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XI. Kapitel.

Auguststille von Paretz. Der beglückende Gast, die Großfürstin Helene, war wieder abgereist. Friedrich Wilhelm saß in seinem Arbeitszimmer. Luise hatte zu ihm hereingeblickt. Es rührte sie ein wenig, wie er dasaß, um sofort der Entschwundenen einen Brief nachzusenden. War es ihr anders zumute gewesen nach Alexanders Abschied? »Schreib ihr nur recht lieb, Fritz«, sagte sie mütterlich und streichelte im Hinausgehen seine steife, blaue Mütze mit dem roten Streifen und dem gewaltigen, schwarzen Lederschild, die auf einem Stuhl an der offenen Flügeltüre nach dem Garten zu lag. Wenn Fritz schrieb – dann konnte sie auch schreiben. War sie doch dem Bruder George, der ihr so viele Briefe von seiner Schweizer Reise gesandt, längst eine Antwort schuldig.

Kühl und feierlich lagen die Räume. Die Kinder spielten im Park. Luise ging ins hellblaue Zimmer, lächelte, das paßte zu der Bläue, die jetzt überm Lande lag.

Sie eilte zu ihrem Tisch, schrieb an den Bruder George:

»Ich sah zwar keine Alpen, wie Du, mein liebster George, aber ich sah Menschen, vielmehr einen Menschen, im ganzen Sinne des Wortes, der durch einen Alpenbewohner erzogen wurde, und dessen Bekanntschaft mehr wert ist, als alle Alpen der Welt. Denn diese wirken ja nicht, aber jener verbreitet Glück und Segen mit jedem Entschluß; mit jedem Blick macht er Glückliche und Zufriedene durch seine himmlische Güte. Daß ich von dem Kaiser, von dem einzigen Alexander spreche, hast Du doch wohl beim ersten Wort verstanden. Lieber George, ach, wie viel, wie viel ist mir diese Bekanntschaft wert. Nicht ein Wort, das man zu seinem Lobe spricht, kann je in Schmeichelei ausarten, denn er verdient alles, was man nur Gutes sagen kann. Die Memeler Entrevue war göttlich, die beiden Monarchen lieben einander zärtlich und aufrichtig, gleichen sich in ihren Grundsätzen der Gerechtigkeit, Menschenliebe und der Beförderung des Guten. Alles ging erwünscht und gut und wird immer so sein. Mein guter König läßt dir tausend Schönes sagen –

Liebster George, ich schicke Dir mein Journal von Memel, ein Depot heiliger Erinnerungen. Schicke es mir gleich wieder, ich bitte Dich um Christi Wunden willen. Ich mache ein zweites, was interessanter ist und klüger, doch jetzt habe ich nur dies –«

Sie siegelte die Papiere ein, betrat dann den Park. Ein Gärtner sagte ihr, die jungen Herrschaften seien mit Herrn Delbrück ins Dorf gegangen und vielleicht zu den Feldern. Luise schritt an den Gutsgebäuden entlang, sah kleine Puttchen auf Hofmauern, lächelte. Sie waren zur Freude der Kinder da, Rauch hatte sie gemacht. Flüchtig dachte sie, wär' ich doch reich, so sollte der begabte junge Mann nicht mehr Kammerdiener sein müssen. Doch in dieser Stellung konnte er Mutter und Schwester unterstützen. Und die Künstler blieben so oft ganz arm. –

Sie errötete jäh und flutend: sie hatte an George geschrieben, um Christi Wunden willen solle er ihr die Blätter aus Memel wiederschicken.

Christi Wunden – und Aufzeichnungen über einen Mann, der nicht ihr Mann war? Sie lief plötzlich wie gehetzt über den Fahrweg, am Parkrand entlang, hinaus zu den Feldern. War sie denn – eine leichtfertige Frau?

Nun saß sie am Feldrain. Wie hingeweht an schmale Böschung. Fern riefen die Grillen. Sonnenglast ringsum. Lieber Gott, ich will meinen Weg reinen Herzens gehen. Lieber, barmherziger Gott, die Freundschaft ist doch eine Tugend. Und kann man denn von der Seele eines Menschen erschüttert sein, ohne auch von seinem Angesicht, seiner Stimme, seinem Lächeln?

Luise saß am Wegrain – sah ziellos die Straße entlang. »Ich besaß es doch einmal, was so köstlich ist, daß man doch zu seiner Qual nimmer es vergißt –«

Vergessen? Ihr Temperament flammte hoch, ihr Stolz stand auf: Die Freundschaft mit Alexander ist ein Schutzbündnis von unermeßlichem Wert für das Land. Sie wird einst zum politischen Bündnis zwischen Preußen und Rußland führen. Sie wird der Regierung Friedrich Wilhelms einst – noch Glanz verleihen.

Was ich dabei empfinde, wen geht es an?

Sie lächelte wieder. War sie dem Mittagsgespenst begegnet, hier, auf der alten wendischen Erde?

Sie raffte das leichte Musselinkleid. Drüben, am dürftigen, sandigen Kornacker, sah sie ihre Kinder. Sie formte die Hände zum Sprachrohr: »Ausreißer, Ausreißer –« Der kleine Wilhelm kam als erster herbei: Er hatte Kornblumen in der Hand, eng zusammengepreßt im Büschel. Die Stiele waren heiß vom kleinen Fäustchen. Sie küßte Willis stilles Gesichtchen und sagte: »Die Blumen sind namenlos schön.« Willi ward stolz. Er erzählte dann dem Charlottchen: »Mama hat sich so namenlos über die Kornblumen gefreut, daß sie weinte.«

Die Königin nahm die Blumen mit in ihr Schlafzimmer. Ein wenig Mondlicht fiel herein, stahl sich vorbei an gerafften Vorhängen ins enge Himmelbett.

Luise dachte jählings der Nacht im Dorf auf der Kurischen Nehrung. Sie trug wieder ein Kind. Es würde kommen, wenn die Erde sich stürmisch hob aus bangem Schlaf, wenn die Februarnächte voll wilden Aufruhrs waren und die Flüsse das Eis sprengten. Dies Kind war wohl empfangen in jener wundervollen Nacht auf den Dünen zwischen Meer und Haff. Der goldene Ginster blühte dort, die Purpurfarbe der Immortellen lag wie Blutstropfen über wandernden Hügeln. –

Die Stille von Paretz unterbrach das feierliche Fest von Friedrich Wilhelms Geburtstag. Ihm folgte die Trauernachricht vom Tode des Prinzen Henri in Rheinsberg, und bald darauf der Besuch von Louis Ferdinand und Luise Radziwill. Sie kamen, dem Königspaar über die letzten Stunden, über die Beisetzung des alten Prinzen zu berichten. Der Einsiedler von Rheinsberg hatte sich alle Zeremonien verbeten. In einem schlichten Sarg wurden seine Reste in der Pyramide im Park beigesetzt, die lange bereitstand, gleich dem Schlußstein, der die selbstverfaßte Grabschrift trug, die nur den Sterbetag noch eingegraben erhielt. Louis und Luise, die Lieblingsverwandten des Sonderbaren, hatten seine letzten Worte vernommen, seine letzten Befehle ausgeführt.

Das Königspaar hörte in Respekt die Berichte derer, denen Prinz Henris Tod das Gefühl traf. Der König empfing den Degen des Prinzen, ward befangen und linkisch, half sich über die Situation, indem er vorschlug, daß man den Park besichtige. Die Geschwister waren noch nie in Paretz gewesen.

So gab es sich, daß Luise an der Seite des Prinzen ging. »Sie liebten den Onkel, und Sie liebten Rheinsberg –« begann sie, leise bewegt von seinem Ernst und dem Zuge wirklichen Kummers auf seinem schönen Gesicht. »Bleibt es Ihnen nicht?« Er antwortete: »Große Orte soll ein anderes Geschlecht nicht wieder bewohnen. Aber vielleicht könnte ich – der dritte Prinz von Rheinsberg werden, wenn Preußen – bald seinen unerläßlichen Entscheidungskrieg macht. Wenn es ihn bald macht, Eure Majestät.«

Sie hemmte den Schritt, sah, daß der König die Prinzeß Radziwill zu dem gewölbeartigen Denkmal führte, das er seinem Bruder Louis im Park errichtet hatte. Sie wollte nicht dorthin.

»Krieg? Sie sprechen immer wieder von Krieg, Prinz. Ah, man wird sich hüten, Preußen anzugreifen. Denn Preußen – ich schenke Ihnen mein Vertrauen, Louis, – wird bald den mächtigsten Bundesgenossen haben: Kaiser Alexander.« Sie fühlte in Unmut, daß sie errötete, fuhr überstürzt fort: »Der Zar wünscht ebenso wie der König die Segnungen des Friedens über seine Staaten. Er wünscht das Glück aller, nicht erkauft durch kriegerische Eroberungen, nicht erkauft durch das Blut von Tausenden, die hingemordet werden um politischer Eitelkeit willen. Alexander und Friedrich Wilhelm werden der Welt das Beispiel geben, daß ihre Völker die Menschenrechte nicht durch eine Flut von Blut und Tränen erlangen müssen.« Sie sprach im Affekt, verbarg leises Zittern der Hände im Zerpflücken von Blättern, die Jasmingesträuch über den Weg wölbte.

Louis Ferdinand erbleichte. »Kennen Sie – den Zaren so – genau, Luise?«

»Ich vertraue seinem edlen Wollen, seiner Tugend, wie ich« – sie stockte.

»Wie Sie der eigenen vertrauen, Eure Majestät?«

Selbstironie lag in Louis Ferdinands schmerzlichem Blick.

Luise atmete schwer. »Die Seele des Zaren –«, wieder hemmte sie das Wort, irritiert von Louis Ferdinands Augen.

»Eure Majestät sollten mehr der deutschen Seele vertrauen als der des russischen Souveräns –«

»Prinz Louis!«

»Eure Majestät?«

Sekundenlange Pause. Dann ein gesellschaftliches Lächeln der Königin: »Sie haben meine Kinder noch nicht begrüßt, Prinz Louis –«

 

Sie gedachte dieser Unterredung wieder.

Von neuem war der englische Kontinentalbesitz zu einer europäischen Streitfrage geworden. Der Erste Konsul brach die kaum geknüpften Beziehungen zu England ab und besetzte Hannover. Der Zar erklärte sich gegen eine Aktion Preußens. Friedrich Wilhelm konnte ersehen, daß Alexander russische und nicht preußische Politik trieb. Allein, ohne Bundesgenossen, wagte die Regierung Friedrich Wilhelms nicht einzuschreiten. Der König mußte sich aber sagen, daß mit seinem tatenlosen Zusehen das System der Neutralität Norddeutschlands zertrümmert war. Friedrich Wilhelm wurde nervös, zerquält, unsicher, hielt endlose und fruchtlose Beratungen ab. Wohl erkannte er in der Politik seines Staates eine gewisse furchtsame Linie: Nachdem Preußen sich nach den Kämpfen in den Jahren 1795 und 1796 von der Verteidigung des Deutschen Reiches zurückgezogen hatte, ging es nun noch einen bedeutsamen Schritt weiter: es versagte auch einem norddeutschen, wenn auch von England beherrschten Staat die Hilfe, einem belangvollsten, mindestens mit neun Zehnteln von Deutschen bewohnten Nachbarland.

Aber: was tun? Protest hätte den Krieg mit Frankreich bedeutet. Und Krieg bedeutete für Friedrich Wilhelm das schlimmste aller Übel: ein Verbrechen an der Menschheit, an Volk und Staat.

Luise vernahm dies, wie schon oft, mit Heftigkeit von ihm ausgesprochen. Nun, gleich Friedrich Wilhelm wollte auch der Zar nicht die Tragödie des Krieges heraufbeschwören: Alexanders Verhalten war erklärt. Nichts trübte die reine Freundschaft, die ihn mit dem König verband. Die Staatsweisheit forderte also jetzt gute, wenn auch zurückhaltende Beziehung mit Frankreich.

Luise hatte Buonapartes Abgesandten, den General Duroc, empfangen; nun sagte ihr der König selbst, sie möge mit Graf Ségur, dem Adjutanten Napoleons, sehr liebenswürdig sein. »Er soll gute Eindrücke von Berlin bekommen.«

Oh sicher, man bekam jetzt nicht nur gute, sondern sogar glänzende Eindrücke von Berlin und vom Berliner Hof. Man hatte längst den fremden Fürstlichkeiten, Militärs, Gesandten, die Berlin überfluteten, an Eleganz und Pracht nachgeeifert. Ein Meer von weißen Federn und Generalshüten wogte um den Bruder des Zaren, den ein wenig asiatischen Großfürsten Konstantin, die Damen des Hofes waren in Toiletten aus Paris erschienen, wie vor der Revolution.

Wann kam Graf Ségur zur Audienz? In zwei Stunden? Luise eilte hinüber in das Schlafzimmer ihrer Kleinsten, sah zu, wie Helene Alexandrine gebadet wurde. Sie war so rosig und rund, strampelte im Wasser, wußte noch nicht, welche teuersten Namen sie in sich vereinte. »Püppchen, kleines Püppchen. Mädelche.«

Die Gräfin Voß trat ein. War es schicklich, daß eine Königin die allergroßmächtigsten, nein doch, die allergnädigsten Hände sich im Badewasser eines Säuglings krebsrot machte? Die Vossin ergriff mit spitzen Fingern das Handtuch.

»Wollen Eure Majestät geruhen, sich zu bedienen – es ist ein ganzes Gebirge von Modesachen aus Brüssel arriviert.«

»Wie? Was? Hüte, Spitzen – aber ich habe doch nichts bestellt, liebste Voto?«

»Es sind Geschenke von – Madame Buonaparte.«

»Wie, darf mir denn die etwas schenken?«

»Da der Erste Konsul als Staatsoberhaupt gilt, ja, Eure Majestät.«

Luise küßte die kleine Helene Alexandrine. »Pfirsichbäckle hast, Herzele.« Mon Dieu, es war kein fürstlicher Wangenkuß, und die Voß sah vorbei – dann enteilte die Königin.

Sie mußte lachen: da lag ja ein ganzes Modemagazin aus Brüssel ausgebreitet. Entzückend, entzückend. Auch ein Brief? Sie las:

»Frau von Lucchesini, gnädigste Frau, hat mir einige Male von den Aufträgen erzählt, die Eure Majestät ihr für französische Moden gegeben haben. Ich dachte mir deshalb, daß es Ihnen angenehm sein würde, wenn ich sie während ihrer Badereise verträte. Herr Lombard hat es freundlichst übernommen, Ihnen Hüte und Brüsseler Spitzen zu überbringen. Diese Putzsachen können die Reize nicht erhöhen, die die Bewunderung aller erwecken, die das Glück haben, sich Ihnen nähern zu dürfen. Aber indem ich sie Ihnen anbiete, habe ich den außerordentlichen Vorzug, Eurer Majestät die Huldigung meiner Empfindungen darbringen zu dürfen.

Josephine Buonaparte.«

Die Blicke zwischen Spitzen, Hüten, Schals geteilt, reichte Luise der Oberhofmeisterin den Brief.

Die Vossin sprach: »Madame Buonaparte hat immerhin – Takt. Sie schreibt unter ihren fürchterlichen Namen wenigstens nicht: veuve Vicomtesse de Beauharnais née Tascher de la Pagerie. Sie hat doch ein wenig Gène, daß sie einen Bürgerlichen heiratete.«

Luise lachte hellauf.

»Beste Voto, Louis Buonaparte, der Bruder des Ersten Konsuls, hat uns doch allen einen sehr günstigen Eindruck gemacht. Sanft, bescheiden, unterrichtet, von guten Formen. Ah, gut, daß er mir einfiel. Nun weiß ich einen Gesprächsstoff mit dem Grafen Ségur. Uff, ich muß mich umkleiden.« Die Königin war ganz à la mode zum Empfang. So wie es sich gehörte, so wie Madame Vigée-Lebrun die großen Damen und die großen Schönheiten malte. Hingelehnt auf ein modernes Sofa, einen goldenen Dreifuß mit hohem Lichterarm neben sich, einen Schleier von orientalischem Purpur um die elegante, kostbare Toilette, das Diadem im reichen Haar, so empfing die Königin. Eigentlich ist es wie ein Krankenbesuch, dachte sie lachend. Sie konnte nicht leugnen, sie war höchst guter Laune über die köstlichen Sachen aus Brüssel. Das mußte sie wohl allzu freundlich gemacht haben. Denn der Graf Ségur war entzückt und stammelte, er glaube sich einem berückenden Traumbild gegenüber, und er habe nie etwas so rührend Hinreißendes und zugleich Majestätisches gesehen. Sie lächelte. Ach, wenn man sieben Wochenbetten hinter sich hat, hört man es doch gern, daß man noch hinreißend sei. –

Das Königspaar trat die übliche Sommerreise an, zu Truppenrevuen, Besichtigungen der neuen Erwerbungen Preußens in Thüringen und Verwandtenbesuchen. Luise strahlte, sie sollte ihre Verwandten wiedersehen. Therese, Charlotte, Ika – ach, und die gute Großmämme, die nun schon so reichlich eine Urgroßmutter war. Und nach der Heimkehr erwartete man die Großfürstin Helene in Sanssouci.

Wie herrlich würde der Sommer sein!

Freilich, bis sie die Heimat wiedersehen würde, waren noch hundert Empfänge, Repräsentationen, Einzüge durch Ehrenpforten, Bälle, Ansprachen zu überstehen.

Es ist nicht so leicht, unablässig alle Untertanen zu beglücken. Es las sich zwar dann in den Gazetten und Wochenblättchen so recht glatt und bequem, daß der schönen, huldvollen, anmutigen Königin alle Herzen entgegengeschlagen und zugeflogen waren – aber immer lächeln und immer liebenswürdig sein, das fordert Kraft. Und mit den Kräften stand es nicht so gut. Sie war nie so gesund gewesen, wie sie wirkte. Sie lag manchmal und weinte vor Schwäche und wünschte, sie dürfte ganz in der Stille ihr Wesen treiben. Aber immer hieß es: Heraustreten, Dekoration sein.

Man hatte Magdeburg erreicht. Nach Potsdam der Lieblingswaffenplatz des Königs und die ihm wertvollste Festung. Große Cour war angesetzt. Alle Offiziere, alle Beamten befohlen.

Da stehe ich nun wieder als das Bild der Anmut, dachte Luise, während Hunderte von Vorstellungen an ihr vorüberzogen. Ihr Auge war längst geübt, in Gesichtern zu lesen, und ihr Auge war gütig. So sah sie, die Tochter eines bürgerlichen Beamten wurde von den anderen Damen geringschätzig betrachtet, die junge Frau eines Offiziers erbleichte vor Befangenheit bei der Vorstellung. Die Fragen, etikettegemäß von der Königin zu stellen, waren nicht von phantastischer Fülle. Drei bis sechs Redensarten bildeten das Repertoire.

Und Luise sagte: »Was sind Sie für eine Geborene?«

Luise hörte ein zitterndes Gestammel:

»Ach, Ihro Majestät, ich bin gar keine Geborene.«

Der Umkreis erbebte in Kichern. Luise sah ein tief errötendes, hilfloses Gesicht. Luisens Beschützersinn ward wach, rasches Wort gegenwärtig:

»Eine feine Antwort, Frau Majorin. Ich muß gestehen, die Phrase, von Geburt zu sein, hat auch für mich dann keinen Sinn, wenn Geburt nur gewissen Ständen zugeschrieben wird. Ich hätte fragen sollen, ob Sie noch Eltern haben. Denn wer wollte gute Eltern nicht schätzen, gute, liebreiche Eltern, seien es Wohltäter des menschlichen Geschlechtes, seien es nur Wohltäter im engsten Kreise für ihre Kinder. Man kann Adel und Reichtum ererben. Aber innere Würdigkeit muß sich doch jeder, wie er auch geboren sei, erst selbst erringen. Ich danke Ihnen, liebe Frau Majorin, daß Sie mir durch Ihre Antwort Gelegenheit gaben, meine Anschauungen hier in Gesellschaft auszusprechen, und ich wünsche Ihnen und Ihrer Ehe alles Glück, dessen Quelle doch stets im Herzen liegt.«

Luise strich über ihren Fächer, entließ die anderen Damen ohne Ansprache. –

Die Voß hüstelte. Der Kammerherr von Buch und der Hofmarschall von Massow schnauften einander zu:

»Will unsere schöne Luisa zu Magdeburg die Bürgerkönigin kreieren?« –

Die königliche Ansprache hatte das Ohr der nun Tanzenden noch nicht erreicht. Die bürgerliche Beamtentochter saß als Mauerblümchen. Herr von Massow riß die runden Augen auf. Er sah den König von der Seite der Königin weggehen auf die Vernachlässigte, Bürgerliche zu. Und, weiß der Himmel, Seine Majestät verbeugten sich vor der – Mamsell – und erwies ihr die höchste Ehre des Abends!

»Was haben Sie, liebe Gräfin?« fragte der Kammerherr die Vossin. Die Augen der alten Dame funkelten. »Es gibt – doch Grenzen, großer Gott, wohin kommen wir – ohne Grenzen – –?«

Das Königspaar empfing auf der Reise Briefe des Zaren, die sie mit jäher Sorge über das Befinden der Großfürstin Helene erfüllten. Sie beschlossen, sie zu besuchen.

Es ging in Augusthitze durch glühenden Sand, durch märkischen und mecklenburgischen Sand, bis endlich, um den Abend, Ludwigslust erreicht war.

Der Garten um das Schloß stand voll überschwenglich blühender Blumen. Die Frau Großfürstin sei im Park, hieß es. Luise eilte Friedrich Wilhelm voraus, sah von ferne, vor einem Rokokogartenhaus, ein weißes Lager, erschrak und wagte doch den Schritt nicht mehr zu hemmen. Aus den Kissen erhob sich mühsam ein kindlich schmal gewordenes Gesicht – und heiße Augen, ach, wie Alexanders Augen, weiteten sich in sprachloser Freude.

Luise sank in die Knie, nahm arme, blasse Hände an ihren Mund – machte ihre Gebärden lind und weich, umfaßte die schmalen Schultern:

»Helene, freust du dich ein wenig? Fritz kommt mir nach, wir haben es nicht ausgehalten vor Sehnsucht nach dir.«

Die Großfürstin hauchte einen Kuß auf Luisens Hände und flüsterte:

»Er soll sich nicht erschrecken. Ich sehe im Zimmer besser aus, wenn ich ein wenig Toilette gemacht habe.« –

Die Königin strich über Friedrich Wilhelms Haar. »Du darfst nicht weinen, Fritz, wenn du sie siehst. Du mußt an allerdümmste Sachen denken, wenn wir hinüber zu ihr gehen.« Ihr Mund zuckte, ihre Augen waren dunkel. »Wenn ich weinen möchte und nicht darf, Fritz, dann denke ich an solche Sachen, daß ich gewiß in meinen letzten Briefen wieder schauderöse orthographische Fehler gemacht habe, oder daß ich so furchtbar langweilige Menschen empfangen muß, oder ich rede mir ein, ich hätte recht Hunger.«

Vor Luisens heiterem Weitblick zerriß ein Vorhang. Sie sah ein liebes, junges Wesen, das man wie eine Blume hüten wollte, in der rohen Umgebung eines beschränkten, heuchlerischen Gatten und einer bösartigen Schwiegermutter. Sie sah den Jammer einer ungemäßen Ehe, sah das Elend einer Frau, die an einen Unwerten gefesselt ist. In einem Überströmen aufgewühlter Empfindung wußte sie plötzlich, wie Unendliches sie Friedrich Wilhelm zu danken hatte: wie Unendliches er für sie bedeutete, daß ihm, dem vielleicht – das Große fernlag, das Gemeine niemals an die Tore der Seele kam.

Er gab sich jetzt in fast väterlicher Güte vor der Kranken. Und sie, die dahinsiechte, war doch ein Licht auf seinem Wege gewesen. Eine schöne Phantasie oder ein Stern an dem ihm oft verhangenen Himmel. Er mußte leiden bei ihrem Anblick, der den Verlust nicht mehr bezweifeln ließ. Aber wie bezwang er sich. Er war nun dreiunddreißig Jahre alt, und ach, oft hatte sie ihn unjugendlich empfunden. Nun saß er so heiter neben dem armen Bett der Leidenden, sprach still und gut, fand wohl auch eine kleine Neckerei oder erzählte aus seiner Kindheit und von seiner Mutter.

Vielleicht möchte Helene ihm allein etwas sagen, dachte Luise, nahm es auf sich, die Herzogin und den Erbprinzen zu beanspruchen, mit diesen verhaßten Gestalten liebenswürdig zu sein, ihre plumpen Zerstreuungen zu teilen. Sie machte ein Kartenspiel mit ihnen, verlor ihnen zu Gefallen und dachte dabei flehentlich: wüßte ich doch Trostworte für die arme Helene.

Ein Wort flog an ihrer Seele vorüber: »Jesus, meine Zuversicht und mein Heiland, ist im Leben« – das war von Henriette Louise, der großen Kurfürstin, der schönen Oranierin.

»Eure Majestät, Eure Majestät, Pique ist atout«, schrie der Erbprinz. »Haben Eure Majestät in diesem Schlosse Angst vor den schwarzen Karten?« Er sah sie aus kleinen, idiotischen Augen frech an. »Fürchten Eure Majestät, eine Todeskarte auszuspielen?«

»Fi donc«, keifte die Herzogin dazwischen. »Wer redet vom Tod, wenn die Schwindsucht im Hause ist. Ein Engelchen wird in den Himmel aller Reußen fliegen.« Sie warf die Karten hin, mischte sie neu. »Treff soll atout sein, der Klee bringt Glück –«

»Und fette Kühe.« Der Erbprinz belachte seinen Witz.

»Ihre Kaiserliche Hoheit muß reisen«, Luisens Stimme klang schrill.

»Aber natürlich, natürlich, Eure Majestät – sie wird bald die große Reise tun«, flötete die Herzogin und teilte die Karten aus.

Luise saß wieder am Bett der Großfürstin. Zum Abschied. Sie ließ ihr Herz sprechen. Wie einen Singsang sagte sie leise Worte hin: »Das ist mein teuerster Traum, Helene. Mein Traum von Sanssouci: einmal sind wir dort alle zusammen: Helene mit dem kleinen Paul steht auf der Terrasse, und Alexander stürmt die Treppe herauf, die Schwester zu begrüßen. Aber er findet zwei Schwestern, denn Marie Paulowna ist mit uns. Und dann wird ein Tag sein, so voll Glanz und Glück. Fritz wird lächeln und ganz über sich hinausgehoben sein, und ich bringe euch meine Kinder. Ich habe euch keine Schätze des Geistes zu bringen, nur die, die ich unter meinem Herzen getragen habe. Und ich bin glücklich, denn alle seid ihr gut zu mir, ihr schenkt mir eure Freundschaft. Und ich weiß, daß ich auf diese Freundschaft vertrauen kann, wie ich auf Gott vertraue.«

Sie weinte nicht, als sie Lebewohl sagte. Sie war ganz tapfer.

»Auf Wiedersehen in Sanssouci.«

»Auf Wiedersehen, Eure Majestät«, sagte die kleine Großfürstin mit einem Weltdamenlächeln.

Denn auch sie wollte nicht weinen.


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