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XXX.

Silvester. – Ein klarer bitterkalter Wintertag. Ein weißes Schneetuch hatte den Grunewald auf nicht absehbare Strecken zugedeckt.

Den Fichten und Tannen war von unsichtbarer Hand für die Jahreswende der prachtvolle Glitzerschmuck verliehen worden, der in unserem Auge jenes freudige Flimmern hervorlockt, das sich mit der rechten Weihnachtsstimmung bald dem ganzen Körper mitteilt – alle fühlenden Menschen so eigen erfüllt und gefangen hält.

Blank und hart lag die Königsallee.

Die hochwohllöbliche Polizei der Kolonie Grunewald hatte auf allerhöchsten Befehl die in den letzten Tagen gefallenen Schneemassen pflichtschuldigst wegschaufeln und schnell abfahren lassen. Alle Villenbesitzer waren angewiesen worden, eifrig vor ihren Grundstücken Sand streuen zu lassen, um den zwischen Potsdam und Berlin hier täglich mehrfach verkehrenden kaiserlichen Automobilen eine glatte, sichere Fahrt zu gewährleisten und um auch in zweiter Linie jeden Unfall der bei dem starken Frost nur vereinzelt auftauchenden Spaziergänger auf der glattgefrorenen Landstraße zu verhüten.

Ein eisiger Wind pfiff ab und zu zwischen der Villenreihe der Königsallee hindurch, um sich dann rasch in den im Hintergrunde noch an den ehemaligen Forst gemahnenden Waldparzellen zu verlieren …

Heute vollendete Martin Weitbrecht sein fünfunddreißigstes Lebensjahr! Seine Gattin Luise hatte es sich – wie stets – angelegen sein lassen, den Geburtstag des von ihr vergötterten Gatten auf ein Piedestal festlicher Merkwürdigkeit zu stellen. Schon um acht Uhr war sie sehr gegen ihre Gewohnheit von seiner Seite, an der sie sich so geborgen fühlte – was sie jedem, der es hören wollte, versicherte – gewichen. Ihr Ehemann legte sich gerade noch einmal auf den Rücken, um die ihm bleibende kurze Spanne Zeit noch ein wenig vor sich hinzunicken; denn präzise zehn Uhr trat zwecks steter Regeneration seiner Nerven der Masseur an.

Nach ihrer Vermählung mit Martin war es strengste Pflicht der Dienerschaft geworden, am einunddreißigsten Dezember insgesamt am grün bekränzten Frühstückstische zu erscheinen und dem gewaltigen Mann seiner Frau mit einem zweistimmig gesungenen Choral die untertänigsten Glückwünsche zu übermitteln.

Der Hausmeister hatte sich schon Wochen vorher weidlich mit dem Mezzosopran des Zimmermädchens und der etwas fetten Altstimme der Küchenfee abgeplagt. Sie mit dem Knödeltenor des Dieners, wie auch einem gar nicht häßlichen Bariton des neuen Chauffeurs vereint in harmonischen Wohlklang zu bringen, hatte ihm harte Arbeit verursacht. Aber als es schließlich doch nicht zur rechten Befriedigung seines kunstverständigen und kritischen Ohres geglückt war, mußte er sich für dieses Jahr damit begnügen, zur Introduktion nur das »Gott grüße dich« als Kanon eingeübt erschallen zu lassen. Hierauf erfolgte von seiten des Gärtners die Überreichung des im Treibhause eigens für diesen Tag gezogenen Rosenstraußes.

Sodann fiel programmäßig Frau Luise beseligt an die Brust ihres herrlichen Gemahls, um sich nach kurzem Aufenthalt daselbst alsbald wieder zu einer Ansprache an die Gratulanten zu ermannen.

Ihr Redestrom wurde jedoch von Martin sofort ebenso prompt mit einem barschen »Pst« unterbunden. Er sagte etwa:

»Liebe Leute, ich danke Euch, arbeitet nur auch im nächsten Jahre recht fleißig, damit ich mit Euch zufrieden sein kann!« Alsdann beschloß ein Kirchenlied unisono die Feier, die ihn alljährlich ebenso langweilte und die er doch nicht entbehren wollte, weil sie ihm gewissermaßen seinen Reichtum, sein Glück anschaulich vergegenwärtigte, – man kann sagen – sein Leben symbolisierte.

Eben hörte Luise in ihrem Ankleidezimmer den ganzen Troß sich zur Abhaltung einer letzten Generalprobe des feierlichen Aktes versammeln. Behutsam schloß sie, um den Schall nach dem Schlafgemache des Gatten abzudämpfen, die Verbindungstür und ließ sich willig von der Zofe frisieren und ankleiden, ohne dabei etwa ihre Aufmerksamkeit den nebenan probenden Sängern zu entziehen.

Jetzt legte sie die letzte Hand an ihre Morgentoilette und trat mit der Zofe schnell heraus ins Frühstückszimmer, das heute in seinem Girlandenschmuck dem angrenzenden Wintergarten wenig nachgab.

Martin liebte doch die Blumen so sehr!

Und während Frau Luise draußen alle Räume der Villa noch einer genauen Prüfung auf ihre feierliche Ausschmückung unterzog, lag der, dem alle die Vorbereitungen galten, mit offenen Augen in seinem Bett.

Martin hatte in dieser Nacht wieder einmal sehr schlecht geschlafen – ein unangenehmer Traum mit den unglaublichsten Varianten hatte ihm starkes Alpdrücken verursacht, und sonderbar – so sehr er sich bemühte, jetzt das Versäumte ein wenig nachzuholen – er konnte und konnte nicht einschlafen – der widersinnige Traum gab ihm viel zu denken, ließ ihn nicht mehr ganz zur Ruhe kommen.

Er sann und sann, sein ganzes Leben durchlebte er plötzlich nochmal in Windeseile.

An den toten Bruder mußte er immer wieder denken, den man vor zwei Tagen im Hamburger Krematorium den verzehrenden Flammen übergeben hatte.

Er hatte nicht an der imposanten Trauerfeier teilzunehmen gewagt, die Rektor und Senat der Technischen Hochschule dem allzufrüh aus der Lebensbahn geschiedenen Kollegen in der Aula bereitet hatten.

Er war auch nicht nach Hamburg gefahren, um persönlich der vom Toten angeordneten Verbrennung der Leiche beizuwohnen.

Er hatte sich aber inzwischen von seinem Notar unterrichten lassen, daß er nur dann als Eduards Erbe in Betracht kommen würde, wenn dieser keine anderweitigen letztwilligen Verfügungen hinterlassen haben sollte.

Und so war er seit vorgestern zweimal täglich nach dem für Testamente als Sammelstelle zuständigen Amtsgericht Berlin-Mitte gefahren und hatte jedesmal nur die seine Geldgier sehr beglückende Auskunft erhalten, daß vorläufig ein Testament auf den Namen Eduard Weitbrecht noch immer nicht eingelaufen sei.

Und gierig verschlang sein im Kopfrechnen nicht allzu gewandter Kopf die schweren Zinszahlen des brüderlichen Vermögens, und er taxierte es in wollüstiger Habsucht immer höher und höher, während das Auto von der Grunerstraße gen Westen sauste.

Auch jetzt überschlug er wieder, wach im Bett liegend, Eduards Nachlaß.

Der Wahrscheinlichkeit, daß er vielleicht noch viel größer sein würde, als er ihn gestern und vorgestern in schlaflosen Nächten veranschlagt hatte, mußte sein Hirn entschieden zustimmen.

Da klingelte es unten am Portal.

»Der Masseur,« dachte Martin. »Der verfluchte Hund kommt wieder zehn Minuten zu früh! – – – Er soll warten!« herrschte er den eben nach einem Klopfen eingetretenen Kammerdiener an.

»Hier bin ich Herr! Der Kerl hat sich nach mir zu richten, nicht ich mich nach ihm!«

Mit stoischer Ruhe ließ ihn der Diener, der solche Ausbrüche seines Herrn schon zur Genüge kannte, sich ausfluchen.

Dann überreichte er ihm einen Postschein zur Unterschrift und meldete korrekt:

»Es ist ja nur ein eingeschriebenes Paket, gnädiger Herr!«

»So, so,« brummte Martin blasiert. »Gewiß wieder so ein blödsinniges Geburtstagsgeschenk von meinem Emil!«

»Das Paket ist aus Berlin,« meinte der Diener, »wie auf dem Schein hier steht,« setzte er nach einer Pause hinzu.

»Haben Sie also wieder geluchert, Fiebke? Ihrem Spitzbubengesicht entgeht auch nichts! Na, geben Sie mal her!« ließ er sich Tablett und Bleistift ans Bett reichen.

Mit einer Wichtigkeit, als unterzeichnete er als Landesherr ein Todesurteil, schrieb er » Martin Sylvester Weitbrecht« unter den Postschein.

Nach wenigen Minuten erhielt er ein ziemlich leichtes Holzkistchen.

»Öffnen Sie! Fiebke,« sagte er gelangweilt. »Wer weiß, wer sich hiermit wieder in die Sonne meiner Gunst setzen will?«

Und der Diener holte schnell ein kurzes Stemmeisen herein und überreichte ihm nach einigen fixen Handgriffen einen Brief und eine zierliche Urne.

Der Briefumschlag trug am Kopf den Namen des Rechtsanwalts Dr. Walter Loewy zu Berlin vorgedruckt.

Gierig riß Martin das Kuvert auf und las:

 

Sehr geehrter Herr!

Als Testamentsvollstrecker des verstorbenen Herrn Professors Dr. Eduard Weitbrecht habe ich den ehrenden Auftrag, Ihnen die Asche des verewigten Toten beigehend mit der Mitteilung zu überreichen, daß der Erblasser sein ganzes bewegliches Vermögen mit Ausnahme zweier kleiner Legate ausschließlich den Zwecken der Wohlfahrt zugewandt wissen will: Bedürftige Studierende der Kunstgeschichte und solche des höheren Baufachs sollen von den Zinsen des Nachlasses durch Stipendien nach Maßgabe des jeweiligen Rektors der Universität in Gemeinschaft mit dem der Technischen Hochschule in ihrem Lehrgange gefördert werden. Die Genehmigung dieser großzügigen Stiftung durch den Landesherrn ist vom Unterzeichneten nachgesucht worden und dürfte anstandslos erteilt werden.

Das Nachlaßobjekt beläuft sich auf neun Millionen Mark.

Auf Wunsch des Verewigten sollen Ihnen, sehr geehrter Herr, diese Mitteilungen bei Überreichung seiner sterblichen Überreste gemacht werden.

Mit dem Ausdrucke besonderer Hochachtung

Der Rechtsanwalt:
Loewy.

 

Martin schwanden vor Wut die Sinne.

Er sank schwer in die seidenen Kissen zurück.

Und diskret entfernte sich Kammerdiener Fiebke, nachdem er noch schnell und verstohlen die seinem Herrn entfallenen Zeilen für den Bericht in der Küche überflogen hatte.

Aber nach Verlauf einer kurzen Zeit wurde er wieder ins Schlafzimmer hineingeklingelt.

»Bringen Sie mir Sand!« schrie ihn Martin an, und als Fiebke nicht recht verstand, schrie der noch wütender: »Seesand will ich, einen Eimer weißen Seesand zum Streuen!«

Bald erschien der verwunderte Diener mit dem Befohlenen.

Martins Finger erbrachen mit ungestümer Kraft den Verschluß der Urne, und mit der Wollust eines Wahnsinnigen schüttete er ihren Inhalt in den Eimer, so daß sich die Asche des Toten mit dem Sande vermengte.

»Auf die Straße! Vors Haus! Auf den Fahrdamm damit! Aber sofort!« brüllte er den Diener an.

»Sehr wohl, gnädiger Herr!« Und schon war er verschwunden, um den drakonischen Befehl seines Brotherrn auszuführen.


Martin krampfte alle Wut in die Kissen.

Bald aber sprang er wieder auf und zog sich eilends an.

Der jetzt gemeldete Masseur wurde zurückgewiesen.

Die ganze Geburtstagsfeier wurde wegen des plötzlichen Todesfalls abgesagt.

Dann aber entschloß sich Martin, wenigstens einen Nutzen aus dem Tode des Bruders zu ziehen.

Und er ging nachdenklich an seinen Schreibtisch, um dieses Inserat aufzusetzen:

 

Verspätet.

Der allgewaltige Tod hat am heiligen Weihnachtsabend meinen geliebten Bruder und einzigen guten Kameraden meiner Jugend

den Königlichen Hochschulprofessor
Dr. phil. Eduard Weitbrecht,
Komtur und Ritter hoher Orden,

von meiner Seite gerissen. Wer ihn kannte, wird meinen Schmerz bemessen können.

Grunewald, Neujahr 1905.

Der tiefgebeugte Bruder
Martin Sylvester Weitbrecht.

 

Dann schellte er dem Diener.

»Die vierzig Pferde sollen sofort vorfahren!«

Nach kurzer Zeit bestieg er den surrend vor dem Portal wartenden Wagen.

Und über Eduards Asche rollten die Räder von Martins Auto in raschem Tempo und rasten der Weltstadt zu.

 


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