihrer armen Bauern einschüchtern können. Damit Sie nicht im unklaren bleiben: »Ich werde den Wald nicht abtreten, und wenn Sie mir ganz Cedernstein mit allem, was drum und dran hängt, samt der Grafenwürde zu Füßen legen. Wollen Sie der Gemeinde Kesselsheim gerecht werden, so zahlen Sie ihr die zwölftausend Taler. Ich habe nichts dagegen, wünsche es sogar. Ich sage Ihnen aber, daß dadurch nicht ein Ast, nicht eine Buchecker in Ihr Eigentum übergeht. Mein ist der Wald, und mein soll er bleiben, solange ich lebe. Nach meinem Tode aber werde ich Sorge tragen, daß er in treue Hände, nicht in die Ihrigen, oder die Ihrer Nachkommen gelangt.«

Wallram von Cedernstein hatte diese Sprache nicht erwartet. Solange er denken konnte, hatte es kein Mensch gewagt, seinem Willen zu widerstehen. Demütig hatte sich alles vor ihm gebeugt. Jetzt trat ihm ein armseliger Holzhacker wie ein Reichsfürst entgegen. Graf Cedernstein ballte die Faust, er knirschte mit den Zähnen, aber er bezwang sich. Er war im Begriffe, seinem Gegenüber den Degen durch die Brust zu stoßen, aber er beherrschte sich.

Welche Macht nahm ihn gefangen?

Drückte eine geheime Schuld den Grafen nieder?

Wolfgang hatte noch bittere Worte auf der Zunge. Da er jedoch sah, wie der Graf sich krümmte, wendete er sich um und ging. In seiner Hütte angekommen, wollte es Wolfgang fast bedünken, als sei er zu rasch zu Werke gegangen und als habe er sich voreilig einen mächtigen Gegner auf den Hals geladen. Ein kurzes Bedenken sagte ihm jedoch: »Nein es mußte so sein. Ich durfte den letzten Willen Helferichs und meiner Mutter nicht beschimpfen lassen. Mir scheint, der Graf ist auf eine Weise, die das Tageslicht nicht verträgt, an die Unterschrift Helferichs gelangt. Wenn er sich erkühnt, einen Baum anzutasten, so werde ich wissen, was ich meinem Wohltäter schuldig bin.«

Daß er unter diesen Umständen keinen Tag länger in den Diensten des Grafen blieb, ist selbstverständlich.

Der Notar befürchtete keinen guten Ausgang des schwierigen Rechtsstreites. »Es wird aber,« sprach er zu Wolfgang, »kein anderes Mittel übrigbleiben, als zu beweisen, daß der Kaufbrief, den der Graf in Händen hat, erschlichen, oder auf sonst eine unrechtmäßige Weise zustande gekommen ist. Diesen Beweis werden wir jedoch schuldig bleiben.«

»Ich vertraue auf die Hilfe Gottes und auf Ihren Beistand.« In diesem Vertrauen sah Wolfgang der Zukunft ruhig entgegen.


 << zurück weiter >>