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Die »Maison du Roi« und das Stadtmuseum

Dieses Prachtgebäude, das an der Stelle der ehemaligen »Halle du Pain« nach dem großen Stadtbrande von Grund auf neu errichtet und nach dem Vorbilde jenes ursprünglichen Baues in unserer Zeit wiederum umgebaut worden ist, macht auf den Architekturkenner auf den ersten Blick den Eindruck eines zwar nicht geradezu modernen, aber in seinem ursprünglichen Charakter doch wesentlich modifizierten Baudenkmales, und dieser Eindruck wird uns bei einer Vergleichung des Baues mit alten Originalansichten des »Brodhuis« und namentlich mit Callots prächtiger Kupferstichabbildung dieses Gebäudes vollauf bestätigt. Auf allen diesen alten Ansichten sind weder die der Fassade vorgelagerten graziösen Säulenhallen wahrzunehmen, noch die den Dachrand umziehende Gesimsgalerie, über die der jetzt mit einer Zwiebelhaube bekrönte, achteckig abschließende Frontturm hoch hinausragt.

Mit seinem üppigen Reichtum an plastischem Schmuckwerk und namentlich mit seinen prächtigen, alle Giebelbekrönungen besetzt haltenden, in prunkreicher Vergoldung strahlenden Kriegerstatuen ist das Ganze von ausgezeichnet dekorativer Wirkung. Nachdem es im 16. Jahrhundert verschiedenen mit der Rechtsprechung betrauten Körperschaften als Versammlungsort gedient hatte und unter Kaiser Karl V. so gut wie neu aufgebaut worden war, wurde das Gebäude weiteren Veränderungen unterzogen durch die in kontinuierlicher Folge hierfür herangezogenen Architekten Ambrosius Keldermans, Louis van Bodeghem (eng verknüpft mit der Erbauung der Kirche zu Brou), van Pede (Erbauer des Stadthauses zu Loewen) und Dominique de Wagemakere (Erbauer des Antwerpener Stadtturmes).

Am Abend vor ihrer Hinrichtung wurden Egmont und Hoorn in dieses »Königshaus« gebracht, das sie nur zum kurzen Todesgange nach dem vor der Front dieses Gebäudes errichteten Schafott wieder verlassen sollten.

Im Jahre 1625 unter der Regierung der Infantin Isabella wiederum restauriert, kann das Bauwerk erst zu diesem Zeitpunkte diejenige Physiognomie erhalten haben, in der es uns auf Callots Kupferstich vor Augen steht. Eine Madonnenstatue, die schon auf diesem Kupferstich der Fassade der Maison du Roi als Schmuckstück dient, seit dem neuesten Umbaue derselben jedoch verschwunden ist, trug die wohl so manchem älteren Bewohner Brüssels noch deutlich erinnerliche Sockelinschrift: A PESTE, FAME ET BELLO LIBERA NOS MARIA PACIS. – HIC VOTUM PACIS PUBLICAE ELISABETH CONSECRAVIT.

siehe Bildunterschrift

Abb. 21. Die »Maison du Roi« (Photo Neurdein)

Durch das Bombardement von 1695 völlig in Trümmer gelegt, in dem schwülstigen Stile jener Zeit jedoch alsbald wieder aufgebaut, wurde das Königshaus im Jahre 1873 unter dem Regimente des Bürgermeisters Buls nochmals einer vollständigen Restaurierung unterzogen, aus der es nach einer Bauzeit von 23 Jahren schließlich mit seiner jetzigen, vom Architekten V. Jamaer ihm verliehenen Physiognomie im alten Stile erneut hervorging. Von seinem graziösen Glockenturme konnte man dann mehrere Jahre lang zu bestimmten Stunden des Tages den hellen und heiteren Klang eines Glöckchenspieles herabtönen hören. Leider ist dieses muntere Instrument – vermutlich infolge eines Defektes, den sein Mechanismus erlitt, – nunmehr schon seit Jahren gänzlich wieder verstummt.

Ein Besuch der historischen Sammlungen des Königshauses ist für jeden, der sich mit der weit zurückreichenden Vergangenheit Brüssels vertraut machen möchte, unerläßlich. Umfassen doch diese Sammlungen den wesentlichsten Teil der erhalten gebliebenen städtischen Altertümer, die trotz ihrer mittelmäßigen Installierung in jeder Hinsicht ernsthafte Beachtung verdienen.

Man findet hier gemalte und gemeißelte Porträts von Männern, deren Namen in Beziehung stehen zu den mannigfaltigsten Ereignissen der Brüsseler Stadtgeschichte, – von ihren ursprünglichen Standorten beseitigte oder durch Erneuerungen ersetzte öffentliche Denkmäler und Skulpturreste von solchen Denkmälern, – zahlreiche alte Ansichten der Stadt, wie sie ehedem war, und alte Abbildungen von Episoden aus ihrer wechselvollen Geschichte, – dazu noch eine Menge instruktiver Privataltertümer und Kuriositäten aller Art, an deren Betrachtung jedermann Interesse und Vergnügen finden wird.

Aus der Kuriositätensammlung dieses Stadtmuseums sei hier nur die Garderobe des sogenannten »ältesten Bürgers von Brüssel« herausgegriffen, jener berühmten fratzenhaften Spottfigur, deren volkstümlicher Name » Manneken Piss« hier nicht wohl verschwiegen werden kann. Aber besitzt denn dieses »Pissmännchen« eine besondere »Garderobe«? Ja gewiß! An den volkstümlichen Festtagen schmückt es sein Haupt mit einem reich verbrämten Dreispitz, seinen Leib mit einem Staatsrock aus Sammet oder Seide, – Geschenken des Kurfürsten von Bayern, denen man erstaunlicherweise sogar das Ordenskreuz vom heiligen Ludwig aufgeheftet finden wird, das dem »Manneken« nach der Behauptung seiner »Biographen« vom König Ludwig XV. von Frankreich verliehen wurde. Und dazu darf der komische Tölpel, der nicht einmal der unablässig strömenden Flut seines Naturbedürfnisses Einhalt zu gebieten vermag, an den besagten Festtagen auch noch mit einem Degen an der Seite paradieren!

Unter den kunstgeschichtlichen Reliquien, die das Stadtmuseum neben derartigen lediglich in kulturgeschichtlicher Hinsicht interessanten Kuriositäten in so reicher Fülle beherbergt, seien an erster Stelle die Originalbaupläne zu den alten Häuserfassaden der Grand' Place angeführt. Ein typisches Charakteristikum für die Erdgeschoßanlagen dieser Häuser bildeten ehedem die nach außen hervortretenden Kellereingänge, ähnlich denjenigen, wie sie in gewissen Provinzstädten noch heute anzutreffen sind; in Brüssel mußten sie in unserer Zeit auf einen bauamtlichen Erlaß hin überall beseitigt werden.

Ferner gehören zu den Sammlungsbeständen dieses kleinen Brüsseler »Musée Carnavalet« zahlreiche sehr interessante Gemälde, die nur leider der Mehrzahl nach wenig günstig aufgestellt und belichtet sind. Die hervorragendsten Stücke dieser Bildersammlung hat das Museum einer Schenkung des englischen Kunstsammlers J. W. Wilson zu verdanken, dessen weitberühmte Galerie im Jahre 1873 öffentlich versteigert wurde. Wilson war in Brüssel zur Welt gekommen, – daher seine gerade dieser Stadt erwiesene Freigebigkeit. Ich muß es mir versagen, die Richtigkeit oder Unrichtigkeit gewisser unsicherer Künstlerzuschreibungen hier zu erörtern, und mich darauf beschränken, die beachtenswertesten Gemälde der Museumssammlung kurz aufzuzählen:

Ant. Moro (?): Männliches Bildnis. – Hubert Goltzius: Ein Eid wiegt leichter als eine Feder. – Hans Holbein (?): Männliches Bildnis. – Michiel Miereveld: Männliches und weibliches Bildnis (vorzügliche Stücke). – Corn. Janson van Ceulen: Bildnis der Herzogin von St. Albans. – Ferd. Bol: Bildnis eines »holländischen Admirals« (von Bredius neuerdings als Porträt des holländischen Architekten und Bildhauers De Keyser identifiziert). – Aelb. Cuyp: Weibliches Bildnis. – Sieberechts: Landschaft (sehr schön). – Stilleben von Snyders, Fyt, Heda, A. van Beyeren, Jan de Heem. – Pieter Codde: Genrebild (gutes Stück). – J. M. Nattier: Bildnis des Marquis de Marigny. –

Diese kleine Auswahl besonders wertvoller Stücke soll dem Leser nur einen summarischen Begriff geben von den mancherlei Genüssen, die diese kleine, mehr nur durch Zufallserwerbungen zusammengebrachte Altertümersammlung auch in künstlerischer Hinsicht ihren Besuchern zu bieten vermag. Im Treppenhause kommen dazu noch verschiedene alte Malwerke von mehr nur lokalgeschichtlichem Interesse; darunter z. B. ein aus dem 16. Jahrhundert stammendes Triptychon, auf dem die Werktätigkeit der Gilde der »quatre couronnés« (also der den »vier gekrönten Heiligen« huldigenden Maurer, Steinmetze, Bildhauer und Schieferdecker) dargestellt ist, – sowie ein »Le compromis des communes« betiteltes Gemälde, darstellend die Eidesleistung der Brüsseler Gemeinderäte auf die Verteidigung ihrer durch ein neues Schulgesetz bedrohten Prärogative hinsichtlich des öffentlichen Schulunterrichts (1884).

Von den Fenstern der Museumsräume aus genießt man einen ja nicht zu versäumenden, ungemein fesselnden Überblick über die Grand' Place mitsamt dem Hôtel de Ville und den alten Gildenhäusern. Nach der Rückseite zu ist die Maison du Roi nur durch die schmale Rue du Poivre vom ehemaligen städtischen Schlachthause getrennt, das nach dem Bombardement von 1695 durch Guill. de Bruyn wieder aufgebaut worden ist.

Nach dem Verlassen des Stadtmuseums können wir dann von der Grand'-Place aus durch eine der das Königshaus flankierenden engen Gassen, die »Rue Chair-et-Pain« (so benannt nach der angrenzenden Fleischhalle und der ehemaligen Brothalle, der späteren »Maison du Roi«) oder die pittoreske »Rue des Harengs« zum Gemüsemarkte (»Marché aux herbes«) vordringen, einem jener Straßenzüge des alten Zentrums, deren dichtes Verkehrsgewühl uns einen besonders packenden Begriff von der intensiven Vitalität des Brüsseler Gemeinwesens zu geben vermag. Äußerst malerisch sind von dort aus die Durchblicke auf das Hôtel de Ville, namentlich an den Markttagen, an denen die Grand' Place einem uralten Privileg gemäß den Brüsseler Blumenmarkt beherbergt (ebenso wie sie jeden Sonntagmorgen längs ihrer Häusertrottoire die Vögel- und Hundehändler ihre Verkaufsstände aufschlagen läßt).

siehe Bildunterschrift

Abb. 22. Das Manneken Piss (Photo Neurdein)


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