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VI.
Die Schlacht bei Jena

Heinrich Hügel verließ den Naumburger Dom und begab sich zurück in die Stadt. Sie war in das preußische Hauptquartier verwandelt; am Markt, im hohen Ständehaus, wohnte das Königspaar. Er umstreifte das alte Gebäude in der Hoffnung, vielleicht die Königin zu sehen, wenn sie eine ihrer kleinen Ausfahrten machte. Doch er erblickte nur den Kabinettsrat von Lombard und den Minister Graf Haugwitz, die in großer Gala und mit selbstzufriedenen Mienen vorüberfuhren. Volk und Heer wünschte diese Berater des Königs weit fort.

Noch leuchtete der helle Nachmittag. Der junge Leutnant wanderte hinaus ins Freie. Die Herbstsonne lag über den Weinberghäuschen am steilen Hang, vergoldete die tiefroten Gebüsche über grauem Gestein. Blauer Rauch kam von den Kartoffeläckern her, zuweilen blitzte ein Feuerchen auf.

Heinrich Hügel genoß die schöne Aussicht. Er freute sich über den Gesang der Kinder, die beim Kartoffellesen halfen. Ihre Stimmen klangen rein und rührend, nicht rauh wie die unmelodische Weise der Fichtelgebirgsbewohner. Ulrike müßte diese schönen Lieder hören, müßte die herrliche Saalelandschaft sehen. Wann würde es ihm einmal vergönnt sein, mit ihr zu reisen oder zu wandern? Ach, dies lag fern im Reich der Träume. Jetzt kam der Krieg!

Heinrich Hügel zweifelte nicht an Preußens Sieg. Seine schlechten Diplomaten würden zur Seite geschoben werden, sobald die Armee ihre Sprache sprechen durfte. Wohin würde man ziehen? Die Offiziere wußten es noch nicht. Napoleons Stellung war unbekannt. Botschaften und Gerüchte lösten einander ab, ohne etwas Zuverlässiges zu bringen. Marschall Lannes sollte im unteren Saaletal sein, General Davoust gegen Kösen vorrücken. Wo aber war Napoleon selbst? Dies blieb die aufregende Frage.

Der junge Offizier dachte, der ruhelose Eroberer wird nicht mehr lange zaudern. Er kann nicht warten, bis Regenströme die Wege durchweichen und die Herbststürme die Soldaten vor Kälte erschauern lassen.

Von ferne nahte auf schmaler Straße ein leichtes Gefährt. Den jungen Offizier durchzuckte es: der Wagen der Königin. Er lief ihm entgegen, sah, wie die offene Kutsche hielt und Kinder herbeieilten. Sie hatten rasch ein paar ärmliche Blumen, letzten flatternden Mohn und Feldrauten zusammengerafft und hielten die Gaben der Königin entgegen. Luise beugte sich aus dem Wagen, sprach ein paar Worte, nahm die kargen Blüten entgegen. Gerade als die Pferde wieder anziehen wollten, war Leutnant Hügel zur Stelle und salutierte. Ein blauer Blick traf ihn, der Kutscher nahm die Leinen zurück, die Königin winkte den Offizier heran. Er war fast erschrocken vor dem Liebreiz des blassen Gesichts.

»Bringen Sie Meldung, Leutnant?« fragte die Königin.

»Nein, Eure Majestät, ich bringe nur mein brandenburgisches Herz.« Heinrich Hügel wußte nicht, daß seine Augen etwas Sieghaftes ausstrahlten, daß über seiner ganzen Erscheinung die Kraft der Jugend lag.

»Aus welcher Provinz stammen Sie?« fragte die Königin mit ihrer warmen, dunklen Stimme.

»Zu Befehl, Eure Majestät, ich bin aus dem Fürstentum Bayreuth aufgebrochen zu den Fahnen unseres Königs.«

»Bayreuth.« Die Königin flüsterte das Wort und reichte in spontaner Bewegung dem jungen Offizier die Hand, fragte nach seinem Namen, antwortete dann:

»Gott behüte Sie, Leutnant von Hügel.«

Die Hofdame winkte dem Lakaien neben dem Kutscher. Der Wagen fuhr weiter. Heinrich Hügel stand noch wie auf Wache. Gott behüte Sie, Leutnant von Hügel. Ach, wie gut hatte das geklungen. Ein Lächeln kam über seine Lippen. Von Hügel! Kennt die Königin nur adlige Offiziere –?

Er schrieb noch am Abend an Ulrike. Sie mußte es erfahren, daß die Königin mit ihm gesprochen hatte. Doch der Brief wurde nicht mehr befördert. Am nächsten Morgen war Aufbruch – –

Es ging die Höhenzüge entlang zu dem weiten Plateau über Jena. Die Dörfer Nerkewitz und Lehesten wurden passiert. Um Vierzehnheiligen und Krippendorf sammelte sich die preußische Infanterie. Es war am 13. Oktober. Gerüchte liefen um, die Franzosen hätten, von Napoleon selbst geführt, Jena und den Landgrafenberg besetzt. Aber konnte dies auf Wahrheit beruhen, wenn doch Fürst Hohenlohe, der preußische Oberbefehlshaber, sich zur Nachtruhe nach der gegen Weimar hin gelegenen Wasserburg Kapellendorf begab?

Leutnant Hügel sah ihn abreiten. Es war noch Licht überm Land. Der Wind durchbrach den Nebel, rüttelte an den Bäumen und trieb welkes Laub dahin.

Meldereiter trafen ein, berichteten, die Marschälle Soult, Ney und Lannes rückten heran. Junge Berliner Offiziere lächelten: Wie sollte der Marschall Soult seine Artillerie heraufbringen? Es gab doch nur Fußwege zu diesem weiten Plateau. Ein Gerücht lief, Napoleon sei in Jena? Waren dort nicht mutige Studenten, die einen Handstreich wagen würden? Oder sollte man den gelbgesichtigen Kaiser hier oben leibhaftig erblicken? Nun, dann konnte er sehen, wie preußische Infanterie schoß.

Die Nacht brach herein. Das Dorf Vierzehnheiligen gab Unterkunft, so gut es konnte. Der Pfarrer öffnete die Kirche, einst als Sühne für den Thüringer Bruderkrieg erbaut. Mannschaft polterte herein, ließ sich auf in Eile zusammengerafftem Strohlager nieder.

Am steinernen Eingang brannte ein Windlicht. Leutnant Hügel stand da und sah in die Dunkelheit hinaus. Es war ihm, als fiebere die Nacht vor Erregung. Morgen fielen die Würfel. Gott im Himmel gib uns hier im Herzen Deutschlands, im Lutherland den Sieg über den schrecklichen Dämon Napoleon. Nicht länger soll die Welt ihn als einen Unbesiegbaren sehen, vor dem man weder Schutz noch Abwehr findet. Wenn Frankreich sich diesen Unruhbringer verdient hat als Strafe für die Grausamkeiten der Revolution, dann soll Frankreich sich von ihm umgestalten lassen. Aber die Völker, die ihn nicht riefen, und weder sein Genie noch seine Dämonie und Erobererlust kennenlernen wollten, muß Gott von ihm befreien –

»Gott muß?« fragte eine klangvolle Stimme – Heinrich Hügel sah die Umrisse einer hohen Gestalt.

»Sie denken laut, Leutnant. Oder Sie beten? Ein Gebet aber sollte demütiger sein.«

Der Offizier trat einen Schritt näher, Leutnant Hügel sah mächtige Augen aufblitzen aus einem vollen und doch markanten Gesicht.

»Leutnant Hügel.«

»Major Neithardt von Gneisenau.«

Der Leutnant schlug die Hacken zusammen.

»Zu Befehl, Herr Major. Ich hatte die Ehre, als kleiner Junge in Bayreuth den Herrn Leutnant Neithardt von Gneisenau zu sehen.«

siehe Bildunterschrift

Jean Paul im Garten. Zeichnung von E. Foerster

Ein warmer Klang kam in Gneisenaus Stimme.

»Und das wissen Sie noch? Es ist zwanzig Jahre her, daß ich Bayreuth verließ. Da konnten Sie doch kaum sprechen, scheint mir?«

Heinrich Hügel lächelte. »Mein Großvater hat mir so oft von der Begegnung erzählt, daß sie mir unvergeßlich wurde. Der Herr Major holten einst oftmals Rosen im Hofgarten von Bayreuth.«

Gneisenau reichte dem Leutnant die Hand: »Schlafen Sie. Morgen wird ein heißer Tag. Sei es so. Wir kämpfen auch für Ansbach-Bayreuth. Dort trug ich zuerst den Waffenrock der Hohenzollern.«

Die hohe Gestalt verschwand im Dunkel der Nacht – –

Der Tag zog grau herauf. Über dem Saaletal, über den Bergen lag Nebel, von den Feldern flatterten Krähen auf. Über das Plateau hallte der ferne Donner schwerer Artillerie und brachte Überraschung und Bestürzung. Hatten nicht Fürst Hohenlohe und seine Generale erklärt, es sei unmöglich, Artillerie auf diese Höhen zu bringen? Nun war es doch geschehen, und es bedeutete, daß der Tag unendlich schwerer würde, als man gedacht. Ein Verräter sollte Marschall Lannes einen versteckten Weg gezeigt haben?

Die preußische Garde straffte sich. Infanterie hat den Sieg von Leuthen gebracht! Kanonen schießen nicht von selbst – Infanterie wird ihre Bemannung vernichten.

Gerüchte liefen durch die Reihen. Der König stünde bei Auerstädt. Boten waren gesandt, daß er seine Truppen herüberwerfen möge. Soldaten hatten von einem alten Bauersmann gehört: Prinz Louis Ferdinand sei tot ins Schloß von Rudolstadt gebracht worden. Im Gefecht bei Saalfeld, im Tale von Wöllnitz sei er gefallen. Prinz Louis Ferdinand, der Lebensprühende, der Abgott seiner Soldaten sollte tot sein? »Das ist gelogen«, schrien Berliner Soldaten.

»Welch eine bittere Legende haben sich die Franzosen da ersonnen«, hörte Heinrich Hügel seinen Kommandeur sagen. »Sie wissen, Prinz Louis Ferdinand verkörpert unseren Glauben an den Sieg –«

Warum rücken wir nicht vor? Warum eilen wir nicht den Truppen zu Hilfe, die unter Artilleriefeuer sind? dachte Leutnant Hügel und sah hinauf in den Thüringer Himmel, der grau verhangen war und doch ab und zu kleine opalfarbene Wolkenstreifen zeigte.

Warum stehen wir wie die Mauern? Es ist Mittag und noch nichts geschehen? …

Da bewegten sich die großen Reihen preußischer Infanterie vor – und sie rückten hinein in das mörderische Feuer der französischen Kanonen.

Das Bergplateau dröhnte, als wolle es wanken. Die Schmerzensrufe der Verwundeten gellten auf. Um Leutnant Hügel fiel seine Mannschaft wie Garben.

Wir müssen siegen, hämmerte sein Herz. Wird an diesem Abend der Choral von Leuthen erklingen? – –

In der Nacht erwachte Heinrich Hügel, fühlte einen stechenden Schmerz an der Stirn, tastete nach einem dicken Verband, spürte eine Lagerstatt unter sich, blinzelte in das schwache Licht einer trüben Ölfunzel. Er vermochte nichts zu denken. Er sah nur eine Frau, die seinen Waffenrock in der Hand hielt und die Taschen auf den Tisch entleerte. Er wollte sich aufrichten und etwas fragen, aber das gelang ihm nicht. Er dachte, ich träume, und sank wieder in Bewußtlosigkeit.

Die Frau kam heran, wollte ihm Wasser reichen, doch der Verwundete schlief wieder. Sie betrachtete ihn eine Weile: es war ein schöner junger Mensch, den am Abend ihr Schwiegervater ins Haus geschleppt hatte. Draußen deckte die Nacht die Toten zu. Im Dorfe brannten Biwakfeuer. In der Kirche hausten französische Soldaten. Nach Mitternacht wollte der Schwiegervater über verborgene Jägersteige hinunter ins Mühltal und sich nach Jena durchschlagen. In Jena sollte, so hatte man gehört, morgen früh die Plünderung beginnen. Er wollte seinen Vetter, den Posthalter warnen. Vielleicht konnte er seine Pferde und Poststücke noch rechtzeitig in Sicherheit bringen?

Angesichts des bleichen jungen Menschen, den Granatsplitter an den Schultern und über der Stirn unter dem dichten Haar verwundet hatten, dachte die Frau an den Brief, den sie in der Brusttasche seines Waffenrocks gefunden hatte. Er war wohl an die Braut gerichtet, und ihr wollte sie nun Brief und Nachricht zukommen lassen. Sie schrieb auf die Rückseite des Papiers: »Absender liegt verwundet bei uns. Kommen Sie! Witwe Kunze, Vierzehnheiligen Haus Nr. 18.«

Sie nahm Postgeld aus der Börse des Fremden, schlug Münzen und Brief in eine Schweinsblase, damit kein Regen die Anschrift verlöschen könne, und begab sich dann zu dem Schwiegervater, der sich in der Küche schon zum Aufbruch bereit machte.

»Kommste denn zurechte mit dem Wege, Voter?« fragte sie. Der alte Mann lächelte verschmitzt:

»Das weißte doch, daß meine Frau die Tochter von der Papiermühle im Tale war. Da bin ich in mancher finsteren Nacht den Weg hinunter zu ihrem Gartenzaune getappt. So was vergißt sich nicht.«

Die Frau sah den Alten fortgehen. Im matten Schein der Sterne gewahrte sie noch, wie er ein paar Zaunlatten aushob, wieder einsetzte, dann weiter schritt und bald im Gehölz verschwand. Der alte Bauer ging auf den Liebeswegen seiner lange verrauschten Jugend.

So wurde Heinrich Hügels Brief an Ulrike durch die Oktobernacht zu Tal getragen – während er selbst aus der Ohnmacht in den Schlaf sank, ohne zu wissen, daß Preußens Sterne erloschen waren.


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