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Sechstes Kapitel.
Basel

Hinter der Fassade eines zweitklassigen Provinzbankgebäudes in dieser zweitklassigen Schweizer Provinzstadt steht der höchste Wirtschaftsbeobachtungsturm in Europa. Es ist ein Turm, von dem aus die Beobachter täglich die europäische Landschaft überblicken, und wo die Frage »Kann Europa sich erholen?« mit mehr Sachverständnis und weniger Voreingenommenheit behandelt wird als sonst irgendwo in der Welt.

Denn die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich ist, genau genommen, als die einzige wahrhaft internationale Finanzorganisation der Welt zu bezeichnen. Sie stellt etwas ganz Einzigartiges in der Weltwirtschaft dar, etwas, das früher noch niemals existierte, etwas, das unschätzbar Wertvolles für die Zukunft verheißt.

Ihre Kunden sind die Völker Europas. Ihre Beamten, die Batterien von Telephonen zur Seite haben, sind in ununterbrochenem Kontakt mit London, Paris, Rom, Berlin, Warschau, Wien, Prag, mit allen Hauptstädten des Kontinents. Sie müssen über die wirtschaftliche und finanzielle Lage jedes einzelnen Landes in Europa ebenso gut Bescheid wissen wie der Kleinstadtbankier zu Hause über die geschäftliche Lage John Browns und Hiram Smiths, des Farmers und des Kaufmanns.

Diese Bank ist die Bank der Banken genannt worden. Zutreffender könnte sie genannt werden: die Bank der Banken der Banken. Sie ist dreifach über die Geschäftsleute des Kontinents emporgehoben. Diese verkehren mit ihren lokalen Banken; die lokalen Banken verkehren mit den Zentralnotenbanken, der Bank von England, der Bank von Frankreich, der Bank von Italien. Der einzelne Geschäftsmann sieht lediglich seine eigenen, eng umschriebenen Interessen. Seine Bank überblickt, da sie mit einer ganzen Gemeinschaft zu tun hat, schon ein größeres Gebiet. Die Zentralbank hat die Nation zum Kunden. Nur die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich überblickt das Ganze, beobachtet jede einzelne Nation, hat ununterbrochen den prüfenden Finger am Finanzpuls des Kontinents.

Was könnte für eine Untersuchung der wirtschaftlichen Gegenwart und Zukunft Europas von größerem Wert sein als die wahre, die »Eingeweihten«-Meinung der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich? Was würde sie auf die Frage: »Kann Europa sich erholen?« sagen.

Das Bestreben, eine solche Antwort von der Bank zu erhalten, ist in gewissem Sinne müßig, in anderem fruchtbar. Es ist ein Ding der Unmöglichkeit, eine synthetische Meinung von den Bankdirektoren zu hören, denn ihre Standpunkte sind so verschieden wie die Interessen ihrer Nationen. Die 19 Männer, die sich allmonatlich in Basel treffen, kommen aus London, Paris, Berlin, Rom, Brüssel, Stockholm, Amsterdam und Zürich. Keiner von ihnen ist dazu qualifiziert, das polyphone Stimmengewirr der Bank synchronisierend zusammenzufassen.

Einem unabhängigen Beobachter ist es jedoch möglich, den Basler Beobachtungsturm zu erklimmen und von diesem internationalen Gesichtspunkt aus einen Blick auf Europa zu werfen, und ein Versuch, die Landschaft von dieser Höhe aus zu schildern, kann sich als wertvoll erweisen. Es wird ein panoramaartiger und hastiger Überblick sein. Er kann keinen Anspruch darauf erheben, autoritativ zu sein, und noch weniger Anspruch darauf, der offiziellen Ansicht der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich gleichzukommen. Aber so, wie es instruktiv ist, bei der Suche nach Material für das Problem »Kommt Europa wieder hoch?« die Hauptstädte Europas aufzusuchen, so sollte es auch von Nutzen sein, wenn man sich über das Niveau der einzelnen Nationen erhebt und darangeht, sich aus den nationalen Standpunkten, die im Brennpunkt Basel zusammenlaufen, seine eigene synthetische Ansicht zu bilden.

Kurz gefaßt, lautet die Antwort auf die Frage, ob Europa sich erholen kann, auch hier wieder: »Ja.« Und wieder muß diese Antwort spezifiziert werden. Europa wird auf jeden Fall wieder gesunden, ob nun etwas »getan« wird oder nicht. Aber wenn nichts getan wird, wenn keine Anstrengung zu einer geplanten Erholung gemacht wird, dann wird die Erholung langsam und unter Schmerzen vor sich gehen. Bringen die Staatsmänner der Welt es andererseits zuwege, sich auf einen Plan der Zusammenarbeit zur Wiedererweckung des Vertrauens und zur Stabilisierung der Währungen zu einigen, so kann die europäische Erholung viel rascher vor sich gehen und der Kontinent sich viele Leiden ersparen.

Von diesem Beobachtungspunkt aus gesehen, zeigt das Panorama Europas einen Nebelgürtel, den schlimmsten aller Wirtschaftsnebel, unbeständige Währungen. Drei Bezirke Europas erscheinen am dichtesten überzogen: das Donaubecken, Deutschland und England. Keine Wirtschaft kann in dem Nebel schwankender Währungen prosperieren. Solange dieser Nebel nicht zerstreut wird, wird Europa nicht wieder hochkommen.

Heute wird der Nebel über England dünner, und das ist das erfreulichste Anzeichen, das Europa aufzuweisen hat. Denn wenn der Welthandel wieder auf sein normales Ausmaß gebracht werden soll, ist es offenbar das allerwichtigste, die Hauptwährung des internationalen Handels, das Pfund Sterling, wieder in Ordnung zu bringen.

Dies ist das Hauptziel im Rahmen der europäischen Erholung, weil die Wiederherstellung der traditionellen Stabilität des Sterlings wegen seiner Vorherrschaft im Welthandel mehr zur Förderung des Welthandels beitragen würde als jeder andere Einzelschritt. Für dieses Ziel ist eine Entscheidung darüber, auf welchem Kurs der Sterling stabilisiert werden wird, verhältnismäßig unwichtig. Vom Basler Standpunkt aus erscheint es als wahrscheinlich, daß der Sterling sein Kursniveau zwischen 13,60 und 15,20 Reichsmark finden, daß er nicht auf seine alte Parität zurückgebracht werden wird. Aber ob das nun geschieht oder nicht – das Wesentliche ist, daß er wieder einen festen Wert haben muß.

Überall in der Welt, in Hamburg, Singapur, Athen, Hongkong zögern die Kaufleute, Aufträge zu erteilen oder hereinzunehmen, weil das Pfund Sterling morgen 50 Pfennig weniger oder 50 Pfennig mehr wert sein kann als heute. Ganze Generationen von Kaufleuten in allen Winkeln des Erdballs haben ihr Leben lang in Sterling gehandelt. Diese Gewohnheit können sie nicht ablegen. Alle ihre Konten und die ihrer Kunden wurden stets in Sterling geführt. Für einen Amerikaner ist es schwer, sich klar zu machen, welche Weltgültigkeit die britische Währung gewonnen hat. Der Chef eines der größten deutschen Exporthäuser machte mir gegenüber die Bemerkung, die Kriege in China, die Besetzung der Mandschurei durch die Japaner, der chinesische Japs-Boykott – alles das habe, verglichen mit der verheerenden Wirkung des Abgleitens des Pfundes Sterling vom Gold, nur geringen oder gar keinen Einfluß auf den Handel im fernen Osten ausgeübt. Das Pfund Sterling wieder auf Goldbasis zu bringen, ist heute das erste Problem Europas.

Hinter einigen Nachrichten aus England scheint die Auffassung zu stehen, daß Großbritannien sich nicht im klaren darüber sei, ob es den Sterling wieder auf Goldbasis zu fixieren wünsche. Vom Basler Gesichtspunkt aus muß es als gewiß erscheinen, daß England zur Goldbasis zurückkehren will, daß es die Absicht hat, das zu tun, und es auch tun wird.

Diese Gewißheit, die so weit Gewißheit ist, als in dieser unbeständigen Welt überhaupt etwas eine Gewißheit sein kann, gründet sich auf die Beobachtung, daß alle wichtigeren politischen Maßnahmen, die England getroffen hat, eine Tendenz aufweisen, die eine Rückkehr zur Goldbasis ermöglicht. Vor allem hat England für eine Bereinigung der Reparationsfrage gearbeitet.

England wünschte die Annullierung der Reparationen aus drei Hauptgründen: erstens weil sie, insofern sie in Waren gezahlt wurden, eine unmittelbare, direkte Konkurrenz deutscher Waren mit englischen Waren, und insofern sie bar bezahlt wurden, eine indirekte, aber nichtsdestoweniger wirksame Konkurrenz deutscher Waren mit englischen bedeuteten, da es für die Deutschen keine andere Möglichkeit der Barzahlung gab als die Erlangung eines Exportüberschusses.

Zweitens wünschte England eine Annullierung der Reparationen, weil Großbritannien buchstäblich vom Handel lebt und die Londoner City in aller Ehrlichkeit davon überzeugt war, daß die Reparationen eine Behinderung des Handels darstellten, die wirtschaftliche Stabilisierung hinauszögerten und der Prosperität Abbruch taten. Großbritannien gehört zu denjenigen Ländern der Erde, die das größte unmittelbare egoistische Interesse an einer allgemeinen, die ganze Welt umfassenden Prosperität haben. Je mehr Kaufkraft in der Welt, desto mehr Handel ist für die britischen Kaufleute zu treiben, und desto mehr Finanzierungen gibt es für die Londoner City.

Drittens und letztens jedoch hatte Großbritannien einen überaus gewichtigen, wenn auch selten klar erfaßten technischen Grund dafür, eine Aufhebung der Reparationen herbeizuwünschen. Das war Deutschlands beständiger Bedarf an fremden Valuten zur Bezahlung der Reparationen, der einen ununterbrochenen Druck auf den Sterling ausübte und im letzten Grunde eine der Ursachen war, die den Sterling ins Wanken brachten. Und das lag daran, daß Deutschland den größeren Teil seiner Ausfuhr nach Ländern verkaufte, die in Sterling bezahlten. Die Reichsbank hatte ununterbrochen einen größeren Vorrat an Sterling als an allen anderen fremden Valuten. Zur Bezahlung der Reparationen mußte Deutschland jedoch Dollars oder französische Franken haben. Nur ein Fünftel der Reparationen konnte in Sterling bezahlt werden. Der Rest mußte in Franken oder Dollars bezahlt werden, und der ununterbrochene Sterlingverkauf der Reichsbank gegen diese beiden anderen Valuten trug zu dem Druck bei, der schließlich das Pfund zum Abgleiten brachte.

Die Reparationen los zu werden, war also das erste Ziel Englands bei seinen Bemühungen, den Sterling zu stabilisieren. Sein zweites Ziel ist, eine Klärung der amerikanischen Schuldenfrage herbeizuführen. Solange diese Frage nicht geklärt ist, erscheint es als unwahrscheinlich, daß der Sterling wieder auf Goldbasis zurückkommen wird.

Vom Basler Standpunkt aus erscheint es unvermeidlich, daß eine Bereinigung zustande kommt, und zwar muß sie in einem Kompromiß bestehen. Von dem internationalen Finanzobservatorium aus gesehen, zeigt dieses mit so viel Bitterkeit umstrittene Problem bereits an seiner Peripherie ein nebelhaftes Licht, dessen Erklärung Wirtschaftsastronomen in den Worten »Pauschalzahlung in bar« zu sehen geneigt sind.

Im Spektroskop des internationalen Finanzphysikers zerlegt, zeigt dieses Licht eine Zusammensetzung, die folgende Betrachtung ermöglicht: Angenommen, England und Frankreich kämen überein, eine Pauschalsumme von, sagen wir, 4 Milliarden Reichsmark zu zahlen. Frankreich könnte mehr als die Hälfte auf sich nehmen, da Großbritannien um so viel mehr gezahlt hat als Frankreich.

Aber woher soll das Geld kommen? Bevor der Physiker diese Frage beantwortet, will er einen Blick auf die englischen und französischen Papiere auf dem internationalen Markt werfen. Diese notieren heute über pari.

Was wäre nun, so fragt der Physiker, der in sein Spektroskop blickt, das Resultat, wenn die Regierungen Großbritanniens und Frankreichs eine viereinhalb- oder fünfprozentige Anleihe in Höhe von 4 Milliarden Reichsmark emittierten und garantierten, und wie gut wäre diese Anleihe, wenn darüber hinaus überdies die Regierung der Vereinigten Staaten eine Garantie gäbe, die Anweisungen nach der Unterzeichnung durch die Regierungen von England und Frankreich auch ihrerseits unterzeichnete? Man muß kein Finanzphysiker sein, um zu sehen, daß das die sicherste Investierungsmöglichkeit der Welt darstellen würde.

Und vom Basler Standpunkt aus läßt sich sagen, daß das amerikanische Publikum sogar jetzt, sogar heute, mit beiden Händen nach der Gelegenheit greifen würde, 4 Milliarden Reichsmark gegen viereinhalb bis fünf Prozent in dem sichersten Papier der Welt anzulegen.

Einfach gesprochen: ein derartiges Übereinkommen würde bedeuten, daß die amerikanische Regierung 4 Milliarden Reichsmark in bar erhielte. Das Geld würde von den amerikanischen Anleihekäufern aufgebracht werden. Sie würden jährlich 4,50 bis 5 Reichsmark für je 100 angelegte Reichsmark bekommen. Die britische und die französische Regierung würden Zinsen und Amortisationsraten bezahlen. Die amerikanische Regierung würde die Papiere garantieren, würde aber damit kein Risiko eingehen, da sie selbst für den Fall, daß sowohl Frankreich wie England die Zahlungen einstellten, lediglich gezwungen wäre, den amerikanischen Anweisungs-Inhabern das Geld zurückzuzahlen, das die Regierung bereits erhalten hat.

In bar hätte das amerikanische Schatzamt eine Summe in Händen, die, je nach der zugrunde gelegten Berechnung, einem Fünftel, einem Zehntel oder einem Zwanzigstel der europäischen Schuld gleich käme. Wenn die 1 Milliarde Reichsmark, die Amerika tatsächlich im Jahr von Europa zu bekommen hat, zu fünf Prozent kapitalisiert würden, betrüge der Kapitalwert der Schuld 20 Milliarden Reichsmark, und davon wäre die bare Pauschalzahlung in Höhe von 4 Milliarden Reichsmark ein Fünftel. Wenn die zur Zeit des französischen und des englischen Abkommens an Amerika fällige Kapitalsumme hinzugefügt wird, machte das ungefähr 40 Milliarden Reichsmark aus, und davon wäre die Pauschalzahlung nur ein Zehntel. Wenn die Zinsen und die Amortisationsraten für jedes Jahr über die volle Schuldfrist hinaus zusammengerechnet würden, ergäbe das ungefähr 80 Milliarden Reichsmark, und die genannte Pauschalsumme wäre dann nur ein Zwanzigstel davon.

Aber im Basler Spektroskop weist dieses Licht rings um das Schuldproblem eine ganz einzigartige Linie auf, nämlich: Amerika würde etwas Geld bekommen. Die Regierung hätte ihre 4 Milliarden Reichsmark, und das amerikanische Volk, das das Geld aufbrächte, hätte 200 Millionen Zinsen im Jahr. Den Franzosen und Engländern wären mindestens vier Fünftel ihrer Schuld erlassen, aber bei dem Schuldnerstreik, der jetzt über Europa hereinbricht, wird in dem Umstand, daß sie überhaupt zahlen würden, ein erstaunliches Phänomen gesehen, das sehr wohl die Aufmerksamkeit eines Gläubigers verdient.

Bis jetzt ist das Schuldenproblem so vernebelt, daß noch kein Finanzphysiker imstande gewesen ist, sich auszurechnen, was mit den mittelgroßen Ländern, wie Italien und Belgien, oder mit all den kleinen Ländern, wie Jugoslawien und Rumänien, geschehen sollte. In Basel hat man jedoch die Empfindung, daß diese geringeren Teile des Problems wenig Schwierigkeiten bereiten würden, wenn man sich der wichtigeren Frage England und Frankreich entledigt hätte.

Was immer man auch von dieser Lösung des Schuldenproblems denken mag – und die Basler Beobachter sind mit Recht sicher, daß etwas Derartiges nach den amerikanischen Präsidentenwahlen vorgeschlagen werden wird – es ist klar, daß Großbritannien seine Bereinigung als einen weiteren Schritt zur Sterlingstabilisierung erhofft.

Auf internationalem Gebiete ist England bestrebt, Europa dazu zu bringen, daß es noch einen Schritt mehr unternehme, der dem Sterling zur Goldbasis zurückverhelfen wird. Es wünscht geplante Anstrengungen zur Wiederherstellung Mitteleuropas, des Donaubeckens. Denn zum Abgehen von der Goldbasis wurde England teilweise oder gar hauptsächlich dadurch gezwungen, daß seine internationale Zahlungsbilanz zum ersten Male im Laufe eines Jahrhunderts ungünstig wurde. Ungünstig wurde sie teils wegen des allgemeinen Preissturzes im Welthandel, teils jedoch auch, weil ausländische Zahlungen an englische Investoren aufhörten, einfroren. Eine gewaltige Summe englischen Geldes liegt heute in Mittel- und Südosteuropa fest Diese eingefrorenen Geldmengen aufzutauen, ist ein Hauptziel der britischen Politik.

Hier sind die Gründe zusammengefaßt, weshalb England die Initiative in der Zusammenberufung der Weltwirtschaftskonferenz ergriffen hat: weil es zur Goldbasis zurückzukehren wünscht, wünscht es ein Ende der Reparationen, eine Bereinigung der Kriegsschuldenfrage, die Stabilisierung der Währungen Mitteleuropas und des Donaubeckens und die Wiederherstellung des Handels.

So bietet also England, vom Basler Standpunkt aus gesehen, erfreuliche Aussichten. Auf internationalem Gebiet hat es bereits die Schritte unternommen, die zu einer Rückkehr des Sterlings zur Goldbasis notwendig sind, oder es ist bestrebt, sie zu unternehmen. Auch im Inneren leitet England, wie man es von diesem Beobachtungsturm aus sieht, alles ein, was zur Erholung notwendig ist. Sein erstes Problem war die Verringerung seiner Schuldenlast, und diese Verringerung führte es summarisch durch die Abwertung des Sterlings herbei. Diese würde natürlich keine dauernde Reduktion seiner Schulden bedeuten, wenn es zur alten Goldparität zurückkehrte. Deshalb wird es nicht für wahrscheinlich gehalten, daß es das tun wird.

Wenn es aber die Stabilisierung irgendwo um 15 Reichsmark herum vornimmt, würde das eine Verringerung seiner Schuldenlast um rund ein Viertel bedeuten. Seine vor kurzem vorgenommene Kriegsanleihe-Konvertierung verringerte den größten Teil seiner Staatsschuld um ein weiteres Drittel. Wenn die englische Industrie sich zu rationalisieren und modernisieren beginnt und ihre Kosten durch wirksame Methoden herabmindert, wenn ferner die britische Regierung auf eine Ermäßigung der sozialen Lasten, der Arbeitslosenunterstützung und aller ihrer Begleiterscheinungen lossteuert – für diesen Fall beurteilt Basel die Aussichten Englands und damit auch des Kontinents als gut. Auf jeden Fall wird hier besonders betont, daß Großbritannien unablässig auf die Erholung hinarbeitet, und ob die Erreichung dieses Zieles nun nahe oder fern ist, wichtig ist die Richtung dieser Bewegung.

Auf Deutschland gerichtet, zeigt das Basler Finanzteleskop die gewaltige unableugbare Tatsache auf, daß Deutschland im Jahre 1932 rund 40 Milliarden Reichsmark Schulden losgeworden ist. Das künftige Deutschland wird auf dieses Jahr als das entscheidende seiner Nachkriegsgeschichte zurückblicken. Es hat die Reparationen zum Verschwinden gebracht. Was im Lausanner Abkommen übrig blieb, nicht mehr als 3 Milliarden Reichsmark, ist nicht ganz so viel wie zwei Annuitäten unter dem Youngplan. Wie Kanzler von Papen sagte, »es gibt keine Reparationen mehr«, und das wird auch weiter wahr bleiben, ganz gleichgültig, welche Aufnahme das Lausanner Abkommen in den Parlamenten der beteiligten Länder findet.

Mit dieser Leistung hinter sich braucht Deutschland jetzt nur noch daran zu gehen, seine innere Schuld zu reduzieren. Sie ist doppelt so hoch wie seine private Auslandsverschuldung. Ausländern schuldet das Reich heute insgesamt rund 16 Milliarden Reichsmark mehr, als es von Ausländern zu fordern hat. Seine Privatverschuldung innerhalb des Landes jedoch wird auf rund 48 Milliarden Reichsmark geschätzt. Für so gut wie alle diese Schulden hat es den Zinssatz von 1927 bis 1929, sieben bis zehn Prozent, gezahlt. Brüning tat den ersten Schritt zu einer Verringerung dieser Last, indem er eine Zwangsherabsetzung der Zinssätze verordnete.

Wenn die Weltpreise anziehen, wird es für Deutschland vielleicht nicht notwendig sein, weitere Regierungsmaßnahmen zu einer Herabsetzung seiner Zinssätze zu unternehmen. Steigen sie nicht rechtzeitig, so kann die deutsche Regierung das von Brüning eingeleitete Verfahren fortsetzen. Es mag sich für Deutschlands Auslandsgläubiger vielleicht als notwendig erweisen, den Zinsfuß ihrer langfristigen Kredite herabzusetzen. Die Zinsen der kurzfristigen Anleihen aus dem Ausland sind im Rahmen des Stillhalteabkommens bereits beträchtlich ermäßigt worden.

Von Wichtigkeit ist in Deutschland, ebenso wie in England, der Umstand, daß die Bewegung in der Richtung auf eine Erholung vor sich geht. Es geschehen die Dinge, die für die Erholung notwendig sind. Von Basel aus gesehen, erscheint die Gefahr, daß Deutschland den Goldstandard aufgebe, als gering. In der Hauptsache aus drei Ursachen. Erstens würde das Reich damit keine Erleichterung in seiner Auslandsverschuldung erreichen, da dieser ausschließlich Goldbasis zugrunde gelegt ist. Zweitens würde es damit keine Erleichterung für den größeren Teil seiner inneren Schuld erlangen, da alle Hypotheken und viele langfristige Kredite in Deutschland Goldklauseln haben. Drittens ist es inflationsbewußt und wird nicht so bald ein zweites Unheil gleich dem der Jahre 1920-23 riskieren.

Aus anderen, jedoch zwingenden Gründen scheint, von Basel aus gesehen, nur wenig Gefahr zu bestehen, daß Deutschland ein vollständiges Moratorium auf seine privaten Auslandszahlungen erlassen werde. Kommt es im Welthandel und im Handel Deutschlands nicht zu einer Besserung, so läßt sich denken, daß das Reich vielleicht ein Teilmoratorium auf Auslandszahlungen erlassen wird, aber eben nur ein Teilmoratorium, und in dessen Rahmen würde es fortfahren, Ausgleichszahlungen in Reichsmark auf Sperrkonten vorzunehmen und die Wiederkehr der Liquidität abwarten, um den Gesamtbetrag zu bezahlen.

Geübte Beobachter erklären heute, daß sie, wenn das Basler Finanzteleskop mit einem besonders kräftigen Okular versehen wird, am Horizont in weiter Ferne schwache Nebelbewegungen wahrnehmen können. Über die Bedeutung der Nebel sind sich die Fachleute nicht einig, aber einige haben die Kühnheit gehabt, zu erklären, sie könnten deutliche Anzeichen dafür sehen, daß ausländische Investoren wieder Kapitalien nach Deutschland bringen werden. Ein bis zwei, die besonders gute Augen haben, behaupten nachdrücklichst, sie könnten in den Investorennebeln Charakteristika erblicken, die typisch für Amerika seien. Keiner dieser Nebel war zu beobachten, ehe das gewaltige Massiv der Reparationen aus dem Gesichtsfeld rückte. Der wirkliche Abschluß der Bewegung kann im Augenblick nicht mit Genauigkeit vorausgesagt werden, aber eine nicht unbedeutende Gruppe von Finanzastronomen läßt sich nicht nehmen, daß die Bewegung in der erwähnten Richtung vor sich gehe.

Sie sind der Ansicht, daß Deutschland unter allen Ländern auf dem Kontinent das überraschendste Gesundungsschauspiel bieten werde. Sie weisen auf die geradezu unvergleichliche industrielle Ausrüstung des Reiches und die überlegenen industriellen Gaben seiner Bevölkerung hin. Sein Kredit ist seit 14 Jahren infolge der Reparationen lahmgelegt. Heute hat es die Freiheit, seine Bankrottpropaganda aufzugeben. Seine politische Bewegung, die an der Oberfläche beunruhigend ist, könnte sehr wohl nichts anderes sein als eine Bewegung auf eine schließlich deutlicher werdende Stabilität hin.

Wird das Basler Teleskop auf Italien gerichtet, so zeigt sich eine Stabilität, die lediglich dadurch bedroht erscheint, daß die italienische Stabilität mit dem Leben eines Mannes steht und fällt. Die Zahlungsbilanz Italiens ist ungünstig; seine Gesamtreserven an Gold und fremden Valuten für die Lira sind im Abnehmen begriffen; der Staat finanziert sich durch pyramidenförmig gestaffelte Anleihen; die Sparkassen nehmen kurzbefristete Einlagen auf und investieren sie auf lange Sicht. All dies ist gefährlich, kann jedoch unschädlich bleiben, solange Mussolini lebt.

Richtet man von Basel aus seine Blicke auf Frankreich, so sieht man überraschende Zukunftsbilder. Es dürfte jedoch gut sein, über sie nach näherer Untersuchung zu berichten.

In summa ergeben die eingehenden Beobachtungen eines Außenstehenden von Basel aus folgendes Bild: Rückkehr Englands zum Goldstandard, Wiederherstellung von Deutschlands Kaufkraft, Restabilisierung der mitteleuropäischen Währungen – ein Thema, auf das noch einmal zurückgekommen wird – und eine allgemeine Wiederbelebung des Handels auf dem Kontinent. Auch wo die eine oder andere dieser Entwicklungen in Wirklichkeit noch nicht vollendet ist, läßt sich nichtsdestoweniger nachweisen, daß die Bewegung in dieser Richtung vor sich geht, und es ist stets die Richtung der Bewegung, die ausschlaggebend ist.

Nicht die geringste Rolle in dem hier umrissenen Erholungsprozeß wird die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich selbst spielen. Von grundlegender Bedeutung für den ganzen Prozeß ist die Rückkehr aller Länder zur Goldbasis. An dieser Rückkehr kann die Basler Bank entscheidenden Anteil nehmen.

Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich, vor allem als Transferinstrument für die deutschen Reparationszahlungen geschaffen, ist längst über ihre ursprüngliche Bestimmung hinausgewachsen. Als Depositenbank der Zentralbanken hat sie einen Prozeß eingeleitet, der von überragender Wichtigkeit für die finanzielle Zukunft Europas und der Welt werden könnte und auch zu werden verspricht. Sie kann für die internationale Finanz und für die Erlangung internationaler Finanzstabilität ebenso wichtig sein, wie es die Zentralnotenbanken für die Erlangung der Finanzstabilität innerhalb der einzelnen Länder waren.

Man denke sich, die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich hätte sich in dieser Zeit europäischer Kreditschwierigkeiten statt mit einem Kapital von 400 Millionen Reichsmark mit einen von 4 Milliarden Reichsmark entwickelt und zu seinen Mitgliedern auch die über alles wichtige Federal Reserve gezählt. Man stelle sich vor, sie besäße genügend Mittel, um den Nationen gegenüber sowohl als Clearing House wie als Darlehensgeber zu fungieren. Man braucht keine besonders starke Finanzphantasie, um einzusehen, daß eine vollentwickelte Bank für Internationalen Zahlungsausgleich die Kreditkrise in ihren Anfängen hätte aufhalten können. Land A gerät in Schwierigkeiten, die Auslandsgläubiger veranstalten einen Run auf seine Banken, einen Run, der politisch angezettelt worden oder von einer psychologischen Panik verursacht ist. Die Bank greift ein und unterbindet mit Hilfe der Gelder, die sie aus den Einlagen von zehn bis zwölf anderen stärkeren Ländern hat, den Run auf Land A, bevor er Zeit hat, auf Land B überzugreifen.

Etwas ähnliches wurde in kleinem Maßstab von der Bank beim Einsetzen der 1931iger Krise versucht. Sie gewährte den Nationalbanken von Deutschland, Ungarn, Österreich, Jugoslawien und Danzig Notkredite. Ihre Mittel reichten nicht dazu aus, mehr zu tun. Wie es in ihrem letzten Bericht heißt: »Die Bank fühlte sich in Erkenntnis der Demoralisierung, zu der es gekommen war, und der Unzulänglichkeit einer Gewährung von zusätzlichen kurzfristigen Geldern verpflichtet, erneute Gesuche um Kredite abzuweisen, die infolge des Pfundsturzes von etlichen Zentralbanken kamen, und unterbrach so ihre Politik als wesentliche neue Kreditgeberin für verschiedene Zentralbanken.« Hätte die Bank jedoch genügend Mittel gehabt, so läßt sich sehr wohl denken, daß es zu der »Demoralisierung« nicht gekommen wäre.

Seitdem es in praxi keine Reparationen gibt, existiert der ursprüngliche Zweck der Bank nicht mehr. Sie ist jedoch dadurch in gewissem Sinne stärker geworden, als sie jemals war. Es ist jetzt klar, daß diese internationale Organisation, nachdem sie einmal geschaffen worden ist, dazu da ist, benutzt zu werden. Ebenso sicher ist es, daß sie auch benutzt werden wird. 19 europäische Finanzherren treffen sich allmonatlich hier, um ihre Probleme durchzusprechen. Eine Zusammenarbeit dieser Art hat es noch nie zuvor gegeben. Es ist nur vernünftig, den Rückschluß zu ziehen, daß die Kreditkrise, hätte diese Zusammenarbeit nicht existiert, vielleicht noch viel schlimmer geworden wäre, als sie tatsächlich war.

Zu den wichtigsten Aufgaben, welche die Bank jetzt hat, gehört die Ausarbeitung der »Regeln des Goldbasisspiels«. Wenn Europa sich erholen soll, muß es früher oder später stabile Währungen erreichen. Bis jetzt ist noch kein gleich guter Ersatz für die Goldbasis genannt worden, und es trifft, wie man in Basel feststellen kann, zu, daß sich noch keine Regierung und keine Zentralbank prinzipiell gegen die Goldbasis ausgesprochen hat. Sie alle streben danach, zu ihr zurückzukehren. Sobald sie zu ihr zurückkehren, wird einer der wichtigsten Schritte zur Erholung getan sein.

In dem Prozeß der Rückkehr zur Goldbasis, in dem Prozeß der europäischen Erholung, wird die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich eine hervorragende Rolle spielen. Ihre Delegierten für den Finanzunterausschuß der Weltwirtschaftskonferenz sind ihr ausgezeichneter amerikanischer Vizepräsident Leon Frazer und Dr. L. J. A. Trip aus Amsterdam. Die Vertreter der Bank funktionieren bei jeder internationalen Beratung als Ratgeber. Wohl noch kein Plan, gleichgültig woher er kam, ist angeregt worden, der der Bank nicht eine Schlüsselstellung in der Reorganisierung des europäischen Währungssystems zuwiese.

Das auffallendste Charakteristikum der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich liegt jedoch darin, daß sie, obwohl sie im privatkapitalistischen System des Profitmachens eine bedeutende Rolle spielt und vielleicht eine noch viel größere spielen wird, selbst außerhalb dieses Systems steht. Sie arbeitet nicht für eigenen Gewinn, sondern zum Wohle aller ihrer Mitglieder. Es ereignet sich vielleicht zum ersten Male, daß die Welt eine solche rein kooperative Organisation im internationalen Finanzwesen besitzt. Heilige Alliancen und Völkerbunde haben den Versuch unternommen, die Welt zu befrieden. Sie alle haben auf Grund von Prinzipien, die als altruistisch gelten, gearbeitet oder zu arbeiten versucht, zum Beispiel auf Grund des Prinzips, daß alle Nationen ein wahres Interesse an der Aufrechterhaltung des Friedens hätten.

Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich steht auf einer weniger idealistischen, einer realistischeren und vielleicht gesünderen Basis. Sie repräsentiert einen aufgeklärten Egoismus und arbeitet zum Beispiel auf Grund des Prinzips, daß jede Nation ein wahres Interesse daran habe, daß alle anderen Nationen eine stabile Währung besitzen.

Die Zentralbanken arbeiten allerdings auch nicht in erster Linie für Profite, obgleich einige von ihnen Dividenden auszahlen. Auch sie arbeiten vor allem für das Wohl ihrer Mitglieder, für das Wohl der Finanzen ihres Landes. Aber die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich ist die erste Organisation, welche den aufgeklärten Egoismus im internationalen Finanzwesen arbeiten läßt. Sie hat den Horizont egoistischer Interessen erweitert. Je weiter dieser Horizont ist, desto größer werden die Aussichten darauf, daß die Gesundung Europas herbeigeführt und erhalten wird.

Von Basel aus ist zu sehen, daß Europa sich auf jeden Fall erholen wird. Geplante Anstrengungen unter Mithilfe der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich können den Erholungsprozeß beschleunigen.


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