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Hangen und Bangen.

Was nun aber weiter? Nunmehr stand Leon der unlöslichen Frage Aug' in Aug' gegenüber. Er hatte die Höhe erreicht, die er angestrebt hatte.

Als ob er es gewesen wäre, der den Stein der Weisen erfunden: das Glück streute ihm seine Gaben mit vollen Händen in den Schooß, und doch war, was er empfing, kein Geschenk, kein blindes Glück, es war durch die schweren Mühen eines mannhaften Kampfes wohlverdienter Lohn, sauer errungene Vergeltung. Seinen Rang hatte er seinem Kopfe, seinen Kenntnissen, seiner Tüchtigkeit zu danken; sein Vermögen seiner erprobten Treue; die Neigung seiner Dame seinem echt mannhaften Charakter.

Konnte er, was er also verdient, also gewonnen hatte, von sich weisen? Durfte er aber auch behalten, was er gewonnen hatte?

»Kannst du denn aber auch Raphaelen dein Herz mit dem Geheimnisse schenken, daß es einst Livien eigen gewesen? – Nicht ›gewesen‹, es ist noch zur Stunde ihr eigen. Willst du zittern bei jeder Umarmung? Willst du das Weib betrügen, das du liebst wie eine gute leibliche Schwester, das du anbetest wie eine Heilige?! Ihr das verhängnißvolle Geheimniß verschweigen, daß Derjenige, um dessentwillen der Liebling ihres Herzens sein Asyl, seine Wohlthäter, all die Macht und Herrlichkeit, die ihm geboten wurde, die ganze Welt verlassen hat, – daß dieser Mann eben du selber warst! Und dann jedesmal, so oft Raphaela fragt: ›Was ist aus Livien geworden?‹ mit marmorgleichem Gesicht antworten: ›Ich weiß nichts von ihr!‹ Und mit diesem Geheimnisse im Herzen an ihrer Seite leben bis zum Tode, bis endlich zwei Gestalten aus euch Beiden werden, wie es Fürst Maximilian und Fürstin Madeleine waren: das Eine in ein Palais eingeschlossen, das Andere in ein anderes!

Hat denn die Welt Schätze, hat aller Ruhm Strahlen genug, um für ein solches Leben zu entschädigen?«

Und endlich ... Es giebt ein Element, welches höher steht, als Alles in der Welt, welches der Herr des nüchternen Verstandes, der sieghafte Gegner der Logik, der Tyrann der Könige und Völker ist, das da Leben giebt und Leben nimmt und keine Gnade gewährt; vor ihm ist die Mathesis keine Wissenschaft: es multiplizirt Nichts mit Nichts und das Produkt ist Alles; vor ihm ist die Stärke keine Macht und die Wahrheit nicht Gesetz; es zeugt die Sünde wie die Tugend und kennt keinen Unterschied zwischen beiden. Dieses weltzerstörende und welterhabene Element heißt – die Liebe!

Leon liebte Livien. Alle Gedanken seiner Seele waren voll seiner Liebe zu ihr. An sie hatte er gedacht, als er mit Königen und Staatsmännern um Krieg und Frieden handelte; an sie dachte er, als er verherrlicht, gepriesen im Angesichte des Volkes stand; an sie dachte er, wenn er mit Anspannung seiner ganzen Seele arbeitete, an sie, wenn er einen ersparten Heller bei Seite legte. Selbst als der glühende Hauch, der verführerische Athem, eines verliebten Weibes in seinem Antlitze brannte, selbst da dachte er an sie! Wie sollte er sie nun vergessen können? Vergessen für immer gleich einem nimmer wiederkehrenden Traumbilde. Oder sollte er sie nur für eine Zeit vergessen und dann wieder von ihr träumen, alle Tage seines Lebens von ihr träumen? Sollte er im Schlafe das Weib bestehlen, dem er wachend Treue geschworen? Insgeheim auf die Verschwundene lauern? Weinen um sie, so oft er allein wäre und dann, wenn man ihn fragen würde, weshalb seine Augen so verweint seien, zur Antwort geben: »Nicht doch! Ich habe ja gelacht.« Sollte er brennen vor Eifersucht und den Mann hassen, der etwa kommen könnte, die Verlassene zu trösten? Ihn verfolgen und das Weib von seiner Seite locken, das kraft des Rechtes der Liebe noch immer ihm angehört und dann den Mann tödten oder sich von ihm tödten lassen?

Welch ein fürchterliches Horoskop!

Die Hexe von Endor konnte dem Könige Saul kein marternderes Spiegelbild zeigen, – Saul, der zwar die Königskrone hatte, mit ihr zugleich aber auch das Schwert, das er sich selber in die Brust stoßen mußte.

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