Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

9. Kapitel.
Von Ursache und Wirkung

1. Man sagt, ein Körper wirkt oder ist tätig, d. h. er tut einem andern Körper etwas, wenn er entweder irgendein Accidenz in jenem hervorruft oder zerstört; und der Körper, in welchem ein Accidenz hervorgerufen oder zerstört wird, erleidet etwas, d. h. ihm wird etwas von einem andern Körper getan. Wenn ein Körper, indem er einen andern vorwärts treibt, Bewegung in diesem hervorruft, wird er aktiver Körper (Agens) genannt; der Körper, in welchem Bewegung hervorgerufen wird, heißt ein passiver Körper (Patiens). Das Feuer z. B., welches die Hand erwärmt, ist der aktive Körper, die Hand dagegen, welche warm wird, der passive. Das Accidenz, welches in dem passiven erzeugt wird, heißt Wirkung oder Effekt.

2. Wenn aktive und passive Körper einander berühren, so heißen Handlung und Leiden unmittelbar, im andern Falle mittelbar. Ein Körper hingegen, der zwischen dem aktiven und passiven liegt, ist zugleich aktiv und passiv; aktiv nämlich hinsichtlich des Körpers, der auf ihn folgt und auf den er wirkt, passiv hinsichtlich des Körpers, der ihm vorangeht und von dem er Wirkung empfängt. Wenn mehrere Körper sich so folgen, daß immer die nächsten beiden aneinander grenzen, dann sind alle zwischen dem ersten und letzten sowohl aktiv als auch passiv; der allererste aber ist nur aktiv, der letzte nur passiv.

3. Der aktive Körper ruft im passiven eine bestimmte Wirkung hervor, entsprechend einem oder mehreren Accidenzien, die beiden zukommen, d. h. die Wirkung erfolgt nicht deswegen, weil der aktive Körper Körper ist, sondern weil er ein Körper von bestimmter Art und Bewegung ist. Denn sonst würden alle aktiven Körper in allen passiven ähnliche Wirkungen hervorrufen, da alle Körper als Körper gleich sind. Daher erwärmt z. B. das Feuer nicht deswegen, weil es ein Körper ist, sondern weil es ein warmer Körper ist, und ein Körper treibt nicht den andern, weil er ein Körper ist, sondern weil er sich an den Platz des andern bewegt. Daher besteht die Ursache aller Wirkungen in bestimmten Accidenzien der aktiven und passiven Körper; sobald sie vorhanden sind, wird die Wirkung hervorgerufen, fehlt irgendeins von ihnen, so wird sie nicht hervorgerufen. Das Accidenz nun des aktiven oder des passiven Körpers, ohne welches eine Wirkung nicht hervorgerufen werden kann, heißt »causa sine qua non« oder »denknotwendige Ursache«, wie auch »erforderlich, um die Wirkung hervorzurufen«. Die Ursache schlechthin (auch vollständige Ursache) ist die Summe aller Accidenzien in beiden Körpern, dem aktiven und dem passiven, mit deren Gegenwart das Nichteintreten der Wirkung im Augenblick undenkbar ist, deren jedes durch seine Abwesenheit den Eintritt der Wirkung undenkbar macht.

4. Die Summe der für die Wirkung erforderlichen Accidenzien, die in dem oder den aktiven Körpern liegen, heißt, sobald die Wirkung hervorgerufen ist, ihre wirkende Ursache (causa efficiens). Die Summe aber der Accidenzien in dem passiven Körper pflegt, sobald die Wirkung hervorgerufen ist, materiale oder stoffliche Ursache genannt zu werden. Ich sage: sobald die Wirkung hervorgerufen ist. Wo nämlich keine Wirkung ist, da gibt es auch keine Ursache. Denn man kann nichts Ursache nennen, wo es nichts gibt, was Wirkung heißt. Die wirkende und stoffliche Ursache sind Teilursachen, d. h. Teile jener Ursache, die wir ganz kurz vorher Gesamtursache, die vollständige Ursache genannt haben. Hieraus ergibt sich, daß die Wirkung, die wir erwarten, ausbleibt, wenn in dem passiven Körper etwas fehlt, obwohl die erforderlichen Accidenzien in dem aktiven alle vorhanden sind oder umgekehrt.

5. Eine vollständige Ursache reicht immer aus, um ihre Wirkung hervorzurufen, sofern eine Wirkung überhaupt möglich ist. Denn was immer bewirkt worden ist: wenn die Wirkung sich wiederholt, ist offenbar, daß die Ursache, die sie hervorgerufen hat, hinreichend gewesen ist; wird sie jedoch nicht hervorgerufen und wäre sie dennoch möglich gewesen, so ist klar, daß entweder in dem aktiven oder dem passiven Körper etwas fehlte, ohne das sie nicht hervorgerufen werden konnte, d. h. daß irgendein Accidenz gefehlt hat, welches zu ihrer Entstehung erforderlich war. Daher war die Ursache nicht vollständig, was gegen die Annahme ist.

Daraus folgt auch, daß in demselben Augenblick, in dem die Ursache vollständig wird, auch die Wirkung hervorgerufen wird. Tritt sie nämlich nicht ein, so fehlt noch irgend etwas zu ihrer Erzeugung Erforderliches, es war also nicht, wie man annahm, eine vollständige Ursache vorhanden.

Wird nun weiter festgesetzt, daß unter einer notwendigen Ursache eine solche verstanden werden soll, die angenommen wird, damit die Wirkung unbedingt erfolgt, so folgt, daß jede Wirkung, die irgendwann hervorgerufen ist, von einer notwendigen Ursache herrührt; denn was hervorgerufen wird, hat, insofern es hervorgerufen wird, eine vollständige Ursache, nämlich all die Dinge, auf welche notwendig eine Wirkung erfolgt, das heißt: es hatte eine notwendige Ursache. Auf dieselbe Weise läßt sich zeigen, daß alle in der Zukunft jemals eintretenden Wirkungen ihre notwendige Ursache haben werden und daß alle Wirkungen in Zukunft oder in Vergangenheit ihre Notwendigkeit in den vorhergehenden Dingen haben.

6. Aus der Tatsache aber, daß in demselben Augenblick, in dem sich eine vollständige Ursache ergibt, auch eine Wirkung hervorgerufen wird, folgt offenbar, daß die Verursachung und Erzeugung der Wirkungen in einem bestimmten kontinuierlichen Prozeß erfolgt; so daß entsprechend der kontinuierlichen Veränderung des oder der aktiven Körper, die von andern an ihnen bewirkt werden, auch die passiven Körper, auf die sie wirken, kontinuierlich verändert werden. Wenn z. B. das Feuer in kontinuierlicher Zunahme immer wärmer wird, so nimmt zugleich auch seine Wirkung, nämlich die Wärme des nächsten und des zweitnächsten Körpers immer mehr zu; was übrigens ein wichtiger Beweisgrund dafür ist, daß Veränderung nur in Bewegung besteht, eine Behauptung, die sogleich im folgenden bewiesen werden soll. Hier ist nur wichtig, daß bei jeder gedanklichen Zerlegung des Wirkungsvorganges in Abschnitte das Anfangsglied der Reihe allein als aktiv oder Ursache vorgestellt werden kann; denn wenn es auch als Wirkung oder Leiden gedacht würde, müßte vor ihm ein anderes als Tätigkeit und Ursache aufgefaßt werden. Das ist aber unmöglich; vor dem Anfang ist nichts. In ähnlicher Weise wird das letzte Glied nur als Wirkung vorgestellt, Ursache könnte es nämlich nur mit Bezug auf etwas Folgendes genannt werden; nach dem letzten jedoch folgt nichts. Daher kommt es, daß in jedem Wirkungsvorgang Anfang und Ursache für ein und dasselbe gehalten werden. Von den Zwischengliedern der Reihe ist jedes einzelne Tätigkeit und Leiden, Ursache und Wirkung, je nachdem es mit Beziehung auf das vorhergehende oder folgende Glied gedacht wird.

7. Die Ursache einer Bewegung kann nur in einem unmittelbar anstoßenden und bewegten Körper liegen. Angenommen, es seien zwei beliebige, nicht anstoßende Körper vorhanden, zwischen denen der Raum leer oder wenn voll, dann von einem ruhenden Körper erfüllt sei, angenommen ferner, einer von den gedachten Körpern befinde sich in Ruhe, so behaupte ich: er wird immer in Ruhe bleiben. Denn wenn er sich bewegt, so liegt nach Kap. 8, Abs. 19 die Ursache dieser Bewegung in einem außerhalb befindlichen Körper. Befindet sich nun zwischen dem Körper selbst und jenem außerhalb liegenden Körper ein leerer Raum, so mögen sich die beiden Körper wie immer verhalten, so wird der nach Voraussetzung ruhende Körper offenbar so lange ruhen, bis er von einem anderen Körper angestoßen wird. Da aber die Ursache nach der Definition die Summe aller Accidenzien ist, die denknotwendig sind, damit eine Wirkung erfolge, so sind die Accidenzien, die sich entweder in den Außenkörpern oder in dem leidenden Körper selbst befinden, nicht Ursache der zukünftigen Bewegung. Und da in gleicher Weise einleuchtet, daß etwas, was schon ruht, auch weiterhin ruhen werde, selbst wenn es von einem andern Körper berührt werden sollte, wofern nur jener Körper sich nicht bewege, so folgt, daß die Ursache einer Bewegung nicht in einem angrenzenden, aber ruhenden Körper liegen kann. Ein Körper wird nur zur Ursache einer Bewegung, wenn er bewegt ist und an einen andern anstößt.

Auf dieselbe Art läßt sich beweisen, daß alles, was sich bewegt, sich immer in derselben Richtung und mit derselben Geschwindigkeit bewegen wird, wenn es nicht von einem andern anstoßenden und bewegten Körper daran gehindert wird, und es folgt weiter, daß weder ruhende noch irgendwie bewegte Körper Bewegung in einem andern Körper erzeugen oder vernichten oder vermindern können, sofern sich zwischen ihnen ein leerer Raum befindet. Irgendwo wird behauptet, daß ruhende Dinge bewegten mehr Widerstand leisten, als wenn sich die Dinge gegeneinander bewegen, da der Bewegung nicht so sehr die Bewegung als die Ruhe entgegengesetzt sei. Was hier irre führt, ist, daß die Namen Ruhe und Bewegung zwar kontradiktorisch sind, während doch in Wahrheit nicht Ruhe sich der Bewegung widersetzt, sondern nur Gegenbewegung.

8. Wenn einmal ein Körper auf einen andern und dann später wiederum derselbe Körper auf eben jenen einwirkt, und wenn beide, der aktive wie der passive Körper und alle ihre Teile dieselben geblieben sind und nur ein Unterschied der Zeit vorhanden ist, so daß die eine Wirkung früher, die andre später geschieht, so versteht es sich von selbst, daß die Wirkungen gleich und ähnlich, nur durch die Zeit verschieden, sein werden. Wie die Wirkungen aus ihren Ursachen hervorgehen, so hängt ihre Verschiedenheit von der Verschiedenheit ihrer Ursachen ab.

9. Steht dies fest, so folgt notwendigerweise, daß jede Änderung in einem Körper in einer Bewegung seiner Teile beruhen muß. Denn erstens sprechen wir nur von einer Veränderung, wenn etwas unsern Sinnen anders als vorher erscheint. Zweitens sind jene beiden Erscheinungen im Empfindenden hervorgerufene Wirkungen. Sind sie verschieden, so folgt aus dem im vorigen Abschnitt Erwähnten: entweder bewegt sich jetzt irgendein vorher ruhender Teil des aktiven Körpers, dann besteht die Veränderung in dieser Bewegung; oder ein Teil bewegt sich jetzt anders als vorher, dann besteht die Veränderung in der neuen Bewegung; oder er hat sich früher bewegt, ruht aber jetzt; dies kann aber, wie oben gezeigt, nur durch Bewegung eintreten, und so ist auch in diesem Fall die Veränderung eine Bewegung; oder endlich, in dem passiven Körper oder seinen Teilen finden die Bewegungen statt; auf jeden Fall besteht die Veränderung in Bewegung der Teile des Körpers, der empfunden wird oder selbst empfindet oder in Teilen von beiden. Daher ist die Veränderung eine Bewegung (nämlich von Teilen in dem Agens oder Patiens), was zu beweisen war. Als Folgerung ergibt sich hierbei, daß die Ruhe für nichts die Ursache ist und daß durch sie überhaupt nichts gewirkt wird, so daß sie weder für eine Bewegung noch für eine Veränderung die Ursache sein kann.

10. Zufällig heißen Accidenzien nur im Verhältnis zu Accidenzien, die vorhergehen oder der Zeit nach früher sind, wenn sie von ihnen nicht wie von Ursachen abhängen; ich sage mit Rücksicht auf solche, von denen sie nicht erzeugt werden. Denn auch sie haben ihre Ursachen, durch die sie mit gleicher Notwendigkeit zustande kommen. Sonst hätten sie überhaupt keine Ursachen. Das ist aber bei Dingen, die entstehen, denkunmöglich.


 << zurück weiter >>