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VI.

Der 20. Februar, der Tag der Vollstreckung des Urteils war heraufgedämmert. Das Wetter schien unentschlossen, wie es sich zu verhalten habe. Aus dicken Wolken bald Regenschauer, bald kurzes Schneegestöber. Kein Sonnenstrahl. Trotzdem hatten sich gewaltige Mengen Zuschauer eingefunden, besonders um das Berliner Rathaus hatten sich schon lange vor Tagesanbruch viele Neugierige versammelt. Sie wollten dem endlichen Gerichtstag beiwohnen, der hier um 8 Uhr in der Gerichtslaube an der Ecke der Königstraße, von der Spandauer Straße aus zugänglich, abgehalten werden sollte. Auch die Fenster der Häuser in der Umgegend und in den Straßen, durch die der Trauerzug sich bewegen sollte, bis zum Spandauer Tor, waren Kopf an Kopf mit Menschen besetzt. Viele von ihnen kürzten sich die Zeit des Wartens mit dem Genuß von Kaffee oder Schokolade. Nur das Haus, in dem das Trauerspiel stattgefunden hatte, das heute seine Sühne finden sollte, lag im brausenden Gewimmel der Massen in der Ruhe des Todes da. Die Läden des Untergeschosses waren geschlossen. Hinter den erblindeten Fenstern des Obergeschosses zeigte sich kein Mensch. Littow und die Magd, deren Verdächtigungen man eigentlich den heutigen Tag verdankte, sollten in dem Hause irgendwo leben; heute aber war von ihnen nichts sichtbar. Würde heute durch den Tod der beiden ehemaligen Bewohner endlich der seit dem Mord auf dem Hause ruhende Fluch beseitigt werden?

Vom Rathausturm schlug es sieben. Von einem Mann zu Roß geführt, stampften fünfzig Mann, von der Langen Brücke kommend, vor die Gerichtslaube. Fluchend und mit groben Kolbenstößen drängten sie die Davorstehenden zurück. Ein Halbkreis ward um diesen Hauptschauplatz der gerichtlichen Sühne geschlossen. Es war die Bürgerkompagnie von Cölln. Nach dem Einberufungsbefehl sollten sie nicht, wie sonst, »Lehrpurschen und anderes nichtswürdiges Gesindel« schicken, sondern selbst und in anständiger Kleidung kommen. Dieser Befehl war aber wieder nicht beachtet, doch wegen des entsetzlichen Wetters wohl entschuldbar.

Bunte Gerüchte liefen in der Menge umher: »Der richtige Mörder ist entdeckt, er hat ein volles Geständnis abgelegt.«

»Unsinn, die Halunken haben sich die Gurgel abgeschnitten. Die Leichen sollen gerädert werden.«

Donnernd schrie Meister Lüdicke vom offenen Fenster aus: »Ick habe nie an die Schuld der beeden jeglobt – wer hat nu recht?«

Ungeduldige mahnten: »Kinder, es scheint heute hier nichts los zu sein! Gehen wir bei dem Sauwetter nach Hause!«

Beifall. Zahlreiches Abströmen durch den Hohen Steinweg nach der Scharfrichterei, um dort zu erfahren, was denn an den Gerüchten wahr sei.

Bote Sello drängte sich durch die Menge. Da reichte ihm Lüdicke die gefüllte Flasche zum Fenster hinaus: »Wat is denn los? Hat sich de Heinrichen de Gurgel abgeschnitten?« Der Schnapsfrohe trank und lachte: »Gott bewahre, Meister. Die eitle Krähe hat sich bloß die Augenbrauen mit einem Scheermesser stutzen wollen – fein bis zuletzt. Weiß der Deibel, wie sie zu dem Messer gekommen.« »Na, wat denn weiter?«

»Kahmann hat heute früh von der Heinrich Abschied nehmen und ihr verzeihen wollen, daß sie ihm bei der Folter grob gekommen. Da sieht er bei ihr das Messer, denkt, sie will sich abstechen, weil sie schuldig und der Briesemann unschuldig. Da rennt er zum Stadtrichter und der mit Contius in die Scharfrichterei. Da gab es denn einen gehörigen Anranzer wegen des Messers.«

»Weiter nischt? Det versteh ick nich!«

»Ich auch nicht, Meister. Das wird nur Kahmann verstehen.«

Nach einem Schluck zum Abschied drängte Sello weiter durch die Menge.

Da fuhr Helwig mit Contius vor die Gerichtslaube. Die Beisitzer des Stadtgerichts erwarteten ihn dort. Der alte Stoff, der heute als peinlicher Ankläger aufzutreten hatte, war ebenfalls zur Stelle. Im roten Mantel und dem Spitzhut mit der Hahnenfeder – ein wunderliches Zerrbild im düsteren Kreis der schwarzbemäntelten Richter.

Jetzt nahte von der Spandauer Straße her der langerwartete Zug. Voran der Stadthauptmann mit langem, schwarzem Trauermantel, der fast sein ganzes Pferd verhüllte. Dann die Bürgerkompagnie vom Werder und von der Dorotheenstadt in drei Reihen zu je zwölf Mann. Zu beiden Seiten, jene Mannschaften verbindend, in zwei Reihen zu 64 Mann die Bürgerkompagnie der Altstadt Berlin. Die den Todeszug von allen Seiten umgebenden Mannschaften bildeten ein regelmäßiges Viereck mit zwei kurzen und zwei längeren Seiten. In diesem gingen zunächst gegen 30 Schüler mit großen schwarzen Hüten und kurzen schwarzen Radmänteln, Jungen im Alter von 10 bis 16 Jahren. Im Diskant, Alt, Tenor und Baß sangen sie das Armesünderlied:

»Ich winsele wie ein Kranich
Und quietsche wie 'ne Schwalbe« –

Unfreiwillig brachten sie dabei das Gewinsel und das Quietschen dieser Vogelarten zum Ausdruck.

Dahinter Frau Heinrich, im langen, schwarzen Mantel, mit bis an die Augen verhülltem Gesicht. Unter der weißen Haube mit schwarzen Schleifen waren die Haare nach oben aufgesteckt. Neben ihr Lysius, und am Krückstock der alte Archidiakon Ritner von der Marienkirche, der Senior der lutherischen Geistlichkeit.

Dann Briesemann, todesbleich, ohne Mantel, im gewöhnlichen langen Rock, Kniehosen, langen Strümpfen und ausgeschnittenen Schuhen. Er ging zwischen seinem Beichtvater Andreas Schmidt und dem Hilfsprediger Dieterich, den Schmidt zur Unterstützung bei der Vorbereitung zum Tode zugezogen hatte. Beide Sünder hatten die Arme auf dem Rücken gefesselt.

Als der Zug am Rathaus angekommen war, wurden beide mit den Geistlichen in die Gerichtslaube eingelassen. Totenstille trat ein. Man hörte vom Turm des Rathauses die dort nistenden Raben krächzen.

»Schafsköppe,« meinte ein Schusterjunge, »die denken, et jibt heite wat for se zu knabbern, aber damit is et nischt, die wer'n jleich an Galgen injebuddelt.«

»Maul halten, Bengels!« brüllte ein in seinem andächtigen Lauschen gestörter Zuschauer.

Ein gräßlicher Ton gellte vom Rathausturm. Die Armesünderglocke. Grausen erstickte alle Empfindungen der Neugier, des blutdürstigen Kitzels und des Mitleids. Man hörte – aber ohne ein Wort zu verstehen – wie der Stadtrichter jeden seiner Beisitzer befragte und von ihm eine Antwort erhielt; wie Scharfrichter Stoff Frage und Antwort mit Helwig tauschte. In der Hand des Stadtrichters knackten zwei Stäbe hintereinander, die Bruchstücke warf er den Verurteilten vor die Füße. Die Richter stehen auf, die Bänke werden umgeworfen. »Platz da!« ertönt ein gröblicher Befehl. Die wimmernde, alle Sinne der Zuschauer aufpeitschende Glocke verstummt. Das Geleitkommando nimmt die jetzt hoffnungslos dem Tode Verfallenen wieder in seine Mitte.

Das Wetter war entsetzlich und die Kälte immer ärger geworden. Fröstelnd waren jetzt manche Zuschauer, in ihrer Neugier befriedigt, nach Haus gegangen. So wurde kein Unheil dadurch herbeigeführt, daß der Obermeister der Fischerinnung diesmal nicht um Gestellung eines Kahnes zum Auffischen der im Gedränge von der Langen Brücke in die Spree Gestoßenen ersucht worden war.

Im raschen Schritt bewegte sich der Todeszug durch die Spandauer Straße und das Spandauer Tor zur Richtstätte. Gleich vor dem Tor eine mächtige Menschenmenge und, diese überragend, ein hoher steinerner Bau. Auf geräumiger Plattform drei riesige hölzerne Pfähle, oben durch Balken verbunden. Über einem dieser wuchtigen Verbindungsbalken zwei eiserne Träger, durch eine Eisenstange verbunden, der Diebesgalgen. Auf der Plattform stand der unflätige junge Stoff mit einigen Knechten, die Gerichtspersonen und den Todeszug erwartend.

Tausende zu Roß, zu Fuß und zu Wagen. Alle so nah als nur möglich an den die Richtstätte umschließenden Kreis der Friedrichstädter Wachmannschaften drängend. Summen und Brausen erfüllte die Luft. Zunächst war nicht viel zu sehen. Nur der junge Stoff, der ein riesiges Schwert mit den nervigen, bis zur Schulter entblößten Armen prüfend in der Luft schwang, erregte staunende Aufmerksamkeit.

»Nun muß er doch nachgewiesen haben, daß er nie Abdeckerei getrieben hat, da er heute köpfen soll«, meinte einer.

»Ick hätte mir so gern einen Korn gekooft,« fluchte ein anderer, »aber keiner bietet welchen aus. Man kann hier erfrieren und verdursten!«

»Warum hast du dir denn nischt mitgenommen? Aber du denkst, et wird sich schon irgendeen Dummer finden, der dir abjibt. Na, da trink' mal!«

Der Durstige tat einen Schluck und fuhr fort:

»Dann die lange Warterei vor't Rathaus! Ick mußte rennen, um hier wenigstens wat zu sehn. Da stehn nu die verfluchten Wagen davor!«

»Quatsche nich! Die Justiz liegt hoch genug. Aber mir ärgert, dat heute gar keine Moritatlieder gesungen und verkooft werden! Da is doch kein rechtet Vergnügen.«

»Esel, wie können Moritatlieder verkooft werden! Die beiden werden ja wegen Ehebruch geköppt!«

»Selber Esel, Ehebruch wird doch nich mit Köppen bestraft, sonst lief hier mancher ohne Kopp herum. Doch nun halt's Maul – da treten sie uf det Schafott!«

Totenstille tritt ein. Die Geistlichen sprechen zu den armen Sündern. Was sie sprechen, bleibt ungehört. Frau Heinrich legt den schwarzen Mantel ab, dann das weiße, mit schwarzen Schleifen besteckte Oberkleid. Der Scharfrichter zieht ihr die Haube vom Kopf, das Hemd von den Schultern, mit einem Tuch verbindet er ihr die Augen. Sie kniet nieder, einige Schritte von ihr entfernt legt Briesemann die Oberkleider ab. Er soll die Strafvollstreckung an seiner Gefährtin mit ansehen. Der Regen hat aufgehört, man hört den Wind heulen und pfeifen. Kreischend bewegt sich am eisernen Diebsgalgen ein vor Wochen Gehängter; er scheint in der Luft zu fliegen – gräßliche Täuschung. Raben haben sich an seinem Leibe festgebissen, die jetzt, durch die Menge unruhig gemacht, herumflattern. Durch die Stille dringt das Murmeln von Gebeten, alte Weiber wenden den Kopf ab – stundenlang haben sie auf diesen Augenblick geharrt, jetzt fehlt ihnen der Mut, ihn zu erleben. Männer halten ihre Mütze vor die Augen, vielleicht beten sie für die beiden Unglücklichen, die den Todesstreich erwarten.

Helwig beugt sich zu der knienden Sünderin. Er scheint sie etwas zu fragen, sie schüttelt verneinend das verbundene Haupt. Er tritt zurück. Stoff erhebt das wuchtige Schwert mit beiden Händen – da bricht glänzend die Sonne aus den Wolken, mit goldenem Strahl das Schwert und den schimmernden Busen der Sünderin beleuchtend, sie scheint ihr einen letzten Erdengruß zu senden.

Da – täuschen die Sinne? – Helwig zieht ein weißes Tuch, schwenkt es über dem Haupt: »Gnade!« ruft er mit donnernder Stimme.

Träumt man? Hält ein Zauber die Sinne gefangen? Zieht da nicht Stoff das Schwert zurück? Steht da nicht Frau Heinrich, die Totgeglaubte?

Wie erstarrt harrt die Menge. Dann erhebt sich ein ungeheurer Tumult. Frauen liegen im Weinkrampf. Fäuste recken sich. Mützen werden geschwenkt.

»Es lebe der König!« wird gebrüllt.

»Die Sonne hat ihre Unschuld ans Licht gebracht.«

»Hoch Briesemann! Hoch das unschuldige Weib!«

Bald aber tritt der Berliner Witz an Stelle der Begeisterung und Erschütterung.

»Na, Kinder, zieht euch schnell an, ihr könnt euch erkälten!« schrie man zum Schafott hinauf.

»Wann ist denn nu Hochzeit?«

»Donnerwetter! Das war eine Hinrichtung, bei der keiner Schaden genommen hat!«

»Du, ich lerne auch Scharfrichter, wenn das immer so leicht ist!«

Andreas Schmidt trat an die Brüstung des Schafotts.

»Maul halten!« brüllt man ringsum.

Aus dem Winken des Geistlichen merkt man, daß er reden will.

Endlich Ruhe. Schmidt beginnt mit volltönender, weit über die Fläche hallender Stimme:

»Wir sind mit zweien armen Sündern vor euren Augen, die der Gewalt des entsetzlichen Todes abgenommen, nachdem man sie noch immer in Verdacht gehalten, den grausamen Kürschnermord aus ihnen herauszubringen, weil sie ihres verübten Ehebruchs halber nach Urteil und Recht zum Schwerte kondemniert waren. Das kann ich der Versammlung öffentlich bezeugen, die liebe Obrigkeit und das Predigtamt haben alles getan und nichts vergessen, was zur Herausbringung der Mordtat hat können ersonnen werden, aber außer dem begangenen Ehebruch nichts, auch nicht eine Spur weiter als was die Akten besagen, zu der gesuchten Freveltat finden können. Gott im Himmel ist es nicht unbekannt, wo der Täter stecke, der ihn zu rechter Zeit selbst angreifen und ans Licht stellen wolle. Indes sind diese beiden armen Sünder wegen Untreue und Ehebruchs zum verdienten Tode hergeführt, da sie aber, weil sie von der Haupttat nichts wissen wollen, wieder hineingebracht werden sollen, so stehen sie vor unser aller Augen mit ihrer bekannten Sünde des Ehebruchs und wollen uns um Gottes willen warnen, auch bitten, daß wir die Sünde der Unreinigkeit in und außer der Ehe als einen Greuel erkennen und dem Teufel nicht Raum geben, daß er unsern Leib, der ein Tempel des Heiligen Geistes sein soll, so verflucht verunreinige und entweihe. Meinet auch nicht, als hätten diese zwo Personen sich anfänglich durch einen schwarzen Teufel zu solcher Schandtat anführen lassen: Der Anfang geschah durch einen weißen Teufel, der sie vom öffentlichen Gottesdienst oftmals zu Hause beide behielte, im Vorwand, daß man die Bibel lesen und sich selbst erbauen könne. Der Herr gebe uns Weisheit und Kraft, nicht alleine dem schwarzen, sondern auch dem weißen Teufel zu widerstehn und ihn unter unsere Füße zu treten! Amen!«

Der Eindruck der überall verstandenen Rede war ein gewaltiger. Viele hatten gemeint, daß beide Verbrecher wegen Mordes geköpft werden sollten, und diese Strafe als zu milde getadelt. Sie erkannten jetzt aus Schmidts Worten, daß sie sich geirrt.

»Na, Nachbar,« meinte ein Bürger zu seinem Begleiter, »nun haben wir für unsere Köpfe nichts zu fürchten!«

Der lachte: »Schmidt hat seine heutige Kanzel dazu benutzt, um zum besseren Kirchenbesuch zu ermahnen.«

»Richtig, Gevatter. Jede Ehefrau wird jetzt ihr Gesinde zum Kirchenbesuch anhalten, wenn sie mit ihrem Gesellen Unfug treiben will. Hätte die Heinrich das getan, hätten wir alle den Gang heute bei dem Sauwetter sparen können.«

»Na, dazu hätte genügt, wenn sie die Tür verriegelt hätten!«

Doch es war nichts mehr zu sehen. Der immer stärker einsetzende Regen trieb schneller zum Heimweg an. Man konnte noch zwei Wagen bemerken: Im ersten saß Frau Heinrich mit Lysius, im anderen Briesemann mit Schmidt, beide von Stadtknechten begleitet.

Die allerletzten, die von der jetzt vereinsamten Richtstätte schieden, waren der unflätige junge Stoff und seine Gesellen, die dort noch Ordnung geschaffen hatten.

»Jochen, wat denkst du,« fragte ihn der älteste seiner drei Begleiter, »wer'n wir denn die beeden Kannen Wein zur Belohnung bekommen? Et is doch nischt passiert.«

»Selbstverständlich! Glaubst du, ick hätte mir sonst uf den Schwindel ingelassen?«

Das riesige Scheusal grinste widerlich.

»Wat meenst du mit Schwindel?«

»Na, Peter, du Esel! Denkst du, man kann das Schwert, wenn man mit beeden Händen« – er zeigte auf seine riesigen Klauen – »den Schwung gegeben, noch ufhalten?«

»Ick habe mir ooch gewundert!«

»Na, siehst du, Peter. Helwig hatte mir jesagt, dat et diesmal nur auf eenen Spaß for det mitgeloofene Zuschauerpack ankommt. Ick sollte ja nich den beeden Halunken wat tun.«

»Wann hat er't dir denn jesagt?«

»Gleich bei seine Ankunft auf unser Theater. Er wird et ooch den Schmidt schon vorher jesagt haben. Der mußte sich doch auf sein Gesalbader danach inrichten.«

»Geschickt hast du et gemacht, Jochen?«

»Nich wahr? Der Pöbel wird gedacht haben, dat das Luder, die Heinrich, wie'n geköpptes Huhn noch rumlief. Die Leute wer'n ihre Oogen nich getraut haben, dat se doch ihren Kopp noch druf hatte.«

»Weißt du, Jochen,« meinte ein anderer, »der Helwig hat dir die Person heute schon dat zweite Mal aus die Klauen gerissen. Bei die Folterung war et gerade so.«

»Dat stimmt, Kaspar, er wußte, daß Vater nich mehr die richtige Kraft hat. Bei mir hätte sie gestanden!«

»Dat gloob' ick ooch«, meinte Kaspar. »Dat Weib muß hexen können!«

»Ho, ho, ho,« grunzte Stoff, »laßt se nur noch einmal unter meene Hände kommen! Dann gnade ihr Gott!«

Dazu schien der junge Stoff nun keine Aussicht mehr zu haben. Am 23. Februar wurde den Verurteilten folgende vom König gezeichnete, von Bartholdi gegengezeichnete Ordre verkündet:

»Von Gottes Gnaden, Friedrich, König in Preußen, Markgraf zu Brandenburg, des Heiligen Römischen Reichs Ertz-Kämmerer und Churfürst, souverainer Printz von Oranien, Neufchatel und Vallengin etc. etc.

Unsern Gruß zuvor. Liebe Getreue: Nachdem die beyden Inquisiten Erdmann Briesemann und Maria Zielefeld bey den am 20. huius vorgewesenen Acta Executionis beständig dabey geblieben, daß sie von dem Mord des Hoff-Kürschners keine Wissenschaft haben, noch viel weniger solchen selbst begangen, mithin die Todes-Straffe an ihnen nicht vollzogen worden, so haben Wir allergnädigst resolviret, daß aus denen in dem letzteren an Euch ergangenen Rescript vom 2. huius angezogenen Ursachen, nunmehr das Hallische Urthel an beyden Inquisiten zur Execution gebracht, und sie respect. zum Vestungs- und Spinnhauses-Arbeit zu Spandow auf Lebenslang angehalten werden sollen. Wonach Ihr Euch gehorsamst zu achten und vermittelst beygehender Verordnungen gehörige Vorsehung zu thun, auch gedachte Maria Zielefeld, nebst ihrer Tochter und Verwandten, deren Supplicata hierbey überkommen, danach zu bescheiden habt.

Seynd Euch aus Gnaden gewogen; gegeben zu Cölln an der Spree, den 23. Februar 1711.«

Dieser Order lagen Bittschriften der Witwe Heinrich, von Ursula und ihrem Vormund Zorn bei. Dazu die Anweisung an den Kommandanten von Spandau, beide Verurteilte anzunehmen und lebenslänglich in der Festung zu beschäftigen. War doch die Stadt Berlin damals nicht in der Lage, längere Freiheitsstrafen zu vollstrecken, und hier auf die Mitwirkung der Regierung angewiesen.

Briesemann hatte kein Gnadengesuch eingereicht. Als ihm sein weiteres Schicksal mitgeteilt wurde, hatte er ärgerlich erklärt, man hätte ihn doch lieber sterben lassen sollen. Helwig hatte gemeint, er sei wohl zu faul zur Arbeit und wolle daher lieber im Grabe ruhen! Der Kommandant erhielt daher nur für die Frau den Befehl, sie leidlich zu behandeln und nach sieben Jahren über ihre Führung zu berichten. Dann solle über sie weiterer Beschluß gefaßt werden.

Die Verurteilten wurden darauf durch städtische Beamte nach Spandau geschafft. Aber schon nach einigen Wochen wurde Briesemann von Spandau nach Peitz gebracht. Er sollte in der dortigen kleinen Festung, wo es an Arbeitskräften mangelte, beschäftigt werden. Von seiner Gefährtin, die er seit der Ankunft in Spandau nicht wiedergesehen, durfte er keinen Abschied nehmen. Mit noch einigen Gefährten wurde er aus Spandau von einem Militärkommando abgeführt. Beim Abmarsch warf er noch einen letzten Blick auf die Stadt und murmelte: »Lebe wohl, Maria! Ich sehe dich nie wieder!«

Ein gutmütiger Soldat hörte das und lachte:

»Kerl, der Deibel führt die Seinen immer wieder zusammen!«


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