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8.

Sie sah gänzlich erschöpft aus, sie hatte dunkle Ränder unter den Augen, ihr Blick war matt und verzweifelt.

»Sie noch hier?!« sagte sie müde und lächelte ganz wenig.

»Und Sie wieder hier, Fürstin?!« – meine Stimme klang froh und lebhaft.

Ihre Augen senkten sich vor dem beglückten Leuchten meiner Züge.

Eilfertig holte ich Wein, ein Glas, – sie trank gierig …

»Ich danke Ihnen, Mr. Abelsen …«

»Legen Sie sich nieder, Fürstin … Ich werde Ihnen das Bett drüben frisch beziehen …«

»Nein! Zum Schlafen habe ich keine Zeit … Wie sollte ich Schlaf finden?! Ich war dem Ziel so nahe, ich hätte es greifen können, es zerrann wie Nebel, den ein Windstoß wegfegt.«

In ihren langen Wimpern glänzten warme Tropfen … Sie hielt die Hände ineinander verschlungen, und ihr köstlicher Mund ward durch gramvolle Linien verzerrt.

Sie tat mir unendlich leid. Sie war Frau und war es nicht. Sie hatte den Gatten verloren, bevor noch der Liebe letzte Erfüllung ihr Weibestum gekrönt hatte. – Und dennoch, – eine Frau wie sie, jahrelang den Gatten suchend, jahrelang mit zähester Ausdauer sich durchkämpfend bis an die Grenze der kultivierten Welt, – ob ein Wesen wie sie, fast mehr Mann geworden in diesem harten Ringen um ein fernes Märchenglück, das nur noch in ihrer Phantasie in leuchtenden Farben lockendes Ziel sein mochte, – ob gerade sie noch hingebungsvolle Geliebte sein konnte?!

»… Wenn es das nur wäre!« sprach sie in kaum noch beherrschtem Schmerze weiter. »Aber die Ungewißheit, diese entsetzliche Ungewißheit …!«

Ihr trüber Blick schweifte durch den vornehmen Raum mit seinen weichen Farbtönen …

»Ob – Ihr Gatte noch lebt?!« sagte ich scheu.

Sie hob den Kopf und schaute mich an. »Er lebt … Aber – wie lebte er hier?! Weshalb, weshalb kam nie eine Nachricht von ihm, und – für wen dieses Zimmer, in dem der Rausch von Flitterwochenseligkeit wohl jeden umfängt?! Für wen?!«

Sie seufzte und krallte die Hände fester ineinander.

Ich stand vor ihr, und selbst Wrangels leises Winseln erreichte kaum mein Ohr … Meine Gedanken kreisten um die große Enthüllung …:

Also Iwan Zubanoffs Haus, und Fürst Zubanoff war der dreizehnte Tschu-Wang, war Doktor Wangs Nachfolger!

Wußte Wera das?! Durfte ich diesen Punkt überhaupt berühren?! War nicht alles, alles hier noch viel zu ungeklärt?!

Frage auf Frage gebar mein Hirn, und keine fand den Weg über die Lippen, nur die eine, die nicht viel bedeutete:

»Wo ist denn Ihr Gatte jetzt, Fürstin?!«

Sie empfand mit dem geschärften Gehör des klugen Weibes den unausgesprochenen Vorwurf, der in diesem Satze lag.

Sie preßte die Lippen wie in jähem Schmerz zusammen. Ihr Kopf sank auf die schwer atmende Brust … »Wenn ich das wüßte!«

Sie stützte die Ellbogen auf die Knie und duckte sich noch mehr zusammen. »Ich glaubte, ich dürfte Chedee blindlings vertrauen«, flüsterte sie wie im Selbstgespräch. »Auch er hat mich enttäuscht … – Aber wie sollen Sie das alles verstehen, Mr. Abelsen? Ich selbst tappe im Dunkeln … Ich muß meine Seele befreien von diesem furchtbaren Druck, – mir springen sonst die Schläfen …! Soll ich all die Jahre geopfert haben, nur um zu erfahren, daß mein Gatte hier in der Wildnis mich betrog?!«

Ihr Temperament riß sie hoch, sie trat dicht vor mich hin, faßte meine Schultern …

»Abelsen, wir sind Landsleute … Ich kenne Sie … Sie werden treu sein … Sie werden mich begreifen … – Abelsen, ich will Ihnen auch den Rest meiner Leiden mitteilen …«

Sie zog mich neben sich auf den Diwan und behielt meine Hände in den ihrigen, – es war die erste kameradschaftliche Annäherung zwischen uns, aber mich überlief es heiß, als ihre Schulter sich an meine Brust lehnte, und unter Tränen ihr Geständnis erklang:

»Gleich als ich Sie sah, war es mir, als hätte das Schicksal mir einen Bruder beschert.«

»Ich bin treu«, – selbst diese banale Redensart fiel mir schwer, denn neben mir saß das entzückendste Weib, das je in meiner Einsamkeit mir den Herzschlag beschleunigt hatte.

Der Hund in seiner Ecke auf seinem Fellager hatte sich halb aufgerichtet. Es mißfiel ihm sichtlich, daß sein neuer Herr mit Wera Zubanoff so vertraut tat. Hunde sind eifersüchtig, und Wrangels Liebe zu mir war auf dem bei Menschen so seltenen Boden der Dankbarkeit gewachsen. Ich hatte ihm das Leben gerettet, ich hatte ihm zwei böse Verletzungen verbunden, ich war vielleicht der erste Mensch gewesen, der ihm weiche, warme Worte geschenkt hatte: Das vergißt ein Hund nie, – ein Mensch sehr schnell.

Draußen war der Nebel, der vom Meere herüberzog, immer dichter geworden. Vorhin hatte ich noch den Antennendraht erkannt, jetzt sah ich durch das Fenster nicht einmal mehr die knorrigen Eichen. Graue düstere Schleier hingen bis zum Boden herab. Im Urwald ringsum würden die Blätter und Nadeln und Zweigspitzen vor Nässe tröpfeln. Es war Nacht geworden … Und es war kaum elf Uhr vormittags.

»… Das Dorf Zubanowo am Amur bildet etwa den Mittelpunkt der ehemaligen fürstlichen Ländereien …« Wera hatte sich ganz fest an mich gelehnt, und ihre Stimme klang voller und zuversichtlicher als vorhin. »Wie ich dorthin gelangte, nachdem ich endlich erfahren hatte, daß Bix und Fattmoore heimlich dorthin gereist waren, – ach, Abelsen, es war ein Weg der Demütigungen, ein Bettelweg … Verkleidet, mit falschen Papieren, mit wenig Geld, – – ersparen Sie mir Einzelheiten. Oft genug war ich nahe daran, meinen Plan aufzugeben. Aber eine innere Stimme – und Sie wissen, Abelsen, wie viel wir Nordländer von diesen inneren Eingebungen halten! – trieb mich weiter. Witscha hatte mir nun oft genug von einem alten treuen Diener seiner Familie erzählt, einem Giljaken namens Chedee-Pona, der am Amur den Wildhüter gespielt hatte und nachher als Fellhändler, Jäger und Karawanenführer sich schlecht und recht ernährte. Er sollte in Charbin eine Hütte besitzen, – ich fand ihn dort auch, und es fiel mir bei der Begrüßung sofort auf, daß er offenbar von meiner Existenz bereits unterrichtet war. Er leugnete dies zwar, doch die Bereitwilligkeit, mit der er mir seine Hilfe anbot, war genau so verfänglich. – Wir reisten nach Zubanowo. Ich mußte mich jetzt noch mehr vorsehen als bisher. Chedee hatte bereits davon Kenntnis erhalten, daß ein englisches Konsortium auf Grund eines früheren Kaufvertrages das große Zubanoffsche Gebiet am Amur dem reichen Wassili Gowin streitig machte und daß Rußland den größeren Teil den Engländern zugesprochen habe. Über Witscha selbst wollte er nichts gehört haben. In Zubanowo kam es denn eines Abends zwischen Edward Bix und mir am Flusse zu einer erregten Aussprache. Bix' schamloser Charakter zeigte sich mir in all seiner abgrundtiefen Verworfenheit, – er verhöhnte mich, er gab sich nicht einmal die Mühe, seine Gemeinheiten irgendwie abzuleugnen. Ich wäre ihm nur Mittel zum Zweck gewesen, Witscha habe sich schon in mein Bild verliebt gehabt, und nur die Liebe, so hatte der Schurke Bix kalkuliert, würde Witscha zu der Kaufvertragsfälschung bewegen, damit er für mich Geld in die Hände bekäme. Zum Schluß drohte er mir, mich den Behörden zu verraten, ich eilte zu Chedee, wir flüchteten in einem Nachen, und Chedee überredete mich, ihn zunächst nach seiner Heimat Sachalin zu begleiten, wo ich vor allen Nachstellungen sicher sein würde. – So gelangten wir hierher, nicht in dieses Haus, Abelsen, nein, Chedees Hütte befindet sich auf einer Insel des Flüßchens mitten im Dickicht und gar nicht weit weg von jenem Tale in dem ich Sie neben der Menschenfalle zum ersten Male sah. Es waren trostlose Wintermonate, die ich hier durchmachte, es waren beständige Aufregungen, denn inzwischen war Howard Steenpool erschienen und hatte gleichfalls ein verborgenes Quartier weiter westwärts bezogen. Chedee, zumeist schweigsam und in sich gekehrt, war kein angenehmer Gefährte. Seine Verschlossenheit wurde freilich durch seine rührende Fürsorge für mich aufgewogen, – er spionierte sehr bald Steenpool bis zum Dorfe Sadapito nach und stellte fest, daß Steenpool englischer Beamter war. Dann kam das Frühjahr, und mit den wärmeren Tagen erwachte auch meine alte Energie. Ich begleitete Chedee häufig auf seinen nächtlichen Ausflügen, oft genug waren wir dicht vor Ihrer Hütte, Abelsen … Unsere Spuren konnten Sie nicht erkennen, denn Chedee hatte uns Robbenhautschuhe genäht, die mit den Klauen von Rentieren unter der Sohle versehen waren … Es wurden Rentierfährten, und selbst Gowin achtete nicht darauf. – Ich komme nun zu den letzten Ereignissen …«

Sie atmete hastiger, ihre Hände wurden kalt vor Erregung …

»… Gestern, Abelsen, war Chedee mit seinem Nachen und seinem Hundegespann wieder einmal über Nacht weggeblieben. Das geschah häufiger. Er behauptete stets, die nächtlichen Bärenjagden wären für mich zu gefährlich … Der Morgen war so köstlich, die Sonne schien so warm, und ich hielt es auf der winzigen Insel nicht länger aus …«

Sie blickte mich an, und ein schwaches Lächeln umspielte ihren Mund. »Auch wir Frauen geraten einmal in Männerfallen, meist soll es ja umgekehrt sein. Ich war gewiß sehr vorsichtig, denn Steenpool spürte uns dauernd nach, war jedoch auch seinerseits sehr mißtrauisch. Ich kam in das weite Tal mit den Buschinseln, plötzlich brach der Boden unter mir zusammen, ich fiel in die Grube, der Plankendeckel schloß sich, und ich war gefangen …«

Ihr Lächeln erstarb schon wieder.

»… Ich war zum Glück ohne Verletzungen davongekommen … Ich versuchte mich zu befreien, ich grub mit dem Messer Stufen in die Erdwände, aber die Falltür regte sich nicht, wenn ich meine Hände dagegenstemmte, gab die Erde stets nach, ich verlor den Halt und glitt wieder hinab. Dann – – erschien Steenpool …«

Sie schwieg …

»Was halten Sie von ihm, Abelsen?« fragte sie scharfen Tones.

»Ein gefährlicher Gegner, aber – vielleicht doch Gentleman, Fürstin. Es will nichts besagen, daß er mich niederschlug und entfloh … Ich hätte in gleicher Lage genau so gehandelt. Ich habe sogar vielleicht noch brutalere Mittel angewandt, um meine Freiheit zurückzugewinnen. Ich habe vielleicht in meinem Leben schon mehr Menschenblut vergossen wie er, wenn auch stets in offenem Kampf, in Notwehr …« Bitterkeit quoll in mir hoch … »Ich war ein harmloser, fleißiger Staatsbürger … Und was bin ich heute?!«

»Ein … Mann!« sagte Wera ganz laut. »Ein Mann, Olaf Karl Abelsen, und das besagt mehr als das weichliche Gentleman! – Was Steenpool betrifft, Sie mögen da recht haben … Er ist Beamter, er hat seinen Pflichtenkreis, – nun gut, – ich kann auch nicht klagen, er war wohl mir gegenüber etwas sehr rücksichtslos, er fesselte mich, er schleppte mich in ein fernes Gebüsch, und seine zum Teil bissigen, zum Teil humorvollen Bemerkungen hatten doch nie etwas Gehässiges. Er erklärte mir nur, daß ich Bix und Fattmoore getötet hätte … Dann ließ er mich allein. – Alles Weitere ist Ihnen bekannt … Steenpool wurde dann von uns, Chedee und mir, in den Nachen verladen, Chedee fuhr jedoch an unserem Inselchen vorüber, und wir drangen in den Urwald ein … Es war die romantischste Fahrt, die mir je beschert wurde. Ich habe diese düsteren Wälder lieben gelernt, ich habe den Fluß mit meinen Händen geliebkost, in meiner Seele war das große, heilige Hoffen, denn Chedee hatte mir in seiner wortkargen Art angedeutet, daß mir eine frohe Überraschung bevorstände. – Wir verbargen den Nachen, wir setzten den Weg zu Fuß fort, – es war kein Weg, es war nicht einmal ein Pfad … Wie Chedee sich in dieser Wildnis zurechtfand, blieb mir ein Rätsel. So gelangten wir zu dieser Lichtung. Ich sah das große Blockhaus, ich sah fünf mir fremde Giljaken vor der Tür, – Chedee sagte ehrerbietig: ›Gehen Sie hinein, Fürstin, öffnen Sie die erste Tür links.‹«

Wieder schwieg sie …

»… Abelsen, mein Herz jagte … Abelsen, so viele Jahre war ich bemüht gewesen, meinen Gatten zu finden … Ich will mich nicht rühmen, Abelsen: Wohl keine Frau hat das ertragen, was ich auf mich genommen habe! – Ich ahnte, daß ich hier den Mann meiner Liebe finden würde … Meine Füße trugen mich kaum … Ich stieß die Tür dieses Gemaches auf … Es war leer …«

Ihre Stimme bebte, ihre Hände wurden noch eisiger …

»… Es … war … leer … Und … ich rief, rief seinen Namen … Ich rief mit all der Sehnsucht unbefriedigter Liebe …«

Sie schluchzte auf …

»Und … es blieb still … totenstill … Staunend schweifte mein Blick über diese seidene Pracht, über dieses lauschige Nestchen …«

Sie weinte …

»… Abelsen, dann trat Chedee neben mich. Sein von Falten durchkerbtes Gesicht war wie ein altes versiegeltes Buch … – ›Chedee, du versprachst mir, daß ich hier etwas finden würde …?!‹ – Er nickte … ›Ja, Fürstin, – ein Heim, das Ihrer würdig ist, – das meinte ich!‹ – ›Du lügst! Es ist irgend etwas geschehen … Mein Gatte war hier … Sei ehrlich, Chedee!‹ – Ich hatte seinen Arm gepackt, ich rüttelte ihn, – und er erwiderte kopfschüttelnd: ›Der Fürst, – nein, ich weiß nicht, wo er ist, aber er lebt …« – Das war alles, Abelsen, was ich ihm förmlich abbettelte.«

Sie hatte jetzt die Hände vor das Gesicht gepreßt … Und ich – – trösten?! Wie?!

Ich legte nur den Arm um sie, und in dem Moment war ich nur ihr Kamerad, ihr Bruder.

Sie hatte sich trotz allem in der Gewalt, – sie trocknete die feuchten Augen, ihr Mund wurde wieder hart …

»Abelsen, der Tag verstrich … Es kam die Nacht, und dann kamen Sie … Sie und Gowin, und … neue Rätsel türmten sich vor mir auf … Wir flohen, Chedee, die Giljaken, die Hunde, – wir verschwanden drüben im Urwaldsumpf … Unser Baumkahn war überfüllt, wir legten an einer Insel an, Chedee stieg aus, kehrte nach einer Stunde zurück, man bereitete mir ein Lager in einem Zelt aus Fellen, ich schlief vor Erschöpfung ein, als ich erwachte, hing der Nebel über dem Sumpfe … Ich … war allein. Der Nachen war noch da, und …«

Die Stimme versagte ihr …

»… Abelsen, in … in dem Nachen lag ein Zettel … Es war meines Gatten Schrift … Da – lesen Sie …!«

Sie drückte mir ein zerknittertes Papier in die Hand …


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