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2. Kapitel

Harsts geheimnisvolle Verbündete.

Wer das neue Villenviertel von Zehlendorf kennt, weiß auch, wie still und einsam dort die Straßen mit den weiten, noch unbebauten Flächen sind.

Die Großstadt bietet gerade in ihren Randortschaften für verbrecherische Elemente das beste Betätigungsfeld.

Trotzdem kam uns beiden bei diesem finsteren, regnerischen Wetter der jähe Ueberfall völlig überraschend. Eine große Limousine versperrte uns den Weg, ein paar Kerle knallten uns den Gifthauch von Scheintodpistolen ins Gesicht, und als ich wieder erwachte, lag ich neben dem Taxenschofför im Straßengraben. Leute bemühten sich um uns, und als der nächste Morgen heraufdämmerte, war Harald noch immer nicht gefunden. Nur sein blutbefleckter und von zwei Kugeln in der Brustgegend durchlöcherter Ulster hatte in einem nahen Waldstück gelegen.

Abends mußten Fred und ich jede Hoffnung aufgeben, da Waldarbeiter nachmittags nur mühsam einen brennenden Holzstoß gelöscht hatten, den Unbekannte zusammengetragen haben mußten. In den verkohlten Hölzern fand man Leichenreste, und der Rumpf dieser Reste wies zwei Kugelverletzungen auf. Eine Feststellung der Persönlichkeit des Toten war allerdings unmöglich.

Gegen neun meldete sich dann das Telefon. Hoffnungsfroh hob ich den Hörer ab, es war jedoch zu meiner bitteren Enttäuschung eine unbekannte Frauenstimme, die mir lediglich zurief: »Elf Uhr Restaurant Zum Blauen Schwan, Gartenstraße.«

Trotzdem drückte ich Fred vor Freude sehr derb die Hand.

Fred Steen hatte seinen sogenannten abgeklärten Tag. »Jubeln Sie nicht zu früh, Herr Schraut!«, warnte er. »Im übrigen möchte ich alleruntertänigst fragen, wer hier das Haus bewachen soll, während wir zum Schwan in die Gartenstraße schwimmen. Unser Heim muß einen Wächter haben. – warum, das brauche ich Ihnen nicht erst vorzuhalten.«

»Schmiedecke und Scylla«, erklärte ich kurz und rief auch schon »Argus« an.

Um Zehn erschienen Kautschuk-Gustav nebst Mastferkel von Terrierhündin, und der endgültig gebesserte Exsträfling war so selig, wieder einmal mit uns zusammen ein Ding drehen zu können, daß er sofort drei Weingläser Kognak hinuntergoß, ein Quantum, das ihm gar nichts ausmachte.

Punkt elf Uhr betraten wir den Schwan, und der zweifellos eingeweihte biedere Wirt führte uns sogleich in das Vereinszimmer, wo wir eine tief verschleierte Dame und einen älteren, bärtigen Mann mit grauen Künstlerlocken vorfanden, der neben sich einen Geigenkasten liegen hatte und der auch ganz wie ein Straßenmusikant aussah, auch der Nasenröte nach. Er trug gestopfte Zwirnhandschuhe.

Ich musterte den Alten prüfend, dann begrüßte ich ihn mit leider verfehlter Begeisterung. »Harald, deine Maske ist vorzüglich, und ...«

Der Musiker, der mich ernst durch seine verbogene Nickelbrille anblinzelte, schüttelte den Kopf. »Ein Irrtum, Herr Schraut ... Ich bin nicht Ihr Freund, ich habe ihn nie gesehen ...«

Ich bückte mich: Der Mann hat dunkle Augen!

Es war wirklich nicht Harald.

Die Verschleierte begann zu sprechen. »Meine Herren, nehmen Sie Platz ... – So. – – hier sind Zigaretten ... Auch der Rheinwein ist trinkbar ... Bedienen Sie sich. – Meinen Namen soll ich Ihnen zunächst verschweigen. Ihr Freund wünscht es so. Er hat mir diesen Zettel mit Fragen übersandt, die ich in Ihrer Gegenwart an den Wirt richten soll. Auch der Name des alten Herrn dort tut vorläufig nichts zur Sache. – Bitte ...« Sie reichte mir den Zettel. Es war Harsts Schrift, und darunter stand das Datum des heutigen Tages und der Vermerk: »Sorgfältig befragen. H.«

Diese höchst seltsame Zusammenkunft in dem mit allerlei Fahnen und Wappen geschmückten Vereinszimmer harmloser Kegelklubs und Kameradenbünde und ähnlicher für die Oeffentlichkeit wertloser Bürgerprivatvergnügen wurde noch dadurch vollständig aus jedem Alltagsrahmen herausgehoben, daß die Verschleierte an meiner Seite nicht nur durch Haltung, Benehmen und Kleidung die Weltdame erkennen ließ, sondern daß auch der alte Mann trotz seiner ärmlichen Kleidung seine Zigarre wie ein Kavalier der alten Schule rauchte und seinen Wein mit dem nachsichtigen Lächeln des Rebensaftkenners trank, der zur Not aber mit einer billigen Marke zufrieden ist.

»Fred, holen Sie den Wirt«, befahl ich nun, damit wir zur Sache kämen.

Der brave Kneipenwirt setzte sich.

Die Dame begann nach dem Zettel das Verhör.

»Herr Glast, ich habe Sie für diese Belästigung entsprechend bezahlt ... – Vor länger als einem Jahr saßen hier drei Leute, zu denen sich nachher ein vierter gesellte. Besinnen Sie sich?«

»Sehr gut, meine Dame ...«

»Können Sie mir den Vierten genauer beschreiben?«,

»Nein ... Von seinem Gesicht war so gut wie nichts zu sehen.«

Die Verschleierte holte eine Fotografie hervor.

»Kann es dieser Herr gewesen sein?«

»Es wäre möglich ...«

»Und die drei anderen, Herr Glast?«

»Oh, da weiß ich etwas besser Bescheid, meine Dame. Damals saß vorn im Lokal ein Straßenhändler, der die drei vom Ansehen kannte. Als sie weggingen, nannte er mir ihre Spitznamen: Zaunlatte, Stotter-Fred und Krokodil, alles drei sehr üble Burschen. Der eine trug ein Monokel, das war »Zaunlatte«. Stotter-Fred war ein kleiner Dicker, und Krokodil fiel durch seine vorgebaute Hechtschnauze auf.«

Ich hatte Bleistift und Notizbuch zur Hand und notierte alles.

Die Verschleierte blickte flüchtig zu dem Musiker hinüber, der gleichfalls schrieb.

»Herr Glast, noch etwas?«

»Nein ... Das heißt, Zaunlatte machte den Versuch, dem hochgewachsenen eleganten Piraten, der zuerst verschwand, zu folgen. Ich schaute durch das Fenster. Der Herr hatte ein Auto in der Nähe stehen, wahrscheinlich einen Privatwagen.«

Die Dame sah Harsts Zettel durch. »Noch etwas, Herr Glast. Blieb diese Zusammenkunft die einzige der vier Leute bei Ihnen?«

»Ja, die einzige ...«

»Dann danke ich Ihnen. Oder hätten Sie noch etwas zu fragen?« – Das galt mir.

Ich nahm die Fotografie vom Tische (ein Kabinettbild, halbe Figur), ich hatte längst erkannt, daß es Doktor Richard Lohr war, der wiederholt in Zeitschriften als »der witzigste Kriminaltheoretiker« gepriesen worden war, und bedeckte das Gesicht mit zwei Fingern, so daß nur Nase, ein Teil des Mundes und der Augen freiblieben. »Herr Glast, betrachten Sie jetzt die Fotografie nochmals ... Finden Sie jetzt eine Ähnlichkeit mit größerer Bestimmtheit heraus?«

Der Gastwirt überlegte. »Hm, es kann sein, nein, ich möchte nun doch sagen: Er ist's!«

»Danke ...«

Fred Steen räusperte sich. »Herr Glast, wie heißt der Straßenhändler, der die drei ihren Spitznamen nach kannte?«

Das war ein glücklicher Einfall Freds.

Glast lachte gemütlich. »Oh, der Piek sitzt vorn ... Soll ich ihn holen?«

»Holen Sie ihn!«

Herr Piek erschien, schob schleunigst die zwanzig Mark in die Tasche, die ihm die Verschleierte gegeben hatte, und erwiderte dann auf eine meiner Fragen:

»So genau weiß ich über die drei nicht Bescheid. Aber heute ist mir eingefallen, als ich von dem Raubmordversuch las, den dieser Schuft von Allan Garp verübt hat, daß damals bei dem Prozeß gegen Garp wegen der Autogeschichte die drei faulen Brüder als Zeugen aufgetreten sind ... Stotter-Fred ist nämlich von Hause aus Schofför, und ...« – unter meinem wahrscheinlich sehr starren Blick verstummte der Händler.

Als zehn Minuten später der Musikus und die Dame den Schwan verließen, standen wir drüben in einer Türnische. Aber wir hätten uns dies sparen können, – eine große dunkle Limousine rollte an uns vorüber und der Schofför rief uns zu:

»Anfänger, die ihr seid!!«

Das Auto nahm die beiden auf, und über dem freudigen Schreck, soeben Harsts Stimme vernommen zu haben, vergaßen wir vollständig, nach der Nummer des Wagens zu sehen ...

»Anfänger, die ihr seid?«, brummte Fred Steen achselzuckend. »Herr Harst hat gut reden, wo er stets mit uns Blinde Kuh spielt!!«


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