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51. Kapitel

Am nächsten Tag kam Wera nicht. Als sie drei Tage nicht erschienen war, befragte Heinrich seine Schwester in der Angelegenheit. Die ließ sich so aus, daß Heinrich nichts mehr zu fragen übrig blieb.

»Sieh mal, mein Junge«, die einige Jahre ältere Schwester benutzte solche Gelegenheit gerne, um diese Anrede zu gebrauchen, »du mußt dir darüber klarwerden, ob du weiter ein Sonderling und Tiernarr bleiben willst, oder ob du dich auf deine Ehe einstellen willst. Ich glaube, Wera rechnet damit, daß du diesen Schnauzerwelpen abschaffst. Der Hund beunruhigt sie, denn sie weiß, wie verrückt du dich mit Pfeffer gehabt hast. Du kennst ja meine persönliche Einstellung schon lange, deine Art, mit Pfeffer umzugehen und zu sprechen, war reichlich närrisch, und es ist ein Glück, daß das ein Ende nahm.«

»Sage mal, glaubst du, daß Wera in dieser Sache mit dir einer Meinung ist?« fragte Heinrich.

»Das glaube ich nicht nur, das weiß ich!«

»Dann höre mal jetzt gut zu und sage Wera das, was du jetzt hören wirst, denn ich werde sie nicht mehr sprechen.«

Regine wurde blaß, ihre dunklen Augen weiteten sich und um ihren Mund zuckte es, während ihr Bruder unbeirrt fortfuhr:

»Mein ganz Persönliches, das, was mir die Natur als meine Eigenart mitgegeben hat, kann niemand, auch ich selbst nicht, verändern, man kann es nur zerstören. Wenn eine Frau glaubt, daß meine Liebe zur Natur, zu den Tieren, in meinem besonderen Falle zu den Hunden, etwas ist, das mich zum Ehemann ungeeignet macht, dann ist sie nicht die richtige Frau für mich.

Ich wähle nicht zwischen einem jungen Hund und einer Frau, aber ich bitte dich, Wera zu sagen, daß wir nicht heiraten werden, weil sie schon jetzt versucht, Druck auf mich auszuüben, anstatt mich so zu nehmen, wie ich bin.«

*

So kam diese Ehe nicht zustande. Heinrich fühlte sich nach der Unterredung mit seiner Schwester unsagbar einsam, wie er sich damals gefühlt hatte, als er Pfeffer verlor. Ihm war, als könne nun nichts Warmes und Helles mehr in sein Leben kommen, aber lieber wollte er freudlos bleiben, als sich umkrempeln zu lassen.

Er arbeitete nun alle Tage gewissenhaft, versorgte und pflegte seine Tauben und beschäftigte sich mit dem kleinen Schnauzer. Doch er tat es mit innerer Leere.

Onkel Anton sah es mit Kummer. Er verstand den Neffen nur zu gut, und er wußte, daß eine gescheiterte Liebe in vorgerückten Jahren besonders schwer überwunden wird. Er selbst hatte ähnliches erfahren, und er hoffte nur, daß Heinrichs starke Natur und die Zeit ausgleichend wirken möchten.

Der kleine Schnauzer hieß Robbi. Er entwickelte sich gut und sorgte dafür, daß Munterkeit und Humor nicht ganz ausstarben. Schwester Regine war sehr still geworden. Sie hatte nie geglaubt, daß hinter Heinrichs Art mehr steckte als der Egoismus, seinen Neigungen zu leben. Nun dämmerte ihr etwas auf von dem Wesen der Freiheit, die in ihrem Bruder lebte, und sie begriff, daß sie besser getan hätte, Heinrich die Gestaltung seines Lebens selbst zu überlassen.

*

Eines Sonntagvormittags saß Onkel Anton bei Heinrich in der Werkstatt. Die Sonne fiel auf die Hobelspäne und ließ sie weiß aufleuchten. Blitzende Stäubchen erfüllten den Lichtkegel, der vom Fenster her den Fußboden traf, und das Rotkehlchen, das der Alte seinem Neffen überlassen hatte, sang fein wie ein Spinett sein Lied, während es in der offenen Tür seines Holzbauers saß.

Heinrich arbeitete an einem behäbigen Stuhl altmodischer Form, den der Pfarrer bei ihm bestellt hatte.

Der Onkel beobachtete den Neffen, und ihm schien, als wäre die Schwermut aus diesem markanten Gesicht gewichen und nur der Ernst darin zurückgeblieben. Er war recht froh darüber.

Auf die Sägespäne, mitten ins Sonnenlicht, hatte sich Robbi gelegt. Er lag auf dem Rücken, und die Sonne schien ihm auf den noch nackten Junghundbauch. Eine Fliege summte heran und ließ sich darauf nieder. Der junge Schnauzer schnappte nach ihr, dann stand er mit der Plötzlichkeit junger Hunde auf, lief zu Herrchen, stupste ihn, legte die Ohren an und wedelte. Windholz tat den Hobel beiseite, bückte sich und tätschelte ihn.

Als Heinrich sich wieder seiner Arbeit zuwandte, lief Robbi schräg, in der Art vieler halbwüchsiger Hunde, zur Tür, die nur angelehnt war, stieß sie mit der Schnauze auf und verschwand.

»Jetzt ist ihm etwas eingefallen«, sagte der Onkel, »er wird wohl dem Schweinestall einen Besuch abstatten wegen der Ratten.«

»Ja, man soll's nicht glauben«, meinte Heinrich, »er ist doch knapp ein halbes Jahr alt, und gestern brachte er mir ein dickes, ausgewachsenes von den Biestern. Er hat denselben Schneid wie Pfeffer, auch die Intelligenz ist da, nur schien mir Pfeffer ruhiger, gehaltener gewesen zu sein.«

»Das macht die Jugend. Laß ihn nur erst zwei Jahre werden, dann wird er schon ausgeglichener sein. Wenn der Hund zwei Jahre alt ist, das bedeutet dasselbe, als wenn wir fünfundzwanzig sind. Na, und da ist doch noch mancher von uns reichlich munter.

Aber komm, ich glaube, Regine hat gerufen. Es gibt heute Ente, wir wollen sie mit ihrem Sonntagsbraten nicht warten lassen.«

Die beiden Männer verließen die Werkstatt. Still lag der Raum in Licht und Schatten. Da knisterte etwas an der Erde bei den Spänen. Das Rotkehlchen hatte mit seinen großen, dunklen Augen dort unten eine Holzlarve entdeckt. Jetzt schlug es die Larve mit dem feinen Schnabel mehrfach auf den Boden, und dann verschwand der Bissen mit zwei, drei Bewegungen der Kehle. Leise, wie ein brauner Schatten, schwang sich der Vogel zu seinem Bauer auf, wetzte den Schnabel an dem Türchen, wie nach jeder Mahlzeit, hüpfte zum Trinknapf, und nachdem er ein paar Tropfen in die Kehle hatte rinnen lassen, nahm er seinen gewohnten Platz auf der kleinen Querstange in der Ecke des Bauers ein und hielt sein Mittagsschläfchen.

Zeichnung: Hans Hyan

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