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6. Kapitel. Die Dame vom Schachbrett des Lebens

Eine gewisse Sorte von Asphaltliteraten hat mich verlästert, hat mich vor den Kadi schleppen wollen, hat mit dem überfeinen Geruch derer, die nur im Schmutz waten und an Modergeruch gewöhnt sind, in meinen anspruchslosen Tagebuchblättern das »Nationale« gewittert und mich mundtot machen wollen. Ich bin den Herrschaften zu »männlich«, zu kraftvoll, zu ursprünglich. Ich bin nicht dekadent genug.

Das stimmt.

Mein Deutschtum habe ich nie verleugnet, habe Schiebertypen geschildert, bin sehr bissig geworden gegen Biertischphilister, Kriegervereinsmeier, Kaffeehausliteraten, gegen Zauberberge und Professor Unrat und Sonstiges.

Manchmal, nein, zu oft rutschte mir die Feder dabei zu sehr nach rechts. Dann habe ich eben diese Niederschriften, auf die hin der ganze Kurfürstendamm und ganz Berlin W W (Wehe, wehe!!) in ein Wutgekreisch ausgebrochen wären, zurückgelegt, da gegen die Meute vorläufig nicht aufzukommen ist.

– Ich bin kein Literat. Ich schreibe »Harst«. Ich schreibe für den, der denken lernen will und doch leichte Lektüre braucht. Leichte Lektüre muß nicht gerade seicht sein. Wer diese Geschichte des Falles Waterston nicht nur sensationsgierig überfliegt, wird zugeben müssen, daß hier gedankliche Leistungen meines Freundes ohne viel Reklamegeschrei geschildert sind.

Auch seine Fehler. – Ein Fehler von ihm war es, daß er als Mr. Hull im Eden-Hotel nie nächtigte.

Dies gab er mir gegenüber offen zu, als wir nun daheim vor der summenden Mokkamaschine saßen, uns durch einen Imbiß stärkten und an alles andere dachten, nur nicht an Schlafengehen.

Harst war sehr einsilbig, fast bedrückt.

Allmählich fiel mir dies auf.

»Was hast du, Harald?! Fürchtest du für den Eleganten?«

»Ja ... Und für Siegfried Waga, Elsie und den Stämmigen.«

Draußen grollte der Donner ...

»Frau Bink wäre ja töricht, irgend etwas zu riskieren!«, meinte ich gleichgültig.

»So?!«

Er griff in den Zigarettenkasten.

»So?!«, wiederholte er noch gedehnter. »Was hat sie viel zu riskieren, wenn sie es mit den Wagas schlau anfängt?! Und was sie mit dem Eleganten und dem Stämmigen beginnt, werden wir vielleicht in der Zeitung unter der Rubrik der Unfälle ahnungslos überfliegen! Wir kennen weder den Eleganten noch den Stämmigen, mein Alter, und deren Namen hätte uns nur Elsie nennen können, und die tat es nicht, weil sie uns belauscht und die zweite Bleikugel gesehen hatte ...«

Er blickte dem Wölkchen seiner Zigarette nach und fuhr immer geistesabwesender fort:

»Es wird ein böses Stück Arbeit werden, den Arzt im Wettermantel, den Eleganten, aus dem Ameisenhaufen Berlin herauszufinden. Der Flinke, der Stämmige, dürfte der Chauffeur sein.«

Seine Geistesabwesenheit, äußerlich durch Gesichtsausdruck, Sprache und langsame Gesten scheinbar sich offenbarend, ist zumeist nur allerstärkste Gedankenkonzentration.

»... Wir hätten wohl einen Weg, sie zu finden. Aber wir können unmöglich die ganzen Zeitungen von Januar des Jahres bis jetzt auf Skandalgeschichten durchsehen.«

Die Bezeichnung »Skandalgeschichte« war mir zu ungenau. –

»Was verstehst du unter Skandalgeschichten?«

»Das, was das Publikum nur zu gern liest: Familientragödien mit pikantem Einschlag. In dieser Hinsicht leistet »die« Presse Hervorragendes. Sogenannte Weltblätter nähren sich nur von Phrasen und von Zerpflückung alles Ideellen und von Hausklatsch mit Paprika.«

Ich begriff Harst noch immer nicht.

»Was hat das mit dem Eleganten zu tun, Harald?«

»Sehr viel, glaube ich. – – Hallo, Telefon ..!! Zu dieser Stunde?! Merkwürdig!«

Er sprang auf und nahm den Hörer ab.

»Hier Uhland 19223 ... Ja doch ... 19223 ..! – Harst, ganz recht..! Seien Sie doch nicht so aufgeregt ... Sprechen Sie verständlicher ... Bitte erst einmal Ihren Namen ... – Ida Müller? Stimmt das auch?! Woher sprechen Sie? – Automat? – Dann heißen Sie bestimmt nicht Ida Müller ... Nun gut, was gibt es?«

Ich war neben ihn getreten und hörte mit.

Eine vor Erregung heisere Frauenstimme erzählte, daß soeben, nein, vor zehn Minuten, in der Schloßstraße in Charlottenburg-Berlin zwei Herren von mehreren Männern niedergeschlagen und in ein kleines, schnelles Lastauto geworfen seien ...«

»Ich war ganz zufällig von meinem Fenster aus Zeuge des Vorfalls ...«, behauptete Ida Müller.

»Also wohnen Sie in der Schloßstraße?«

... Schweigen ...

Harst wurde ungemütlich.

»Ich werde Ihnen einmal etwas sagen, Fräulein Müller ... Sie lügen. Um diese frühe Morgenstunde könnten Sie nur im Nachtgewand am Fenster gestanden und die Verschleppung der beiden Herren mitbeobachtet, sich dann angekleidet haben und zum Telefonautomat geeilt sein, wo Sie doch zu allererst und normalerweise das Ueberfallkommando angerufen hätten, nicht gerade mich. Wie kamen Sie dazu, gerade mir den Vorfall zu melden?! Für derartiges ist doch die Polizei zuständig. Das werden Sie wohl selbst einsehen, Fräulein Müller. Operieren Sie hier also nicht mit allerlei Verschleierungen, sondern geben Sie mir klipp und klar an, wer Sie sind, wie Sie wirklich heißen, weshalb Sie mich zur Hilfe rufen, ob Sie die Herren kennen und ...«

Drüben am anderen Ende der Leitung war abgehängt worden.

Harst legte achselzuckend den Hörer auf die Stützen und drehte sich langsam um.

Sein Gesicht strahlte, als ob er soeben eine überaus wichtige Entdeckung gemacht hätte. Ich war über seine offensichtliche Freude über diesen Anruf »Ida Müllers« derart verblüfft, daß ich nur fragen konnte: »Wer war die Person?! Das war niemals die Stimme Elsie Wagas!«

»Ach nein«, lächelte er. »Das war bestimmt nicht Elsie Waga ... Das war die Frau, die mir in diesem Zusammensetzspiel noch gefehlt hat, – meinetwegen »die Dame vom Schachbrett des Lebens«, ergänzte er mit starker Betonung.

»Also eine neue Figur des Falles Waterston?«, meinte ich verständnislos.

»Keineswegs ... Sogar eine der Hauptdarstellerinnen, mit der ich stets gerechnet habe, mein Alter. Aber darüber reden wir in der Taxe, die uns nun schleunigst nach der Schloßstraße bringen soll. Schnell in den Mantel, nimm auch das Nötige an Werkzeug mit ... Man kann nie wissen, was wir dort vorfinden.«

Er eilte in sein Schlafzimmer, auch ich machte mich fertig, und dann fuhren wir im schnellsten Tempo im strömenden Regen nach Charlottenburg. –

Harst, die glimmende Zigarette im Mundwinkel, begann ganz von selbst zu sprechen. »Der Ueberfall ist keine Erfindung dieser Ida Müller, das möchte ich gleich betonen. Die Frau wohnt auch zweifellos in der Schloßstraße und wurde Zeugin, wie man den Eleganten im Wettermantel und den Stämmigen niederschlug und verschleppte. Daß es sich um diese beiden Männer handeln muß, könnte ich dir schon jetzt einwandfrei beweisen. Die Dinge liegen so: Der Elegante und der Stämmige hatten Grund, das Haus »Ida Müllers« gerade jetzt zu überwachen. Anlaß dazu gab ihnen eine Botschaft Elsie Wagas, die dem Eleganten mitgeteilt haben wird, daß ich die zweite Kugel im Eichenhain bei Schlachtensee gefunden habe. Daraufhin bekam es der Elegante mit der Angst, ich könnte »die Dame vom Schachbrett des Lebens« suchen und finden, und dies wollte er feststellen, damit er danach sein weiteres Vorgehen einrichten könnte. Er ist ja – im übertragenen Sinne – tatsächlich Waterstons Mörder, und da er Arzt ist und auch reich sein dürfte, möchte er rechtzeitig den Staub deutschen Bodens von seinen Füssen schütteln und dem Gefängnis entgehen, denn die heutige Rechtsprechung kennt keine Festungshaft für Verbrechen dieser Art, – das heißt: Man rubriziert heute Derartiges als Verbrechen, und das paßt so recht in diese morschen Zustände hinein, wo jeder erbärmliche Feigling sich hinter dem Begriff »Ueberwundener Standpunkt« verschanzt ...«

»Hm, – unklarer könntest du dich kaum ausdrücken«, erklärte ich vollkommen schimmerlos, was er mit alledem andeuten wollte.

Harst legte mir die Hand fest auf den Arm. »Ich drücke mich durchaus verständlich für den aus, der eben das Motiv kennt, mein Alter. Ein Mord oder ein Totschlag oder etwas Aehnliches hat stets ein Motiv. Hier geht es um das, was ich vorhin als Familienskandal oder ungefähr so bezeichnet habe, als ich von der Notwendigkeit sprach, die alten Zeitungen durchzublättern, – du besinnst dich ...«

Natürlich besann ich mich, aber das half mir nicht einen Schritt weiter.

Im Gegenteil, je mehr ich mich nun aufs neue in die Einzelheiten des Falles Waterston versenkte, desto dunkler und verworrener wurden die Zusammenhänge und desto widersinniger die Handlungsweise der Beteiligten.

Harst klopfte vorn an die Scheibe.

»Chauffeur, ganz langsam fahren ...«, befahl er.

Wir waren in der Schloßstraße angelangt. Harst beugte sich zum linken Fenster hinaus und rief mir zu, dasselbe auf der anderen Seite zu tun.

»Achte auf ein Zimmer mit erleuchteten Fenstern. Zweifellos ist Ida Müller, da sie sich halb und halb durchschaut sah, ausgerückt und wird uns eine nett hergerichtete Bühne, meinetwegen auch Schachbrett, zurückgelassen haben.«

Auch diese Aeußerung trug nicht gerade dazu bei, mich klüger zu machen, immerhin hatte ich die Genugtuung, daß ich zwei erleuchtete Fenster im Hochparterre eines älteren Hauses bemerkte, von denen das eine sogar weit offen stand, so daß der Regen hineinpeitschte.


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